Dr. Manfred Stolpe, Ministerpräsident des Landes Brandenburg:

Frau Bundesministerin! Meine Herren Präsidenten! Ganz besonders darf ich mich freuen, daß Sie, Herr Präsident Vilmar, das erste Mal hier im Süden Brandenburgs sind, aber ich vermute, es werden auch einige andere zum ersten Mal hier sein. Meine Damen und Herren Abgeordneten! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich freue mich wirklich, daß Sie mit dieser Tagung hier sind. Ich freue mich deshalb so sehr, weil wir auch nach neun Jahren des Wunders der deutschen Einheit immer noch das Bedürfnis haben, uns darüber zu freuen und deutlich zu machen, daß es nicht ganz so selbstverständlich war, daß diese Möglichkeit eingetreten ist. Bei jeder Gelegenheit wie dieser hier sollte man das bei allen Aufregungen der Thematik bitte nicht aus dem Auge verlieren. Wir sind wieder zusammen. Nutzen wir die Chancen, auch bei allen Querelen, die es noch gibt.

(Beifall)

Ich bemühe mich jedenfalls, dieses Gefühl wachzuhalten, weil wir es, auch im Alltag, gelegentlich brauchen. Wir haben hier im Brandenburgischen noch immer so etwas wie einen Nachholbedarf an Begegnungen. Wir erfahren bei der Gelegenheit, daß wir noch immer viel zuwenig über andere wissen und andere vielleicht noch zuwenig über Brandenburg. Deshalb werde ich zu den schönen Bildern, die wir gesehen haben, ein paar Sätze hinzufügen.

Wir haben natürlich Schlösser – schönen Dank, daß Sie das richtig herausgestellt haben –, und es sind noch einige von ihnen zu haben.

(Heiterkeit)

Wenn Sie wollen, machen wir Ihnen auch günstige Preise. Was wir Ihnen aber nicht erlassen können, sind die Kosten für die Wiederherstellung.

Brandenburg ist ein Land von der Fläche Baden-Württembergs und der Einwohnerzahl Schleswig-Holsteins. Daran merken Sie schon: Wir haben sehr viel Platz in diesem Land. Wir kämpfen gegen Vorurteile. Das schlimmste und älteste Vorurteil, gegen das wir kämpfen, ist die Behauptung, daß wir die Streusandbüchse des Deutschen Reiches seien. Das geht bis weit ins Mittelalter zurück. Ganz besonders überzogen hat es Voltaire, der sich zwar etliche Jahre auf Staatskosten in Potsdam aufgehalten hat, aber dann trotzdem an den König geschrieben hat, daß Majestät wohl einem Land vorstehen, das noch mehr Sand als Libyen habe.

(Heiterkeit)

Deshalb muß ich, weil man bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen Vorurteile angehen muß, einfach sagen: Wir sind im Gegenteil das wasserreichste Land Deutschlands, denn wir sind ein Vierstromland. Wir haben die Oder, wir haben die Spree – die haben Sie hier vielleicht schon gesehen –, wir haben die Havel – wir legen, liebe Berliner Freundinnen und Freunde, Wert darauf, daß die Spree in die Havel fließt –,

(Heiterkeit)

und dann haben wir noch die Elbe. Außerdem sind wir das waldreichste Land Deutschlands mit den größten geschlossenen Waldgebieten.

Ich nutze die Gelegenheit, um in diesem Zusammenhang auf ein Problem aufmerksam zu machen. Wir haben ein ganz großes Problem nach dem Abzug der Russen. Wir waren die größte russische Auslandskaserne; 250 000 standen hier. Kein einziger Russe hatte eine Jagdberechtigung, aber sie haben uns gewaltig geholfen, und jetzt kommen wir nicht mehr nach. Wir haben hier eine richtige Wildschweinplage. Wenn Jäger und Jägerinnen unter Ihnen sein sollten, wenden Sie sich an mich; wir freuen uns über jeden, der hier hilft.

(Beifall – Heiterkeit)

Die Hubertusjagd im November in Brandenburg ist ein Geheimtip, und Sie sind herzlich dazu eingeladen. Wir veranstalten noch mehrere Jagdgesellschaften. Ich meine das Angebot wirklich ehrlich und nicht als Scherz.

Aber es ist hier leider nicht die Möglichkeit gegeben, Ihnen längere Vorträge über das Land Brandenburg zu halten, so sehr mir das auf der Seele brennt. Sie werden auch nicht allzuviele Möglichkeiten haben, sich umzusehen. Ich hoffe nur sehr, daß der kleine Filmbeitrag nicht das einzige ist, was Sie hier mitbekommen, sondern daß Sie vielleicht auch hier und da die Möglichkeit haben werden, an dem wunderbaren Rahmenprogramm – ich habe es mit Freude gelesen – teilzunehmen. Herr Präsident, ich will Ihnen die Leute nicht abwerben von Ihren ernsten Veranstaltungen, aber wenn irgend jemand dann doch einmal eine kleine Abwechslung braucht, sollte er das wunderschöne Rahmenprogramm, gerade das für die nähere Umgebung, nutzen. Aber ich fürchte, der Ernst des Lebens wird Sie hier binden und fesseln. Da sind die Deutschen sich alle gleich, ob im Osten oder Westen: Erst muß richtig gearbeitet und müssen die Probleme durchgestanden werden.

Nun will ich Ihnen ein bißchen davon berichten, wie wir das hier erleben und in den letzten Jahren erlebt haben. Heute kann man feststellen, daß sich zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR und neun Jahre nach der politischen Einigung Deutschlands die Bilanz der Gesundheitspolitik in dieser Region insgesamt positiv ziehen läßt. Der Umbau des staatlichen Gesundheitswesens der DDR in ein selbstverwaltetes System von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern ist erstaunlich reibungslos gelungen. Die Befürchtungen, man würde Patienten und Beschäftigte mit den zum Teil gravierenden Veränderungen gleichermaßen überfordern, erwiesen sich am Ende als weithin gegenstandslos. Die medizinische Versorgung und die Infrastruktur der Einrichtungen haben in diesen Jahren ein beachtliches Niveau erreicht. Nicht zuletzt ist dies ein Verdienst unserer Ärzteschaft. Sie haben mit hohem persönlichen Einsatz und erheblicher Risikobereitschaft entscheidend zum Gelingen des totalen Systemwechsels im Gesundheitswesen beigetragen. Ich möchte das gerade vor den vielen Gästen sagen. Wir respektieren das, wir danken Ihnen dafür, und wir wissen uns Ihnen gegenüber wegen dieser Leistung auch in der Pflicht.

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben sich für diesen Ärztetag zum Ziel gesetzt, vor allem Grundsätze einer patientengerechten Gesundheitsreform zu formulieren. Für die Bundesregierung und ihre weitere Arbeit an dieser Reform werden Ihre von Fachleuten zusammengetragenen Prämissen ganz sicher wichtig sein. Es ist eine ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe, die Finanzierung der medizinischen Versorgung auch in Zukunft zu sichern. Das gilt für Ost wie für West, insbesondere aber für die ostdeutschen Bundesländer; haben sie doch das Gesundheitswesen und die Krankenkassen hier unter schweren wirtschaftlichen Bedingungen zu führen. Unser Gesundheitswesen hat einen hohen Standard. Knappe finanzielle Ressourcen stellen uns aber immer dringend vor die Frage, was das medizinische Versorgungssystem leisten soll und was es nicht leisten muß. In bestimmten Bereichen verfügen wir über eine Überversorgung, während anderswo ein erheblicher Mehrbedarf entstanden ist, aber nicht befriedigt wird. Mit dem klaren Vorrang medizinischer Kriterien vor den wirtschaftlichen muß nach meiner Überzeugung schließlich entschieden werden.

(Beifall)

Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, so daß eine Rationierung der Medizin ausgeschlossen ist.

Immer wieder haben wir zu prüfen: Ist wirklich all das erforderlich, was täglich in Arztpraxen und Krankenhäusern geschieht? Wird hier und da nicht auch des Guten zuviel und an anderer Stelle zuwenig getan? Wir leben in einer Zeit härter gewordener Verteilungskämpfe. Damit ist es Pflicht von Ärzteschaft und Politik, sich für die Belange medizinischer Qualität einzusetzen.

Einen zentralen Stellenwert erhält in diesem Zusammenhang die Aus- und Weiterbildung von Ärzten. Das sich explosionsartig entwickelnde Wissen in der Medizin geht einerseits zwangsläufig mit einer zunehmenden Spezialisierung einher. Andererseits wächst genau wegen dieses Trends der Bedarf an Allgemeinmedizinern, die die Patienten zunächst betreuen und dann an die richtigen Fachärzte weiterverweisen können. Also müssen wir Sorge tragen für mehr qualitativ gute Kapazitäten in der Aus- und Weiterbildung.

Meine Damen und Herren, die Krankenhauslandschaft in Brandenburg hat innerhalb der letzten Jahre einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Überkapazitäten wurden abgebaut und Versorgungsdefizite geschlossen, besonders in den Fachrichtungen Neurochirurgie, Neurologie, Strahlenkunde, Nuklearmedizin und Urologie mit dem Aufbau neuer Abteilungen. In jedem Versorgungsgebiet Brandenburgs befinden sich ein Krankenhaus der Schwerpunktversorgung, insgesamt 13 der Regelversorgung, 24 der Grundversorgung und zwölf Fachkrankenhäuser. Anfang Mai eröffnete eine Fachklinik für Morbus Parkinson in Beelitz Heilstätten. All das war nicht zuletzt deshalb möglich, weil wir schon 1992 einen mehrjährigen Krankenhausplan verabschiedet haben, der inzwischen bereits zweimal fortgeschrieben werden konnte.

Maßgeblich wirkte das Land dabei mit, im Einvernehmen mit den Krankenkassen und der Landeskrankenhausgesellschaft mehr als 60 umfangreiche Baumaßnahmen abzuschließen, fortzuführen oder neu zu beginnen. Allein das Gesamtinvestitionsvolumen der Baumaßnahmen beträgt etwa 1,5 Milliar-den DM.

Viel diskutiert wird die finanzielle Lage der Krankenkassen in den ostdeutschen Ländern. Zur Besserung wurde aber auch vieles unternommen, zum Beispiel das seit Januar 1999 geltende GKF-Finanzstärkungsgesetz, das den gesamtdeutschen Ausgleich auf drei Jahre begrenzt. Die Folge in diesem Jahr ist ein West-Ost-Transfer von rund 1,2 Milliarden DM. Das belastet die Westkassen um 0,1 Beitragspunkte und entlastet die Ostkassen um 0,4 Beitragspunkte. Mit dem Solidaritätsstärkungsgesetz wurde die zeitliche und finanzielle Begrenzung des GKF-Finanzstärkungsgesetzes aufgehoben. Jetzt gilt es auf Dauer. Das Limit des Transfervolumens von 1,2 Milliarden DM wurde gegenstandslos. Für den Osten ist das insofern von Bedeutung, als dadurch möglicherweise weiter wachsende Abweichungen zwischen Einnahmen und Ausgaben der GKV ausgeglichen werden.

Meine Damen und Herren, der Referentenentwurf der Bundesregierung ist vor einigen Tagen veröffentlicht worden und wird Sie alle hier gründlich beschäftigen. Die Landesregierung Brandenburg wird in die Gesetzgebungsarbeit einbezogen, und wir nehmen diese Beteiligung sehr ernst. Deshalb sind wir an der Meinung unserer Krankenhausärzte, unserer Fachärzte und Hausärzte sehr interessiert. Ich werde dann persönlich die bereits begonnenen Gespräche fortführen. Meine Zustimmung zur Gesundheitsreform im Bundesrat wird davon abhängen, ob die Versorgung der Patienten gesichert ist, wie die Finanzierung des Gesundheitswesens mittelfristig ohne Beitragsexplosion gesichert werden kann, ob die Finanzierung der Krankenhäuser gesichert ist und ob eine Existenzgefährdung von Arztpraxen ausgeschlossen wird.

(Beifall)

Der Referentenentwurf klammert die kritische Finanzlage vieler ostdeutscher Krankenkassen aus. Dennoch spielt dieses Thema im laufenden Gesetzgebungsverfahren für uns eine große Rolle. Es ist schwer vorstellbar, daß wir einem Gesetz zustimmen werden, in dessen Zusammenhang die für unser Gesundheitswesen überlebenswichtige Frage nicht gelöst wird. Unsere Krankenkassen geraten angesichts stagnierender, teilweise sogar sinkender Einnahmen und in der Vergangenheit angehäufter Schulden in große Schwierigkeiten. Wir müssen und werden Wege finden, der gesetzlichen Krankenversicherung in den ostdeutschen Ländern eine gesicherte Perspektive zu geben, ohne damit die westdeutschen Beitragszahler zu überfordern.

Dieser 102. Deutsche Ärztetag ist von hoher gesundheitspolitischer Bedeutung. Meine Damen und Herren, Politik ist die Kunst des Möglichen; Politik lebt am Ende von der Konsenssuche. Konsens aber wird erschwert durch emotionale Eskalation. Ich weiß, wovon ich rede, denn das ist mein tägliches Brot. Ich wünsche Ihnen deshalb harte Debatten, kühle Köpfe und möglichst Vorschläge, mit denen alle gut leben können: die Ärzte, die Kassen, die ganze Gesellschaft und vor allem die Patienten. In diesem Sinne einen guten und erfolgreichen Aufenthalt in Brandenburg.

Ich sage noch einmal abschließend für alle Fälle: Wenn Sie mit Brandenburg Probleme haben, sagen oder schreiben Sie es mir. Wenn Sie gut zurechtkommen, dann sagen Sie es weiter. Auf jeden Fall aber kommen Sie bitte wieder. Es soll nicht der einzige Besuch sein.

(Beifall)


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