Eröffnungsveranstaltung

Prof. Dr. med. habil. Walter Brandstädter:

Herr Präsident Professor Hoppe! Frau Bundesministerin Schmidt! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein solcher Vorgang erfordert Dank und mir wurde die hohe Ehre zuteil, im Namen der Ausgezeichneten die Dankesworte zu sprechen.

Wir haben die Begründungen zu den Auszeichnungen gehört. Natürlich sind auch aus unserer Sicht wertende Betrachtungen zulässig und geradezu notwendig. Die Liste der seit 1952 mit der Paracelsus-Medaille Ausgezeichneten beginnt mit Albert Schweitzer und setzt sich, um einige Beispiele zu nennen, mit Hans Neuffer, Rudolf Nissen, Wilhelm Tönnis, Paul Eckel, Gerhard Küntscher bis hin zu Karsten Vilmar fort, Persönlichkeiten der deutschen Ärzteschaft mit einer großen Ausstrahlung. Diese Reihenfolge und Kontinuität des Anspruchs der Bundesärztekammer spricht gegen die Volksweisheit, dass Auszeichnungen den Bomben im Krieg vergleichbar seien, denn auch sie träfen immer die Falschen.

(Heiterkeit)

Jetzt, selbst unter den so Ausgezeichneten, wird man nachdenklich und bescheiden. Vor diesem Hintergrund und der Summe der damit verbundenen Leistungen für den Kranken ist es sicher auch oder gerade im Zeitalter der Globalisierung nicht vermessen, stolz auf die Tätigkeit als Arzt in Deutschland zu sein. In diesem Sinne sind wir dem Vorstand der Bundesärztekammer als repräsentative Vertretung der verfassten deutschen Ärzteschaft ganz herzlich dankbar für seinen Beschluss zu unseren Auszeichnungen.

Der Vorstand der Bundesärztekammer ist aber offensichtlich auch streitbar und eigenwillig und kommt damit den Gedanken und Verhaltensweisen des Namengebers dieser Auszeichnung, Paracelsus, sehr nahe. Der Sachverständigenrat bescheinigt gerade jetzt dem Gesundheitswesen und damit den Ärzten ein Mittelmaß bei den erreichten Ergebnissen und dazu hohen Kosten. Wie findet man da noch auszeichnungswürdige Leistungen ohne Streit? Wir betrachten uns andererseits nicht als Exoten, die abgehoben von den Leistungen der Ärzteschaft und damit nicht repräsentativ für die Ärzte heute wären. Es ist in Wahrheit nur ein scheinbarer Widerspruch; denn mit dem bescheinigten Mittelmaß konnten wir alle gut leben und alt werden, manchen vielleicht schon zu alt, aber da gibt es keine Abstriche unserer Leistungen.

Persönlich freue ich mich ganz besonders darüber, dass mit meiner Auszeichnung wiederum Leistungen der Ärzte in der DDR nach der Wende in den neuen Ländern nach einheitlichen Bewertungsmaßstäben für Ost und West

(Heiterkeit - Beifall)

zumindest in der ärztlichen Selbstverwaltung anerkannt werden.

(Beifall)

Die Politik sollte diesem Beispiel mit ihren Entscheidungen folgen; es gibt ausreichend Handlungsbedarf.

(Beifall)

Paracelsus sollte für uns aber nicht nur verblasste Medizingeschichte sein. Wir finden in seiner Arbeit Vergleichbarkeit mit unserer derzeitigen Tätigkeit und auch zukunftsweisende Gedanken. So versuchte Paracelsus die Widersprüche zwischen Buchautorität und der Realität zu lösen. Er lehnte insbesondere die darwinistischen Traditionen ab, betrachtete Bücher als Hindernis für den Fortschritt. Die Naturbeobachtung und persönliche Erfahrung mit den Menschen in der Umwelt bedeuteten für ihn eine neue Form der Medizin. Entscheidend war: Er verlegte das theoretisch orientierte Universitätsstudium an das Krankenbett. Vergleiche zur derzeitigen Diskussion und Neufassung einer Approbationsordnung für Ärzte über Jahre drängen sich auf. Es wiederholt sich fast alles; vielleicht fehlt uns heute nur der durchsetzungsfähige Paracelsus.

In der Ablehnung antiker und mittelalterlicher Autoren ging Paracelsus so weit, dass er sich bei Vorlesungen vor Medizinstudenten in Basel aus Protest der deutschen Sprache und nicht der damals üblichen lateinischen bediente. Latein war für ihn Symbol geistiger Rückständigkeit.

(Heiterkeit)

Wenn wir heute sehen, mit welcher Leichtigkeit die deutsche Sprache verlassen wird, wenn man wahre Wissenschaft und Schule demonstrieren will - da wünschte ich mir bekennende Schüler von Paracelsus in diesen Tagen.

(Beifall)

Unser Dank gilt auch unseren akademischen Lehrern, die uns in unserem ärztlichen Tun und Lassen Wegbereiter und Vorbild waren. Unseren Familien, Kindern und Freunden danken wir für Verständnis, Förderung und Rücksichtnahme, wenn dem ärztlichen Einsatz Vorrang vor allen anderen, auch wichtigen Anforderungen und Wünschen eingeräumt wurde.

Unsere Dankbarkeit und die Anerkennung unserer ärztlichen Tätigkeit in langen Berufsjahren unter unterschiedlichsten äußeren - erfreulichen und weniger erfreulichen - politischen Bedingungen verpflichtet uns aber auch gegenüber den jungen Ärzten. Die zunehmend zu erwartende Selektion und Verweigerung von ärztlichen Einzelleistungen aus finanziellen Gründen in modernen europäischen Ländern führt zwangsläufig auch zu der Frage: Lohnt es sich im Einzelfall überhaupt noch?

Ökonomie und Ethik verschwimmen in einer Grauzone, die wir mit eindeutigen Positionen aufhellen müssen. Unsere moderne, reiche und aufgeklärte Gesellschaft befindet sich in einem ungeheuren Aufbruch und Wertewandel, leider auch der ethischen Werte. Wir appellieren an die Ärzteschaft und unsere Öffentlichkeit, dass die Grundlagen des ärztlichen Handelns, wie sie, beginnend im Eid des Hippokrates und letztlich im Gelöbnis zu unserer (Muster-)Berufsordnung, formuliert sind, auch unter den Bedingungen der fortschreitenden Globalisierung nicht verlassen werden.

Ich bedanke mich.

(Beifall)

© 2001, Bundesärztekammer.