TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
1. Tag: Dienstag, 22. Mai 2001 Nur Nachmittagssitzung

Dr. Thomas, Westfalen-Lippe:

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr Hoppe, herzlichen Glückwunsch zu Ihren Ausführungen. Man kann sie in fast allen Punkten unterstreichen. Ich habe allerdings selten einen Gesundheitsminister erlebt, der so charmant über viele Punkte so wenig gesagt hat, vor allem darüber, was er in der Zukunft tun möchte.

(Beifall)

Es war ganz sicher eine freundliche Rede, die wir heute Vormittag von der Frau Gesundheitsministerin gehört haben. Es ist gewiss ein Vorteil, dass man uns nach der langen trostlosen und verhandlungsstillen Zeit zuhört. Diesen Vorteil muss man nutzen. Früher hat man gesagt: Solange verhandelt wird, wird nicht geschossen. Heute kann man sagen: Solange geredet wird, wird sicher nicht gehandelt. Meine Befürchtung im Zusammenhang mit dem Runden Tisch und den Arbeitsgruppen ist, dass wieder nur geredet wird, ohne dass gehandelt wird. Wir müssen die jetzige Bundesregierung dazu zwingen, noch vor den Wahlen zu sagen, wie - zumindest in den Eckpunkten - die Gesundheitsreform nach den Wahlen aussehen soll.

(Beifall)

Wenn die Ministerin die Mutter-Kind-Kuren als typisches Beispiel dargestellt hat, kann ich nur sagen: Wir alle wollen Mutter-Kind-Kuren, wenn diese für die betreffenden Familien notwendig sind. Aber das ist keine Leistung der Krankenkasse, das ist keine Leistung der Krankenversicherung, sondern das muss die Familienpolitik regeln, das muss die Solidargemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger dieses Landes regeln.

(Beifall)

Wir leben vielleicht in einer etwas gefährlichen Situation. Unter den Bedingungen des Budgets im Arznei- und Heilmittelbereich standen wir völlig unter Druck. In der Praxis, aber auch in den Krankenhäusern, die unter ähnlichen Budgets leben müssen, konnte nie so frei gehandelt werden, wie wir das als Ärztinnen und Ärzte gern getan hätten. Nun ist durch einen Gesetzentwurf, der aber noch nicht Realität ist, der Druck ein wenig gemildert worden, was die Arzneimittel angeht. Möglicherweise können wir in Zukunft das tun, was wir im Sinne unserer Patienten für notwendig halten. Solange aber die Praxisbudgets bestehen, sind wir in unserer Handlungsweise eingeschränkt. Jetzt ist es schwieriger, den Patienten darzustellen, dass wir nicht deshalb mehr Geld benötigen, damit wir mehr verdienen, sondern damit wir unsere Praxen so ausstatten können, dass sie dem Stand der modernen Medizin entsprechen.

Von den Kassen, aber auch vom Ministerium wird gebetsmühlenartig die Behauptung vorgetragen, es bestünden Wirtschaftlichkeitsreserven. Das hilft aber in keiner Weise weiter, solange nicht klar belegt ist, wo denn solche Wirtschaftlichkeitsreserven existieren. Wir können diesem ökonomischen Druck nicht weiter standhalten, wenn wir eine moderne Medizin betreiben wollen. Ich glaube, die Situation wird eher noch schlimmer.

Im Gesetz verankert ist der so genannte Koordinierungsausschuss. Dazu hat Herr Hoppe wenig gesagt. In diesem Ausschuss sind die Ärzte in der Minderheit. Die wesentliche Aufgabe dieses Koordinierungsausschusses besteht darin, jedes Jahr zehn Leitlinien für die medizinische Versorgung festzulegen. Wenn sich die Mehrheit in diesem Ausschuss nur nach ökonomischen Gesichtspunkten ausrichtet, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sich die Medizin völlig verändert. Laien, die wenig von der Medizin verstehen, sagen uns, wie wir unsere ärztliche Tätigkeit ausrichten müssen. Das darf nicht sein! Ich fordere die Bundesärztekammer auf, Verträge, die auch finanzielle Auswirkungen haben, so lange nicht zu unterschreiben, bis geklärt ist, dass im Zusammenhang mit medizinischen Fragen einzig und allein der ärztliche Sachverstand maßgeblich ist und die Nichtmediziner überstimmt werden können.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Vielen Dank, Herr Thomas. Nur eine kleine Korrektur: Der Koordinierungsausschuss hat die Aufgabe, auf dem Boden evidenzbasierter Leitlinien die Kriterien für die Leistungserbringung bei mindestens zehn Krankheiten pro Jahr zu beschließen, bei denen es Hinweise auf eine unzureichende, fehlerhafte oder übermäßige Versorgung gibt. Es ist nicht seine Aufgabe, Leitlinien zu kreieren. Wenn Sie betrachten, wie viele Leitlinien es in Deutschland gibt, die evidenzbasiert sind, sehen Sie, dass dies eine Arbeit ist, die man einstweilen in wenigen Minuten erledigen kann. Das wird sich allerdings später noch anders entwickeln. Alles andere, was Sie, Herr Kollege Thomas, gesagt haben, war natürlich völlig korrekt.

Als nächster Redner bitte Herr Kollege Joas.

© 2001, Bundesärztekammer.