TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Vormittagssitzung

Dr. Möhrle, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sind sich hoffentlich alle darüber klar, dass wir, wenn wir über die PID oder die Stammzellenforschung reden, eine Stellvertreterdiskussion führen. Es geht nicht um die etwa 100 Paare pro Jahr, bei denen eine PID nach einer IVF sinnvoll wäre. Es geht auch nicht um die derzeit etwa 150 in Tiefkühltruhen lagernden so genannten heimatlosen Embryos, die bei der IVF nicht implantiert wurden.

Das kann es nicht sein. Es geht hier grundsätzlich um die Disponibilität menschlichen Lebens für andere Zwecke.

(Beifall)

Es geht dabei auch nicht um die Frage, wann menschliches Leben beginnt, ob mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle oder erst mit der Einnistung. Es geht um die Frage, wie lange und wie weit menschliches Leben schützenswert ist. Seien Sie sich bitte auch darüber im Klaren: Wenn wir über den Schutz menschlichen Lebens am Anfang reden, dann müssen wir zwangsläufig auch über den Schutz menschlichen Lebens am Ende reden. Das alles gehört zusammen.

(Beifall)

Wir haben es hier mit Fragen zu tun, die man nicht einfach durch Handaufheben per Abstimmung vom Tisch bekommen kann. Es geht hier darum, eine fundierte Diskussion zu führen - da gebe ich Herrn Hirschmann völlig Recht -, die auf dem Boden exakter Kenntnisse beruht. Ich behaupte wie Herr Hirschmann: Wir und erst recht die Öffentlichkeit haben derzeit viel zu wenig Sachkenntnis, um sich in dieser Frage echt entscheiden zu können. Schließlich werden hier moralische, ethische, religiöse Grundpositionen eines jeden Einzelnen berührt. Es muss unsere Aufgabe sein, diese Diskussion weiter zu provozieren und vor allem die Informationen über die tatsächlichen Gegebenheiten weiterzutragen.

Wissen Sie beispielsweise, dass bei der ersten Zellteilung beim Zusammentreffen einer Eizelle mit einer männlichen Samenzelle - sie verschmelzen gar nicht erst, sondern es kommt sofort zu einer ersten Zellteilung - in 40 bis 50 Prozent der Fälle Chromosomenteilungsstörungen auftreten, sodass die weitere Entwicklung dieser befruchteten Zelle gar nicht mehr stattfindet? Das weiß kein Mensch.

Wir müssen uns erst einmal informieren. Deshalb bitte ich Sie: Treffen Sie heute keine apodiktischen Feststellungen für eine Gruppe von 330 000 Ärztinnen und Ärzten, deren Meinung Sie gar nicht kennen, sondern finden Sie eine Lösung, die darstellt, dass wir uns mit diesem Thema befassen, dass wir aber weitere Diskussionen abwarten wollen.

Ich bitte Sie, nehmen Sie den Antrag 2 des Vorstands an. Er ist die logische Fortsetzung unseres Diskussionsentwurfs vom vergangenen Jahr. Wenn Sie den Antrag 3 annehmen, dann bitte nur zusammen mit dem Änderungsantrag 3 a; denn er garantiert, dass wir hier keine endgültige Meinung äußern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Vielen Dank, Herr Möhrle. - Als nächster Redner Herr Kahlke.

© 2001, Bundesärztekammer.