TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Vormittagssitzung

Zimmer, Nordrhein:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in Vorbereitung auf diesen Ärztetag zehn Eltern angesprochen, die ich hausärztlich betreue, die behinderte Kinder haben. Die Resonanz war sehr erstaunlich. Herr Schilling, ich kann Ihnen nur Recht geben: Sie hatten gar keine Angst vor ihren behinderten Kindern, sie hatten Angst davor, wie diese Gesellschaft mit diesen behinderten Kindern und mit dem Elternsein mit behinderten Kindern umgeht. Sie fühlen sich durch die Gesellschaft ausgegrenzt.

Herr Emminger und Herr Möhrle, Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen. Ich brauche dem nichts hinzuzufügen.

Der Präsident hat die Inkonsistenz der Gesetzeslage dargelegt. Machen wir uns nichts vor: Die PID ist technisch auch ohne Ärzte durchführbar. Darüber müssen wir uns klar sein. Die PID ist außerhalb Deutschlands sowieso schon durchführbar. Wir stehen vor einer scheinbaren Hilflosigkeit, die im Grunde genommen Macht bedeutet. Wir können nämlich unsere eigene Hilflosigkeit benutzen, um den Menschen, mit denen wir täglich Umgang haben, mit denen wir therapeutische Gespräche führen, die wir in unserem Alltag sehen - nicht nur als Ärzte -, klarzumachen, dass wir hier an einem Scheidepunkt menschlicher Daseinsberechtigung stehen, wie es ihn vorher nicht gab.

Nach meiner Einschätzung sind Gentechnologie, Gendiagnostik und Gentherapie so wesentlich für den Erhalt von Menschen und Menschlichkeit wie nichts zuvor. Dagegen ist die Entdeckung der Kernspaltung vergleichbar mit der Erfindung eines Einmalfeuerzeugs. Hier liegt überhaupt keine Verhältnismäßigkeit mehr vor.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Meinungen durch Medien gemacht werden. Plötzlich gibt es Beschlüsse, die uns völlig überrollen. Lassen Sie uns in dieser Hilflosigkeit damit beginnen, unten anzufangen, unten nachzufragen: Wie geht das eigentlich? Was wollt ihr? Was kommt auf uns zu?

Wir als Ärzte können es nicht richten. Wir müssen diese Gesellschaft von dem Gedanken befreien, dass Räte und Fachleute alle anstehenden Probleme lösen können.

(Beifall)

Diese Bequemlichkeit können wir der Gesellschaft auf Dauer nicht bieten. Ich als Arzt kann das nicht. Auf mich kommen ganz andere Fragen zu: Wie viel Anspruch hat ein Elternpaar auf nicht belastete Kinder? Was ist das, bitte schön, eigentlich? Wieso sind wir an einem Punkt angekommen, dass wir einen Rat einrichten müssen, der überprüft, ob nicht konventionelle Eltern von gentechnisch designten Kindern völlig überfordert werden? Haben wir nicht alle Kinder in der Behandlung, die so gut sind, dass sie von ihren Eltern nicht mehr die notwendige Führung erhalten? Wann sind wir so weit, dass wir das als Regelproblem haben? Wir kehren die Welt plötzlich um.

Wir sind nach meiner Vision durchaus in der Lage, in zehn Jahren solche Kinder in Familien hineinzukonstruieren, die derartige Familien völlig überfordern. Wir sollten hier und heute entscheiden. Ich brauche für mich kein Mandat und keine Mehrheit. Rede ich ab heute mit meinen Patienten und meinen Bekannten darüber, was da eigentlich auf uns zukommt! Ich möchte für mich mitnehmen, dass wir unwahrscheinlich vieles nicht wissen und dass wir unwahrscheinlich vieles, von dem wir wissen, in seiner Tragweite für die Gesellschaft der nächsten Generationen der designten Kinder überhaupt nicht überblicken können.

Wir müssen entscheiden, was wir davon haben wollen. Vieles davon wird segensreich sein; manches wird sicherlich so sein, dass wir zu der Erkenntnis kämen, dass wir als Konventionelle nicht mehr leben dürfen.

Danke.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Vielen Dank, Herr Zimmer. - Jetzt noch einmal Herr Schagen. Bitte schön.

© 2001, Bundesärztekammer.