TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Vormittagssitzung

Dr. Peters, Rheinland-Pfalz:

Ich möchte mich bei meinem Vorredner für die Steilvorlage bedanken. Ich bin Kinderarzt und betreue Kinder mit Meningomyelozelen und Trisomie 21. Diesen Kindern geht es häufig sehr gut. Sie sind häufig zufriedener als manche ambitionierten Wissenschaftler, um das einmal ganz deutlich zu sagen!

(Beifall)

Niemand gibt uns das Recht, das Leben behinderter Menschen zu bewerten und zu beurteilen.

(Beifall)

Es gibt kein Recht auf Gesundheit. Die Menschen sind so vorhanden, wie sie sind. Wenn wir ein gesundes Kind möglicherweise über die PID faszilitieren, wer gibt uns dann die Gewissheit, dass dieses Kind nicht zwei Jahre später einen Unfall hat, sodass wir auf andere Art und Weise ein Problem haben?

(Beifall)

Wir müssen für diese Menschen einfach nur da sein. Ich glaube, es geht niemandem gut, der diese Diskussion hier erlebt. Ich nehme an, alle haben irgendwie ein ungutes Gefühl. Das Dilemma ist, dass wir als Mediziner beanspruchen, einen Spitzenplatz in der Forschung einzunehmen. Auf der anderen Seite erleben wir mit der PID ein Gebiet, bei dem es uns an die Substanz geht. Wir erleben hier zum ersten Mal eine ganz andere Art der Diskussion. Man kann sie vielleicht mit der Einführung der Atombombe vergleichen. Auch hier geht es uns an die existenzielle Substanz.

Ich wollte eigentlich meine drei Minuten Redezeit dazu benutzen, Ihnen ein Gedicht von Erich Kästner vorzulesen, der bereits vor 50 Jahren diese Diskussion vorausgeahnt hat. Vielleicht kennen Sie es; der Titel lautet: "Der synthetische Mensch":

Professor Bumke hat neulich Menschen erfunden,

die kosten zwar, laut Katalog, ziemlich viel Geld,

doch ihre Herstellung dauert nur sieben Stunden,

und außerdem kommen sie fix und fertig zur Welt!

Man darf dergleichen Vorteile nicht unterschätzen.

Professor Bumke hat mir das alles erklärt.

Und ich merkte schon nach den ersten Worten und Sätzen:

Die Bumkeschen Menschen sind das, was sie kosten, auch wert.

Sie werden mit Bärten oder mit Busen geboren,

mit allen Zubehörteilen, je nach Geschlecht.

Durch Kindheit und Jugend würde nur Zeit verloren,

meinte Professor Bumke. Da hat er ja recht.

Er sagte, wer einen Sohn, der Rechtsanwalt sei,

etwa benötige, brauche ihn nur zu bestellen.

Man liefre ihn, frei ab Fabrik, in des Vaters Kanzlei,

promoviert und vertraut mit den schwersten juristischen Fällen.

Man brauche nun nicht mehr zwanzig Jahre zu warten,

daß das Produkt einer unausgeschlafenen Nacht

auf dem Umweg über Wiege und Kindergarten

das Abitur und die übrigen Prüfungen macht.

Es sei ja auch denkbar, das Kind werde dumm oder krank

und sei für die Welt und die Eltern nicht recht zu verwenden.

Oder es sei musikalisch! Das gäbe nur Zank,

falls seine Eltern nichts von Musik verständen.

Nicht wahr, wer könne denn wirklich wissen, was später

aus einem anfangs ganz reizenden Kinde wird?

Bumke sagte, er liefre auch Töchter und Väter,

und sein Verfahren habe sich niemals geirrt.

Nächstens vergrößre er seine Menschenfabrik.

Schon heute liefre er zweihundertneunzehn Sorten.

Mißlungene Aufträge nähme er natürlich zurück.

Die müßten dann nochmals durch die verschiednen Retorten.

Ich sagte: Da sei noch ein Bruch in den Fertigartikeln,

in jenen Menschen aus Bumkes Geburtsinstitute.

Sie seien konstant und würden sich niemals entwickeln.

Da gab er zur Antwort: "Das ist ja gerade das Gute!"

Ob ich tatsächlich vom Sichentwickeln was halte?

Professor Bumke sprach's in gestrengem Ton.

Auf seiner Stirn entstand eine tiefe Falte. -

Und dann bestellte ich mir einen vierzigjährigen Sohn.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Das war ein doppelter Beifall: für Erich Kästner und natürlich für denjenigen, der ihn an dieser Stelle und zu diesem Zweck rezitiert hat. Ich glaube, so müssen wir das werten. Vielen Dank, Herr Peters. - Jetzt bitte Frau Dr. Auerswald, Vizepräsidentin.

© 2001, Bundesärztekammer.