TOP II: Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte

2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Nachmittagssitzung

Dr. Flenker, Vorstand der Bundesärztekammer:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In welchen Zeiten, in welchem Land leben wir eigentlich, wenn wir hören müssen, unter welchen Bedingungen junge Kolleginnen und Kollegen in unseren Kliniken arbeiten müssen? Wir müssen der Kollegin Röhl und dem Kollegen Priesack nachhaltig für den Mut danken, dies auf dem Deutschen Ärztetag so offenkundig gemacht zu haben.

Wenn man die Situation der jungen Ärztinnen und Ärzte betrachtet, könnte man sich an den Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts erinnert fühlen. Wir leben hier in Deutschland in einem der reichsten Länder der Welt. Wir sind stolz auf unsere Erfolge bei der Humanisierung des Arbeitslebens. Nur: Diese Humanisierung des Arbeitslebens scheint nicht nur in Kiel, sondern auch in vielen anderen Kliniken unseres Landes nicht stattzufinden. Ich glaube, hier gibt es sehr viele blinde Flecken oder Inseln in der ansonsten vielleicht so humanen Arbeitswelt.

Wir erleben Bedingungen, die in anderen Branchen spontane Streikaktionen hervorrufen würden. Dass dies bei der Ärzteschaft nicht geschieht, basiert auf der Tatsache, dass die Gesellschaft, dass die Kostenträger, dass die Politik in perfider Weise auf den ärztlichen Ethos bauen und hoffen, dass keine Reaktionen erfolgen.

Wir dürfen als Ärzteschaft nicht hinnehmen, dass unsere jungen Kolleginnen und Kollegen als Parias, als billige Jakobs des Gesundheitswesens missbraucht werden. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass das Sozialleben, dass die Gesundheit zahlreicher jungen Kolleginnen und Kollegen durch diese Arbeitsbedingungen nachhaltig tangiert und gefährdet werden. Wir dürfen auch nicht hinnehmen, dass die uns anvertrauten Patientinnen und Patienten durch übermüdete, überarbeitete Kolleginnen und Kollegen gefährdet werden. Wer würde sich in ein Flugzeug oder einen Bus setzen, dessen Pilot bzw. Fahrer schon 30 Stunden oder länger gearbeitet hat?

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir dies offenkundig machen und dabei unsere Patientinnen und Patienten als Verbündete gewinnen. Die Patientinnen und Patienten hören in der Öffentlichkeit von den Ärztinnen und Ärzten sehr viel als Abzocker, als Betrüger dieses Systems. Wir müssen ihnen deutlich klarmachen, dass gerade die jungen Kolleginnen und Kollegen die Betrogenen dieses Systems sind. Diese Situation muss sich ändern!

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Vielen Dank, Herr Flenker. - Jetzt bitte Herr Risk-Plotzki aus Berlin.

© 2001, Bundesärztekammer.