Anhang A
Beschlüsse und Entschließungen

TOP V: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer - DRG-Fallpauschalensystem

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG V - 8

Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache V-8) fasst der 104. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Nach den gesetzlichen Vorgaben des § 17 b KHG soll ab dem 01.01.2003 ein neues Vergütungssystem für Krankenhausleistungen eingeführt werden. Danach sollen die stationären Behandlungskosten künftig in international bisher unerreichtem Ausmaß vollständig auf der Basis von DRG-Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups) vergütet werden.

Der Deutsche Ärztetag sieht erhebliche Risiken für die Aufrechterhaltung eines allen Teilen der Bevölkerung zugänglichen hochqualitativen und flächendeckenden stationären Versorgungsangebotes, falls das neue, an den Australian Refined-DRGs orientierte Fallpauschalensystem auf der Basis einer unzureichenden Datengrundlage umgesetzt wird.

Mit großer Sorge und Skepsis betrachtet die Ärzteschaft in diesem Zusammenhang insbesondere die gesetzliche Zielvorgabe, dass sowohl die Definition der DRG-Fallpauschalen und ihre Bewertung mit relativen Kostengewichten als auch die Höhe der Zu- und Abschläge für die Finanzierung nicht fallbezogener Tatbestände wie die Notfallversorgung und Ausbildungsstätten bereits bis zum 31.12.2001 vereinbart werden sollen. Die hierfür als Bewertungsmaßstab vorgesehenen Leistungsdaten der Krankenhäuser des Jahres 2001 sind bisher jedoch praktisch nicht verwertbar, da den Krankenhäusern zur Zeit immer noch keine vollständigen und verbindlichen Richtlinien zur Dokumentation und Kodierung von Leistungen und Diagnosen sowie zur Erhebung der Kosten vorliegen.

Da die Kodierung der Diagnosen und Leistungen für das künftige DRG-System zur "Produktbeschreibung" und damit zur Bewertungsgrundlage der stationären Behandlungsleistung wird, ist hier eine eindeutige Regelung unverzichtbare Prämisse für die Einführung in Deutschland. Die zur Zeit gänzlich fehlende geordnete Grundlage für die Umstellung der klinischen Dokumentation auf die Anforderungen des DRG-Systems verursacht erhebliche Reibungsverluste in den Krankenhäusern.

Da die Leistungsdokumentation des Jahres 2001 gesetzlich die Ausgangsposition für den Start der Krankenhäuser in das neue Vergütungssystem darstellt, ist eine angesichts fehlender Kodierrichtlinien hektische Überdokumentation von Diagnosen und Prozeduren festzustellen, welche für die Krankenhausärzte eine unzumutbare Zusatzbelastung darstellt. Da insbesondere nach dem für das DRG-System in einigen Details nur unbefriedigend überarbeiteten Prozedurenschlüssel OPS-301 seit dem 01.01.2001 zahlreiche nicht kostenrelevante, hochfrequente Sekundärleistungen (klinische Untersuchung, Injektionen etc.) dokumentiert werden müssen, werden zur Zeit bis zu 200 für Qualitätssicherung und Abrechnung mehrheitlich irrelevante Prozedurenkodes je Fall dokumentiert. Die hierdurch produzierten Datenfriedhöfe und überflüssige Bindung der ärztlichen Arbeitszeit dürfte der durch die Einführung des DRG-Systems erhofften Rationalisierung der klinischen Arbeitsabläufe elementar widersprechen.

Eine weitere große Sorge betrifft die Rahmenbedingungen des künftigen DRG-Einsatzes. Wird dieses Vergütungssystem als Preissystem unter vornehmlich betriebswirtschaftlichen Anreizen wirksam, verfällt die Krankenhausfinanzierung nach dem vor Jahren verlassenen Selbstkostendeckungsprinzip in das andere Extrem der Wettbewerbsmedizin. Unter der Rahmenvorgabe einer starren sektoralen Budgetierung kann dieser Wettbewerb nur auf dem Rücken der Patienten und zu Lasten der Behandlungsqualität ausgetragen werden. Das ist umso gefährlicher, als gerade im grundsätzlich zu bejahenden Konzept einer fallorientierten, leistungsbezogenen Vergütung Anreize zu innerärztlicher Zusammenarbeit und sektorübergreifender Kooperation liegen.

Wird der Gewinn aber zur alleinigen Leitlinie der künftigen Krankenhausbehandlung, werden diejenigen Krankenhäuser belohnt, die schwerst kranke Patienten unter ausschließlicher Berücksichtigung der Kosten behandeln und möglichst schnell wieder in andere Bereiche des Gesundheitswesens (ambulanter Sektor, Rehabilitation) entlassen. Ohne wirksame Berücksichtigung der medizinischen Qualitätsstandards und geeignete Ausgleichsmechanismen wird dieses dazu führen, dass in deutschen Krankenhäusern zunehmend das billigste Behandlungsverfahren an die Stelle des besten tritt.

Da das AR-DRG-System selbst nicht einmal in Australien einheitlich, flächendeckend und vor allem nicht zur Finanzierung aller Krankenhausleistungen eingesetzt wird, lehnt der Deutsche Ärztetag eine ungeschützte, übereilte Einführung des neuen Fallpauschalensystems in sämtlichen Fachbereichen ab, in denen dieses System nicht auf einer validen deutschen Datengrundlage an die hiesigen Verhältnisse angepasst wurde.

Die erhöhte Leistungstransparenz des DRG-Systems, die mit einem erheblichen zusätzlichen Dokumentationsaufwand verbunden ist, hat nur dann einen Sinn, wenn sie auch mit einer entsprechenden Kosten- und Preistransparenz verbunden ist. In diesem Zusammenhang fordert der Deutsche Ärztetag von den Vertragsparteien der Selbstverwaltung bei den DRG-Kostenkalkulationen eine adäquate Berücksichtigung

· des tatsächlichen ärztlichen Arbeitseinsatzes unter Einbezug der Vielzahl der an vielen Krankenhäusern auch heute noch unbezahlt erbrachten Überstunden,

· des sich aus der Umsetzung des EuGH-Urteils vom 03.10.2000, nach dessen Entscheidung die Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit zu werten sind, ergebenden Mehrbedarfs an Stellen und

· der in Verbindung mit dem DRG-System zusätzlich entstehenden Dokumentationsaufgaben

sowie die Sicherstellung einer für die Versorgung der Bevölkerung unerlässlichen ärztlichen Weiterbildung unter den Rahmenbedingungen des neuen Vergütungssystems.

Der Deutsche Ärztetag fordert darüber hinaus Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat auf, das zu enge Zeitkorsett der Einführung der DRGs zu lockern und gesetzlich verbindlich längere Zeiträume für die Umsetzung des DRG-Systems zu beschließen. Hierin sieht sich der Deutsche Ärztetag auch einig mit dem Sachverständigenrat der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen, der in seinem im Frühjahr vorgelegten Gutachten die gleiche Forderung erhob.

DRG - dies darf zukünftig nicht heißen: Drastische Reduzierung von Gesundheitsleistungen!

© 2001, Bundesärztekammer.