Dienstag, 28. Mai
2002, 10.00 Uhr
Ulla Schmidt (MdB), Bundesministerin für Gesundheit:
Herr Oberbürgermeister! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Herr Präsident Crusius! Lieber Herr Präsident Hoppe! Herzlichen
Dank für die Einladung zum diesjährigen Ärztinnen-
und Ärztetag.
(Heiterkeit - Beifall)
Es ist jetzt fast genau ein Jahr her, dass ich zuletzt bei Ihnen
war. Es war im Übrigen mein erstes Mal. Damals wie heute stehen
eine ganze Menge von aktuellen oder langfristigen Problemen auf
der Tagesordnung, die hier diskutiert werden und die auch einer
Lösung bedürfen.
Nicht alles, was wir im vergangenen Jahr diskutiert haben, konnte
bereits gelöst werden. Aber Lösungen, die ich Ihnen im
letzten Jahr zugesagt habe, wurden auf den Weg gebracht. Ich erinnere
hier beispielhaft: Der Kollektivregress wurde abgeschafft und die
Arznei- und Heilmittelversorgung wurde einer neuen Lösung zugeführt.
Wir haben eine neue Approbationsordnung, der ordnungspolitische
Rahmen für die Einführung der DRGs ist verabschiedet,
der Risikostrukturausgleich wurde neu geordnet und das Wohnortprinzip,
das lange Jahre gefordert wurde, wurde eingeführt.
Herr Dr. Crusius, gerade die Einführung des Wohnortprinzips
ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Angleichung der Honorare
in Ost und West. Ich stimme ja allen zu, die sagen: Das reicht noch
nicht. Aber, meine Damen und Herren, endlich wandern die Gelder
nicht mehr in die Hauptquartiere der westdeutschen Betriebskrankenkassen.
Wir haben eine Lösung gefunden, die nicht zulasten der westdeutschen
Ärzte und Ärztinnen gegangen ist. Wir haben dafür
gesorgt, dass die Gelder dort hingehen, wo die Beiträge eingezahlt
und die Leistungen erbracht werden.
In diesem Jahr stehen mehr als 90 Millionen Euro zur Verfügung,
um die Honorare für die ambulant tätigen Ärztinnen
und Ärzte in den neuen Bundesländern zu verbessern.
Dem gleichen Ziel, zu einheitlichen Leistungen in Gesamtdeutschland
zu kommen, dient der Stufenplan zur vollständigen Anpassung
der Gebührenordnung der Ärztinnen und Ärzte.
Zu den einheitlichen Leistungen gehört für mich auch,
dass wir ein besonderes Augenmerk darauf richten, wie sich denn
die ärztliche Versorgungssituation in den neuen Bundesländern
entwickelt. Ich weiß aus vielen Gesprächen auch mit Ihren
Vertreterinnen und Vertretern: Wir haben hier Probleme und wir müssen
nach Lösungen suchen. Ich glaube, dass auch eine Reihe von
unkonventionellen Lösungen in den neuen Bundesländern
gefragt sind. Das war im Übrigen einer der Gründe, warum
ich die Regelung nach § 311 im Gesetz auch weiterhin so verankert
habe, dass wir auch für die jungen Ärztinnen und Ärzte
in den neuen Bundesländern eine Möglichkeit schaffen,
dass sie sich niederlassen können, ohne sich von vornherein
zu sehr zu verschulden, dass sie vielleicht keinen Ausweg mehr sehen.
In Brandenburg gibt es gute Beispiele. Ich glaube, auch in den anderen
Bundesländern, wo diese Chancen bestehen, wäre dies eine
Alternative, die wir mit auf den Weg bringen müssten.
Meine Damen und Herren, allen Unkenrufen zum Trotz: Ich bin fest
davon überzeugt, wir haben ein leistungsfähiges Gesundheitswesen,
um das uns viele Menschen auf der ganzen Welt beneiden. Ich will
hier noch einmal deutlich sagen, dass zu den unverwechselbaren Stärken
die solidarische Finanzierung gehört, ein umfassender Gesundheitsschutz
für alle, zum Beispiel für alle Kinder, was nicht in jedem
Land der Fall ist.
Wir haben die wohnortnahe Versorgung durch qualifizierte Ärztinnen
und Ärzte und nicht medizinisches Personal. Wir haben einen
Leistungsanspruch, der allein durch das medizinisch Notwendige definiert
wird.
Ich traf vor zwei Wochen in Berlin mit dem amerikanischen Gesundheitsminister
zusammen. Er erklärte: Das ist das, was uns in Amerika fehlt.
Das haben wir nicht, bei ansonsten qualitativ guten Leistungen im
medizinischen Bereich.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas Ketzerisches sagen, weil
ich das auch einmal loswerden möchte: Ich bin fest davon überzeugt,
dass die meisten derjenigen, die das Gesundheitswesen derzeit herunterreden
und herunterschreiben, alle eine Reiserücktransportversicherung
haben, damit sie dann, wenn sie in manchen Ländern, deren Gesundheitswesen
sie uns als vorbildhaft in Preis und Leistung darstellen wollen,
krank werden, zur Behandlung nach Deutschland zurückkehren.
(Beifall)
Meine Damen und Herren, das spricht nicht gerade für das,
was geschrieben wird, aber es spricht für unser Gesundheitswesen.
Trotzdem wird niemand leugnen, dass wir Reformbedarf haben. Jeder
weiß: An manchen Stellen wird zu viel getan, an manchen zu
wenig. Wenn man über die Qualität der Leistung spricht,
dann meine ich gar nicht so sehr die Qualität der einzelnen
Leistung oder die Leistung, die der Einzelne erbringt. In der Medizin
ist es wie überall: Es gibt hoch qualifizierte Leistungen,
es gibt Mittelmaß, es gibt auch Schlechtes. Das ist in jedem
Berufsstand so.
Die meisten Qualitätsverluste haben wir doch, wenn die Leistungen
nicht aufeinander abgestimmt sind, besonders bei der Behandlung
chronisch kranker Menschen. Unbestreitbar haben wir Defizite auch
in der Frage der Prävention und der Gesundheitsvorsorge.
Ich finde, genau hier müssen wir ansetzen, wenn wir Reformen
auf den Weg bringen. Ich bin davon überzeugt, dass die Qualität
der Behandlung und der Abläufe von Behandlung verbessert werden
muss, um für kranke Menschen das Beste an Behandlung und an
Lebensqualität herauszuholen. Ich sage hier ganz deutlich:
Eine so verstandene Reform der Gesundheitspolitik, die wir auf den
Weg bringen wollen, ist etwas anderes als eine reine Kostendämpfungspolitik.
Es geht mir nicht um Rationierung, sondern um einen rationellen
Einsatz der vorhandenen Ressourcen, damit Gesundheit auch morgen
noch bezahlbar bleibt.
Wir brauchen sinnvoll aufeinander abgestimmte Leistungen, gesicherte
Qualität und größtmögliche Wirtschaftlichkeit.
Wir müssen den Arztberuf - da haben Sie alle Recht - für
junge Menschen wieder attraktiver machen, wenn wir auch noch in
zehn oder 20 Jahren das an Versorgung aufrechterhalten wollen, was
wir heute haben.
Ich bin im letzten Jahr in vielen Krankenhäusern gewesen und
habe mit vielen gesprochen. Ich habe das Jahr genutzt. Ich habe
vor Ort gesehen, dass es für Krankenhäuser Schwierigkeiten
gibt, ärztlichen Nachwuchs zu gewinnen oder zu halten. Das
liegt nicht, wie wir heute schon gehört haben, an sinkenden
Studenten- oder Studentinnenzahlen, sondern teilweise liegt es am
Verlauf des Studiums, wie es sich heute darstellt, und zu einem
großen Teil gehen die jungen Menschen, wenn sie ihr Studium
abgeschlossen haben, in andere Richtungen. Sie steigen aus; jedenfalls
wählen sie nicht den Weg in den Beruf.
Der Arzt im Praktikum und seine Vergütung ist nicht lukrativ.
Die Arbeits- und Arbeitszeitbedingungen in den Kliniken sind nicht
akzeptabel.
Nach mehr als 20 Jahren Diskussion hat der Bundesrat auf meine
Initiative hin endlich Ende April der Änderung der Approbationsordnung
zugestimmt. Endlich haben wir ein modernes Berufsbild für den
Arzt und die Ärztin der Zukunft. Es wurden unter anderem Prävention,
Geriatrie, Allgemeinmedizin und die hausärztliche Versorgung
in die Studienordnung mit aufgenommen. Sie erhalten einen besonderen
Stellenwert.
Ich bin besonders dankbar, dass es uns gelungen ist, Schmerztherapie
und Palliativmedizin als verpflichtendes Studienfach zu verankern.
(Beifall)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle einmal
sagen: Wir werden auf Dauer die Diskussion um die aktive Sterbehilfe
in Deutschland auch weiterhin nur zurückdrängen können,
wenn wir ein entsprechendes und ausreichendes Angebot an Schmerz-
und Palliativmedizin zur Verfügung stellen. Denn die Sorge
all derjenigen, die nach aktiver Sterbehilfe rufen, ist doch, dass
sie nicht in Würde sterben können und dass sie nicht schmerzfrei
sterben können. Deshalb glaube ich, dass wir mit der neuen
Approbationsordnung und auch mit einem Schwerpunkt in diesem Bereich
in ethischen Fragen in Deutschland eine ganz andere Position einnehmen
können. Wir brauchen keine aktive Sterbehilfe; wir brauchen
Angebote für ein humanes Sterben, meine Damen und Herren.
(Beifall)
Wenn der Nachwuchs im Krankenhaus ausbleibt, wenn er in die Industrie
oder ins Ausland abwandert, dann sind Engpässe in der stationären
und in der ambulanten Versorgung vorprogrammiert. Das können
wir uns nicht leisten. Ich will hier nur drei Schwerpunkte nennen,
von denen ich glaube, dass wir Lösungen auf den Weg bringen
müssen und dass wir Lösungen auf den Weg bringen können:
Wir werden im Zuge der neuen Approbationsordnung den Arzt im Praktikum
abschaffen.
(Beifall)
Aber nirgendwo, meine Damen und Herren, steht geschrieben, dass
bis dahin die Ärzte im Praktikum so wenig verdienen müssen,
wie es heute der Fall ist.
(Beifall)
Gerade in einer Lebensphase, in der viele eine Familie gründen,
ist der AiP eine Durststrecke, während deren das Einkommen
das Auskommen nicht mehr sichert. Ich sage: Hier sind die Tarifvertragsparteien
gefordert, das Einkommen junger Ärztinnen und Ärzte leistungsgerecht
anzupassen, um den Arztberuf in unseren Krankenhäusern wieder
attraktiv zu machen. Dazu gehört auch, dass wir ernsthafte
Schritte unternehmen, um den BAT Ost an den BAT West anzugleichen.
(Beifall)
Wenn mir bei diesen Dingen vorgehalten wird, das koste ja alles
Geld und sei nicht finanzierbar, dann sage ich: Alle anderen Lösungen,
die derzeit diskutiert werden, angefangen von Anreizhonoraren, Sondervergütungen,
Anwerbungen über Greencard oder Ähnliches, kosten auch
Geld, bringen aber langfristig keine Lösungen. Deshalb ist
es richtig, das Geld so früh wie möglich auch mit Perspektive
einzusetzen, wenn wir es denn ausgeben.
(Beifall)
Zweitens. Wer den Arztberuf wieder attraktiv machen will, kann
nicht nur über Vergütung sprechen, sondern muss auch über
die Arbeitsbedingungen und die Arbeitszeitgestaltung reden. Ich
weiß, dass viele von Ihnen große Erwartungen in das
Urteil des Europäischen Gerichtshofes gesetzt haben. Ich sage
Ihnen zu: Ich werde um die zügige Umsetzung des EuGH-Urteils
streiten. Sie wissen: Es geht nicht in dieser Legislaturperiode.
Es ist nicht nur der Gesundheitsbereich betroffen.
Ich glaube, es ist selbstverständlich, dass Arbeitszeit Arbeitszeit
ist. Wir werden es auch mit der Neuordnung in den Krankenhäusern
sehr zügig auf den Weg bringen können. Weil ich nicht
bis zur nächsten Legislaturperiode warten wollte, wollte ich
pragmatische Lösungen. Deshalb haben wir im Rahmen des Fallpauschalengesetzes
Finanzmittel zur Umsetzung des Arbeitszeitrechts eingebracht. Es
kommt jetzt darauf an, die Rahmenbedingungen umzusetzen. Deshalb
haben wir einen Arbeitszeitgipfel durchgeführt, deshalb haben
in der letzten Woche in meinem Ministerium die Verantwortlichen
getagt und gesagt: Wir wollen das, was es an Arbeitszeitmodellen
gibt, zur Verfügung stellen, damit die Kliniken Hilfe erhalten,
etwas umzusetzen.
Deshalb sage ich an dieser Stelle, meine Damen und Herren: Es ist
schön, wenn wir fordern, wir brauchen 27 000 Ärztinnen
und Ärzte. Wir hätten das Problem, das ich eben angesprochen
habe, nicht, wenn sie alle auf der Straße stünden und
eingestellt werden wollten. Es mag ja sein, dass wir dafür
1 Milliarde Euro zur Verfügung haben. Ich sage: Wir haben 200
Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Jetzt ist es an den
Kliniken, dafür zu sorgen, dass Arbeitszeitkonzepte entwickelt
werden, dass das Geld abgerufen wird und wir dafür sorgen,
dass Ärztinnen und Ärzte eingestellt werden können,
weil wir eben auch Überstunden abbauen können.
Wenn dieses Geld dann ausgegeben ist, können wir ja darüber
reden, dass wir noch etwas mehr brauchen. Aber nutzen Sie doch die
Zeit, bis wir das Gesetz umgesetzt haben, um die Bedingungen in
den Krankenhäusern für die Patientinnen und Patienten
und für die Ärztinnen und Ärzte wirklich zu verbessern.
Ich bin dazu bereit.
(Beifall)
Es gibt ein drittes Problem; da ist die Politik am allerwenigsten
gefordert. Ich kenne dieses Problem aus vielen Gesprächen mit
jungen Medizinern und Medizinerinnen. Es geht um die Arbeitsorganisation,
um die Hierarchien in den Krankenhäusern. Meine Damen und Herren,
Kollegialität, Teamwork und weniger Hierarchien - das sind
die Forderungen der jungen Mediziner und Medizinerinnen. Ich glaube,
dass sie einfach auch unserer Art, wie wir im 21. Jahrhundert leben,
mehr entsprechen.
(Beifall)
Deshalb muss auch an dieser Stelle im Sinne einer funktionierenden
Arbeitsorganisation gehandelt werden. Ich stimme Ihnen zu, Herr
Professor Lasch: Wir müssen im Zuge der Arbeitszeitorganisation
uns auch daran machen, dass die Arbeitsabläufe in den Kliniken
wirklich teilhaben an den modernen Kommunikationsmitteln, damit
wir die Ärztinnen und Ärzte und auch die pflegenden Menschen
in den Krankenhäusern von Verwaltungsarbeit entlasten.
Ich kann Ihnen zusagen: Ich habe mit dem Wirtschaftsminister eine
Untersuchung in Auftrag gegeben, weil wir sagen, wir wollen Vorschläge
bekommen, welche Vorzüge denn für die deutsche Industrie
darin liegen, unsere Krankenhäuser zu modernisieren, Finanzierungsvorschläge
zu entwickeln, damit wir wirklich zu einer Optimierung auch der
Arbeitsabläufe in den Kliniken kommen und damit den Menschen
wieder das geben, weshalb sie gerade in diesen Beruf gegangen sind.
Sie wollen nicht 50 Prozent ihrer Zeit damit verbringen, Papiere
aufzukleben oder Notizen zu machen; sie wollen sich um die Patientinnen
und Patienten kümmern. Ich bin dazu bereit, dass wir diesen
Weg gehen.
(Beifall)
Ein weiterer - und letzter - Beitrag, den ich auch nur kurz ansprechen
kann, um dem Ärztemangel gegenzusteuern, besteht darin, die
Rahmenbedingungen in den Krankenhäusern zu verbessern, damit
die Arbeit auch für Frauen attraktiver wird, denn es ist in
unserem Lande noch immer so, dass die Hauptlast der Familienarbeit
auf den Schultern der Frauen liegt. Hier müssen wir Angebote
machen. Dann wird es auch eine Nachfrage seitens der Beschäftigten
geben.
Ich bin ja ein grundsätzlich optimistisch gestimmter Mensch.
Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass auch ich es noch
erleben werde, dass in den Gremien der verfassten Ärzteschaft
oder auch der Krankenkassen etwas mehr Frauen vertreten sind, so
wie es der Hälfte dieser Gesellschaft auch entspricht.
(Beifall)
Ich will nicht nur die bestmögliche Versorgung für jeden
Patienten und für jede Patientin, sondern ich will auch - das
ist meine Aufgabe als Gesundheitsministerin - dafür sorgen,
dass sie auf Dauer für alle bezahlbar bleibt. Eines ist doch
klar: Die Akzeptanz des solidarischen Systems beruht auf dem Wissen
darum und dem Vertrauen darauf, dass das medizinisch Notwendige
getan wird, und zwar zu bezahlbaren Preisen. Deshalb ist es unsere
gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder Euro, der ins
System fließt, dort auch effizient ausgegeben wird.
Dazu brauchen wir neue Steuerungsinstrumente. Wir haben die Arzneimittelbudgets
durch ein Konzept der originären Steuerung durch die Selbstverwaltung
ersetzt. Ich stehe zu dieser Entscheidung und halte sie nach wie
vor für richtig, obwohl ich dafür immer beschimpft werde.
Ich bin überzeugt: Eine qualitativ gute und gleichzeitig wirtschaftliche
Arzneimittelversorgung kann nur gemeinsam mit der Ärzteschaft
gelingen. Die mit den Krankenkassen getroffenen Rahmenvereinbarungen
sind positive Signale und haben gezeigt: Die Selbstverwaltung kann
funktionieren.
Aber die Ausgabenentwicklung im Arzneimittelbereich im ersten Quartal
dieses Jahres mit mehr als 4 Prozent Steigerung stellt noch keinen
Grund zur Entwarnung da. Von einem Durchbruch kann noch nicht die
Rede sein. Er ist aber mit den neuen Steuerungsinstrumenten möglich.
Meine Damen und Herren, ich höre oft in den Diskussionen,
dass manche von Ihnen glauben, so richtig geändert habe sich
mit dem Gesetz noch immer nichts. In einem Punkt haben Sie Recht:
Es entlässt Sie nicht aus der Verantwortung wirtschaftlicher
Verordnung. Aber - und das ist nicht zu unterschätzen - es
entlässt Sie aus der Unsicherheit, heute nicht zu wissen, ob
Sie morgen für die Überschreitung eines zwei Jahre zurückliegenden
Budgets zur Kasse gebeten werden. Mit den neuen Vereinbarungen werden
Daten zeitnah zur Verfügung gestellt, können Praxisbesonderheiten
zeitnah berücksichtigt werden und kann Beratung zeitnah angeboten
werden. Das gibt jedem Einzelnen von Ihnen ein ganzes Stück
mehr an Sicherheit.
Ich bin überzeugt: Nach dem Abschluss einer Reihe zukunftsweisender
Verträge - ich nenne hier beispielhaft zwei Verträge aus
Ländern, die geographisch entfernt voneinander liegen, nämlich
Bayern und Nordrhein - müssen die Instrumente nun flächendeckend
eingesetzt und umgesetzt werden.
Ich glaube - da appelliere ich an Sie -: Wenn alle gemeinsam an
einem Strang ziehen und immer dann, wenn es eine kostengünstigere
Alternative gibt, diese wählen, dann sind die Menschen medizinisch
gut versorgt und wir können dafür sorgen, dass auch zukünftig
allen Patientinnen und Patienten alle innovativen Arzneimittel zur
Verfügung stehen.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass durch ein Achten auf
den Preis eingesparte Mittel irgendwo anders sinnvoller eingesetzt
werden können, als teure Packungen zu bezahlen, die kostengünstiger
zu erhalten sind. Das andere Verhalten dient zwar der Pharmaindustrie,
ist aber für eine optimale Versorgung der Patientinnen und
Patienten nicht notwendig.
In letzter Zeit haben viele Experten immer wieder vorgeschlagen,
man müsse die Kartelle zerschlagen und man müsse doch
den Kassenärztlichen Vereinigungen den Sicherstellungsauftrag
wegnehmen und ihn den Krankenkassen zuweisen. Nun ist es sehr gut,
dass - anders, als manchmal vermutet wird - die Bundesregierung
nicht dazu da ist, all das, was sich Experten ausdenken, umzusetzen.
(Beifall)
Meine Aufgabe ist es vielmehr, dafür zu sorgen, dass auch
in Zukunft die freie Arztwahl erhalten bleibt und die Menschen wohnortnah
den Zugang zu allen gesundheitlichen Angeboten wahrnehmen können.
Das können die Kassen nicht allein sicherstellen, sondern das
geht nur gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen,
weil eine Kasse allein nicht sicherstellen kann, dass der Versicherte
der BKK Hamburg in Oberammergau einen Arzt seines Vertrauens findet.
Deshalb, meine Damen und Herren, seien Sie sicher: Wir bleiben
bei dem, wie es heute ist, nämlich einer gemeinsamen Sicherstellung
der ärztlichen Versorgung in Zusammenarbeit zwischen Ärzten
und Ärztinnen auf der einen Seite und den Krankenkassen auf
der anderen Seite. Damit bleibt die Sicherstellung der Versorgung
gewährleistet.
Wir werden gleichzeitig dafür sorgen, dass mehr Flexibilität
auch in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
möglich ist, damit wir zusätzlich zu dem kollektiven Vertragssystem,
das wir in Deutschland brauchen, auch die Möglichkeit eröffnen,
Einzelverträge für besondere Aufgaben abzuschließen.
Ich glaube, dass das eine gute Lösung ist.
Der zweite Vorschlag, der gemacht wird, hinsichtlich dessen es
manchmal Befürchtungen gibt, betrifft das Zentrum für
Qualität in der Medizin. Heute hat der Bundesausschuss die
Aufgabe, immer wieder zu bewerten, wie der rasant sich entwickelnde
Fortschritt Eingang in die Vertragsgestaltung findet oder auch Eingang
in den Leistungskatalog der Krankenkassen findet. Sie wissen: Das
muss kontinuierlich überprüft und auch angepasst werden.
Ich sage einmal ganz einfach: Angesichts der unterschiedlichen
Interessenlagen von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen
halte ich es für erforderlich, die Bewertung der Qualität
von der Entscheidung über die Finanzierung zu trennen. Das
liegt bis heute in einer Hand.
Wenn ich von unabhängigen Sachverständigen rede, dann
gehören selbstverständlich die Mediziner und Medizinerinnen
dazu. Das können zum Teil diejenigen sein, die heute im Koordinierungsausschuss
oder im Bundesausschuss solche Aufgaben wahrnehmen.
Es geht nicht um eine neue Bundesbehörde, sondern ich möchte,
dass sehr viel intensiver als heute beispielsweise Qualitätsstandards
für die medizinische Behandlung entwickelt oder, sofern sie
in anderen Ländern eingeführt wurden, bewertet werden,
dass neue Arzneimittel im Hinblick auf den medizinischen Nutzen
bewertet werden und anschließend diejenigen, die Akteure in
diesem System sind - das ist auf der einen Seite die Ärzteschaft,
das sind auf der anderen Seite die Krankenkassen -, darüber
entscheiden, ob das, was dort vorgelegt wird, in die Versorgung
durch die gesetzlichen Krankenkassen Eingang findet oder nicht.
Ich glaube, dass wir so eine größere Dynamik bekommen
und dass wir so schneller wirkliche Innovationen für die Medizin
zur Verfügung stellen können.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit mit einem Missverständnis
aufräumen, das manchmal auftaucht: Evidenzbasierte Medizin,
umgesetzt in Leitlinien, ersetzt niemals die individuelle Diagnose
und Therapie, sondern sie stützt und unterstützt. Ich
habe 17 Jahre als Sonderpädagogin gearbeitet. Ich hatte immer
Rahmenrichtlinien. Wir haben immer geschaut: Was ist in der Pädagogik
tatsächlich neu? Das hat mich aber doch nie aus der Verantwortung
entlassen, zu schauen, was denn für jeden einzelnen meiner
Schüler und Schülerinnen genau das Richtige ist.
Das können Sie als Ärztinnen und Ärzte selbstverständlich
auch in Zukunft tun. Ich habe die Diskussion gar nicht verstanden,
weil ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen bin, Ihnen so
wenig Selbstvertrauen zuzuordnen, wie das manchmal der Fall ist.
(Beifall)
Mit der Einführung der Disease-Management-Programme - ein
weiteres Thema, das Sie sehr interessiert - werden zum ersten Mal
in der Geschichte der gesetzlichen Krankenkassen Anreize dafür
gesetzt, dass chronisch kranke Menschen optimal behandelt werden.
Allen aktuellen Diskussionen zum Trotz sage ich: Es ist gelungen,
als ersten Schritt in den Beratungen des Koordinierungsausschusses
eine einvernehmliche Empfehlung zu den Anforderungsprofilen für
die Disease-Management-Programme des Diabetes zu entwickeln. Viele
nationale und internationale Fachgesellschaften begleiten diese
Entwicklung mit großem Interesse. Ich kann Ihnen aufgrund
der Post, die bei uns eingegangen ist, sagen: Sie halten sich auch
nicht mit Anerkennung zurück. Sie schreiben, dass die vom Koordinierungsausschuss
formulierten medizinischen Anforderungen einen weltweiten Spitzenplatz
in der Medizin einnehmen. Dieses Lob gehört nicht zuallerletzt
der Ärzteschaft; denn nur mit dem wissenschaftlichen Know-how
der Fachgesellschaften, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen
Vereinigungen und dem Engagement der Krankenkassen war es möglich,
diese einvernehmliche Empfehlung zu entwickeln und zu verabschieden.
Dafür möchte ich Ihnen danken.
Ich würde mich freuen, wenn wir durch positive Diskussionen
über diese Fragen viele Diabetiker und Diabetikerinnen motivieren
würden, sich aktiv an diesen Programmen zu beteiligen. Ich
sage Ihnen auch hier noch einmal zu: Da, wo es an der einen oder
anderen Stelle Veränderungsbedarf gegenüber dem gibt,
was beschlossen wurde, ist im Rahmen der jetzt stattfindenden Anhörungen
dazu selbstverständlich Gelegenheit. Das kann dort eingebracht
werden.
Ich gehe davon aus, dass die Anforderungsprofile für die anderen
Krankheiten zügig verabschiedet werden können. Ich habe
auch mit Herrn Hoppe telefoniert. Er hat mir bestätigt, dass
wir auch beim Brustkrebs gleich hohe Qualitätsstandards verabschieden
können. Die beiden anderen Programme werden so schnell wie
möglich folgen.
Ich akzeptiere, dass hier noch Beratungsbedarf besteht, weil auch
ich Ihre Auffassung teile, dass Qualität vor Schnelligkeit
geht, was nicht heißt, dass ich nicht darum bitte, dass es
zügig geschieht.
Auch die starre Budgetierung in der ambulanten Versorgung kann
auf Dauer nicht fortgeführt werden.
(Beifall)
Im Arzneimittelbereich und in den Krankenhäusern haben wir
andere Lösungen gefunden. Es müssen jetzt auch neue Möglichkeiten
geschaffen werden, dass im ambulanten Bereich gute Leistungen entsprechend
vergütet werden.
Floatende Punktwerte sind ungerecht und bestrafen diejenigen, die
besonders viel arbeiten und immer eine offene Tür für
Patienten und Patientinnen haben. Deshalb sage ich Ihnen: Wir brauchen
ein Honorarsystem, das über Preis und Menge gesteuert wird.
Ein Weg wäre beispielsweise in Anlehnung an die Neuordnung
in der Krankenhausfinanzierung, diagnosebezogene Fallpauschalen
im ambulanten fachärztlichen Bereich und modifizierte Kopfpauschalen
im hausärztlichen Bereich einzuführen.
Ich glaube, dass wir damit mehr Gerechtigkeit schaffen können.
Im Bundesgesundheitsministerium wird derzeit an einem entsprechenden
Konzept gearbeitet. Ein solches System würde auch viele Streitpunkte
zwischen dem fachärztlichen und dem hausärztlichen Bereich
entschärfen. Ich glaube, es würde ein guter Weg, den wir
hier gehen könnten.
Wir haben im Krankenhausbereich mit dem Fallpauschalengesetz den
Weg für die größte Strukturreform seit knapp 30
Jahren frei gemacht. Unser Ziel ist ein Vergütungssystem, das
leistungsorientiert und offen für den medizinischen Fortschritt
ist, das Kosten- und Leistungstransparenz bringt und Anreize für
mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Qualität setzt. Die Umsetzung
liegt in den Händen der Selbstverwaltung.
Ich nehme die Sorgen aus einzelnen Bereichen der Medizin, ob etwa
die Abbildung und Vergütung von Leistungen der Unfall- und
Schwerstbrandverletztenversorgung oder der neurologischen Frührehabilitation
sachgerecht erfolgt, ernst. Deshalb führen wir Gespräche.
(Beifall)
Wir wollen gemeinsam angemessene Lösungen auf den Weg bringen.
Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wir führen budgetneutral
ein, wir haben gesetzliche Öffnungsklauseln festgelegt. Wir
nehmen das Geld, das heute im System ist, mit in das neue System
hinein. Wir haben absichtlich eine Öffnung gelassen, damit
wir im endgültigen Ordnungsrahmen die Probleme, die wir bei
der Einführung feststellen und über die wir uns verständigen
müssen, bei der endgültigen Festlegung adäquat lösen
können.
Ich kann Sie alle nur auffordern, daran mitzuarbeiten und diesen
Weg mit zu beschreiten. Wir sind offen für die Diskussionen
in diesem Bereich, weil niemand von uns möchte, dass jemand
zu früh aus dem Krankenhaus entlassen wird oder nicht diejenige
Behandlung erfährt, die er benötigt.
Wir werden mit dem Fallpauschalengesetz und auch mit der Neuordnung
der Honorarvergütung im ambulanten Bereich die Weichen stellen
für die sektorübergreifende Versorgung. Ein Hilfsmittel
und ein wichtiges Informationssystem für mehr und bessere Zusammenarbeit
ist für mich die elektronische Gesundheitskarte. Sie als Ärztinnen
und Ärzte erhalten damit die zur Behandlung notwendigen Informationen.
Die Patientinnen und Patienten erhalten die Sicherheit einer grundlegend
verbesserten Dokumentation und abgestimmten Behandlung. Letztendlich
dient die Gesundheitskarte auch der Patientenautonomie, weil sie
das Behandlungsgeschehen transparent macht und die Patienten aktiv
in die Behandlung einbezieht.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Thema ansprechen, das mir
besonders wichtig ist und das in der Vergangenheit leider viel zu
kurz gekommen ist: die Prävention. Die Qualität der ärztlichen
Versorgung wird in zunehmendem Maße auch an den Leistungen
in der Prävention zu messen sein; nicht nur weil effektive
Prävention auch langfristig die Kosten stabilisiert, sondern
vor allem weil sie die Lebensqualität eines jeden Einzelnen
verbessern kann. Die demographische Entwicklung hat in der Rentenversicherung
dazu geführt, dass wir die umlagefinanzierte Säule durch
eine kapitalgestützte Säule ergänzt haben, um auch
im Alter die Einkünfte zu sichern.
In der Gesundheitspolitik ist die Forderung eines gesundheitsbewussten
Verhaltens die Antwort auf die demographische Entwicklung, weil
man auf Gesundheit nicht ansparen kann. In der Gesundheitspolitik
ist nicht entscheidend, wie alt die einzelnen Menschen werden, sondern
entscheidend ist, wie es uns gelingt, Krankheiten vorzubeugen, das
Chronischwerden von Krankheiten nach hinten zu verschieben und dafür
zu sorgen, dass durch eine gute Vorsorge und Versorgung den Menschen
so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben eigenverantwortlich
in der angestammten Umgebung ermöglicht wird.
Eine so verstandene Prävention ist mehr als die Aufgabe der
Krankenkassen und der Ärzte; es ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Deshalb wollen wir ein Präventionsgesetz, das alle
Leistungen bündelt. Deshalb werden wir ein Forum "Prävention
und Gesundheitsförderung" auf den Weg bringen, das sich
durch mehr finanzieren muss als ausschließlich durch das,
was die Krankenkassen heute zu geben in der Lage sind.
Ich glaube, das ist die richtige Antwort auf eine älter werdende
Gesellschaft. Ich hoffe, dass ich in Ihnen dafür Verbündete
habe.
Meine Damen und Herren, ich habe hier nicht alles, was wir auf
den Weg bringen wollen, angesprochen, auch weil ich der Meinung
bin, das eine oder andere lesen Sie ja auch, was wir an anderer
Stelle verbreiten. Ich habe heute vor allen Dingen keinen Weg gesucht,
um Ihnen das Blaue vom Himmel zu versprechen, auch nicht in Wahlkampfzeiten.
Das wäre unredlich und zudem kurzsichtig, denn nächstes
Jahr bin ich ja wieder bei Ihnen.
(Heiterkeit)
Insofern lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir haben am Runden
Tisch eine neue Form des Dialogs gefunden. Das, was geschrieben
wird - das werden Sie selber merken -, stimmt nicht immer mit der
wirklichen Wirklichkeit, wie jemand es einmal formuliert hat, überein.
Ich möchte diesen Weg des Dialogs und der Zusammenarbeit auch
bei naturgemäß unterschiedlichen Gesichtspunkten mit
Ihnen weitergehen, vor allen Dingen unter Erhalt der solidarischen
Finanzierung, der Solidarität in unserem Gesundheitswesen.
Meine Damen und Herren, Freiheit, Wahlfreiheit, Abwählen und
andere Dinge - das hört sich sehr schön an. Nicht allein
deshalb, weil zur Freiheit auch das nötige Kleingeld gehört,
erteile ich diesen Forderungen nach einer Aufteilung in Grund- und
Wahlleistungen, die manchmal auch aus einzelnen Ihrer Verbände
erhoben werden, eine Absage. Alles, was wir in diesem Bereich tun,
sind Angebote an junge, gesunde Menschen zulasten der Versorgung
derjenigen, die krank sind und umfassende Hilfe nötig haben.
Wenn wir diesen Weg gingen, wäre vieles nicht mehr so wie heute.
Denken Sie daran: Selbst der amerikanische Gesundheitsminister beneidet
uns um diese Dinge! Und Amerika lernt nicht gern von Deutschland.
Lassen Sie uns diesen Weg gehen, weil er auch für das, was
Sie anbieten können, der beste Weg ist. Auch Sie wollen doch
in Zukunft nicht fragen, welche Leistungen jemand versichert hat
und welche Leistungen er nicht versichert hat, sondern Sie wollen
das, was medizinisch notwendig ist, tun können.
Lassen Sie uns gemeinsam den Weg beschreiten, der besagt: Wir wollen
das Optimale an Effizienz und Effektivität. Ich will, dass
wir weltweit wieder den Spitzenplatz in der Medizin bekommen und
uns nicht immer sagen lassen müssen, wir hätten nur irgendeinen
hinteren Platz. Wir müssen es auch beweisen, denn wir sind
so stark mit dem, was Sie einbringen können.
Vielen Dank.
(Beifall)
Dr. Andreas Crusius, Präsident der Ärztekammer
Mecklenburg-Vorpommern:
Frau Ministerin Schmidt hatte die Chance, sich hier oben warmzureden.
Ich darf Sie im Sinne der Prävention bitten, damit wir keine
Thrombose bekommen, sich kurz von Ihren Plätzen zu erheben.
Auf diese Weise kann die Frau Ministerin gleich sehen, dass Ärzte
immer Prävention betreiben.
(Musikalisches Zwischenspiel:
G. H. Green "Charleston Capers" - Beifall)
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