Zimmer, Nordrhein:
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen
und Kollegen! Gestern haben wir die Zahl von 130 000 niedergelassenen
Ärzten gehört. Derzeit weist die Statistik der Bundesgesundheitsministerin
137 000 Krankenkassenangestellte aus. Die Zahl der niedergelassenen
Kolleginnen und Kollegen ist also bereits deutlich hinter die Zahl
der Krankenkassenangestellten zurückgefallen.
Wir reden so viel über die Attraktivität des Arztberufes
und über den Unwillen, Arzt zu werden. Ich habe mir einmal
die Abiturzeitschriften der Gymnasiasten unserer Stadt besorgt.
Dort haben 300 Abiturienten ihre Berufswünsche deutlich gemacht.
Sie werden erschrocken sein: Von den 300 Abiturienten hat nur einer
erklärt, er möchte Arzt werden. Immerhin stammen 32 dieser
Abiturienten aus einem Arzthaushalt. Wir vermitteln offensichtlich
selbst nicht mehr so recht die Freude am Arztberuf. Ich glaube nach
wie vor, der Arztberuf ist der schönste Beruf. Es ist der Beruf,
der in jeder Form Zufriedenheit schaffen kann. Es ist nicht die
Berufsausübung an sich, die negative Aspekte hervorruft, als
vielmehr die Rahmenbedingungen. Das müssen wir den Menschen
vermitteln, die uns eines Tages versorgen können, nämlich
unseren Kindern.
Es gibt noch eine andere Schere, die wir gar nicht exakt genug beachtet
haben, nämlich die Einführung des vorgezogenen Altersruhegeldes.
Es ist für mich eine Lachnummer, die Grenze des 68. Lebensjahres
zu öffnen. Herr Hagedorn hat hierfür jahrelang gekämpft
und hat nicht Recht bekommen. Es gibt in unserem Beruf die Abstimmung
mit den Füßen. Es gibt immer mehr Kolleginnen und Kollegen,
die sagen: Auf jeden Fall mit 62, 63 Jahren aufhören!
Es ist Fakt, dass mittlerweile immer mehr Kolleginnen und Kollegen
die zulässige Arbeitszeit gar nicht mehr ausnutzen, weil sie
sich in dem System nicht mehr wohl fühlen. Sie sind keinesfalls
mit dem Arztberuf unzufrieden. Es geht vielmehr um das Umfeld, in
dem wir leben. Darauf möchte ich Sie ein wenig aufmerksam machen.
Herr Präsident, Ihre gestrige Rede hat mir besser gefallen
als alles, was ich jemals auf einem Ärztetag gehört habe.
Ich bin allerdings erst einige Jahre dabei. Ich bin begeistert darüber,
dass Sie Ihre Ausführungen unter den Titel "Menschlichkeit
statt Ökonomisierung" gestellt haben. Leider habe ich
in diesem Zusammenhang ein Problem, den Antrag I-1 richtig zu verstehen.
Meiner Ansicht nach ist die Überschrift "Das deutsche
Gesundheitswesen ist auf dem Weg in die Mangelverwaltung" völlig
daneben, denn wir sind nicht erst auf dem Weg in die Mangelverwaltung,
sondern wir befinden uns mitten in der Mangelverwaltung.
(Beifall)
Mein Vorschlag lautet, die Überschrift vielleicht folgendermaßen
zu formulieren: "Das deutsche Gesundheitswesen geht weiter
den Weg der Mangelverwaltung". Das trifft meiner Ansicht nach
die Sache im Kern.
Die vorletzte Zeile, in der faktisch eine Übertragung des Morbiditätsrisikos
als Folge prognostiziert wird, ist ebenfalls völlig falsch.
Das Morbiditätsrisiko trage ich im niedergelassenen Bereich
ungefähr seit Einführung des EBM mit Punkten. Vielleicht
könnten wir den Begriff "faktische Übertragung von
Morbiditätsrisiken" ersetzen durch "weiter steigende
Übertragung von Morbiditätsrisiken". Diesmal reicht
das zufällig auch in den Krankenhausbereich hinein.
Ich warne davor, die DRGs als eine ganz harmlose Variante von Kostenumlagesystemen
zu betrachten. DRGs führen zur Triage. Es wird drei Gruppen
von Patienten geben in der Klassifikation WIR: "W" wie
"wünschenswert", "I" wie "indifferent",
weil im Budget noch zu leisten, und "R" wie "ruinös"
und möglichst an der Klinikpforte abzublocken.
Das widerstrebt unserem ärztlichen Ethos in jeder Weise, in
der Klinik wie in der Praxis. Ich denke, wir müssen den Menschen
draußen klar machen, dass dieses System, wie es dort implementiert
wird, menschenverachtend ist und dem Arztberuf völlig zuwider
läuft.
Danke schön.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Herr Zimmer. Ich nehme an, dass Sie die Änderung
der Überschrift als Antrag verstanden wissen wollen. Ich habe
es mir notiert; wenn Sie es noch schriftlich einreichen wollen,
ist es dafür auch noch früh genug. - Als nächste
Rednerin bitte Frau Kollegin Schleu aus Bayern.
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