TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

2. Tag: Mittwoch, 29. Mai 2002 Vormittagssitzung

Henke, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich zu dem Stellung nehmen möchte, was der Kollege Ikonomidis gestern in seiner Replik auf meine Darlegungen zur Systemfrage der Krankenversicherung dargestellt hat. Herr Ikonomidis, wir sind uns völlig einig, dass es mit dem Sozialversicherungssystem, wie wir es heute haben, nicht unverändert weitergehen kann. Hier besteht völliger Konsens. Ich glaube, dass wir, wenn wir die gesetzliche Krankenversicherung zukunftsfähig weiterentwickeln wollen, sie erheblichen Reformen unterziehen müssen. Das beginnt damit, dass wir in die Beitragsbasis andere Einkommensquellen als Löhne, Gehälter und Lohnersatz-einkommen einbeziehen müssen, dass wir eine staatliche Finanzierung versi-cherungsfremder Leistungen aus Steuermitteln brauchen und dass wir - auch da bin ich mit Ihnen einig - auf eine Bildung kapitalgedeckter Rücklagen zur Entlastung künftiger Beiträge nicht verzichten können.

Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass wir darüber nachdenken sollten, gering verdienende Versicherte durch Übernahme des Arbeitgeber- wie des Arbeitnehmerbeitrags aus staatlichen Mitteln zur Förderung der Beschäftigung von Sozialversicherungsbeiträgen freizustellen, weil wir dann in einer Situation niedrigen Verdienstes wesentlich mehr Beschäftigungschancen für diese Menschen eröffneten, mit der Folge, dass wir bei diesen Personen präventiv wirken könnten.
Ich bin darüber hinaus dafür, dass wir die Einnahmen aus der Tabak- und der Alkoholsteuer endlich in Richtung Krankenversicherung umschichten müssten, weil dies die Voraussetzungen dafür schaffen würde, dass diese Steuer hilft, diejenigen Schäden zu bekämpfen, die durch derartige Produkte ausgelöst werden.

Der einzige Punkt, in dem wir uns unterscheiden - das wird in Ihrem Antrag
I-2 a deutlich, ist folgender. Ich weigere mich und hielte es für eine ganz unkluge Entscheidung, wenn wir freiwillig sagten: Die einzige Option zum Solidarausgleich, die die Ärzteschaft für denkbar hält, ist ein Systemwandel, bei dem jeglicher Solidarausgleich aus Steuermitteln finanziert wird. Das bedeutet nämlich, dass wir uns in eine Abhängigkeit von den Finanzministern oder den kommunalen Kämmerern begeben würden. Schauen Sie sich die Entwicklung bei den Pensionslasten an, schauen Sie sich die Investitionsquote des Staates an, schauen Sie sich die Situation der unermesslich hohen Zinsen, die der Staat zahlen muss, an - und dann glauben Sie nicht, dass der Solidarausgleich, den wir aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung herausnehmen würden, bei den Finanzministern besser aufgehoben wäre als im System der sozialen Krankenversicherung.

Das ist einfach ein gefährlicher Irrweg. Wir beschreiten ihn selbst beispielsweise nicht, wenn es um unsere eigene Alterssicherung geht, sondern wir basieren die Ärzteversorgung auf einem Mischsystem aus Kapitaldeckung und Umlageverfahren, weil wir sehr wohl wissen, dass ein allein auf Kapitaldeckung gegründetes Verfahren große Risiken in sich birgt. Schauen Sie sich die Situation bei der Swissair oder bei Enron an! Vergegenwärtigen Sie sich bitte, dass die Kapitalentnahme in der Periode, in der man die Leistungen erbringen muss, natürlich aus dem volkswirtschaftlichen Ertrag derjenigen Periode finanziert werden muss, in welcher der Leistungsbedarf anfällt.

Ich plädiere also sehr herzlich dafür, dass wir uns hier nicht missverstehen und dass wir den Inhalt der Option A im Vorstandsantrag nicht ausnehmen. Eine alleinige Konzentration auf das, was in Option B beschrieben ist, fesselt uns selbst, bindet uns an die Finanzminister, holt uns die Rechnungshöfe an die Stelle der Wirtschaftlichkeitsprüfung, die wir bisher kennen. Wir wählen damit eine Alternative zu wenig. Wir sollten beide Optionen offen halten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Herr Henke. - Der nächste Redner ist der Kollege Möhrle, Präsident der Landesärztekammer Hessen.

© 2002, Bundesärztekammer.