Dr. Jonitz, Vorstand der Bundesärztekammer:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
haben einen ganz zentralen Tagesordnungspunkt: Dieser Tagesordnungspunkt
sind wir, die Ärztinnen und Ärzte. Wir stehen derzeit
unter einem ganz enormen Druck; das braucht man niemandem hier im
Saal zu erklären. Wenn die Entwicklung, die wir derzeit erleben,
im Gesundheitswesen so weitergeht, geht sehr viel verloren.
Es gibt eine sehr wichtige Botschaft, die lautet: Die wichtigste
Person im Leben eines kranken Menschen ist der Arzt. Wenn man krank
ist, ist ein guter Arzt das Beste, was einem widerfahren kann. Er
ist der Garant für eine erfolgreiche und gute Diagnose und
Therapie.
Der Arztberuf ist ein besonders schöner und auch ein besonders
verantwortungsvoller Beruf. Er ist schwieriger geworden. Das gilt
nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Länder.
Ich zeige Ihnen hier ein Bild des Malers Sir Luke Fildes aus dem
19. Jahrhundert, mit dem die Ärzte in Großbritannien
groß werden. Hier wird ein romantisches Bild des Arztberufs
gezeichnet. Man sieht einen Arzt, der ein krankes Kind behandelt.
Man sieht ein offensichtlich todkrankes Kind in einem dunklen Raum
und einen bärtigen, sehr konzentrierten Doktor. Der gesamte
Fokus dieses Bildes beruht auf der intensiven Beziehung zwischen
Arzt und Patient. Niemand sonst ist auf diesem Bild zu sehen; ausgenommen
ganz im Hintergrund die Eltern. Certainly no economists - mit Sicherheit
sind auf diesem Bild keine Ökonomen, keine Krankenkassenvertreter
und keine Gesundheitsexperten.
(Beifall)
Dieses intensive und unmittelbare Arzt-Patienten-Verhältnis
ist so nicht mehr vorhanden. Mittlerweile befindet sich auch der
Ökonom in diesem Bild. Krankenkassenvertreter und so genannte
Experten erteilen dem Arzt Ratschläge oder wollen ihm, was
noch schlimmer ist, Vorschriften machen, was er zu tun hat.
Warum sind jetzt die Ökonomen mit im Bild? Das erste Problem
ist ein banales, ein ökonomisches, ein finanzielles: Die Krankenkassen
haben kein Geld mehr. Es hat eine gnadenlose Sparpolitik begonnen.
Dass die Geldknappheit durch die Einnahmenseite verursacht ist,
wissen wir alle.
Es gibt aber auch noch ein anderes Problem; dieses liegt letzten
Endes bei uns, in der Medizin selber. Die Medizin ist sehr komplex
geworden. Während es früher zu bestimmten Krankheiten
gar keine Therapie gab, tauchte anschließend eine Therapie
auf, später wurden es mehr, heute gibt es dazu fünf oder
sechs unterschiedliche Therapien. Meine Großmutter mütterlicherseits
ist selbstverständlich noch im diabetischen Koma gestorben,
meine beiden Großeltern väterlicherseits haben eine Schenkelhalsfraktur
nicht überlebt, weil diese damals noch nicht operabel war.
Mittlerweile kann ich beide Krankheiten hervorragend und sehr exquisit
behandeln. Aber die Frage, welche Therapie denn nun die beste für
den Patienten ist, ist sehr schwierig zu beantworten.
Wir haben unter dem Tagesordnungspunkt II die banale Frage zu beantworten:
Was hilft dem Arzt, damit er eine gute Medizin betreibt? Wer hilft
dem Arzt, damit er eine gute Medizin machen kann, damit die Patienten
optimal behandelt werden können? Ein Vorschlag läuft darauf
hinaus, dass wir Ärztinnen und Ärzte eine systematische
Unterstützung brauchen, um möglichst gut zu erkennen,
was eine relevante und nicht nur eine signifikant bessere Therapie
ist. Da sind gute Leitlinien eine wichtige Grundlage für die
Entscheidungsfindung in der täglichen Praxis und auch in der
Klinik.
Wir müssen die Fremdbeeinflussung klein halten. Das Gesundheitswesen
ist keine Spielwiese für machtpolitische Interessen oder ideologische
Vorstellungen. Wir müssen uns dagegen wehren, dass Leute herkommen
und aus dem Gesundheitswesen persönlichen Profit schlagen,
weil sie auf diese Weise bestimmte revolutionäre Ideen umzusetzen
versuchen.
Wir müssen - auch diesen Aspekt bitte ich dringend zu beachten
- die Bedürfnisse der Menschen in diesem System wesentlich
besser berücksichtigen als früher. Die Menschen in diesem
System sind zum einen die Menschen, die behandelt werden. Ein Gesunder
hat viele Wünsche, ein Kranker nur einen. Es geht zum anderen
auch um die Menschen, die in diesem System arbeiten: Ärztinnen
und Ärzte, Krankenschwestern, Pflegerinnen und Pfleger, alle
anderen therapeutischen und Hilfsberufe.
Die Begegnung zwischen Arzt und Patient ist primär eine Begegnung
zwischen zwei Menschen. Die Humanisierung des Gesundheitswesens
- das ist viel wichtiger als die Ökonomisierung - gilt für
Patient und Arzt.
(Vereinzelt Beifall)
Wir müssen uns bemühen - das hat Fritz Kolkmann bereits
gesagt -, primäre ärztliche Tugenden wieder zu entdecken
in einem relativen Chaos aus Gesundheitsökonomie und einem
wissenschaftlichen bzw. pseudowissenschaftlichen Wirrwarr. Es ist
schwieriger geworden, herauszufinden, worin die optimale Medizin
besteht. Die drei Grundfragen lauten: Was braucht der Patient? Behandeln
wir den Patienten und seine Krankheiten oder die Laborwerte? Was
kann ich gut, wo bin ich gut, wo kann ich noch besser werden als
Arzt? Mit Verlaub: Derjenige Arzt, der nicht auf der Höhe der
Zeit ist, aber mit seiner klinischen Nase sehr schnell die relevanten
Symptome als solche erkennt und diesen nachgeht, betreibt nicht
selten die bessere Therapie als derjenige, der gerade vom neuesten
Fachkongress zurückkehrt.
(Beifall)
Wir müssen die Wissenschaftlichkeit in der Medizin natürlich
auch auf eine Alltagswissenschaft umstellen. Ich träume von
einem Zustand, in dem wir Ärztinnen und Ärzte in Deutschland
eines Tages auf Knopfdruck mit unseren Daten und unseren Erfahrungen
aus der Behandlung großen Studien aus anderen Ländern
entgegnen können. Wenn jemand kommt und sagt, in Arkansas gibt
es bei dieser und jener Krankheit diese und jene Therapie mit einem
bestimmten Erfolg, und wir schauen in Praxis und Krankenhaus in
unsere Computer und können definieren, dass wir mit einer anderen
Therapie sehr viel besser sind, dann haben wir die eigentliche Weisheit
und Wahrheit dort gefunden, wo sie zu finden ist, nämlich im
Alltag.
Wir müssen die Wissenschaft studieren und die Kunst praktizieren.
Dann gehen die Ökonomen auch gerne wieder fort.
Vielen Dank.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Schönen Dank, Herr Jonitz, auch für das schöne Bild.
- Als nächster Redner bitte Herr Kossow.
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