Edelgard Bulmahn, Referentin:
Sehr geehrter Herr Professor Hoppe! Sehr geehrte Frau Dr. Bühren!
Sehr geehrte Frau Professor Henne-Bruns! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Ich freue mich sehr und finde auch, es war höchste
Zeit, dass sich der Deutsche Ärztetag zum ersten Mal in seiner
Geschichte die Zeit nimmt, die Situation von Ärztinnen in einem
eigenen Tagesordnungspunkt zu diskutieren.
(Beifall)
Das von Frau Dr. Bühren vorgetragene Zitat zeigt deutlich:
Menschen sind lernfähig, wir ziehen die Konsequenzen. Wenn
ich das Zitat aus dem Jahre 1898 mit der heutigen Situation vergleiche,
muss ich feststellen, dass es doch einen deutlichen Sinneswandel,
einen deutlichen Wechsel der Sichtweise gegeben hat. Das ist auch
notwendig, denn wir stehen heute in Deutschland vor einer paradoxen
Situation: Einerseits gibt es bei uns mehr gut ausgebildete Frauen,
sehr gut qualifizierte Frauen als je zuvor. Noch nie wollten so
viele gut ausgebildete und qualifizierte Frauen arbeiten und auch
Karriere machen. Andererseits sind Frauen, denen es tatsächlich
gelingt, die oberen Stufen der Karriereleiter zu erklimmen, in unserem
Land noch immer eine Seltenheit. Egal ob in Wirtschaft oder Wissenschaft
- überall bietet sich das gleiche Bild: Nur 6 Prozent aller
Topmanager bei uns sind Frauen. Bei den Lebenszeitprofessoren sind
es gerade einmal 10 Prozent und bei den Chefs von Forschungseinrichtungen
5 Prozent.
Obwohl Frauen häufig sogar besser qualifiziert sind als Männer,
haben sie bei der Besetzung von interessanten Stellen die schlechteren
Karten. Und manchmal müssen sie sogar feststellen, dass mit
gezinkten Karten gespielt wird.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, diesen Zustand können
wir uns in unserem Land nicht länger leisten! Gleiche Chancen
für Männer und Frauen sind heute nicht mehr allein ein
Gebot der sozialen Gerechtigkeit, sie sind auch eine Grundvoraussetzung
für unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit.
Die aktuelle Diskussion über den Fachkräftemangel in
Deutschland und die Notwendigkeit einer arbeitsmarktorientierten
Zuwanderung hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, dass es
schlicht dumm wäre, wenn wir nicht auch auf die Fähigkeiten
und Kompetenzen der Frauen in unserem Land setzen würden.
(Beifall)
Deshalb müssen Frauen endlich den Anteil an guten Arbeitsstellen,
an Karriereposten und an Spitzenjobs bekommen, der ihnen aufgrund
ihrer Qualifikation, ihrer Fähigkeiten, ihres Könnens
zusteht.
(Beifall)
Es zeichnet sich darüber hinaus in unserer Gesellschaft -
auch das wird immer noch viel zu wenig zur Kenntnis genommen - ein
tiefgreifender demographischer Wandel ab. Unsere Gesellschaft wird
im Durchschnitt immer älter. Schon seit Jahren werden bei uns
immer weniger Kinder geboren. Gleichzeitig scheiden immer mehr Menschen
aus dem aktiven Erwerbsleben aus.
Für Frauen ist dieser demographische Wandel eine doppelte
Herausforderung. Zum einen sind sie zunehmend als Arbeitskräfte,
als Fachkräfte gefragt. Der aktuelle Mangel an Fachkräften
ist nur ein Vorgeschmack auf das, was in zehn oder zwölf Jahren
auf uns zukommt. Zum anderen sind nach wie vor in erster Linie die
Frauen diejenigen, die den Spagat zwischen Kindern und Karriere
bewältigen müssen.
Ein wichtiger Schlüssel zur Gleichstellung der Geschlechter
ist deshalb die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Bundesregierung
hat hier mit Verbesserungen bei der Elternzeit und der Durchsetzung
des Rechts auf Teilzeitarbeit, mit der Erhöhung des Kindergelds,
mit der stärkeren Anerkennung von Erziehungsleistungen, mit
dem Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst
und mit den Vereinbarungen mit der Privatwirtschaft über mehr
Chancengleichheit von Männern und Frauen wichtige Weichen gestellt.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für die bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf ist eine gute, flexible und bedarfsgerechte
Kinderbetreuung. Ein Blick über die Grenze nach Frankreich
zeigt - dasselbe gilt für die Niederlande, für Italien
und die skandinavischen Länder -, dass sich dort für die
meisten Frauen die Frage "Beruf oder Kinder?" überhaupt
nicht stellt. Es ist dort ganz selbstverständlich, dass Mütter
arbeiten gehen. Einige Zahlen reichen aus, um zu erhellen, warum
das so ist. In Frankreich wird ein Drittel aller Zweijährigen
ganztags in einer Krippe betreut und von der Einschulung an sind
Ganztagsschulen für alle Kinder der Normalfall.
Bei uns gibt es dagegen gerade einmal für 5 Prozent aller
Kindergartenkinder und für 13 Prozent aller Grundschüler
einen Ganztagsplatz. Die Nachfrage ist weitaus größer
als das Angebot.
Ich hoffe, dass hier die Initiative der Bundesregierung zum Aufbau
von Ganztagsschulen eine deutliche Verbesserung bringen wird. Hier
brauchen wir endlich einen Durchbruch. Wir werden in den nächsten
vier Jahren insgesamt 4 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um damit
10 000 neue Ganztagsschulen zu schaffen. Damit kann dann endlich
bundesweit an jeder vierten Schule Ganztagsunterricht angeboten
werden. Hier erfolgt eine deutliche Weichenstellung, damit die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf nicht immer nur theoretisch heraufbeschworen,
sondern auch praktisch realisiert wird.
(Beifall)
Gleichzeitig ziehen wir damit die Konsequenz aus dem schlechten
Abschneiden Deutschlands bei der PISA-Studie. Wir schaffen mit unserem
Angebot die notwendige Voraussetzung dafür, eine bessere Schule
zu bekommen, mit einer anderen Schulkultur, mit pädagogischen
Konzepten, die es den Kindern auch in Deutschland ermöglichen,
deutlich bessere Leistungen zu erzielen, so wie das mit Erfolg in
den skandinavischen Ländern erreicht wurde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Staat kann nicht alles
leisten. Dabei denke ich nicht nur an das Geld.
Alle Maßnahmen, die wir zur besseren Vereinbarkeit von Familie
und Beruf ergreifen, werden erst dann ein Erfolg sein, wenn sie
auch dort verwirklicht werden, wo Mütter und Väter den
ganzen Tag über arbeiten: in den Unternehmen, in den Krankenhäusern,
an den Hochschulen und an den Forschungseinrichtungen und in den
Verwaltungen.
Wenn Eltern heute ihre Arbeitszeit verkürzen wollen, um mehr
Zeit für die Erziehung ihrer Kinder zu haben, werden sie nicht
nur von manchen Kollegen "schief angesehen", sondern sie
riskieren damit häufig auch das Ende ihrer beruflichen Karriere.
Hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss sich in unserem
Land endlich etwas ändern!
Ich weiß, dass die Frage der Arbeitszeit gerade für
Ärztinnen und Ärzte ein "heißes Eisen"
ist. Arbeitszeiten, die oft weit über einen Achtstundentag
hinausgehen, Nacht- und Bereitschaftsdienste sind eine gewaltige
Belastung. Wer zusätzlich noch Kinder erzieht, leistet in meinen
Augen damit fast Übermenschliches. In kaum einem anderen Bereich
stellt sich die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit
solcher Schärfe wie im Gesundheitswesen.
Dass die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen nicht nur Väter
und Mütter fast überfordern, zeigt sich im Übrigen
auch daran, dass immer mehr Mediziner in die Forschung gehen. Einige
Zeitungen sprechen sogar von einer "Flucht in die Forschung".
Das sehe ich so nicht. Als Forschungsministerin freut es mich natürlich
durchaus, wenn sich mehr Menschen für die Forschung entscheiden,
denn wir brauchen natürlich auch in der Forschung qualifizierten
Nachwuchs. Aber es darf nicht so sein, dass die Forschung der Ausweg
ist, weil man in anderen Bereichen des Gesundheitswesens genau diese
Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht erreichen kann.
Die Leitungen und Verwaltungen von Krankenhäusern sind deshalb
besonders gefordert, neue Arbeitszeitmodelle und Kinderbetreuungsangebote
zu verwirklichen. Wenn das nicht gelingt, werden sich immer mehr
Ärztinnen und Ärzte mit Kindern aus den Krankenhäusern
verabschieden und in die Wirtschaft oder auch in die Forschung gehen,
wo dieses besser gelingt. Das hat allerdings erhebliche nachteilige
Wirkungen für die Krankenbetreuung.
Meine Damen und Herren, ich sage ganz klar: Es ist eine der wichtigsten
Aufgaben der Leitungen und Verwaltungen von Krankenhäusern
und sonstigen Einrichtungen der Krankenbetreuung, genau dieses zu
leisten, Arbeitszeitmodelle und Kinderbetreuungsangebote zu entwickeln
und zu realisieren, wie dies inzwischen auch in den Forschungseinrichtungen
geschieht, wo im Übrigen die Anforderungen hinsichtlich der
Arbeitszeit durchaus vergleichbar sind, weil man auch in der Forschung
nicht nach sechs oder acht Stunden einfach seinen Arbeitsplatz verlassen
kann. Hier haben wir es geschafft. Ich sage ganz klar: Was dort
möglich ist, ist auch in anderen Einrichtungen möglich.
Entscheidend sind der Wille und die Bereitschaft, dieses zu tun.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein wichtiger Beitrag
zur Gleichstellung von Frauen und Männern, aber nicht der einzige.
Gerade wenn es um die Besetzung von Spitzenpositionen geht, müssen
Frauen in Unternehmen, Verwaltungen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen
noch viele andere Hürden überwinden.
Die Medizin und das Gesundheitswesen machen da leider keine rühmliche
Ausnahme. Weite Teile des Gesundheitswesens werden heute von Frauen
getragen. Mehr als die Hälfte, nämlich 51 Prozent aller
Absolventen eines Medizinstudiums sind Frauen. Frauen stellen 40
Prozent aller praktizierenden Ärzte und rund 30 Prozent aller
Dozenten und Assistenten in den Medizinischen Fakultäten. Trotzdem
gelingt es Frauen nach wie vor nicht, ihre hohen Qualifikationen
in entsprechende Karrieren umzusetzen. Bei den Medizinprofessuren
sind bis heute nur 4 Prozent der C-4-Stellen und 8 Prozent der C-3-Stellen
mit Frauen besetzt. Bei den Chefarztstellen sind es sogar nur 5
Prozent.
Das gleiche Bild haben wir im Übrigen in der ärztlichen
Selbstverwaltung. Im Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen,
wo die entscheidenden Weichen der kassenärztlichen Versorgung
in Deutschland gestellt werden, ist - man glaubt es nicht, es ist
aber so - keine einzige Frau vertreten - und das, obwohl heute rund
ein Drittel aller Kassenärzte Frauen sind.
Warum gelingt es Frauen nicht, die oberen Stufen der Karriereleiter
mit dem gleichen Schwung zu erklimmen wie die unteren, wo wir ja
deutliche Fortschritte erreicht haben?
In der Wissenschaft - und nur für die will ich hier sprechen
- ist eine Antwort auf diese Frage sicher, die wir aus empirischen
Analysen, aus wissenschaftlichen Untersuchungen kennen: Solange
Frauen in wissenschaftlichen Spitzenposten nur eine kleine Minderheit
sind, bleiben auch die Auswahl- und Entscheidungsgremien fest in
männlicher Hand - und leider, das zeigen die Untersuchungen
ebenfalls, fördern Männer bevorzugt Männer.
Untersuchungen in Schweden, in den Niederlanden und in Italien
belegen, dass Auswahl- und Berufungsverfahren in der Wissenschaft
längst nicht so objektiv sind, wie wir oft glauben, wie es
auch notwendig wäre, sondern dass sie Frauen diskriminieren.
Ich habe deshalb gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in
der Bund-Länder-Kommission beschlossen, auch bei uns die Auswahl-
und Berufungsverfahren einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen,
weil die wissenschaftliche Analyse - darauf vertraue ich immer noch
- eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Männer ihr
Verhalten selbstkritisch unter die Lupe nehmen und dann hoffentlich
auch ändern.
Wenn wir der Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb
wirksam begegnen wollen, dann müssen wir genau darauf achten,
an welchen Punkten die Karrierewege von Frauen knicken. Genau an
diesen Punkten müssen wir dann ansetzen.
Programme und Projekte zur Förderung von Frauen sind dabei
wichtige Schritte. Sie reichen aber bei weitem nicht aus. Ich sage
häufig, dass es auch Projekte zur Förderung eines Bewusstseinswandels
bei Männern geben müsste. Das ist leider nicht scherzhaft
gemeint. Ich denke, dass Gleichstellungspolitik nicht nur als eine
Angelegenheit von Frauen betrachtet werden sollte, sondern als etwas,
was Frauen und Männer gleichermaßen angeht.
(Beifall)
Wenn wir es ernst meinen, brauchen wir eine moderne Gleichstellungspolitik
und Strukturveränderungen in der Wissenschaft ebenso wie im
Gesundheitswesen. Wir müssen überprüfen, ob alle
Maßnahmen, alle Initiativen, die wir ergreifen, diesem Ziel
dienen, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu verwirklichen.
Deshalb habe ich im Übrigen in meinem Ministerium die Gleichstellung
von Frauen und Männern als Querschnittsaufgabe definiert. Das
heißt, diese Fragestellung darf nicht nur bei Maßnahmen,
die der Frauenförderung dienen, beachtet werden, sondern muss
bei allen Forschungsprogrammen, in allen Programmen zur Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses, der Studierenden und der Studienbedingungen
beachtet werden.
Laut Hochschulrahmengesetz gehört die Verwirklichung der Gleichstellung
von Frauen und Männern bereits seit 1998 explizit zu den Aufgaben
der Hochschulen und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen.
Fortschritte bei der Gleichstellung sind heute nach dem Hochschulrahmengesetz
ein wichtiges Kriterium bei der Qualitäts- und Leistungsbewertung
der Hochschulen und damit auch bei der Mittelzuweisung. Ich füge
einschränkend hinzu: theoretisch. Beispielsweise bei der internen
Hochschulmittelzuweisung sind wir bei weitem noch nicht so weit,
dass dieses tatsächlich ein gleichgewichtiges Kriterium ist,
wie es im Hochschulrahmengesetz festgeschrieben wurde. Danach muss
es ein gleichgewichtiges Kriterium sein neben der Qualität
von Lehre und Forschung, neben der Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses.
In den außeruniversitären Forschungseinrichtungen bin
ich in den vergangenen Jahren so vorgegangen, dass wir bei der Umstellung
auf eine programmorientierte Förderung die Gleichstellung von
Frauen und Männern, vor allen Dingen die Erfolge, die wir dabei
erzielen, als wichtigen Leistungsparameter bei der Mittelvergabe
berücksichtigen. Wir sind aber auch so vorgegangen, dass wir
zum Beispiel die rechtlichen Bedingungen so verändert haben,
dass die Forschungseinrichtungen Spielräume haben, um aus ihrem
Etat beispielsweise auch die Kinderbetreuung individuell zu organisieren
und anzubieten oder Frauenfördermaßnahmen durchzuführen.
Der Stellenpegel hängt beispielsweise bei der Helmholtz-Gemeinschaft
davon ab, ob es gelingt, diese Ziele zu erreichen. Wenn wir das
Ziel haben, dies zu erreichen, gibt es also auch Wege, um spürbare
Fortschritte zu erzielen.
Die Chancen für einen Wandel sind insgesamt gesehen gut. In
den nächsten zehn Jahren wird fast die Hälfte der Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler an unseren Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen das Ruhestandsalter erreichen. Diesen Generationenwechsel
müssen wir nutzen, um die notwendigen strukturellen Veränderungen
durchzusetzen und gleichzeitig den Anteil von Frauen in Spitzenpositionen
in Wissenschaft und Forschung deutlich zu erhöhen.
Die Reform des Dienstrechts an unseren Hochschulen ist dabei ein
wichtiges, ein entscheidendes Instrument. Mit dieser Reform erhalten
junge, hoch qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
mit der Einführung von Juniorprofessuren bereits mit Anfang
30 - und nicht erst mit durchschnittlich über 40 Jahren - die
Möglichkeit, unabhängig und eigenständig zu forschen
und zu lehren.
Mit transparenteren Berufungsverfahren, bei denen nicht mehr die
"abgebende", sondern die "aufnehmende" Hochschule
über die Eignung von Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren
für eine Lebenszeitprofessur entscheidet, orientieren wir uns
nicht nur an internationalen Gepflogenheiten, sondern wir brechen
damit auch verkrustete Strukturen auf und setzen informelle Mechanismen
der Personalgewinnung außer Kraft, die Frauen in der Vergangenheit
oft benachteiligt haben.
Die bisherigen Daten, die mir vorliegen, bestätigen genau
dies: Der Anteil der Frauen bei der Berufung auf Juniorprofessurenstellen
liegt deutlich höher als bei den Berufungen auf Professurenstellen
bisher.
Junge Frauen profitieren doppelt von dieser Veränderung der
Struktur an den Hochschulen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es
uns mit dieser Änderung auch gelingt, jungen Wissenschaftlerinnen
bessere Karrierechancen zu eröffnen. Diese Entwicklung, jetzt
deutlich mehr Juniorprofessorinnen zu haben und berufen zu können,
geht genau in die richtige Richtung. Das ist der Grundstock, um
auch den Anteil von Frauen an den Lebenszeitprofessuren deutlich
zu erhöhen. Mein Ziel ist eine Verdoppelung von heute 10 Prozent
auf - so haben wir es 1999 definiert - 20 Prozent im Jahre 2005.
Das ist ein anspruchsvolles Ziel, aber wenn man sich keine anspruchsvollen
Ziele setzt und von vornherein kleinmütig ist, hat man auch
nicht den Anreiz, alles dafür zu tun, dass es gelingt.
(Beifall)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht aber nicht nur um
Zahlen und Prozente. Man muss sich einmal vorstellen, dass bei uns
im letzten Jahr zum ersten Mal eine Frau auf eine C-4-Professur
für Chirurgie berufen worden ist.
(Beifall)
Ich sage ganz offen: Ich habe nicht geglaubt, dass es so lange
dauert. Und die erste C-4-Professorin für Gynäkologie
ist gerade einmal vor zwei Jahren berufen worden. Auch hier sage
ich ganz offen, dass ich nicht geglaubt habe, dass es so lange dauert.
Bis dahin war die Frauenheilkunde sozusagen fest in Männerhand.
Die Stärkung der beruflichen Position von Frauen ist eine
wichtige Voraussetzung, damit frauenspezifische Aspekte in Forschung
und Lehre ebenso wie in der medizinischen Versorgung besser berücksichtigt
werden als bisher. Wie dringend nötig das ist, zeigt der Frauengesundheitsbericht
- der erste Frauengesundheitsbericht überhaupt -, den die Bundesregierung
vor einem Jahr veröffentlicht hat. Dieser Bericht zeigt ganz
klar, dass wir noch viel zu wenig über die gesundheitliche
Situation von Frauen in Deutschland wissen.
Frauen und Männer unterscheiden sich in ihren Krankheiten,
in den Krankheitsursachen und den Krankheitsverläufen. Wenn
ich zum Beispiel lese, dass Frauen, die einen Herzinfarkt erleiden,
daran viel häufiger sterben als Männer, dann ist das für
mich schon ein deutliches Warnsignal, dass hier nicht alles in Ordnung
ist.
Moderne Medizin braucht eine solide Erkenntnisbasis. Deshalb ist
es notwendig, dass wir auch geschlechtsspezifische Risiken sorgfältiger
analysieren, dass sie berücksichtigt werden bei der Diagnose,
aber auch bei der Therapie berücksichtigt werden, dass Schutzfaktoren
und Belastungskonstellationen gekannt werden, dass sie bei Diagnose,
Therapie und Prävention von Krankheiten berücksichtigt
werden, und zwar in ausreichendem Maße, unabhängig davon,
ob Diagnose, Therapie und Prävention durch einen Mann oder
durch eine Frau erfolgen. Beide müssen diese Kenntnisse besitzen.
Ich habe deshalb die Frauengesundheitsforschung bei uns gestärkt
und dafür gesorgt, dass das Gender-Mainstreaming-Prinzip ebenso
wie in allen anderen Forschungsprogrammen auch in dem neuen Gesundheitsforschungsprogramm
der Bundesregierung verankert ist, damit wir genau diese Erkenntnisse
besitzen und damit diese in Diagnose, Therapie und Prävention
einfließen.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, wir haben bei der Gleichstellung
von Frauen und Männern in den letzten Jahren spürbar etwas
erreicht. Aber am Ziel sind wir noch lange nicht. Ich habe Ihnen
einige Punkte genannt, die aus meiner Sicht nötig sind, damit
Eltern bei uns Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren
können, damit Hürden auf dem Karriereweg von Frauen abgebaut
werden und damit die Belange von Frauen in der Gesundheitsversorgung
besser berücksichtigt werden.
Entscheidend für den Erfolg unserer Maßnahmen ist aber,
dass die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht nur auf
dem Papier steht, in Gesetzestexten oder in Programmen, sondern
dass Männer und Frauen mit Überzeugung und Konsequenz
sich dafür einsetzen: in ihrer eigenen Familie, in ihrer eigenen
Partnerschaft, vor allem an ihrem Arbeitsplatz, damit das, worauf
sie sich verpflichtet haben, das in Gesetzen, Verwaltungsvorschriften
und Beschlüssen - ich hoffe, heute wird es hier solche auch
noch geben - niedergelegt ist, mit Herz und Geist verwirklicht wird.
Ich wünsche mir, dass die heutige Diskussion vor allen Dingen
dazu führt, dass viele Männer und Frauen diesen Ärztetag
mit dem Willen und mit der Überzeugung verlassen, dass es hier
um eine wichtige Aufgabe in ihrem alltäglichen Handeln geht,
um eine Aufgabe, die sie selber übernehmen müssen, die
sie nicht an andere delegieren können. Jeder und jede steht
in der Verantwortung, hier seinen bzw. ihren Beitrag zu leisten,
um das Ziel zu erreichen.
Liebe Frau Professor Henne-Bruns, liebe Frau Dr. Bühren, nun
bin ich gespannt, zu hören, welche ganz konkreten Erfahrungen
Sie im Universitätsklinikum Ulm gemacht haben und welche Schritte
in der Bundesärztekammer zur Gleichstellung von Frauen und
Männern unternommen werden. Ich bin davon überzeugt, dass
Sie gute Ideen haben. Ich hoffe, dass das, was ich eben ausgeführt
habe, dass viele Männer und Frauen diesen Ärztetag mit
einem guten Beschluss in der Aktentasche, aber vor allen Dingen
mit der Überzeugung und dem Willen, zur Realisierung beizutragen,
Realität wird - mehr als 100 Jahre nach dem 26. Deutschen Ärztetag.
Wir sollten nicht noch einmal so lange warten müssen, bis es
eine deutlich größere Zahl von Frauen in zukünftig
W-3-Professuren, als Chefärztinnen oder Leiterinnen einer großen
Forschungsabteilung gibt. Wenn es uns gelänge, diesen Zeitraum
auf ein Fünftel zu verringern, wäre ich froh, als ältere
oder auch alte Frau sagen zu können: Es hat sich doch gelohnt!
Vielen Dank.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Frau Ministerin Bulmahn, für Ihr einführendes
Referat, das uns das gesellschaftspolitische und politische Umfeld
zu diesem Thema dargelegt hat. Jetzt hole ich mir auch einmal ein
Lob ab: In unserem Krankenhaus ist seit acht Jahren die Chefposition
in der Chirurgie mit einer Frau besetzt. Ich habe kräftig dafür
gesorgt, dass es eine Kollegin wurde. Sie ist seit acht Jahren die
Chefin der Viszeralchirurgie. Es handelt sich hier zwar nicht um
eine Universität, aber immerhin doch um ein großes akademisches
Lehrkrankenhaus.
Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die Tatsache, dass Frauen
in gewissen Situationen und in gewissen Lebensaltern bei einem Herzinfarkt
schlechtere Chancen zum Überleben haben als Männer, hat
pathophysiologische Ursachen und liegt nicht daran, dass sie etwa
schlechter behandelt werden.
(Beifall)
Ich sage das auch deshalb, damit die Presse nicht auf die Idee
kommt, es falsch zu interpretieren. Ich bin gern bereit, in der
Diskussion weiter darauf einzugehen. Das können vielleicht
auch andere tun, die noch mehr davon verstehen als ich.
Ich begrüße jetzt sehr herzlich Frau Christine Lucyga,
Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, die heute bei
uns ist. Herzlich willkommen, Frau Abgeordnete Lucyga!
(Beifall)
Die nächste Referentin ist Frau Professor Dr. Henne-Bruns
aus Ulm, Ordinaria für Viszeral- und Transplantationschirurgie
am Universitätsklinikum Ulm. Bitte schön, Frau Professor
Henne-Bruns.
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