TOP III : Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin

3. Tag: Donnerstag, 30. Mai 2002 Vormittagssitzung

Edelgard Bulmahn, Referentin:

Sehr geehrter Herr Professor Hoppe! Sehr geehrte Frau Dr. Bühren! Sehr geehrte Frau Professor Henne-Bruns! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr und finde auch, es war höchste Zeit, dass sich der Deutsche Ärztetag zum ersten Mal in seiner Geschichte die Zeit nimmt, die Situation von Ärztinnen in einem eigenen Tagesordnungspunkt zu diskutieren.

(Beifall)

Das von Frau Dr. Bühren vorgetragene Zitat zeigt deutlich: Menschen sind lernfähig, wir ziehen die Konsequenzen. Wenn ich das Zitat aus dem Jahre 1898 mit der heutigen Situation vergleiche, muss ich feststellen, dass es doch einen deutlichen Sinneswandel, einen deutlichen Wechsel der Sichtweise gegeben hat. Das ist auch notwendig, denn wir stehen heute in Deutschland vor einer paradoxen Situation: Einerseits gibt es bei uns mehr gut ausgebildete Frauen, sehr gut qualifizierte Frauen als je zuvor. Noch nie wollten so viele gut ausgebildete und qualifizierte Frauen arbeiten und auch Karriere machen. Andererseits sind Frauen, denen es tatsächlich gelingt, die oberen Stufen der Karriereleiter zu erklimmen, in unserem Land noch immer eine Seltenheit. Egal ob in Wirtschaft oder Wissenschaft - überall bietet sich das gleiche Bild: Nur 6 Prozent aller Topmanager bei uns sind Frauen. Bei den Lebenszeitprofessoren sind es gerade einmal 10 Prozent und bei den Chefs von Forschungseinrichtungen 5 Prozent.
Obwohl Frauen häufig sogar besser qualifiziert sind als Männer, haben sie bei der Besetzung von interessanten Stellen die schlechteren Karten. Und manchmal müssen sie sogar feststellen, dass mit gezinkten Karten gespielt wird.

Meine sehr geehrten Herren und Damen, diesen Zustand können wir uns in unserem Land nicht länger leisten! Gleiche Chancen für Männer und Frauen sind heute nicht mehr allein ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, sie sind auch eine Grundvoraussetzung für unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit.

Die aktuelle Diskussion über den Fachkräftemangel in Deutschland und die Notwendigkeit einer arbeitsmarktorientierten Zuwanderung hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, dass es schlicht dumm wäre, wenn wir nicht auch auf die Fähigkeiten und Kompetenzen der Frauen in unserem Land setzen würden.

(Beifall)

Deshalb müssen Frauen endlich den Anteil an guten Arbeitsstellen, an Karriereposten und an Spitzenjobs bekommen, der ihnen aufgrund ihrer Qualifikation, ihrer Fähigkeiten, ihres Könnens zusteht.

(Beifall)

Es zeichnet sich darüber hinaus in unserer Gesellschaft - auch das wird immer noch viel zu wenig zur Kenntnis genommen - ein tiefgreifender demographischer Wandel ab. Unsere Gesellschaft wird im Durchschnitt immer älter. Schon seit Jahren werden bei uns immer weniger Kinder geboren. Gleichzeitig scheiden immer mehr Menschen aus dem aktiven Erwerbsleben aus.

Für Frauen ist dieser demographische Wandel eine doppelte Herausforderung. Zum einen sind sie zunehmend als Arbeitskräfte, als Fachkräfte gefragt. Der aktuelle Mangel an Fachkräften ist nur ein Vorgeschmack auf das, was in zehn oder zwölf Jahren auf uns zukommt. Zum anderen sind nach wie vor in erster Linie die Frauen diejenigen, die den Spagat zwischen Kindern und Karriere bewältigen müssen.

Ein wichtiger Schlüssel zur Gleichstellung der Geschlechter ist deshalb die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Bundesregierung hat hier mit Verbesserungen bei der Elternzeit und der Durchsetzung des Rechts auf Teilzeitarbeit, mit der Erhöhung des Kindergelds, mit der stärkeren Anerkennung von Erziehungsleistungen, mit dem Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst und mit den Vereinbarungen mit der Privatwirtschaft über mehr Chancengleichheit von Männern und Frauen wichtige Weichen gestellt.

Eine weitere wichtige Voraussetzung für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine gute, flexible und bedarfsgerechte Kinderbetreuung. Ein Blick über die Grenze nach Frankreich zeigt - dasselbe gilt für die Niederlande, für Italien und die skandinavischen Länder -, dass sich dort für die meisten Frauen die Frage "Beruf oder Kinder?" überhaupt nicht stellt. Es ist dort ganz selbstverständlich, dass Mütter arbeiten gehen. Einige Zahlen reichen aus, um zu erhellen, warum das so ist. In Frankreich wird ein Drittel aller Zweijährigen ganztags in einer Krippe betreut und von der Einschulung an sind Ganztagsschulen für alle Kinder der Normalfall.

Bei uns gibt es dagegen gerade einmal für 5 Prozent aller Kindergartenkinder und für 13 Prozent aller Grundschüler einen Ganztagsplatz. Die Nachfrage ist weitaus größer als das Angebot.
Ich hoffe, dass hier die Initiative der Bundesregierung zum Aufbau von Ganztagsschulen eine deutliche Verbesserung bringen wird. Hier brauchen wir endlich einen Durchbruch. Wir werden in den nächsten vier Jahren insgesamt 4 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um damit 10 000 neue Ganztagsschulen zu schaffen. Damit kann dann endlich bundesweit an jeder vierten Schule Ganztagsunterricht angeboten werden. Hier erfolgt eine deutliche Weichenstellung, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht immer nur theoretisch heraufbeschworen, sondern auch praktisch realisiert wird.

(Beifall)

Gleichzeitig ziehen wir damit die Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden Deutschlands bei der PISA-Studie. Wir schaffen mit unserem Angebot die notwendige Voraussetzung dafür, eine bessere Schule zu bekommen, mit einer anderen Schulkultur, mit pädagogischen Konzepten, die es den Kindern auch in Deutschland ermöglichen, deutlich bessere Leistungen zu erzielen, so wie das mit Erfolg in den skandinavischen Ländern erreicht wurde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Staat kann nicht alles leisten. Dabei denke ich nicht nur an das Geld.

Alle Maßnahmen, die wir zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergreifen, werden erst dann ein Erfolg sein, wenn sie auch dort verwirklicht werden, wo Mütter und Väter den ganzen Tag über arbeiten: in den Unternehmen, in den Krankenhäusern, an den Hochschulen und an den Forschungseinrichtungen und in den Verwaltungen.

Wenn Eltern heute ihre Arbeitszeit verkürzen wollen, um mehr Zeit für die Erziehung ihrer Kinder zu haben, werden sie nicht nur von manchen Kollegen "schief angesehen", sondern sie riskieren damit häufig auch das Ende ihrer beruflichen Karriere. Hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss sich in unserem Land endlich etwas ändern!

Ich weiß, dass die Frage der Arbeitszeit gerade für Ärztinnen und Ärzte ein "heißes Eisen" ist. Arbeitszeiten, die oft weit über einen Achtstundentag hinausgehen, Nacht- und Bereitschaftsdienste sind eine gewaltige Belastung. Wer zusätzlich noch Kinder erzieht, leistet in meinen Augen damit fast Übermenschliches. In kaum einem anderen Bereich stellt sich die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit solcher Schärfe wie im Gesundheitswesen.
Dass die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen nicht nur Väter und Mütter fast überfordern, zeigt sich im Übrigen auch daran, dass immer mehr Mediziner in die Forschung gehen. Einige Zeitungen sprechen sogar von einer "Flucht in die Forschung". Das sehe ich so nicht. Als Forschungsministerin freut es mich natürlich durchaus, wenn sich mehr Menschen für die Forschung entscheiden, denn wir brauchen natürlich auch in der Forschung qualifizierten Nachwuchs. Aber es darf nicht so sein, dass die Forschung der Ausweg ist, weil man in anderen Bereichen des Gesundheitswesens genau diese Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht erreichen kann.

Die Leitungen und Verwaltungen von Krankenhäusern sind deshalb besonders gefordert, neue Arbeitszeitmodelle und Kinderbetreuungsangebote zu verwirklichen. Wenn das nicht gelingt, werden sich immer mehr Ärztinnen und Ärzte mit Kindern aus den Krankenhäusern verabschieden und in die Wirtschaft oder auch in die Forschung gehen, wo dieses besser gelingt. Das hat allerdings erhebliche nachteilige Wirkungen für die Krankenbetreuung.

Meine Damen und Herren, ich sage ganz klar: Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Leitungen und Verwaltungen von Krankenhäusern und sonstigen Einrichtungen der Krankenbetreuung, genau dieses zu leisten, Arbeitszeitmodelle und Kinderbetreuungsangebote zu entwickeln und zu realisieren, wie dies inzwischen auch in den Forschungseinrichtungen geschieht, wo im Übrigen die Anforderungen hinsichtlich der Arbeitszeit durchaus vergleichbar sind, weil man auch in der Forschung nicht nach sechs oder acht Stunden einfach seinen Arbeitsplatz verlassen kann. Hier haben wir es geschafft. Ich sage ganz klar: Was dort möglich ist, ist auch in anderen Einrichtungen möglich. Entscheidend sind der Wille und die Bereitschaft, dieses zu tun.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein wichtiger Beitrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern, aber nicht der einzige. Gerade wenn es um die Besetzung von Spitzenpositionen geht, müssen Frauen in Unternehmen, Verwaltungen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen noch viele andere Hürden überwinden.

Die Medizin und das Gesundheitswesen machen da leider keine rühmliche Ausnahme. Weite Teile des Gesundheitswesens werden heute von Frauen getragen. Mehr als die Hälfte, nämlich 51 Prozent aller Absolventen eines Medizinstudiums sind Frauen. Frauen stellen 40 Prozent aller praktizierenden Ärzte und rund 30 Prozent aller Dozenten und Assistenten in den Medizinischen Fakultäten. Trotzdem gelingt es Frauen nach wie vor nicht, ihre hohen Qualifikationen in entsprechende Karrieren umzusetzen. Bei den Medizinprofessuren sind bis heute nur 4 Prozent der C-4-Stellen und 8 Prozent der C-3-Stellen mit Frauen besetzt. Bei den Chefarztstellen sind es sogar nur 5 Prozent.

Das gleiche Bild haben wir im Übrigen in der ärztlichen Selbstverwaltung. Im Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen, wo die entscheidenden Weichen der kassenärztlichen Versorgung in Deutschland gestellt werden, ist - man glaubt es nicht, es ist aber so - keine einzige Frau vertreten - und das, obwohl heute rund ein Drittel aller Kassenärzte Frauen sind.
Warum gelingt es Frauen nicht, die oberen Stufen der Karriereleiter mit dem gleichen Schwung zu erklimmen wie die unteren, wo wir ja deutliche Fortschritte erreicht haben?

In der Wissenschaft - und nur für die will ich hier sprechen - ist eine Antwort auf diese Frage sicher, die wir aus empirischen Analysen, aus wissenschaftlichen Untersuchungen kennen: Solange Frauen in wissenschaftlichen Spitzenposten nur eine kleine Minderheit sind, bleiben auch die Auswahl- und Entscheidungsgremien fest in männlicher Hand - und leider, das zeigen die Untersuchungen ebenfalls, fördern Männer bevorzugt Männer.

Untersuchungen in Schweden, in den Niederlanden und in Italien belegen, dass Auswahl- und Berufungsverfahren in der Wissenschaft längst nicht so objektiv sind, wie wir oft glauben, wie es auch notwendig wäre, sondern dass sie Frauen diskriminieren. Ich habe deshalb gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Bund-Länder-Kommission beschlossen, auch bei uns die Auswahl- und Berufungsverfahren einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen, weil die wissenschaftliche Analyse - darauf vertraue ich immer noch - eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Männer ihr Verhalten selbstkritisch unter die Lupe nehmen und dann hoffentlich auch ändern.

Wenn wir der Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb wirksam begegnen wollen, dann müssen wir genau darauf achten, an welchen Punkten die Karrierewege von Frauen knicken. Genau an diesen Punkten müssen wir dann ansetzen.

Programme und Projekte zur Förderung von Frauen sind dabei wichtige Schritte. Sie reichen aber bei weitem nicht aus. Ich sage häufig, dass es auch Projekte zur Förderung eines Bewusstseinswandels bei Männern geben müsste. Das ist leider nicht scherzhaft gemeint. Ich denke, dass Gleichstellungspolitik nicht nur als eine Angelegenheit von Frauen betrachtet werden sollte, sondern als etwas, was Frauen und Männer gleichermaßen angeht.

(Beifall)

Wenn wir es ernst meinen, brauchen wir eine moderne Gleichstellungspolitik und Strukturveränderungen in der Wissenschaft ebenso wie im Gesundheitswesen. Wir müssen überprüfen, ob alle Maßnahmen, alle Initiativen, die wir ergreifen, diesem Ziel dienen, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu verwirklichen.

Deshalb habe ich im Übrigen in meinem Ministerium die Gleichstellung von Frauen und Männern als Querschnittsaufgabe definiert. Das heißt, diese Fragestellung darf nicht nur bei Maßnahmen, die der Frauenförderung dienen, beachtet werden, sondern muss bei allen Forschungsprogrammen, in allen Programmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der Studierenden und der Studienbedingungen beachtet werden.

Laut Hochschulrahmengesetz gehört die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern bereits seit 1998 explizit zu den Aufgaben der Hochschulen und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen. Fortschritte bei der Gleichstellung sind heute nach dem Hochschulrahmengesetz ein wichtiges Kriterium bei der Qualitäts- und Leistungsbewertung der Hochschulen und damit auch bei der Mittelzuweisung. Ich füge einschränkend hinzu: theoretisch. Beispielsweise bei der internen Hochschulmittelzuweisung sind wir bei weitem noch nicht so weit, dass dieses tatsächlich ein gleichgewichtiges Kriterium ist, wie es im Hochschulrahmengesetz festgeschrieben wurde. Danach muss es ein gleichgewichtiges Kriterium sein neben der Qualität von Lehre und Forschung, neben der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

In den außeruniversitären Forschungseinrichtungen bin ich in den vergangenen Jahren so vorgegangen, dass wir bei der Umstellung auf eine programmorientierte Förderung die Gleichstellung von Frauen und Männern, vor allen Dingen die Erfolge, die wir dabei erzielen, als wichtigen Leistungsparameter bei der Mittelvergabe berücksichtigen. Wir sind aber auch so vorgegangen, dass wir zum Beispiel die rechtlichen Bedingungen so verändert haben, dass die Forschungseinrichtungen Spielräume haben, um aus ihrem Etat beispielsweise auch die Kinderbetreuung individuell zu organisieren und anzubieten oder Frauenfördermaßnahmen durchzuführen. Der Stellenpegel hängt beispielsweise bei der Helmholtz-Gemeinschaft davon ab, ob es gelingt, diese Ziele zu erreichen. Wenn wir das Ziel haben, dies zu erreichen, gibt es also auch Wege, um spürbare Fortschritte zu erzielen.

Die Chancen für einen Wandel sind insgesamt gesehen gut. In den nächsten zehn Jahren wird fast die Hälfte der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unseren Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen das Ruhestandsalter erreichen. Diesen Generationenwechsel müssen wir nutzen, um die notwendigen strukturellen Veränderungen durchzusetzen und gleichzeitig den Anteil von Frauen in Spitzenpositionen in Wissenschaft und Forschung deutlich zu erhöhen.

Die Reform des Dienstrechts an unseren Hochschulen ist dabei ein wichtiges, ein entscheidendes Instrument. Mit dieser Reform erhalten junge, hoch qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Einführung von Juniorprofessuren bereits mit Anfang 30 - und nicht erst mit durchschnittlich über 40 Jahren - die Möglichkeit, unabhängig und eigenständig zu forschen und zu lehren.

Mit transparenteren Berufungsverfahren, bei denen nicht mehr die "abgebende", sondern die "aufnehmende" Hochschule über die Eignung von Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren für eine Lebenszeitprofessur entscheidet, orientieren wir uns nicht nur an internationalen Gepflogenheiten, sondern wir brechen damit auch verkrustete Strukturen auf und setzen informelle Mechanismen der Personalgewinnung außer Kraft, die Frauen in der Vergangenheit oft benachteiligt haben.

Die bisherigen Daten, die mir vorliegen, bestätigen genau dies: Der Anteil der Frauen bei der Berufung auf Juniorprofessurenstellen liegt deutlich höher als bei den Berufungen auf Professurenstellen bisher.

Junge Frauen profitieren doppelt von dieser Veränderung der Struktur an den Hochschulen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns mit dieser Änderung auch gelingt, jungen Wissenschaftlerinnen bessere Karrierechancen zu eröffnen. Diese Entwicklung, jetzt deutlich mehr Juniorprofessorinnen zu haben und berufen zu können, geht genau in die richtige Richtung. Das ist der Grundstock, um auch den Anteil von Frauen an den Lebenszeitprofessuren deutlich zu erhöhen. Mein Ziel ist eine Verdoppelung von heute 10 Prozent auf - so haben wir es 1999 definiert - 20 Prozent im Jahre 2005. Das ist ein anspruchsvolles Ziel, aber wenn man sich keine anspruchsvollen Ziele setzt und von vornherein kleinmütig ist, hat man auch nicht den Anreiz, alles dafür zu tun, dass es gelingt.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht aber nicht nur um Zahlen und Prozente. Man muss sich einmal vorstellen, dass bei uns im letzten Jahr zum ersten Mal eine Frau auf eine C-4-Professur für Chirurgie berufen worden ist.

(Beifall)

Ich sage ganz offen: Ich habe nicht geglaubt, dass es so lange dauert. Und die erste C-4-Professorin für Gynäkologie ist gerade einmal vor zwei Jahren berufen worden. Auch hier sage ich ganz offen, dass ich nicht geglaubt habe, dass es so lange dauert. Bis dahin war die Frauenheilkunde sozusagen fest in Männerhand.

Die Stärkung der beruflichen Position von Frauen ist eine wichtige Voraussetzung, damit frauenspezifische Aspekte in Forschung und Lehre ebenso wie in der medizinischen Versorgung besser berücksichtigt werden als bisher. Wie dringend nötig das ist, zeigt der Frauengesundheitsbericht - der erste Frauengesundheitsbericht überhaupt -, den die Bundesregierung vor einem Jahr veröffentlicht hat. Dieser Bericht zeigt ganz klar, dass wir noch viel zu wenig über die gesundheitliche Situation von Frauen in Deutschland wissen.

Frauen und Männer unterscheiden sich in ihren Krankheiten, in den Krankheitsursachen und den Krankheitsverläufen. Wenn ich zum Beispiel lese, dass Frauen, die einen Herzinfarkt erleiden, daran viel häufiger sterben als Männer, dann ist das für mich schon ein deutliches Warnsignal, dass hier nicht alles in Ordnung ist.

Moderne Medizin braucht eine solide Erkenntnisbasis. Deshalb ist es notwendig, dass wir auch geschlechtsspezifische Risiken sorgfältiger analysieren, dass sie berücksichtigt werden bei der Diagnose, aber auch bei der Therapie berücksichtigt werden, dass Schutzfaktoren und Belastungskonstellationen gekannt werden, dass sie bei Diagnose, Therapie und Prävention von Krankheiten berücksichtigt werden, und zwar in ausreichendem Maße, unabhängig davon, ob Diagnose, Therapie und Prävention durch einen Mann oder durch eine Frau erfolgen. Beide müssen diese Kenntnisse besitzen.

Ich habe deshalb die Frauengesundheitsforschung bei uns gestärkt und dafür gesorgt, dass das Gender-Mainstreaming-Prinzip ebenso wie in allen anderen Forschungsprogrammen auch in dem neuen Gesundheitsforschungsprogramm der Bundesregierung verankert ist, damit wir genau diese Erkenntnisse besitzen und damit diese in Diagnose, Therapie und Prävention einfließen.

Meine sehr geehrten Herren und Damen, wir haben bei der Gleichstellung von Frauen und Männern in den letzten Jahren spürbar etwas erreicht. Aber am Ziel sind wir noch lange nicht. Ich habe Ihnen einige Punkte genannt, die aus meiner Sicht nötig sind, damit Eltern bei uns Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren können, damit Hürden auf dem Karriereweg von Frauen abgebaut werden und damit die Belange von Frauen in der Gesundheitsversorgung besser berücksichtigt werden.

Entscheidend für den Erfolg unserer Maßnahmen ist aber, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht nur auf dem Papier steht, in Gesetzestexten oder in Programmen, sondern dass Männer und Frauen mit Überzeugung und Konsequenz sich dafür einsetzen: in ihrer eigenen Familie, in ihrer eigenen Partnerschaft, vor allem an ihrem Arbeitsplatz, damit das, worauf sie sich verpflichtet haben, das in Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und Beschlüssen - ich hoffe, heute wird es hier solche auch noch geben - niedergelegt ist, mit Herz und Geist verwirklicht wird.

Ich wünsche mir, dass die heutige Diskussion vor allen Dingen dazu führt, dass viele Männer und Frauen diesen Ärztetag mit dem Willen und mit der Überzeugung verlassen, dass es hier um eine wichtige Aufgabe in ihrem alltäglichen Handeln geht, um eine Aufgabe, die sie selber übernehmen müssen, die sie nicht an andere delegieren können. Jeder und jede steht in der Verantwortung, hier seinen bzw. ihren Beitrag zu leisten, um das Ziel zu erreichen.

Liebe Frau Professor Henne-Bruns, liebe Frau Dr. Bühren, nun bin ich gespannt, zu hören, welche ganz konkreten Erfahrungen Sie im Universitätsklinikum Ulm gemacht haben und welche Schritte in der Bundesärztekammer zur Gleichstellung von Frauen und Männern unternommen werden. Ich bin davon überzeugt, dass Sie gute Ideen haben. Ich hoffe, dass das, was ich eben ausgeführt habe, dass viele Männer und Frauen diesen Ärztetag mit einem guten Beschluss in der Aktentasche, aber vor allen Dingen mit der Überzeugung und dem Willen, zur Realisierung beizutragen, Realität wird - mehr als 100 Jahre nach dem 26. Deutschen Ärztetag. Wir sollten nicht noch einmal so lange warten müssen, bis es eine deutlich größere Zahl von Frauen in zukünftig W-3-Professuren, als Chefärztinnen oder Leiterinnen einer großen Forschungsabteilung gibt. Wenn es uns gelänge, diesen Zeitraum auf ein Fünftel zu verringern, wäre ich froh, als ältere oder auch alte Frau sagen zu können: Es hat sich doch gelohnt!

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Frau Ministerin Bulmahn, für Ihr einführendes Referat, das uns das gesellschaftspolitische und politische Umfeld zu diesem Thema dargelegt hat. Jetzt hole ich mir auch einmal ein Lob ab: In unserem Krankenhaus ist seit acht Jahren die Chefposition in der Chirurgie mit einer Frau besetzt. Ich habe kräftig dafür gesorgt, dass es eine Kollegin wurde. Sie ist seit acht Jahren die Chefin der Viszeralchirurgie. Es handelt sich hier zwar nicht um eine Universität, aber immerhin doch um ein großes akademisches Lehrkrankenhaus.

Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die Tatsache, dass Frauen in gewissen Situationen und in gewissen Lebensaltern bei einem Herzinfarkt schlechtere Chancen zum Überleben haben als Männer, hat pathophysiologische Ursachen und liegt nicht daran, dass sie etwa schlechter behandelt werden.

(Beifall)

Ich sage das auch deshalb, damit die Presse nicht auf die Idee kommt, es falsch zu interpretieren. Ich bin gern bereit, in der Diskussion weiter darauf einzugehen. Das können vielleicht auch andere tun, die noch mehr davon verstehen als ich.

Ich begrüße jetzt sehr herzlich Frau Christine Lucyga, Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, die heute bei uns ist. Herzlich willkommen, Frau Abgeordnete Lucyga!

(Beifall)

Die nächste Referentin ist Frau Professor Dr. Henne-Bruns aus Ulm, Ordinaria für Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Ulm. Bitte schön, Frau Professor Henne-Bruns.

© 2002, Bundesärztekammer.