TOP III : Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin

3. Tag: Donnerstag, 30. Mai 2002 Vormittagssitzung

Dr. Bühren, Referentin:

Sehr geehrte Kollegen und sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Gäste! Ganz besonders: Liebe Ingeborg Retzlaff, schön, dass du da bist! Oben rechts sehen Sie auf der Leinwand berufspolitisch tätige Ärztinnen beim 100. Deutschen Ärztetag in Eisenach. Wie stellt sich die berufliche und berufspolitische Ist-Situation der Ärztinnen heute dar? Die Gesamtärzteschaft umfasst 375 000 Personen. Davon sind 150 000 Ärztinnen. Das entspricht einem Anteil von 40 Prozent. Von ihnen sind 75 Prozent berufstätig. Bei den Männern sind es 83 Prozent. Die Bayerische Landesärztekammer hat vor-bildlich die Rubrik "ohne ärztliche Tätigkeit" detailliert aufgeschlüsselt. Bei-spielsweise haben weniger als 1 Prozent der Väter den so genannten Erzie-hungsurlaub in Anspruch genommen, ab diesem Jahr Elternzeit genannt. Sta-tistiken, die Angaben zur Häufigkeit von Teilzeit enthalten, sind mir leider nicht bekannt, wären aber, wie wir später sehen werden, für weitere Analysen we-sentlich.

Die systematisch sinkenden Karrierechancen der Ärztinnen ist der Eindruck, den die Studentinnen an der Universität gewinnen. Hier zeigt sich der Schereneffekt: Für Männer führt die Karriereleiter motivierend nach oben, für Frauen ab Studienbeginn demotivierend gegen null.
Frau Ministerin, in der Bundesregierung herrschen mit einem Anteil der Ministerinnen von etwa einem Drittel geradezu paradiesische Zustände im Verhältnis zu 2,8 Prozent klinisch tätigen Professorinnen.

Sollte eine Medizinstudentin den Wunsch haben, später zu forschen und zu lehren, so erlebt sie an der Universität kaum weibliche Rollenvorbilder und kann sich deshalb nur theoretisch klar machen, dass die im Grundgesetz verankerte tatsächliche Gleichberechtigung für sie gilt. Zu fordern sind Mentorinnenprogramme an allen Universitäten während der Aus- und der Weiterbildung. Die Piloterfahrungen beispielsweise des Deutschen Ärztinnenbundes und des Marburger Bundes und der Hessischen Landesärztekammer können als Beispiele dafür betrachtet werden, wie man mit unterschiedlichen Modellen vorankommen kann.

Die Medizinstudentinnen sind inzwischen gegenüber ihren männlichen Kollegen in der Mehrzahl. Wir brauchen jede Einzelne von ihnen. Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist jeder Abbruch des mindestens 150 000 Euro kostenden Studiums ein Flop. Frauen werden die Zukunft der Medizin zunehmend gestalten, denn bei den Schülerinnen ist die Ärztin nach der Designerin inzwischen der Traumberuf Nummer zwei. Bei den Schülern rangiert er nicht mehr unter den Top Ten. Frauen in der Führungsspitze der Universitätskliniken und in den chirurgischen Fächern befinden sich dagegen in der absoluten Minderheit mit Seltenheitscharakter. Sie sind gewissermaßen, wie meine Vorrednerin sagte, ein Zootier. Ihre Gehälter in vergleichbaren Positionen sind signifikant niedriger.

Nach der Statistik von Bundesärztekammer und KBV sind ein Drittel der niedergelassenen Ärzteschaft Ärztinnen. Da ihr Durchschnittsalter deutlich unter dem ihrer Kollegen liegt, wird sich der Ärztinnenanteil allerdings bald wesentlich erhöhen. Auch ihr Verdienst ist deutlich niedriger, was sich weder mit der etwas geringeren Arbeitsstundenzahl noch mit einem grundsätzlich unterschiedlichen Fachspektrum erklären lässt. Ich habe aus den Zahlen für 2001 eine Rangliste der zehn häufigsten Fachgebiete erstellt. Die derzeit diskutierten Fachgebiete Allgemeinmedizin und Innere Medizin stehen an der Spitze der häufigsten Fächer. Hinzu kommt die Gynäkologie. Die chirurgischen Fachgebiete Orthopädie, Chirurgie und Urologie kommen dagegen nur bei den Ärzten unter den zehn häufigsten Fachgebieten vor. Bei den Ärztinnen sind es neben der Anästhesiologie die Dermatologie und die Psychotherapeutische Medizin, mit einem höheren Anteil an sprechender Medizin.

Ich komme jetzt zu der Frage, ob Ärztinnen in den Gremien bisher angemessen vertreten sind. Im Vorstand der Bundesärztekammer gibt es seit 1999 erstmals eine Vizepräsidentin.

(Beifall)

Die 17 Landesärztekammern haben mit ihren eindrucksvollen Postern zur Situation der Ärztinnen im jeweiligen Verantwortungsbereich maßgeblich unseren heutigen Tagesordnungspunkt unterstützt.

(Beifall)

In den Kassenärztlichen Vereinigungen ist es erheblich schwieriger, Ärztinnen in Führungspositionen zu finden. Nur in der KV Berlin und der KV Thüringen gibt es eine stellvertretende Vorsitzende. Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist noch immer eine frauenfreie Zone.

Bei den Wahlen zum Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der berufsständischen Versorgungswerke gelang es trotz sehr kompetenter Kandidatinnen, keine Frau in das oberste Gremium zu wählen, obwohl das dort verwaltete Geld genauso von Frauen wie von Männern eingezahlt wurde.

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat mit seinen Entscheidungen immense Auswirkungen auf das Gesundheitswesen, dabei insbesondere auf den niedergelassenen Bereich. Mit seiner gesetzlichen Aufgabe, unter anderem Richtlinien zur Schwangerschaftsbetreuung und zur Empfängnisverhütung zu beschließen, hat er großen Einfluss auf die Behandlung speziell von Patientinnen. Aber die Kompetenz von Frauen ist im Entscheidungsgremium nicht vertreten.

In den Vorständen vieler Berufsverbände mit sogar oft hohem weiblichen Mitgliederanteil wie z. B. BdA und BDI und in vielen Fachgesellschaften ist der Sachverstand der Fachkolleginnen nicht vertreten. So sind beispielsweise bei den Frauenärzten, bei denen in der Altersgruppe bis zu 39 Jahren stationär bereits deutlich mehr Frauenärztinnen tätig sind und deren Zielgruppe zu 100 Prozent Frauen sind, in die Vorstände keine Frauen gewählt worden.

Auch im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften scheint man es für selbstverständlich zu halten, dass die Einbeziehung der weiblichen Sicht der Dinge für die Wissenschaft nicht relevant ist.

Der den Vorstand der Bundesärztekammer beratende Wissenschaftliche Beirat setzt sich im Vorstand ebenfalls nur aus männlichen Professoren zusammen.

Wie kann die Mitarbeit von Ärztinnen in unseren Gremien gefördert werden? Nachfolgend stelle ich Ihnen einige praktikable Lösungswege vor. Voraussetzung ist die Bewusstmachung der Zielgruppen unter Gender-Mainstreaming-Gesichtspunkten. Gender Mainstreaming meint hier die Berücksichtigung der Bedürfnisse beider Geschlechter in allen Politikbereichen, in der Verkehrspolitik genauso wie in der Wirtschaftspolitik und in der Gesundheitspolitik. Gender Mainstreaming auch deshalb, damit die Zielgruppen berücksichtigt werden. Es werden nämlich nicht die Vorstände von Bundesligavereinen gewählt, die ihren Herrenmannschaften zum Sieg verhelfen sollen, sondern wir setzen uns ein für die Gesundheit einer gemischten Bevölkerung mit höherem Patientinnenanteil und für unseren Berufsstand mit 40 Prozent Ärztinnen.

Es bietet sich weiterhin an, bei der Zusammensetzung auch unserer Gremien das Bundesgremienbesetzungsgesetz von 1994 anzuwenden, das besagt, jeweils eine Frau und einen Mann zu benennen oder vorzuschlagen.

Weiterhin sollte beispielsweise bei den KVen in den Satzungen und bei der Bildung von Ausschüssen nicht nur gecheckt werden, ob die Bezirke und die haus- und die fachärztliche Seite paritätisch vertreten sind, sondern auch, ob Ärztinnen anteilig berücksichtigt wurden.
Für die Wahllistenaufstellung gibt es in den großen Parteien beispielhafte Vorgehensweisen: das Reißverschlussverfahren in der SPD und das Drittelquorum in der CDU/CSU.
Dass Entsprechendes sehr effektiv im Rahmen einer Änderung der Heilberufegesetzgebung funktioniert hat, hat Schleswig-Holstein bewiesen. Im Kammer- und Heilberufegesetz Schleswig-Holsteins von 1996 steht:

Frauen und Männer sind bei der Bildung der Kammerversammlung entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtzahl der wahlberechtigten Berufsangehörigen zu berücksichtigen ... Jeder Wahlvorschlag muss mindestens so viele Bewerberinnen und Bewerber enthalten, wie erforderlich sind, um die anteilige Verteilung der Sitze in der Kammerversammlung auf Frauen und Männer zu ermöglichen.

Hier wurde das übliche Argument widerlegt, dass die niedrige Beteiligung von Ärztinnen nur daran liege, dass diese nicht mitarbeiten wollen. 1993 lagen in Schleswig-Holstein die weiblichen Delegierten mit rund 21 Prozent der Kammerdelegierten deutlich unter ihrem Anteil von rund 34 Prozent. Nach der Änderung des Heilberufsgesetzes bemühte sich der Kammervorstand um Ärztinnen, mit dem Resultat, dass sich bereits nach der zweiten folgenden Kammerwahl 2001 ein paritätisches Gleichgewicht von rund 37 Prozent eingespielt hat. Es gibt also praktikable Rezepte. Warum werden sie an den Universitäten und in der Berufspolitik nicht angewendet? Dass die Bundesrepublik in Europa zu den Schlusslichtern gehört, was Frauen in Führungspositionen, Geburtenrate und Ganztagsschulen anlangt, hat als Hintergrund das weiterhin vorherrschende traditionelle Geschlechtsrollenmodell. Jetzt wäre es folgerichtig, ganz ausführlich über die traditionellen Rollenzuschreibungen an Frauen und Männer, über kräftezehrende Rollenkonflikte, über Vorurteile und über Diskriminierungsmechanismen zu sprechen und darüber, dass immer noch viel zu selten die Familienarbeit wirklich partnerschaftlich geleistet wird und dass die auf diese Weise hauptsächlich von Frauen erworbenen Familienkompetenzen und Managementerfahrungen nicht als karrierefördernd gewertet werden.

Aber damit würde ich den meisten von Ihnen nichts Neues erzählen. Am Fall Stoiber haben wir erlebt, wie jemand - auch durch die moderne Sichtweise der eigenen Tochter - seine Einstellung und Familienpolitik verändern kann: Sie wollte unbedingt wieder als Juristin arbeiten und gab ihren einjährigen Sohn in einen Kinderhort. Mancher von Ihnen hat es bei der eigenen Tochter erlebt, wo für die Ärztin im Beruf die speziellen Hindernisse sind.

Grundsätzlich sind Veränderungen durch systematisches und gemeinsames Umdenken und neues Handeln zu erreichen. Ich weiß, das ist mühsam - aber es ist spannend und lohnenswert. Wichtig ist, dass es angstfrei gelingt, ohne Angst vor Konkurrenz und Machtverlust, ohne Angst vor Prestigeverlust für das Ansehen eines Fachgebiets und ohne Angst vor unbekannten Ritualen und Sprachregelungen, die Frauen aus ihrer Sozialisation mit einbringen.

Die Notwendigkeit zu Veränderungen resultiert auch daraus, dass es sich die Gesellschaft nicht leisten kann, die Hälfte ihrer humanen Ressourcen zu vernachlässigen. In den großen Wirtschaftsunternehmen mit Gewinnorientierung ist Frauenförderung schon seit einigen Jahren zur Chefsache erklärt worden. Neben Mentoring und gezielten Beförderungen hat VW Workshops zur Vorbereitung auf Teilzeit und Elternzeit kreiert; die Hertie-Stiftung hat Maßnahmen einer familienbewussten Personalpolitik in einer Online-Infobörse zusammengestellt. Bei der Dresdner Bank steht die Work-Life-Balance einschließlich Beruf und Kinderbetreuung auf der Agenda; "Kids & Co" nennt sich das Kinderbetreuungskonzept der Commerzbank.

Wenn dieses Mal die Prognosen zur Arztzahlentwicklung stimmen, muss auch die Ärzteschaft alles dafür tun, jede ausgebildete Ärztin für die kurative Medizin zu gewinnen und zu halten.

(Beifall)

Dafür müssen aber endlich die erheblichen Defizite der Kinderbetreuungsstrukturen deutlich verbessert werden. Dass dies tatsächlich entscheidend ist, ergibt eine Online-Befragung von 170 000 Personen genauso wie eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung.

Am eindrucksvollsten sind die Erfahrungen der Ärztinnen, die bereits in der DDR tätig waren. Vereinbarkeit von Familie und Beruf war staatlicherseits gewollt und wurde deshalb gefördert, mit dem Resultat, dass 1991 im Osten 52 Prozent der berufstätigen Ärzteschaft Ärztinnen waren, in den alten Bundesländern nur 29 Prozent. Schwerwiegend ist die verbreitete Einstellung, dass es Kindern schade, wenn sie an den Wochentagen tagsüber von Kindergärtnerinnen oder Tagesmüttern statt von der leiblichen Mutter betreut werden. Diese in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen widerlegte Einstellung hält sich speziell in Deutschland hartnäckig und faktenresistent. In unseren Nachbarländern ist ganztägige Beschulung und volle Berufstätigkeit der Mütter und Väter Normalität. Es muss für Väter und Mütter alle Optionen geben, auch die, dass sie sich zeitweise ganz der Familienarbeit widmen.

Eine Untersuchung aus Schweden an Frauen und Männern im mittleren Management bei Volvo mit vergleichbaren Familiensituationen gibt Anhaltspunkte dafür, dass der Stress am Arbeitsplatz bei beiden Geschlechtern eine ähnliche Ausschüttung von Norepinephrin bewirkt. Aber am so genannten Feierabend geht für die Frauen der Stress zu Hause mit Kindern und Haushalt erst richtig los, wohingegen die Männer offenbar häufiger abschalten.

Wegen dieses Spagats zwischen Beruf und Familienverantwortung lassen die ungeregelten und nicht längerfristig planbaren Arbeitszeiten viele Frauen mit Kindern vor einer Vollzeittätigkeit zurückschrecken. Zugleich werden von den Arbeitgebern die hohe Effektivität von Teilzeittätigen pro Arbeitszeit oft unterschätzt, die Zusatzkosten überschätzt und Aufstiegschancen selten gewährt. Flexible Arbeitszeitmodelle werden noch zu selten praktiziert. Am bekanntesten ist das Sinsheimer Modell; die Delegierte Chefärztin Kuhnert-Frey aus Sinsheim kann Sie darüber informieren, dass und wie es funktioniert.

Die prägnanteste Antwort auf die Frage "Warum gibt es so wenige Frauen in der Chirurgie?" gab ein Lehrstuhlinhaber in meiner letztjährigen Chirurgie-Ordinarien-Umfrage: "Arbeitsinhalte, Organisationsstrukturen und Kommunikationswesen sind von Männern geprägt und werden von ihnen definiert." Belegt wurden die Auswirkungen der inneren und äußeren Barrieren an einer Studie von Sieverding 1990. Am Studienanfang hatten 60 Prozent der Studentinnen die Frage "Würden Sie gern beruflich Karriere machen?" bejaht, von den Studenten nur 48 Prozent. Am Studienende jedoch war die Karrieremotivation bei den Männern angestiegen. Bei ihnen bestand kein Unterschied, ob sie Kinder hatten oder nicht. Bei den Studentinnen erkennt man einen dramatischen Unterschied. Die Karrieremotivation der Studentinnen ist nach dem ersten Einblick in den Berufsalltag auf 55 Prozent zurückgegangen. Wenn sie inzwischen sozusagen am eigenen Leibe die Erfahrung gemacht haben, wie schlecht sich schon Studium und Kinderbetreuung kombinieren lassen, sind nur noch 21 Prozent karrieremotiviert. Aber: Ärztinnen bereichern die Medizin. Sie bringen zusätzlich ein: spezifische biografische Erfahrungen entsprechend denen der Patientinnen; Organisationserfahrung durch Familienmanagement; Ärztinnen waren Vorreiterinnen mit ihren Forderungen nach stärkerer Integration der beiden Lebenswelten Beruf und Familienleben. Letzteres fordern laut Abele-Brehm auch viele junge Männer, weil es ihnen wichtig für individuelle Lebenszufriedenheit und die optimale Erfüllung des Arztberufes erscheint.

Ärztinnen bringen eine hohe soziale und kommunikative Kompetenz ein und zusätzliche Fragestellungen in der Forschung. Prävention und Gesundheitserziehung sind bisher traditionelle Frauendomänen. Beispielsweise bestimmen sie zu Hause die Ernährung und gehen selbst deutlich häufiger zur Vorsorge. Last not least wissen wir alle, dass gemischte Teams eine entspanntere Atmosphäre haben.

Bisher war die Haltung gegenüber den Ärztinnen: Wenn ihr berufstätig sein wollt, dann seht zu, wie ihr es zu den Bedingungen in unserem System schafft! Heute sollte die Botschaft seitens der Krankenhausleitungen und der Kassenärztlichen Vereinigungen lauten: Wir brauchen alle aus- und weitergebildeten Ärztinnen, welche Strukturen braucht ihr, damit wir gemeinsam die Patientenversorgung aufrechterhalten können?

(Beifall)

Zu fragen ist: Wo sind brachliegende Kompetenzen? Wie können wir sie erreichen? Zu nennen ist erstens die Gruppe der aktuell nicht Berufstätigen zwischen Approbation und 59 Jahren. Das sind rund 20 000 oder 16 Prozent aller Ärzte in dieser Altersgruppe. Meine Einschätzung ist, dass 50 Prozent bei geeigneten Rahmenbedingungen berufstätig geblieben wären oder es gern wieder würden. Diesen Ärztinnen müssten Angebote gemacht werden: auf sie zugeschnittene Arbeitszeitmodelle, zufrieden stellende Kinderbetreuung und Wiedereinstiegskurse.

Zweitens gibt es die Gruppe der jetzt Teilzeitbeschäftigten. Wie ich bereits sagte, ist ihre Anzahl leider unbekannt. Ihnen können mit attraktiven Angeboten Anreize gegeben werden, in eine Vollzeitstelle zu wechseln.

2 000 Ärztinnen von den insgesamt knapp 8 000 sollten weniger in sonstige Berufe abwandern und stattdessen mit guten Angeboten in der kurativen Medizin bleiben.

Schließlich ist eine Reduktion der Zahl der Studienabbrecherinnen zu nennen. Die systematische Analyse an allen Medizinischen Fakultäten "Warum brechen Sie Ihr Grundstudium ab?" ist für eine erfolgreichere Studierendenbetreuung notwendig.

Erfahrungsgemäß wünschen sich Studentinnen unter anderem auch weibliche Vorbilder und gute Kinderbetreuungsangebote. Nach der sehr groben und holzschnittartigen fiktiven Rechnung ergeben sich etwa 17 000 mehr Ärztinnen für Teilzeit- und Vollzeitstellen, gegenüber Angaben zu freien Stellen, die zwischen 2 000 und 27 000 bei Umsetzung der Arbeitszeitregeln schwanken.
Was ist zu tun, damit auch die Ärztinnen endlich ungehindert ihren Beruf ausüben und ihre beruflichen Ziele erreichen können? Was muss passieren: in der Politik und bei uns selbst? Dies ist aber nicht der Griff zu utopischen Sternen, sondern zu ganz konkreten Zielen. Aus Zeitgründen skizziere ich die Forderungen nur; in den Anträgen steht Genaueres.

Kinder sind eine Bereicherung. Inzwischen bekommen 40 Prozent der Akademikerinnen keine Kinder mehr. Das widerspricht oft ihren tiefsten Wünschen. Voraussetzung ist die dringende Umsetzung der Arbeitszeitregelung für Ärztinnen und Ärzte. Wir brauchen Kinderhorte und Kindergärten für Kinder von null bis 14 Jahren, Öffnungszeiten von 6 bis 21 Uhr, den Schichtdienstregeln der bereitschafts- und notärztlichen Dienste angepasst. Wir brauchen wie in den anderen europäischen Ländern Ganztagsschulen. Kinderbetreuungskosten und Haushaltshilfen müssen für Berufstätige komplett absetzbar sein.

(Beifall)

Die betriebliche Kinderbetreuung sollte bei den DRG-Kalkulationen berücksichtigt werden.

(Beifall)

Wir brauchen endlich Transparenz - das haben Sie bereits gesagt, Frau Ministerin - und Chancengleichheit im Berufungsverfahren. Mindestens 25 Prozent der Mitglieder in Berufungskommissionen müssen Professorinnen sein, zusätzlich zur Frauenbeauftragten, die auch immer Stimmrecht haben muss. Frau Ministerin Bulmahn, die Coaching-Programme und das vom BMFT geförderte Kompetenzzentrum für Frauen in Wissenschaft und Forschung begrüßen wir ausdrücklich, die anderen von Ihnen geplanten Programme ebenfalls.

(Beifall)

Zum Thema Juniorprofessuren: Die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen darf nicht zur Karrierefalle werden. Die Mutterschutzverordnungen müssen aktualisiert werden: Mutterschutz - ja, Berufsverbot - nein!

(Beifall)

Wir haben darüber bereits abgestimmt, aber es ist in der Politik leider immer noch nichts passiert.

Wir haben auch Forderungen an die Universitäten: Gender Mainstreaming als Querschnittsaufgabe; keine Fachgremien mehr ohne paritätische Beteiligung von Frauen, speziell keine Berufungskommission ohne Professorinnen; jährliche Veröffentlichung der Daten zu Ärztinnen in C-4/C-3-Positionen; Tutorinnen und Mentorinnen für Medizinstudentinnen; an allen Universitäten Initiierung von Wiedereinstiegsprojekten entsprechend dem Leipziger Projekt mit Lifescience-Biotechnologien - ich weiß, Frau Ministerin, dass Sie dieses EU-Projekt sehr unterstützen und es auch fördern -; ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen für Studierende und ärztliche Angestellte.

Unsere Forderungen an die Kliniken lauten: Arbeitszeitregelungen, Arbeitszeitmodelle, Teilzeit, Kinderbetreuungseinrichtungen.

Unsere Forderungen an die Kassenärztlichen Vereinigungen: Gender Mainstreaming als Vorstandsaufgabe; angemessene Beteiligung von Ärztinnen in allen Vorständen und Gremien; flexiblere Gestaltung des KV-Rechts, beispielsweise bei den Jobsharing-Bestimmungen und bei den Kriterien für Praxisassistenten und -assistentinnen; Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als Auswahlkriterium bei der Praxisnachfolge.

Als Forderung an die Ärztekammern nenne ich beispielsweise die erneute Wiederaufnahme von Wiedereingliederungskursen.

Ich komme zum Schluss. Sie erinnern sich an den Anfang dieses Tagesordnungspunkts, an den Beschluss des Deutschen Ärztetages von 1898. Sicher gehe ich recht in der Annahme, dass wir hier im Saal diese Formulierungen im Jahre 2002 etwas variieren würden. Wenn ein größerer Andrang an Ärztinnen eingetreten ist, wird dies folgende Wirkungen haben: erheblicher Nutzen für die Kranken, Nutzen für die Frauen, Nutzen für die deutschen Hochschulen und die Wissenschaft, keine Minderung des ärztlichen Ansehens und Förderung des allgemeinen Wohles.

Ich bedanke mich.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Frau Bühren, für die Analyse der über die eigentliche Be-rufstätigkeit hinausgehenden Möglichkeiten der Karriere auch in der ärztlichen Berufspolitik und für die Vorschläge, wie es besser werden könnte. Die bisher vorliegenden 28 Anträge beinhalten diese Vorstellungen. Wir können nicht nur durch unseren Beifall zum Ausdruck bringen, dass wir Ihrer Meinung sind, son-dern auch durch die Annahme derartiger Anträge.

Bisher liegen zu diesem Tagesordnungspunkt 27 Wortmeldungen vor. Frau Ministerin Bulmahn hat ein begrenztes Zeitbudget, wie man es heute nennt. Früher sagte man: Sie kann nicht unbegrenzt bleiben. Ich glaube, gegen 11 Uhr müssen Sie uns leider verlassen. Wir haben dafür Verständnis, weil wir wissen, wie der Tagesablauf einer Ministerin aussieht.

Das Wort hat nun Frau Dr. Buchmann-Barthel, die wir eingeladen haben, zu uns zu sprechen. Bitte schön, Frau Kollegin Buchmann-Barthel.

© 2002, Bundesärztekammer.