Dr. Bühren, Referentin:
Sehr geehrte Kollegen und sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte
Gäste! Ganz besonders: Liebe Ingeborg Retzlaff, schön,
dass du da bist! Oben rechts sehen Sie auf der Leinwand berufspolitisch
tätige Ärztinnen beim 100. Deutschen Ärztetag in
Eisenach. Wie stellt sich die berufliche und berufspolitische Ist-Situation
der Ärztinnen heute dar? Die Gesamtärzteschaft umfasst
375 000 Personen. Davon sind 150 000 Ärztinnen. Das entspricht
einem Anteil von 40 Prozent. Von ihnen sind 75 Prozent berufstätig.
Bei den Männern sind es 83 Prozent. Die Bayerische Landesärztekammer
hat vor-bildlich die Rubrik "ohne ärztliche Tätigkeit"
detailliert aufgeschlüsselt. Bei-spielsweise haben weniger
als 1 Prozent der Väter den so genannten Erzie-hungsurlaub
in Anspruch genommen, ab diesem Jahr Elternzeit genannt. Sta-tistiken,
die Angaben zur Häufigkeit von Teilzeit enthalten, sind mir
leider nicht bekannt, wären aber, wie wir später sehen
werden, für weitere Analysen we-sentlich.
Die systematisch sinkenden Karrierechancen der Ärztinnen ist
der Eindruck, den die Studentinnen an der Universität gewinnen.
Hier zeigt sich der Schereneffekt: Für Männer führt
die Karriereleiter motivierend nach oben, für Frauen ab Studienbeginn
demotivierend gegen null.
Frau Ministerin, in der Bundesregierung herrschen mit einem Anteil
der Ministerinnen von etwa einem Drittel geradezu paradiesische
Zustände im Verhältnis zu 2,8 Prozent klinisch tätigen
Professorinnen.
Sollte eine Medizinstudentin den Wunsch haben, später zu forschen
und zu lehren, so erlebt sie an der Universität kaum weibliche
Rollenvorbilder und kann sich deshalb nur theoretisch klar machen,
dass die im Grundgesetz verankerte tatsächliche Gleichberechtigung
für sie gilt. Zu fordern sind Mentorinnenprogramme an allen
Universitäten während der Aus- und der Weiterbildung.
Die Piloterfahrungen beispielsweise des Deutschen Ärztinnenbundes
und des Marburger Bundes und der Hessischen Landesärztekammer
können als Beispiele dafür betrachtet werden, wie man
mit unterschiedlichen Modellen vorankommen kann.
Die Medizinstudentinnen sind inzwischen gegenüber ihren männlichen
Kollegen in der Mehrzahl. Wir brauchen jede Einzelne von ihnen.
Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist jeder Abbruch des mindestens
150 000 Euro kostenden Studiums ein Flop. Frauen werden die Zukunft
der Medizin zunehmend gestalten, denn bei den Schülerinnen
ist die Ärztin nach der Designerin inzwischen der Traumberuf
Nummer zwei. Bei den Schülern rangiert er nicht mehr unter
den Top Ten. Frauen in der Führungsspitze der Universitätskliniken
und in den chirurgischen Fächern befinden sich dagegen in der
absoluten Minderheit mit Seltenheitscharakter. Sie sind gewissermaßen,
wie meine Vorrednerin sagte, ein Zootier. Ihre Gehälter in
vergleichbaren Positionen sind signifikant niedriger.
Nach der Statistik von Bundesärztekammer und KBV sind ein Drittel
der niedergelassenen Ärzteschaft Ärztinnen. Da ihr Durchschnittsalter
deutlich unter dem ihrer Kollegen liegt, wird sich der Ärztinnenanteil
allerdings bald wesentlich erhöhen. Auch ihr Verdienst ist
deutlich niedriger, was sich weder mit der etwas geringeren Arbeitsstundenzahl
noch mit einem grundsätzlich unterschiedlichen Fachspektrum
erklären lässt. Ich habe aus den Zahlen für 2001
eine Rangliste der zehn häufigsten Fachgebiete erstellt. Die
derzeit diskutierten Fachgebiete Allgemeinmedizin und Innere Medizin
stehen an der Spitze der häufigsten Fächer. Hinzu kommt
die Gynäkologie. Die chirurgischen Fachgebiete Orthopädie,
Chirurgie und Urologie kommen dagegen nur bei den Ärzten unter
den zehn häufigsten Fachgebieten vor. Bei den Ärztinnen
sind es neben der Anästhesiologie die Dermatologie und die
Psychotherapeutische Medizin, mit einem höheren Anteil an sprechender
Medizin.
Ich komme jetzt zu der Frage, ob Ärztinnen in den Gremien bisher
angemessen vertreten sind. Im Vorstand der Bundesärztekammer
gibt es seit 1999 erstmals eine Vizepräsidentin.
(Beifall)
Die 17 Landesärztekammern haben mit ihren eindrucksvollen
Postern zur Situation der Ärztinnen im jeweiligen Verantwortungsbereich
maßgeblich unseren heutigen Tagesordnungspunkt unterstützt.
(Beifall)
In den Kassenärztlichen Vereinigungen ist es erheblich schwieriger,
Ärztinnen in Führungspositionen zu finden. Nur in der
KV Berlin und der KV Thüringen gibt es eine stellvertretende
Vorsitzende. Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
ist noch immer eine frauenfreie Zone.
Bei den Wahlen zum Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der berufsständischen
Versorgungswerke gelang es trotz sehr kompetenter Kandidatinnen,
keine Frau in das oberste Gremium zu wählen, obwohl das dort
verwaltete Geld genauso von Frauen wie von Männern eingezahlt
wurde.
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat mit seinen
Entscheidungen immense Auswirkungen auf das Gesundheitswesen, dabei
insbesondere auf den niedergelassenen Bereich. Mit seiner gesetzlichen
Aufgabe, unter anderem Richtlinien zur Schwangerschaftsbetreuung
und zur Empfängnisverhütung zu beschließen, hat
er großen Einfluss auf die Behandlung speziell von Patientinnen.
Aber die Kompetenz von Frauen ist im Entscheidungsgremium nicht
vertreten.
In den Vorständen vieler Berufsverbände mit sogar oft
hohem weiblichen Mitgliederanteil wie z. B. BdA und BDI und in vielen
Fachgesellschaften ist der Sachverstand der Fachkolleginnen nicht
vertreten. So sind beispielsweise bei den Frauenärzten, bei
denen in der Altersgruppe bis zu 39 Jahren stationär bereits
deutlich mehr Frauenärztinnen tätig sind und deren Zielgruppe
zu 100 Prozent Frauen sind, in die Vorstände keine Frauen gewählt
worden.
Auch im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften scheint man es für selbstverständlich
zu halten, dass die Einbeziehung der weiblichen Sicht der Dinge
für die Wissenschaft nicht relevant ist.
Der den Vorstand der Bundesärztekammer beratende Wissenschaftliche
Beirat setzt sich im Vorstand ebenfalls nur aus männlichen
Professoren zusammen.
Wie kann die Mitarbeit von Ärztinnen in unseren Gremien gefördert
werden? Nachfolgend stelle ich Ihnen einige praktikable Lösungswege
vor. Voraussetzung ist die Bewusstmachung der Zielgruppen unter
Gender-Mainstreaming-Gesichtspunkten. Gender Mainstreaming meint
hier die Berücksichtigung der Bedürfnisse beider Geschlechter
in allen Politikbereichen, in der Verkehrspolitik genauso wie in
der Wirtschaftspolitik und in der Gesundheitspolitik. Gender Mainstreaming
auch deshalb, damit die Zielgruppen berücksichtigt werden.
Es werden nämlich nicht die Vorstände von Bundesligavereinen
gewählt, die ihren Herrenmannschaften zum Sieg verhelfen sollen,
sondern wir setzen uns ein für die Gesundheit einer gemischten
Bevölkerung mit höherem Patientinnenanteil und für
unseren Berufsstand mit 40 Prozent Ärztinnen.
Es bietet sich weiterhin an, bei der Zusammensetzung auch unserer
Gremien das Bundesgremienbesetzungsgesetz von 1994 anzuwenden, das
besagt, jeweils eine Frau und einen Mann zu benennen oder vorzuschlagen.
Weiterhin sollte beispielsweise bei den KVen in den Satzungen und
bei der Bildung von Ausschüssen nicht nur gecheckt werden,
ob die Bezirke und die haus- und die fachärztliche Seite paritätisch
vertreten sind, sondern auch, ob Ärztinnen anteilig berücksichtigt
wurden.
Für die Wahllistenaufstellung gibt es in den großen Parteien
beispielhafte Vorgehensweisen: das Reißverschlussverfahren
in der SPD und das Drittelquorum in der CDU/CSU.
Dass Entsprechendes sehr effektiv im Rahmen einer Änderung
der Heilberufegesetzgebung funktioniert hat, hat Schleswig-Holstein
bewiesen. Im Kammer- und Heilberufegesetz Schleswig-Holsteins von
1996 steht:
Frauen und Männer sind bei der Bildung der
Kammerversammlung entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtzahl
der wahlberechtigten Berufsangehörigen zu berücksichtigen
... Jeder Wahlvorschlag muss mindestens so viele Bewerberinnen
und Bewerber enthalten, wie erforderlich sind, um die anteilige
Verteilung der Sitze in der Kammerversammlung auf Frauen und Männer
zu ermöglichen.
Hier wurde das übliche Argument widerlegt, dass die niedrige
Beteiligung von Ärztinnen nur daran liege, dass diese nicht
mitarbeiten wollen. 1993 lagen in Schleswig-Holstein die weiblichen
Delegierten mit rund 21 Prozent der Kammerdelegierten deutlich unter
ihrem Anteil von rund 34 Prozent. Nach der Änderung des Heilberufsgesetzes
bemühte sich der Kammervorstand um Ärztinnen, mit dem
Resultat, dass sich bereits nach der zweiten folgenden Kammerwahl
2001 ein paritätisches Gleichgewicht von rund 37 Prozent eingespielt
hat. Es gibt also praktikable Rezepte. Warum werden sie an den Universitäten
und in der Berufspolitik nicht angewendet? Dass die Bundesrepublik
in Europa zu den Schlusslichtern gehört, was Frauen in Führungspositionen,
Geburtenrate und Ganztagsschulen anlangt, hat als Hintergrund das
weiterhin vorherrschende traditionelle Geschlechtsrollenmodell.
Jetzt wäre es folgerichtig, ganz ausführlich über
die traditionellen Rollenzuschreibungen an Frauen und Männer,
über kräftezehrende Rollenkonflikte, über Vorurteile
und über Diskriminierungsmechanismen zu sprechen und darüber,
dass immer noch viel zu selten die Familienarbeit wirklich partnerschaftlich
geleistet wird und dass die auf diese Weise hauptsächlich von
Frauen erworbenen Familienkompetenzen und Managementerfahrungen
nicht als karrierefördernd gewertet werden.
Aber damit würde ich den meisten von Ihnen nichts Neues erzählen.
Am Fall Stoiber haben wir erlebt, wie jemand - auch durch die moderne
Sichtweise der eigenen Tochter - seine Einstellung und Familienpolitik
verändern kann: Sie wollte unbedingt wieder als Juristin arbeiten
und gab ihren einjährigen Sohn in einen Kinderhort. Mancher
von Ihnen hat es bei der eigenen Tochter erlebt, wo für die
Ärztin im Beruf die speziellen Hindernisse sind.
Grundsätzlich sind Veränderungen durch systematisches
und gemeinsames Umdenken und neues Handeln zu erreichen. Ich weiß,
das ist mühsam - aber es ist spannend und lohnenswert. Wichtig
ist, dass es angstfrei gelingt, ohne Angst vor Konkurrenz und Machtverlust,
ohne Angst vor Prestigeverlust für das Ansehen eines Fachgebiets
und ohne Angst vor unbekannten Ritualen und Sprachregelungen, die
Frauen aus ihrer Sozialisation mit einbringen.
Die Notwendigkeit zu Veränderungen resultiert auch daraus,
dass es sich die Gesellschaft nicht leisten kann, die Hälfte
ihrer humanen Ressourcen zu vernachlässigen. In den großen
Wirtschaftsunternehmen mit Gewinnorientierung ist Frauenförderung
schon seit einigen Jahren zur Chefsache erklärt worden. Neben
Mentoring und gezielten Beförderungen hat VW Workshops zur
Vorbereitung auf Teilzeit und Elternzeit kreiert; die Hertie-Stiftung
hat Maßnahmen einer familienbewussten Personalpolitik in einer
Online-Infobörse zusammengestellt. Bei der Dresdner Bank steht
die Work-Life-Balance einschließlich Beruf und Kinderbetreuung
auf der Agenda; "Kids & Co" nennt sich das Kinderbetreuungskonzept
der Commerzbank.
Wenn dieses Mal die Prognosen zur Arztzahlentwicklung stimmen,
muss auch die Ärzteschaft alles dafür tun, jede ausgebildete
Ärztin für die kurative Medizin zu gewinnen und zu halten.
(Beifall)
Dafür müssen aber endlich die erheblichen Defizite der
Kinderbetreuungsstrukturen deutlich verbessert werden. Dass dies
tatsächlich entscheidend ist, ergibt eine Online-Befragung
von 170 000 Personen genauso wie eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung.
Am eindrucksvollsten sind die Erfahrungen der Ärztinnen, die
bereits in der DDR tätig waren. Vereinbarkeit von Familie und
Beruf war staatlicherseits gewollt und wurde deshalb gefördert,
mit dem Resultat, dass 1991 im Osten 52 Prozent der berufstätigen
Ärzteschaft Ärztinnen waren, in den alten Bundesländern
nur 29 Prozent. Schwerwiegend ist die verbreitete Einstellung, dass
es Kindern schade, wenn sie an den Wochentagen tagsüber von
Kindergärtnerinnen oder Tagesmüttern statt von der leiblichen
Mutter betreut werden. Diese in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen
widerlegte Einstellung hält sich speziell in Deutschland hartnäckig
und faktenresistent. In unseren Nachbarländern ist ganztägige
Beschulung und volle Berufstätigkeit der Mütter und Väter
Normalität. Es muss für Väter und Mütter alle
Optionen geben, auch die, dass sie sich zeitweise ganz der Familienarbeit
widmen.
Eine Untersuchung aus Schweden an Frauen und Männern im mittleren
Management bei Volvo mit vergleichbaren Familiensituationen gibt
Anhaltspunkte dafür, dass der Stress am Arbeitsplatz bei beiden
Geschlechtern eine ähnliche Ausschüttung von Norepinephrin
bewirkt. Aber am so genannten Feierabend geht für die Frauen
der Stress zu Hause mit Kindern und Haushalt erst richtig los, wohingegen
die Männer offenbar häufiger abschalten.
Wegen dieses Spagats zwischen Beruf und Familienverantwortung lassen
die ungeregelten und nicht längerfristig planbaren Arbeitszeiten
viele Frauen mit Kindern vor einer Vollzeittätigkeit zurückschrecken.
Zugleich werden von den Arbeitgebern die hohe Effektivität
von Teilzeittätigen pro Arbeitszeit oft unterschätzt,
die Zusatzkosten überschätzt und Aufstiegschancen selten
gewährt. Flexible Arbeitszeitmodelle werden noch zu selten
praktiziert. Am bekanntesten ist das Sinsheimer Modell; die Delegierte
Chefärztin Kuhnert-Frey aus Sinsheim kann Sie darüber
informieren, dass und wie es funktioniert.
Die prägnanteste Antwort auf die Frage "Warum gibt es
so wenige Frauen in der Chirurgie?" gab ein Lehrstuhlinhaber
in meiner letztjährigen Chirurgie-Ordinarien-Umfrage: "Arbeitsinhalte,
Organisationsstrukturen und Kommunikationswesen sind von Männern
geprägt und werden von ihnen definiert." Belegt wurden
die Auswirkungen der inneren und äußeren Barrieren an
einer Studie von Sieverding 1990. Am Studienanfang hatten 60 Prozent
der Studentinnen die Frage "Würden Sie gern beruflich
Karriere machen?" bejaht, von den Studenten nur 48 Prozent.
Am Studienende jedoch war die Karrieremotivation bei den Männern
angestiegen. Bei ihnen bestand kein Unterschied, ob sie Kinder hatten
oder nicht. Bei den Studentinnen erkennt man einen dramatischen
Unterschied. Die Karrieremotivation der Studentinnen ist nach dem
ersten Einblick in den Berufsalltag auf 55 Prozent zurückgegangen.
Wenn sie inzwischen sozusagen am eigenen Leibe die Erfahrung gemacht
haben, wie schlecht sich schon Studium und Kinderbetreuung kombinieren
lassen, sind nur noch 21 Prozent karrieremotiviert. Aber: Ärztinnen
bereichern die Medizin. Sie bringen zusätzlich ein: spezifische
biografische Erfahrungen entsprechend denen der Patientinnen; Organisationserfahrung
durch Familienmanagement; Ärztinnen waren Vorreiterinnen mit
ihren Forderungen nach stärkerer Integration der beiden Lebenswelten
Beruf und Familienleben. Letzteres fordern laut Abele-Brehm auch
viele junge Männer, weil es ihnen wichtig für individuelle
Lebenszufriedenheit und die optimale Erfüllung des Arztberufes
erscheint.
Ärztinnen bringen eine hohe soziale und kommunikative Kompetenz
ein und zusätzliche Fragestellungen in der Forschung. Prävention
und Gesundheitserziehung sind bisher traditionelle Frauendomänen.
Beispielsweise bestimmen sie zu Hause die Ernährung und gehen
selbst deutlich häufiger zur Vorsorge. Last not least wissen
wir alle, dass gemischte Teams eine entspanntere Atmosphäre
haben.
Bisher war die Haltung gegenüber den Ärztinnen: Wenn
ihr berufstätig sein wollt, dann seht zu, wie ihr es zu den
Bedingungen in unserem System schafft! Heute sollte die Botschaft
seitens der Krankenhausleitungen und der Kassenärztlichen Vereinigungen
lauten: Wir brauchen alle aus- und weitergebildeten Ärztinnen,
welche Strukturen braucht ihr, damit wir gemeinsam die Patientenversorgung
aufrechterhalten können?
(Beifall)
Zu fragen ist: Wo sind brachliegende Kompetenzen? Wie können
wir sie erreichen? Zu nennen ist erstens die Gruppe der aktuell
nicht Berufstätigen zwischen Approbation und 59 Jahren. Das
sind rund 20 000 oder 16 Prozent aller Ärzte in dieser Altersgruppe.
Meine Einschätzung ist, dass 50 Prozent bei geeigneten Rahmenbedingungen
berufstätig geblieben wären oder es gern wieder würden.
Diesen Ärztinnen müssten Angebote gemacht werden: auf
sie zugeschnittene Arbeitszeitmodelle, zufrieden stellende Kinderbetreuung
und Wiedereinstiegskurse.
Zweitens gibt es die Gruppe der jetzt Teilzeitbeschäftigten.
Wie ich bereits sagte, ist ihre Anzahl leider unbekannt. Ihnen können
mit attraktiven Angeboten Anreize gegeben werden, in eine Vollzeitstelle
zu wechseln.
2 000 Ärztinnen von den insgesamt knapp 8 000 sollten weniger
in sonstige Berufe abwandern und stattdessen mit guten Angeboten
in der kurativen Medizin bleiben.
Schließlich ist eine Reduktion der Zahl der Studienabbrecherinnen
zu nennen. Die systematische Analyse an allen Medizinischen Fakultäten
"Warum brechen Sie Ihr Grundstudium ab?" ist für
eine erfolgreichere Studierendenbetreuung notwendig.
Erfahrungsgemäß wünschen sich Studentinnen unter
anderem auch weibliche Vorbilder und gute Kinderbetreuungsangebote.
Nach der sehr groben und holzschnittartigen fiktiven Rechnung ergeben
sich etwa 17 000 mehr Ärztinnen für Teilzeit- und Vollzeitstellen,
gegenüber Angaben zu freien Stellen, die zwischen 2 000 und
27 000 bei Umsetzung der Arbeitszeitregeln schwanken.
Was ist zu tun, damit auch die Ärztinnen endlich ungehindert
ihren Beruf ausüben und ihre beruflichen Ziele erreichen können?
Was muss passieren: in der Politik und bei uns selbst? Dies ist
aber nicht der Griff zu utopischen Sternen, sondern zu ganz konkreten
Zielen. Aus Zeitgründen skizziere ich die Forderungen nur;
in den Anträgen steht Genaueres.
Kinder sind eine Bereicherung. Inzwischen bekommen 40 Prozent der
Akademikerinnen keine Kinder mehr. Das widerspricht oft ihren tiefsten
Wünschen. Voraussetzung ist die dringende Umsetzung der Arbeitszeitregelung
für Ärztinnen und Ärzte. Wir brauchen Kinderhorte
und Kindergärten für Kinder von null bis 14 Jahren, Öffnungszeiten
von 6 bis 21 Uhr, den Schichtdienstregeln der bereitschafts- und
notärztlichen Dienste angepasst. Wir brauchen wie in den anderen
europäischen Ländern Ganztagsschulen. Kinderbetreuungskosten
und Haushaltshilfen müssen für Berufstätige komplett
absetzbar sein.
(Beifall)
Die betriebliche Kinderbetreuung sollte bei den DRG-Kalkulationen
berücksichtigt werden.
(Beifall)
Wir brauchen endlich Transparenz - das haben Sie bereits gesagt,
Frau Ministerin - und Chancengleichheit im Berufungsverfahren. Mindestens
25 Prozent der Mitglieder in Berufungskommissionen müssen Professorinnen
sein, zusätzlich zur Frauenbeauftragten, die auch immer Stimmrecht
haben muss. Frau Ministerin Bulmahn, die Coaching-Programme und
das vom BMFT geförderte Kompetenzzentrum für Frauen in
Wissenschaft und Forschung begrüßen wir ausdrücklich,
die anderen von Ihnen geplanten Programme ebenfalls.
(Beifall)
Zum Thema Juniorprofessuren: Die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen
Angehörigen darf nicht zur Karrierefalle werden. Die Mutterschutzverordnungen
müssen aktualisiert werden: Mutterschutz - ja, Berufsverbot
- nein!
(Beifall)
Wir haben darüber bereits abgestimmt, aber es ist in der Politik
leider immer noch nichts passiert.
Wir haben auch Forderungen an die Universitäten: Gender Mainstreaming
als Querschnittsaufgabe; keine Fachgremien mehr ohne paritätische
Beteiligung von Frauen, speziell keine Berufungskommission ohne
Professorinnen; jährliche Veröffentlichung der Daten zu
Ärztinnen in C-4/C-3-Positionen; Tutorinnen und Mentorinnen
für Medizinstudentinnen; an allen Universitäten Initiierung
von Wiedereinstiegsprojekten entsprechend dem Leipziger Projekt
mit Lifescience-Biotechnologien - ich weiß, Frau Ministerin,
dass Sie dieses EU-Projekt sehr unterstützen und es auch fördern
-; ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen für Studierende
und ärztliche Angestellte.
Unsere Forderungen an die Kliniken lauten: Arbeitszeitregelungen,
Arbeitszeitmodelle, Teilzeit, Kinderbetreuungseinrichtungen.
Unsere Forderungen an die Kassenärztlichen Vereinigungen:
Gender Mainstreaming als Vorstandsaufgabe; angemessene Beteiligung
von Ärztinnen in allen Vorständen und Gremien; flexiblere
Gestaltung des KV-Rechts, beispielsweise bei den Jobsharing-Bestimmungen
und bei den Kriterien für Praxisassistenten und -assistentinnen;
Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als Auswahlkriterium
bei der Praxisnachfolge.
Als Forderung an die Ärztekammern nenne ich beispielsweise
die erneute Wiederaufnahme von Wiedereingliederungskursen.
Ich komme zum Schluss. Sie erinnern sich an den Anfang dieses Tagesordnungspunkts,
an den Beschluss des Deutschen Ärztetages von 1898. Sicher
gehe ich recht in der Annahme, dass wir hier im Saal diese Formulierungen
im Jahre 2002 etwas variieren würden. Wenn ein größerer
Andrang an Ärztinnen eingetreten ist, wird dies folgende Wirkungen
haben: erheblicher Nutzen für die Kranken, Nutzen für
die Frauen, Nutzen für die deutschen Hochschulen und die Wissenschaft,
keine Minderung des ärztlichen Ansehens und Förderung
des allgemeinen Wohles.
Ich bedanke mich.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Frau Bühren, für die Analyse der über
die eigentliche Be-rufstätigkeit hinausgehenden Möglichkeiten
der Karriere auch in der ärztlichen Berufspolitik und für
die Vorschläge, wie es besser werden könnte. Die bisher
vorliegenden 28 Anträge beinhalten diese Vorstellungen. Wir
können nicht nur durch unseren Beifall zum Ausdruck bringen,
dass wir Ihrer Meinung sind, son-dern auch durch die Annahme derartiger
Anträge.
Bisher liegen zu diesem Tagesordnungspunkt 27 Wortmeldungen vor.
Frau Ministerin Bulmahn hat ein begrenztes Zeitbudget, wie man es
heute nennt. Früher sagte man: Sie kann nicht unbegrenzt bleiben.
Ich glaube, gegen 11 Uhr müssen Sie uns leider verlassen. Wir
haben dafür Verständnis, weil wir wissen, wie der Tagesablauf
einer Ministerin aussieht.
Das Wort hat nun Frau Dr. Buchmann-Barthel, die wir eingeladen haben,
zu uns zu sprechen. Bitte schön, Frau Kollegin Buchmann-Barthel.
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