Dr. Oberfeld (als geladener Gast):
Sehr geehrte Damen und Herren des Präsidiums! Sehr geehrte
Frau Ministerin Bulmahn! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen für die
Einladung zur heutigen Arbeitssitzung unter der Überschrift
"Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin".
Gern berichte ich Ihnen von meinen Erfahrungen als Mutter eines
zweijährigen Sohnes und als teilzeitarbeitende Ärztin
in der Facharztausbildung zur Neurologin an einem Krankenhaus. Ich
wollte immer eine Verknüpfung von Beruf und Familie. Das war
der Grund, weshalb ich nach zweijähriger neurochirurgischer
Tätigkeit in ein konservatives Fach wie die Neurologie gewechselt
habe. Jetzt habe ich eine Teilzeitstelle als ideale Lösung
für mich.
Schwierigkeiten gibt es trotzdem viele, angefangen bei dem Problem,
überhaupt eine solche Stelle zu bekommen und den dann zwangsläufig
notwendigen Platz in einer Kindertagesstätte zu ergattern.
Für meinen Chef und meine Abteilung musste ich eine Lösung
finden, die nicht automatisch die Wegrationalisierung der anderen
Hälfte meiner ehemals vollen Stelle bedeutete, und mich so
mit meiner Teilzeitstelle akzeptabel machte.
Das nächste Problem war, ein passendes Arbeitszeitmodell zu
finden, orientiert an den Öffnungszeiten der Kindertagesstätte
- in Münster sind die Grenzen da sehr eng zwischen 7.30 und
16 Uhr - auf der einen Seite und den Arbeitsabläufen in der
Klinik mit Besprechungen, Visiten, Röntgendemonstrationen etc.
auf der anderen Seite. Die Teilnahme am Bereitschaftsdienst muss
geregelt sein. Das heißt für mich eine Organisation der
Kinderbetreuung am Nachmittag, in der Nacht und am nächsten
Morgen, also nicht nur orientiert an den Öffnungszeiten der
Kindertagesstätte, sondern auch an den Arbeitszeiten und dem
Dienstplan meines Mannes. Plötzlich auftretende Überstunden
sind nur in geringem Umfang leistbar. Hans, unser Sohn, wartet und
muss betreut werden.
Das geht dann leider auch einmal auf Kosten der Kollegen mit einer
vollen Stelle ebenso wie die möglicherweise plötzlich
notwendigen Fehlzeiten meinerseits, weil das Kind erkrankt ist.
Kranke Kinder werden in der Kindertagesstätte nicht betreut.
Ein Elternteil muss also zu Hause bleiben.
Doch die Kollegen wissen auf ihre Art damit umzugehen. Ich musste
lernen, dass die halbe Arbeitszeit nicht automatisch auch die halbe
Arbeitsmenge bedeutet. Fixpunkte der Arbeit wie Besprechungen etc.
nehmen bei einer Teilzeitstelle, relativ betrachtet, einen größeren
Anteil der täglichen Arbeitszeit ein als bei einer vollen Stelle.
Die Anzahl der zu versorgenden Patienten beträgt oft mehr als
50 Prozent derer für die mit einer vollen Stelle tätigen
Kollegen.
Unliebsame und ungeplante Arbeit wird gern weitergereicht mit dem
Kommentar: Du hast ja kaum Patienten zu versorgen, du gehst ja eh
gleich nach Hause! Bei mir meldet sich dann das schlechte Gewissen,
wenn ich weiß, wenn am Nachmittag die Laborwerte erscheinen
und im Falle plötzlich notwendig werdender Fehlzeiten ich auf
die Gunst eben dieser Kollegen angewiesen bin. Ich mache also fast
alles irgendwie möglich.
Ein weiteres großes Problem ist wie bei allen Kolleginnen
und Kollegen die Organisation der Facharztausbildung. Grundsätzlich
wünschenswert ist ein individueller Ausbildungsplan für
jeden in der Facharztausbildung befindlichen Mitarbeiter einer Klinik.
Besonders aber eine Teilzeitstelle macht ein festes Konzept erforderlich,
damit die Einteilung in Funktionsabteilungen und zu Operationen
gewährleistet ist.
Jetzt werden Sie sich die Frage stellen: Warum macht sie das alles?
Könnte sie nicht viel einfacher zu Hause bleiben, sich um ihren
Sohn kümmern, das Leben genießen und vielleicht noch
weitere Kinder bekommen? Warum sollen Sie als Chef sich all diese
Probleme freiwillig in die Klinik holen? Die Antwort ist ganz einfach:
Ich liebe meinen Beruf. Für das Ziel, Ärztin zu sein,
habe ich viel investiert. Es ist aber auch eine Menge in mich investiert
worden. Sie erhalten hoch motivierte Mitarbeiterinnen, die ihre
Arbeit gern tun. Ohne diese Mitarbeiterinnen wird es in Zukunft
angesichts der Arbeitsmarktsituation und der Verschiebung der Zahlen
der Studienanfänger zugunsten der Studentinnen nicht mehr gehen.
Nur weil ich die Osterdekoration vielleicht erst am Karfreitag aus
dem Keller hole und keine bunten Bilder in meine Fenster klebe,
bin ich keine schlechte Mutter.
(Beifall)
Nur weil ich auch Mutter bin und einen Teil des Tages meiner Familie
widme, bin ich keine schlechte Ärztin,
(Beifall)
auch dann nicht, wenn ich durch die unbedingt notwendige Einhaltung
von selbstverständlichen Rahmenarbeitsbedingungen das althergebrachte
Arztbild des immer zur Verfügung stehenden, für jeden
jederzeit ansprechbaren und durch niemanden zu ersetzenden Arztes
ins Wanken bringe.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die angeführten Probleme
mit entsprechender Organisation und Kreativität lösbar
sind - vorausgesetzt, man will.
Vielen Dank.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Frau Kollegin Oberfeld. - Nun bitte Frau Dr. Sybille
Eberle. Sie ist ebenfalls geladener Gast. Es ist kein Geheimnis,
dass sie dem Bundesvorstand des Marburger Bundes angehört.
Bitte schön, Frau Eberle.
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