TOP III : Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin

3. Tag: Donnerstag, 30. Mai 2002 Vormittagssitzung

Dr. Oberfeld (als geladener Gast):

Sehr geehrte Damen und Herren des Präsidiums! Sehr geehrte Frau Ministerin Bulmahn! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen für die Einladung zur heutigen Arbeitssitzung unter der Überschrift "Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin". Gern berichte ich Ihnen von meinen Erfahrungen als Mutter eines zweijährigen Sohnes und als teilzeitarbeitende Ärztin in der Facharztausbildung zur Neurologin an einem Krankenhaus. Ich wollte immer eine Verknüpfung von Beruf und Familie. Das war der Grund, weshalb ich nach zweijähriger neurochirurgischer Tätigkeit in ein konservatives Fach wie die Neurologie gewechselt habe. Jetzt habe ich eine Teilzeitstelle als ideale Lösung für mich.
Schwierigkeiten gibt es trotzdem viele, angefangen bei dem Problem, überhaupt eine solche Stelle zu bekommen und den dann zwangsläufig notwendigen Platz in einer Kindertagesstätte zu ergattern. Für meinen Chef und meine Abteilung musste ich eine Lösung finden, die nicht automatisch die Wegrationalisierung der anderen Hälfte meiner ehemals vollen Stelle bedeutete, und mich so mit meiner Teilzeitstelle akzeptabel machte.

Das nächste Problem war, ein passendes Arbeitszeitmodell zu finden, orientiert an den Öffnungszeiten der Kindertagesstätte - in Münster sind die Grenzen da sehr eng zwischen 7.30 und 16 Uhr - auf der einen Seite und den Arbeitsabläufen in der Klinik mit Besprechungen, Visiten, Röntgendemonstrationen etc. auf der anderen Seite. Die Teilnahme am Bereitschaftsdienst muss geregelt sein. Das heißt für mich eine Organisation der Kinderbetreuung am Nachmittag, in der Nacht und am nächsten Morgen, also nicht nur orientiert an den Öffnungszeiten der Kindertagesstätte, sondern auch an den Arbeitszeiten und dem Dienstplan meines Mannes. Plötzlich auftretende Überstunden sind nur in geringem Umfang leistbar. Hans, unser Sohn, wartet und muss betreut werden.

Das geht dann leider auch einmal auf Kosten der Kollegen mit einer vollen Stelle ebenso wie die möglicherweise plötzlich notwendigen Fehlzeiten meinerseits, weil das Kind erkrankt ist. Kranke Kinder werden in der Kindertagesstätte nicht betreut. Ein Elternteil muss also zu Hause bleiben.

Doch die Kollegen wissen auf ihre Art damit umzugehen. Ich musste lernen, dass die halbe Arbeitszeit nicht automatisch auch die halbe Arbeitsmenge bedeutet. Fixpunkte der Arbeit wie Besprechungen etc. nehmen bei einer Teilzeitstelle, relativ betrachtet, einen größeren Anteil der täglichen Arbeitszeit ein als bei einer vollen Stelle. Die Anzahl der zu versorgenden Patienten beträgt oft mehr als 50 Prozent derer für die mit einer vollen Stelle tätigen Kollegen.

Unliebsame und ungeplante Arbeit wird gern weitergereicht mit dem Kommentar: Du hast ja kaum Patienten zu versorgen, du gehst ja eh gleich nach Hause! Bei mir meldet sich dann das schlechte Gewissen, wenn ich weiß, wenn am Nachmittag die Laborwerte erscheinen und im Falle plötzlich notwendig werdender Fehlzeiten ich auf die Gunst eben dieser Kollegen angewiesen bin. Ich mache also fast alles irgendwie möglich.

Ein weiteres großes Problem ist wie bei allen Kolleginnen und Kollegen die Organisation der Facharztausbildung. Grundsätzlich wünschenswert ist ein individueller Ausbildungsplan für jeden in der Facharztausbildung befindlichen Mitarbeiter einer Klinik. Besonders aber eine Teilzeitstelle macht ein festes Konzept erforderlich, damit die Einteilung in Funktionsabteilungen und zu Operationen gewährleistet ist.

Jetzt werden Sie sich die Frage stellen: Warum macht sie das alles? Könnte sie nicht viel einfacher zu Hause bleiben, sich um ihren Sohn kümmern, das Leben genießen und vielleicht noch weitere Kinder bekommen? Warum sollen Sie als Chef sich all diese Probleme freiwillig in die Klinik holen? Die Antwort ist ganz einfach: Ich liebe meinen Beruf. Für das Ziel, Ärztin zu sein, habe ich viel investiert. Es ist aber auch eine Menge in mich investiert worden. Sie erhalten hoch motivierte Mitarbeiterinnen, die ihre Arbeit gern tun. Ohne diese Mitarbeiterinnen wird es in Zukunft angesichts der Arbeitsmarktsituation und der Verschiebung der Zahlen der Studienanfänger zugunsten der Studentinnen nicht mehr gehen. Nur weil ich die Osterdekoration vielleicht erst am Karfreitag aus dem Keller hole und keine bunten Bilder in meine Fenster klebe, bin ich keine schlechte Mutter.

(Beifall)

Nur weil ich auch Mutter bin und einen Teil des Tages meiner Familie widme, bin ich keine schlechte Ärztin,

(Beifall)

auch dann nicht, wenn ich durch die unbedingt notwendige Einhaltung von selbstverständlichen Rahmenarbeitsbedingungen das althergebrachte Arztbild des immer zur Verfügung stehenden, für jeden jederzeit ansprechbaren und durch niemanden zu ersetzenden Arztes ins Wanken bringe.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die angeführten Probleme mit entsprechender Organisation und Kreativität lösbar sind - vorausgesetzt, man will.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Frau Kollegin Oberfeld. - Nun bitte Frau Dr. Sybille Eberle. Sie ist ebenfalls geladener Gast. Es ist kein Geheimnis, dass sie dem Bundesvorstand des Marburger Bundes angehört. Bitte schön, Frau Eberle.

© 2002, Bundesärztekammer.