TOP III : Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin

3. Tag: Donnerstag, 30. Mai 2002 Vormittagssitzung

Dr. Goesmann, Niedersachsen:

Meine sehr verehrten Referentinnen! Herr Professor Hoppe! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu drei verschiedenen Punkten. Zunächst möchte ich die Bemerkung von Herrn Professor Hoppe aufgreifen, dass Patientinnen mit einem Herzinfarkt nicht deshalb eine höhere Sterblichkeit aufweisen, weil sie schlechter versorgt werden, sondern dass dies pathophysiologische Gründe habe. Nein, wir haben inzwischen in der frauenspezifischen Gesundheitsforschung herausgefunden, dass ein weiterer sehr entscheidender Punkt hinzukommt: Frauen kommen durchschnittlich 30 bis 60 Minuten später in eine Klinik, wenn sie einen akuten Herzinfarkt erleiden, als Männer. Das liegt daran, dass sie in dieser Altersgruppe zu 80 Prozent alleine leben und niemanden haben, der Hilfe für sie holt. Ich finde, das ist für uns Ärztinnen und Ärzte eine ganz wichtige Information, die wir weitergeben müssen, um uns selber dazu zu bringen, gefährdeten Frauen entsprechende Warnungen zukommen zu lassen.

Ich möchte die hervorragenden und gleichzeitig erschreckenden Zahlen von Frau Dr. Bühren unterstützen, indem ich zwei Punkte hinzufüge. Wir haben in Niedersachsen und in Berlin in der Seminarweiterbildung für Allgemeinmedizin, in den 240-Stunden-Kursen, folgende Zahlen erhoben: 75 Prozent der Absolventen dieser Kurse sind Frauen. Gefragt, wie groß die Zeitspanne zwischen dem Ende des Studiums und dem Eintritt in diese Seminarweiterbildung war, stellte sich heraus: Die durchschnittliche Zeitspanne beträgt sieben Jahre.

Meine These lautet: Unsere jungen Ärztinnen und Ärzte, die nach dem Studium nicht in den Kliniken, nicht im Beruf auftauchen, verschwinden nicht in medizinfremde Bereiche, also in ein Bermudadreieck, bestehend aus Norwegen, Lufthansa oder Journalistik, sondern sie nehmen dann ihre Familienpause. Es sind zum großen Teil Frauen, die das Studium beenden. Sie befinden sich in einem Alter, in dem sie sich zunächst einmal familiären Pflichten widmen.

Meine These lautet: Sie wandern nicht ab, sondern sie widmen sich ihrer Familie. Ich bitte um Unterstützung aller vorgelegten Anträge und aller geplanten Maßnahmen für familien- und frauenfreundliche Arbeitsbedingungen, vor allem in unseren Kliniken.

Politik und Bundesärztekammer sind gefragt, diese brach liegenden Ressourcen von voll ausgebildeten Medizinerinnen und auch Medizinern, die erst einmal in die Familienphase eintreten, nicht versickern zu lassen, sondern dieses Kapital intensiv zu nutzen und für uns Maßnahmen zu ergreifen, dass diese jungen Menschen wieder in den Beruf zurückkommen.
Ich baue eine Brücke zwischen unserem jetzigen Tagesordnungspunkt und dem zur hausärztlichen Medizin: Die Zukunft der hausärztlichen Medizin ist weiblich. Wir haben gehört: 75 Prozent der Teilnehmer an den Kursen sind Frauen.

Ich tue jetzt etwas, Herr Professor Hoppe, was vielleicht unfair oder unredlich ist: Ich umgehe die Rednerliste zum Tagesordnungspunkt "Zukunft der hausärztlichen Versorgung" und sage an dieser Stelle: Wenn 75 Prozent der Absolventen in der Weiterbildung zur Allgemeinmedizin Frauen sind, dann brauchen wir in Zukunft eine flexible, pragmatische und frauenfreundliche Weiterbildungsordnung. Das heißt, ich empfehle das Kompromissmodell der Bundesärztekammer.

(Beifall)

Ich fordere dringend alle Landesärztekammern auf, Wiedereinstiegskurse und Refresher-Kurse, also Maßnahmen zur Wiedereingliederung derer, die eine Familienpause genommen haben, sofort zu initiieren. Ich denke, die Landesärztekammer Niedersachsen wird sich dem bald widmen.

(Vereinzelt Beifall)

Da wir keine Redezeitbegrenzung haben, möchte ich noch einen weiteren Punkt ansprechen. Ich habe im März dieses Jahres in Niedersachsen unter den niedergelassenen Ärztinnen eine Umfrage gestartet zu ihrer persönlichen und beruflichen Zufriedenheit. Ich möchte die Ergebnisse, die sehr überraschend waren, kurz vorstellen.

Wir haben in Niedersachsen 2 960 niedergelassene Ärztinnen. Wir haben jeder einen Fragebogen zur beruflichen und zur persönlichen Zufriedenheit verschickt. Wir hatten einen überraschend hohen Rücklauf von 1 600 Fragebögen. Das entspricht einer Quote von 55 Prozent. Das erreicht man bei keiner sonstigen Umfrage. Das zeigt mir, dass die Ärztinnen draußen ansprechbar sind und darauf warten, dass sich die Ärztekammern ihrer Probleme und ihrer Lebenssituation widmen.

Von diesen Frauen waren 7,5 Prozent psychotherapeutisch, 45 Prozent hausärztlich und 43 Prozent fachärztlich niedergelassen. 80 Prozent der Kolleginnen, die in Niedersachsen niedergelassen sind, gaben ihrer persönlichen Lebenssituation die Noten 1 - 3 auf einer Skala von 1 - 6. Sie gaben an, im Durchschnitt 42 Wochenstunden zu arbeiten. Der Bereich erstreckte sich von 2 - 120 Stunden pro Woche. Sie gaben ein für mich erstaunlich hohes Einkommen vor Steuern an. 25 Prozent verdienen mehr als 100 000 Euro im Jahr. Immerhin 36 Prozent verdienen zwischen 50 000 und 100 000 Euro im Jahr.

Sie gaben ihrer beruflichen Zufriedenheit auf einer Skala von 1 - 6 zu 70 Prozent die Noten 1 - 3. Auch das finde ich sehr gut.

Ferner sollten sie ihre gesamte Lebenssituation bewerten, beruflich und persönlich. 83 Prozent gaben ihrem gesamten Leben die Noten 1 - 3. Die letzte Frage lautete: Wer von Ihnen würde seinen Beruf in dieser Konstellation wieder wählen? 72 Prozent erklärten: Ich würde meinen Beruf, wie ich ihn heute habe, wieder wählen.

Meine Damen und Herren, ich finde, diese Zahlen machen Mut. Sie sagen uns: Frauen können in der Arbeitsform der niedergelassenen Vertragsärztin offensichtlich Beruf und Familie so miteinander verbinden, dass eine hohe Lebenszufriedenheit von immerhin 83 Prozent vorliegt. In der Niederlassung ist es uns Frauen möglich, Dinge außerhalb unseres Berufes mit unserem Beruf zu vereinbaren.

Wir haben beklagt, dass es in der Klinik und an den Universitäten kaum Frauen als Vorbilder für die Jungen gibt. Ärztinnen und Studentinnen gehen ja auch in Praxen, entweder als Patientin, als Famulantin oder als Weiterbildungsassistentin. In der Niederlassung gibt es weibliche Vorbilder für unsere künftigen Kolleginnen. Wir sollten dafür sorgen, dass noch mehr niedergelassene Frauen als Lehrärztinnen oder als Mentorinnen für unsere nachwachsenden jungen Kolleginnen eingesetzt werden.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank, Frau Goesmann, für Ihre Informationen, auch für die Darstellung, dass man sein eigener Chef sein kann und dann etwas unabhän-giger ist. Ich glaube, das ist wichtig. Unfair war Ihr Vorgehen nicht; gute Argu-mente passen durchaus auch zu mehreren Tagesordnungspunkten. - Jetzt bitte Frau Dr. Ebert-Englert aus Niedersachsen.

© 2002, Bundesärztekammer.