Prof. Dr. Hoppe, Referent:
Sehr verehrte Frau Vizepräsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich teile mir dieses Thema mit Herrn Dr. Koch, der über den
konstruktiven Teil berichten wird. Ich darf mir erlauben, in der
ersten Hälfte eine Einführung insofern zu geben, als ich
eine Betrachtung der historischen Ereignisse und der Vorläufe
dieser heutigen Diskussion anstelle.
Seit 1980 betonen "Blaue Papiere" die Bedeutung der hausärztlichen
Versorgung mit der Beschlusslage, dass die Allgemeinärztin/der
Allgemeinarzt für die Funktion der hausärztlichen Versorgung
am besten geeignet sei. Das steht auch in dem derzeit gültigen
Papier von 1994, der letzten Fassung des "Blauen Papiers".
Das liegt auch daran, dass durch die Wiedervereinigung die Auffassung
unserer Kolleginnen und Kollegen aus der früheren DDR, den
heutigen neuen Bundesländern, diesem Gedanken einen besonderen
Schub gegeben hat, und zwar dadurch, dass die Allgemeinärztin/der
Allgemeinarzt in der Deutschen Demokratischen Republik eine herausragende
Bedeutung hatte. Dieses Gedankengut ist im Jahre 1992, als wir die
Novelle der Weiterbildungsordnung verabschiedet haben, in unser
Weiterbildungsrecht eingeflossen. Diese Auffassung hat sich nicht
nur in der ärztlichen Politik, sondern darüber hinaus
auch in der allgemeinen Gesundheitspolitik durchgesetzt, wohl am
deutlichsten dadurch, dass die Gesundheitsministerkonferenz der
Länder 1994 exakt dieses als Beschlussgut festgelegt hat, sich
dies also zu Eigen gemacht hat.
Darüber konnten wir damals froh sein und darüber können
wir im Prinzip auch heute noch froh sein; denn wir müssen uns
erinnern, dass in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, insbesondere
in der zweiten Hälfte, intensiv - auch durch Einwirkung der
auch auf anderem Felde hoch aktiven und hoch einflussreichen OECD
- eine Idee um sich griff, ob man nicht alle Gesundheitsberufe inklusive
des Berufs des Arztes in einer Gesamthochschule für Berufe
des Gesundheitswesens etablieren und auf diesem Wege beispielsweise
Krankenschwestern, MTAs, Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeuten
in einer Gesundheitsgesamtschule ausbilden solle, damit diese Berufe
von vornherein lernten, gemeinsam zu arbeiten. Man wollte es von
den Universitäten wegnehmen.
Das ist dadurch bekämpft worden, dass wir in der Politik Einfluss
genommen haben und der Arztberuf als wissenschaftlicher Beruf, der
an der Universität zu erlernen sei, verteidigt wurde. Dadurch
wurde auch verhindert, dass sich diese Schulen etabliert haben,
wenngleich es einige gibt, die sich heute unter dem Firmenzeichen
Gesundheitswissenschaften ähnlich etabliert haben, wenn auch
mit leicht variierter Aufgabenstellung, und ein starkes Bestreben
der Pflegeberufe dahin geht, diesen Beruf zu verwissenschaftlichen
und die Pflegewissenschaften mit allem, was dazugehört, in
eine hochschulähnliche Struktur zu bringen. Das ist aber ein
Nebenthema.
Es gab damals auch intensive Bemühungen, insbesondere vonseiten
der damaligen Gewerkschaft ÖTV, aber auch von anderen, den
nurse practitioner, ein Zwischending zwischen Allgemeinarzt, Hausarzt
und Krankenschwester, als gatekeeper im System der Gesundheitsversorgung
vorzusehen, auch für Deutschland. Das ist dadurch abgewendet
worden, dass wir uns intensiv dieses Themas angenommen haben und
in den Jahren 1995, 1996 und 1997 im Gefolge der Beschlüsse
der Gesundheitsministerkonferenz von 1994 sich die Ärztetage
mit dem Thema der hausärztlichen Versorgung durch Allgemeinärzte
intensiv befasst haben, auch mit der entsprechenden Änderung
der (Muster-)
Weiterbildungsordnung im Fach Allgemeinmedizin im Jahre 1997.
Dem vorhergegangen war eine Einigung zwischen den wissenschaftlichen
Gesellschaften und den Berufsverbänden der Allgemeinmediziner
und der Internisten, dass die Allgemeinmedizin künftig allein
den Hausarzt stellen solle, mit der Vorstellung, dass Hausarztmedizin
im Sinne von Allgemeinmedizin nach dem so genannten biopsychosozialen
Modell betrieben werden soll. Das bedeutet im Klartext, um es sehr
vereinfacht auszudrücken: Die allgemeinmedizinisch tätigen
Hausärztinnen und Hausärzte sollen relativ wenig Medizintechnik
anwenden, sondern eine zuwendungsintensive Medizin betreiben, also
eine menschennahe und koordinierende ärztliche Funktion haben,
während sich die Innere Medizin unter dieser Vorstellung Schritt
für Schritt aus der hausärztlichen Versorgung ganz zurückziehen
soll, weil das Fach Innere Medizin ein spezialistisches Fach sei
- was es ursprünglich ja auch war - und nur deshalb eine so
starke hausärztliche Funktion übernehmen musste, weil
die entsprechenden Nachwuchszahlen im Bereich der Praktischen Ärztinnen
und Ärzte - später: der Allgemeinmedizinerinnen und der
Allgemeinmediziner - nicht ausreichend waren, sodass hier eine Kompensation
gefunden werden musste.
Das war die Grundlage unserer Beschlüsse. Diese Vereinbarung
ist in der Folgezeit - ich verkürze es jetzt - gescheitert,
und zwar aus Gründen, die auf beiden Seiten liegen. Weder ist
es möglich gewesen, in der Allgemeinmedizin eine Einigung darüber
herbeizuführen, dass der Verzicht auf diese Form der Medizintechnik,
die sich weiter bewegt als nur auf das so genannte biopsychosoziale
Modell hin, erforderlich ist, noch waren die Internisten auf breiter
Basis bereit, auf eine hausärztliche Tätigkeit zu verzichten,
weil sie dies doch als einen integralen Bestandteil ihrer Art der
Berufsausübung empfanden. Das hat zu erneutem, dann auch für
die Öffentlichkeit erkennbarem innerärztlichen Zwist geführt,
der sich für das Arztbild zweifellos nicht positiv auszuwirken
drohte. Es hielt sich in Grenzen.
Trotz unserer Favorisierung der Allgemeinmedizin, sogar der Förderung
der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin in Krankenhäusern
und Praxen mittels eines Initiativprogramms, das wir beschlossen
haben und das von der Politik und den Kassen akzeptiert worden ist,
haben sich junge Kolleginnen und Kollegen nicht in nennenswerter
und ausreichender Zahl für die Allgemeinmedizin gewinnen lassen
oder sie sind nicht in ausreichender Zahl über die dafür
aufgestellten "Hürden" gekommen. Ein besonderer Engpass
war und ist der stationäre Weiterbildungsabschnitt Innere Medizin.
Im Sozialrecht ist seit dem Gesundheitsstrukturgesetz 2000 gesetzlich
fixiert, dass ab dem 1. Januar 2006 nur noch Ärztinnen und
Ärzte für Allgemeinmedizin, die diese Weiterbildung durchlaufen
haben - mit fünfjähriger Weiterbildungsdauer -, in unserem
GKV-System zur hausärztlichen Versorgung zugelassen werden
dürfen. Nach allem, was wir jetzt wissen, ist diese gesetzliche
Vorgabe einfach mangels ausreichender Zahl von Ärztinnen und
Ärzten zu diesem Zeitpunkt nicht zu verwirklichen gewesen.
Es wird also nicht gelingen, die Vorgabe des Gesetzgebers zu erfüllen.
Deswegen hat sich der vorjährige Ärztetag mit einem Beschluss
und der Überweisung eines Antrags an den Vorstand der Bundesärztekammer
mit diesem Thema beschäftigt. Der angenommene Antrag, der vom
Vorstand kam, beschäftigt sich ausgiebig mit der Möglichkeit
der Rettung der Situation; der andere Antrag, der von Dr. Dietz
gestellt worden war und überwiesen wurde, implementierte von
vornherein die Idee, ob es nicht möglich sei, den Konflikt
zwischen Allgemeinmedizin und Innerer Medizin dadurch zu lösen,
dass man in vernünftiger Weise versucht, diese beiden Felder
- ich verwende ausdrücklich keine Termini technici - zusammenzuführen,
um damit einen Hausarzt der Zukunft zu haben, der so häufig
vorkommt, dass man den Wunsch des Gesetzgebers erfüllen kann.
Ich glaube, wir sollten ausdrücklich würdigen, dass die
wissenschaftlichen Gesellschaften beider Fächer - die Deutsche
Gesellschaft für Allgemeinmedizin und die Deutsche Gesellschaft
für Innere Medizin -, der Berufsverband der Allgemeinärzte
und der Berufsverband der Internisten sich ohne katalysatorische
Wirkung von außen bemüht haben, mit dem Problem fertig
zu werden. Das ist relativ weitgehend gelungen. Allerdings fehlte
das letzte Tüpfelchen. Deshalb haben wir als Vorstand der Bundesärztekammer
unsererseits die Indikation gesehen, uns mit dem Thema zu beschäftigen.
Wie das lief, wird Herr Dr. Koch gleich beschreiben.
Mir ist bewusst, dass es keine Lösung des Problems gibt, die
nicht irgendwo Tränen verursacht, es sei denn, wir würden
jede Änderung unterlassen und beispielsweise den Gesetzgeber
bitten, § 103 Abs. 4 des StGB V - um diesen geht es hier -
zu ändern, und dann die Entwicklung, wie sie sich in den nächsten
Jahren von allein ergibt, entscheiden zu lassen.
Wenn wir das im Sinne hätten, müssten wir aber sicher
sein, dass eine innerärztliche Diffamierung zwischen Allgemeinmedizin
und Innerer Medizin, wer nun der bessere Hausarzt sei, auf jeden
Fall unterbliebe.
(Beifall)
Zuvörderst sehen wir doch die langfristige
strukturelle Regelung dieses Problems eher in einer sich eigentlich
auch aus der Natur ergebenden Zusammenführung dieser Felder.
Deshalb komme ich zurück zu dem Lösungsmodell der Integration
von Innerer Medizin und Allgemeinmedizin. Insofern darf ich jetzt
die Stafette an Herrn Dr. Koch weiterreichen, der Ihnen vorstellen
wird, wie wir das in der Arbeitsgruppe des Vorstands realisiert
haben.
Meinerseits schönen Dank.
(Beifall)
Dr. Auerswald, Vizepräsidentin:
Vielen Dank, Herr Hoppe, für den historischen Überblick.
- Nun freue ich mich darauf, Herrn Dr. Koch, den Vorsitzenden der
Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer und Präsident
der Bayerischen Landesärztekammer, zu hören.
|