TOP IV : Zukunft der hausärztlichen Versorgung

2. Tag: Mittwoch, 29. Mai 2002 Nachmittagssitzung

Prof. Dr. Hoppe, Referent:

Sehr verehrte Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich teile mir dieses Thema mit Herrn Dr. Koch, der über den konstruktiven Teil berichten wird. Ich darf mir erlauben, in der ersten Hälfte eine Einführung insofern zu geben, als ich eine Betrachtung der historischen Ereignisse und der Vorläufe dieser heutigen Diskussion anstelle.

Seit 1980 betonen "Blaue Papiere" die Bedeutung der hausärztlichen Versorgung mit der Beschlusslage, dass die Allgemeinärztin/der Allgemeinarzt für die Funktion der hausärztlichen Versorgung am besten geeignet sei. Das steht auch in dem derzeit gültigen Papier von 1994, der letzten Fassung des "Blauen Papiers". Das liegt auch daran, dass durch die Wiedervereinigung die Auffassung unserer Kolleginnen und Kollegen aus der früheren DDR, den heutigen neuen Bundesländern, diesem Gedanken einen besonderen Schub gegeben hat, und zwar dadurch, dass die Allgemeinärztin/der Allgemeinarzt in der Deutschen Demokratischen Republik eine herausragende Bedeutung hatte. Dieses Gedankengut ist im Jahre 1992, als wir die Novelle der Weiterbildungsordnung verabschiedet haben, in unser Weiterbildungsrecht eingeflossen. Diese Auffassung hat sich nicht nur in der ärztlichen Politik, sondern darüber hinaus auch in der allgemeinen Gesundheitspolitik durchgesetzt, wohl am deutlichsten dadurch, dass die Gesundheitsministerkonferenz der Länder 1994 exakt dieses als Beschlussgut festgelegt hat, sich dies also zu Eigen gemacht hat.

Darüber konnten wir damals froh sein und darüber können wir im Prinzip auch heute noch froh sein; denn wir müssen uns erinnern, dass in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, insbesondere in der zweiten Hälfte, intensiv - auch durch Einwirkung der auch auf anderem Felde hoch aktiven und hoch einflussreichen OECD - eine Idee um sich griff, ob man nicht alle Gesundheitsberufe inklusive des Berufs des Arztes in einer Gesamthochschule für Berufe des Gesundheitswesens etablieren und auf diesem Wege beispielsweise Krankenschwestern, MTAs, Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeuten in einer Gesundheitsgesamtschule ausbilden solle, damit diese Berufe von vornherein lernten, gemeinsam zu arbeiten. Man wollte es von den Universitäten wegnehmen.

Das ist dadurch bekämpft worden, dass wir in der Politik Einfluss genommen haben und der Arztberuf als wissenschaftlicher Beruf, der an der Universität zu erlernen sei, verteidigt wurde. Dadurch wurde auch verhindert, dass sich diese Schulen etabliert haben, wenngleich es einige gibt, die sich heute unter dem Firmenzeichen Gesundheitswissenschaften ähnlich etabliert haben, wenn auch mit leicht variierter Aufgabenstellung, und ein starkes Bestreben der Pflegeberufe dahin geht, diesen Beruf zu verwissenschaftlichen und die Pflegewissenschaften mit allem, was dazugehört, in eine hochschulähnliche Struktur zu bringen. Das ist aber ein Nebenthema.

Es gab damals auch intensive Bemühungen, insbesondere vonseiten der damaligen Gewerkschaft ÖTV, aber auch von anderen, den nurse practitioner, ein Zwischending zwischen Allgemeinarzt, Hausarzt und Krankenschwester, als gatekeeper im System der Gesundheitsversorgung vorzusehen, auch für Deutschland. Das ist dadurch abgewendet worden, dass wir uns intensiv dieses Themas angenommen haben und in den Jahren 1995, 1996 und 1997 im Gefolge der Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz von 1994 sich die Ärztetage mit dem Thema der hausärztlichen Versorgung durch Allgemeinärzte intensiv befasst haben, auch mit der entsprechenden Änderung der (Muster-)
Weiterbildungsordnung im Fach Allgemeinmedizin im Jahre 1997.

Dem vorhergegangen war eine Einigung zwischen den wissenschaftlichen Gesellschaften und den Berufsverbänden der Allgemeinmediziner und der Internisten, dass die Allgemeinmedizin künftig allein den Hausarzt stellen solle, mit der Vorstellung, dass Hausarztmedizin im Sinne von Allgemeinmedizin nach dem so genannten biopsychosozialen Modell betrieben werden soll. Das bedeutet im Klartext, um es sehr vereinfacht auszudrücken: Die allgemeinmedizinisch tätigen Hausärztinnen und Hausärzte sollen relativ wenig Medizintechnik anwenden, sondern eine zuwendungsintensive Medizin betreiben, also eine menschennahe und koordinierende ärztliche Funktion haben, während sich die Innere Medizin unter dieser Vorstellung Schritt für Schritt aus der hausärztlichen Versorgung ganz zurückziehen soll, weil das Fach Innere Medizin ein spezialistisches Fach sei - was es ursprünglich ja auch war - und nur deshalb eine so starke hausärztliche Funktion übernehmen musste, weil die entsprechenden Nachwuchszahlen im Bereich der Praktischen Ärztinnen und Ärzte - später: der Allgemeinmedizinerinnen und der Allgemeinmediziner - nicht ausreichend waren, sodass hier eine Kompensation gefunden werden musste.

Das war die Grundlage unserer Beschlüsse. Diese Vereinbarung ist in der Folgezeit - ich verkürze es jetzt - gescheitert, und zwar aus Gründen, die auf beiden Seiten liegen. Weder ist es möglich gewesen, in der Allgemeinmedizin eine Einigung darüber herbeizuführen, dass der Verzicht auf diese Form der Medizintechnik, die sich weiter bewegt als nur auf das so genannte biopsychosoziale Modell hin, erforderlich ist, noch waren die Internisten auf breiter Basis bereit, auf eine hausärztliche Tätigkeit zu verzichten, weil sie dies doch als einen integralen Bestandteil ihrer Art der Berufsausübung empfanden. Das hat zu erneutem, dann auch für die Öffentlichkeit erkennbarem innerärztlichen Zwist geführt, der sich für das Arztbild zweifellos nicht positiv auszuwirken drohte. Es hielt sich in Grenzen.

Trotz unserer Favorisierung der Allgemeinmedizin, sogar der Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin in Krankenhäusern und Praxen mittels eines Initiativprogramms, das wir beschlossen haben und das von der Politik und den Kassen akzeptiert worden ist, haben sich junge Kolleginnen und Kollegen nicht in nennenswerter und ausreichender Zahl für die Allgemeinmedizin gewinnen lassen oder sie sind nicht in ausreichender Zahl über die dafür aufgestellten "Hürden" gekommen. Ein besonderer Engpass war und ist der stationäre Weiterbildungsabschnitt Innere Medizin.

Im Sozialrecht ist seit dem Gesundheitsstrukturgesetz 2000 gesetzlich fixiert, dass ab dem 1. Januar 2006 nur noch Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin, die diese Weiterbildung durchlaufen haben - mit fünfjähriger Weiterbildungsdauer -, in unserem GKV-System zur hausärztlichen Versorgung zugelassen werden dürfen. Nach allem, was wir jetzt wissen, ist diese gesetzliche Vorgabe einfach mangels ausreichender Zahl von Ärztinnen und Ärzten zu diesem Zeitpunkt nicht zu verwirklichen gewesen. Es wird also nicht gelingen, die Vorgabe des Gesetzgebers zu erfüllen.

Deswegen hat sich der vorjährige Ärztetag mit einem Beschluss und der Überweisung eines Antrags an den Vorstand der Bundesärztekammer mit diesem Thema beschäftigt. Der angenommene Antrag, der vom Vorstand kam, beschäftigt sich ausgiebig mit der Möglichkeit der Rettung der Situation; der andere Antrag, der von Dr. Dietz gestellt worden war und überwiesen wurde, implementierte von vornherein die Idee, ob es nicht möglich sei, den Konflikt zwischen Allgemeinmedizin und Innerer Medizin dadurch zu lösen, dass man in vernünftiger Weise versucht, diese beiden Felder - ich verwende ausdrücklich keine Termini technici - zusammenzuführen, um damit einen Hausarzt der Zukunft zu haben, der so häufig vorkommt, dass man den Wunsch des Gesetzgebers erfüllen kann.

Ich glaube, wir sollten ausdrücklich würdigen, dass die wissenschaftlichen Gesellschaften beider Fächer - die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin -, der Berufsverband der Allgemeinärzte und der Berufsverband der Internisten sich ohne katalysatorische Wirkung von außen bemüht haben, mit dem Problem fertig zu werden. Das ist relativ weitgehend gelungen. Allerdings fehlte das letzte Tüpfelchen. Deshalb haben wir als Vorstand der Bundesärztekammer unsererseits die Indikation gesehen, uns mit dem Thema zu beschäftigen. Wie das lief, wird Herr Dr. Koch gleich beschreiben.
Mir ist bewusst, dass es keine Lösung des Problems gibt, die nicht irgendwo Tränen verursacht, es sei denn, wir würden jede Änderung unterlassen und beispielsweise den Gesetzgeber bitten, § 103 Abs. 4 des StGB V - um diesen geht es hier - zu ändern, und dann die Entwicklung, wie sie sich in den nächsten Jahren von allein ergibt, entscheiden zu lassen.

Wenn wir das im Sinne hätten, müssten wir aber sicher sein, dass eine innerärztliche Diffamierung zwischen Allgemeinmedizin und Innerer Medizin, wer nun der bessere Hausarzt sei, auf jeden Fall unterbliebe.

(Beifall)

Zuvörderst sehen wir doch die langfristige strukturelle Regelung dieses Problems eher in einer sich eigentlich auch aus der Natur ergebenden Zusammenführung dieser Felder.

Deshalb komme ich zurück zu dem Lösungsmodell der Integration von Innerer Medizin und Allgemeinmedizin. Insofern darf ich jetzt die Stafette an Herrn Dr. Koch weiterreichen, der Ihnen vorstellen wird, wie wir das in der Arbeitsgruppe des Vorstands realisiert haben.

Meinerseits schönen Dank.

(Beifall)

Dr. Auerswald, Vizepräsidentin:

Vielen Dank, Herr Hoppe, für den historischen Überblick. - Nun freue ich mich darauf, Herrn Dr. Koch, den Vorsitzenden der Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer und Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, zu hören.

© 2002, Bundesärztekammer.