Auf Antrag von Dr. Dietz (Drucksache VI-22) fasst
der 105. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA haben
deutlich gemacht, wie verletzlich technisch hoch entwickelte Gesellschaften
sind. Besonders dramatische Ausirkungen hätten diese Verbrechen
im atomaren Bereich.
Es können sich aber auch verheerende Reaktorkatastrophen
wie in Tschernobyl allein schon als Folge von technischen Fehlern
und menschlichem Versagen wiederholen.
Die Erfahrungen daraus zeigen, dass sich die Ausbreitung und medizinischen
Folgen von Radioaktivität nach einem Unfall an keine engen
Grenzen halten.
Die Katastrophenschutz-Vorkehrungen sind in Deutschland noch
unzureichend. So sind ein Festhalten an einer 25-km-Zone willkürlich
und die Ausgrenzung von Menschen über 45 Jahren bei der Organisation
der Jodblockade nicht länger gerechtfertigt.
Der 105. Deutsche Ärztetag fordert daher die Bundesregierung
und die für die Ausführungs-Bestimmungen zuständigen
Landesregierungen auf,
- die Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der
Umgebung kerntechnischer Anlagen und die entsprechenden länderspezifischen
Regelungen zu ändern. Hochosierte Jodtabletten sollen in
allen Haushalten vorverteilt werden. Nur so ist eine rechteitige,
wirkungsvolle Einnahme für die gesamte Bevölkerung gewährleistet.
- mit einem vorbeugenden TSH-Schilddrüsenscreening der Gefahr
einer jodinduzierten Hyperthyreose entgegen zu wirken. Dies gilt
im besonderen Maße für ältere Menschen, aber auch
jüngere Menschen sind potentiell davon betroffen.
- den ärztlichen Bereitschaftsdienst und die Rettungsdienste
zu verzahnen und durch einen qualifizierten erfahrenen ärztlichen
Rettungsdienstleiter im Katastrophenfall zu koordinieren. Notwendig
ist ein standardisiertes Konzept, das auch regelmäßige
Katastrophenschutzübungen vor Ort, Schulung und Fortbildung
der Ärzte in Kliniken und Praxen beinhaltet.
- Für die Kosten dieser vorsorglichen Maßnahmen gilt
grenzüberschreitend das Verursacherprinzip. Sie dürfen
weder zu Lasten des Einzelnen, des Staates noch der Krankenkassen
gehen.
Begründung:
Durch die Neuordnung der Krankenhausfinanzierung, u. a. die Einführung
der DRGs, werden Kapazitäten zur Vorhaltung von katastrophenmedizinischer
Versorgung knapper. Reale Katastrophenszenarien sind bisher kaum
berücksichtigt und geübt worden. Es fehlen Erste-Hilfe-Kurse
in breiten Teilen der Bevölkerung.
Die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz liegt
bei den Innenministerien der Bundesänder mit unterschiedlichen
Konzepten und Einsatzplänen für den 25-km-Radius um
atomare Anlagen. Außerhalb der 25-km-Zone sind die Bundesbehörden
zuständig.
Bisher werden hochdosierte Jodtabletten nur in wenigen Gebieten
nahe den Kernkrafterken in den Haushalten vorverteilt. Das hochdosierte
Jod sollte aber sinnvoller Weise bereits vor der Inhalation von
radioaktivem Jod 131 eingenommen werden. Eine Einnahme 3 Stunden
nach der Kontaminierung vermindert die Wirksamkeit schon um 50
%. Bereits nach 10 Stunden ist die Maßnahme wirkungslos.
Eine noch spätere Einnahme kann sogar gegenteilige Effekte
auslösen.
Bei einer zentralen Ausgabe der Tabletten per Hubschrauber aus
nur drei Depots in der BRD, dann weiter über Feuerwehrstationen,
dann über die Apotheken vor Ort und erst dort an die betroffenen
Menschen, ist eine wirkungsvolle Jodblockade im Chaos eines Ernstfalls
nicht rechtzeitig durchführbar. Vor allem deswegen, weil
in einer solchen Situation der Aufenthalt der Menschen im Freien
vermieden werden soll. Evtl. notwendige Evakuierungsaßnahmen
würden das Durcheinander noch steigern.
Die Regelung, Menschen über 45 Jahre von der Versorgung
auszuschließen, ist nach den aktuellen Analysen aus der
Reaktorkatastrophe von Tschernobyl nicht mehr zu verntworten.
Erwachsene erkranken in allen Altersstufen immer noch bis zu 6-mal
häufiger an einem Schilddrüsen-Karzinom. Bei Kindern
und Jugendlichen steigt das Risiko zu erkranken auf das 200-fache
an.
Eine jodinduzierte Hyperthyreose lässt sich verhindern,
wenn die Schilddrüsenfunktion durch einen vorab durchgeführten
TSH-Test bekannt ist. Für Menschen, die davon potentiell
betroffen wären, ließe sich ein jodfreies Ausweichpräparat
bereitstellen.