Dr. Pickerodt, Berlin:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nach vielen Ärztetagen
das erste Mal, dass ich hier sprechen kann, bevor der Antrag auf Begrenzung der
Redezeit gestellt worden ist. Ich verspreche Ihnen: Ich werde diese Gelegenheit
nicht schamlos ausnutzen, sondern mich so kurz wie irgend möglich halten.
Als ich gestern in der „Frankfurter Rundschau“ Ihr
Interview, Herr Präsident, zur Frage des Gesundheitswesens gelesen habe, habe
ich gedacht: Ich brauche hier eigentlich gar nicht mehr zu sprechen, ich
brauche auch keinen Antrag zu stellen, bis auf die Frage der
Qualitätssicherung. Es scheint sich ja alles in einer Harmonie zwischen Politik
und Ärzteschaft aufzulösen. Als ich von Ihnen heute gehört habe, Sie müssten
sich mit der Ministerin nur zusammensetzen und zu zweit einen neuen
Gesetzestext verfassen, dann würde alles gut, habe ich nachzudenken begonnen.
Ich glaube, das Problem liegt nach wie vor in den Details.
Ich möchte gern zu einigen Details einige Anmerkungen machen. Ich habe das auch
zusammen mit Frau Schlang aus Hessen und Herrn Schwarzkopf-Steinhauser
aus Bayern in einem Antrag niedergelegt, der Ihnen umgedruckt zugeht. Es geht
um die Finanzierung des Gesundheitswesens. Ich habe heute Morgen vom Vizepräsidenten
der hiesigen Ärztekammer gehört: Wir brauchen mehr Geld. Dazu sage ich Ihnen
klar: Solange wir nicht die Wirtschaftlichkeitsreserven voll ausgeschöpft
haben, brauchen wir nicht mehr Geld. Wir sind mit 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
im Gesundheitswesen eigentlich gut finanziert. Auch im Vergleich mit anderen
zivilisierten Ländern liegen wir im oberen Bereich. Es kann nicht sein, dass
wir immer nur nach mehr Geld verlangen.
Als die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin heute
ihre Alternativen vorgestellt und vom Produktivitätszuwachs gesprochen hat,
haben Sie Ihren Unmut und Ihr Missfallen deutlich zum Ausdruck gebracht. Nur:
Wenn wir Wirtschaftlichkeit in der Versorgung herbeiführen, das heißt, wenn wir
keine Strukturveränderungen im Gesundheitswesen
durchführen, um die zum Teil vorhandene Überversorgung oder Fehlversorgung
abzubauen, werden wir keine Unterstützung in der Politik und auch nicht mehr in
der Bevölkerung bekommen. Wir können nicht immer nur danach fragen: Wie können
wir von den Patienten mehr Geld verlangen? Wie können wir ihnen durch höhere
Zuzahlungen oder durch, wie es der Vizepräsident der hiesigen Kammer gesagt
hat, durch nicht versicherungsfähige Zuzahlungen in die Tasche greifen? Das ist
sicher der falsche Weg; zumindest ist es nicht der solidarische Weg.
Es wird so pauschal immer von der Verbreiterung der
Einnahmenbasis gesprochen. Eine solche Verbreiterung setzt sich aus drei
Komponenten zusammen, von denen, wie ich denke, alle drei wichtig sind. Zum
einen geht es darum, dass Einnahmen aus Vermögen und Vermietung mit
herangezogen werden. Zum anderen geht es um die Versicherungspflicht für alle,
um die Abschaffung von Ausnahmen für Selbstständige und jene, die oberhalb
einer bestimmten Einkommensgrenze liegen. Es muss eine Versicherungspflicht für
alle geben, verbunden mit der Möglichkeit einer Zusatzversicherung für
Sonderleistungen wie Einbettzimmer und Chefarztbehandlung. Und schließlich geht
es um eine deutliche Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze.
Wenn man alle drei Wege beschreitet, wird man den Beitrag
zur gesetzlichen Krankenversicherung schätzungsweise auf 11 Prozent reduzieren
können. Derzeit aber werden 15 Prozent angedroht. Eine solche Senkung der
Lohnnebenkosten benötigt man, um zu einem gesamtwirtschaftlich sinnvollen
Ergebnis zu kommen.
Die Tabaksteuer wurde bereits angesprochen. Auch wir
halten eine Erhöhung im Sinne der Prävention für sinnvoll. Eine Prävention
insgesamt wird, wenn sie sinnvoll durchgeführt wird, zu einer Ausgabenminderung
führen.
Ein Problem, das in dem Interview mit Ihnen, Herr Hoppe,
in der „Frankfurter Rundschau“ angesprochen wurde, scheint mir die Versorgung
durch die Hausärzte zu sein. Mir scheinen die Aussagen, die dazu gemacht
werden, nicht ganz konsistent zu sein: einerseits die freie Facharztwahl,
andererseits aber das Primat der hausärztlichen Versorgung. Wenn es sich
tatsächlich nur um das handelt, was auch in der Eröffnungsveranstaltung
angesprochen wurde, nämlich den Hausärzten eine Lotsenfunktion zu geben, eine
Art Dispatcherfunktion, indem gesagt wird, ob der Patient zum Augenarzt, zum
Frauenarzt oder zum Radiologen gehen muss, ist das etwas, was nicht sinnvoll
für die finanzielle Basis des Gesundheitswesens sein kann, sondern im Interesse
der Patienten ist eine Erhöhung der Kompetenz der Hausärzte erforderlich.
(Zuruf)
- Ich glaube, hier gibt es einen Geschäftsordnungsantrag.
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der
Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:
Sie haben das Wort, Herr Pickerodt. Lassen Sie sich nicht beirren.
Dr. Pickerodt, Berlin:
Es
geht um eine Stärkung der psychosozialen Kompetenz der Hausärzte, um eine
Behandlungskompetenz und nicht nur um eine Lotsenfunktion im Gesundheitswesen.
Wenn wir einen Allgemeinarzt kreiert haben - das steht ja
auf diesem Ärztetag eindeutig zur Abstimmung -, der von seiner Weiterbildung
her geeignet und in der Lage ist, die primäre Behandlung der Patienten
durchzuführen, gibt es auch eine Entlastung in finanzieller Hinsicht. Dessen
bin ich mir ganz sicher.
Die Angst vor dem geplanten Zentralinstitut wird etwas
überbewertet. Da lässt sich sicher noch einiges an Feinformulierungen machen.
Ich komme zum Schluss.
(Beifall)
Die Finanzierung des Gesundheitswesens durch die
gesetzliche Krankenversicherung als paritätisch und solidarisch finanziertes
System hat sich in über 100 Jahren durchaus bewährt. Wir gingen fehl, wenn
wir anfingen, an dieser Basis unseres Systems zu knabbern und es abzubauen.
Dieses System hat zu einer Stabilität unserer Gesellschaft im 20. Jahrhundert
geführt, die im internationalen Vergleich ziemlich einmalig ist. Wir sollten
jeden Schritt genau überlegen, bevor wir anfangen, dort abzubauen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Vereinzelt
Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der
Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Herr Pickerodt. In unserer Geschäftsordnung steht, dass die
Redezeit, solange sie durch einen Beschluss des Ärztetages nicht begrenzt
wurde, etwa zehn Minuten nicht überschreiten soll. Ich glaube, Herr Pickerodt ist ungefähr in diesem Zeitrahmen geblieben.
Dennoch hat Frau Dr. Fick den Antrag gestellt, die Redezeit auf drei Minuten zu
begrenzen.
(Beifall)
Möchte jemand gegen diesen Geschäftsordnungsantrag
sprechen? - Formal. Dann stimmen wir ab: Wer ist für die Begrenzung der
Redezeit auf drei Minuten? - Wer ist dagegen? - Das Erste war die Mehrheit. Wer
enthält sich? - Damit ist die Redezeit auf drei Minuten begrenzt. Zur Kontrolle
gibt es die Lampe neben dem Rednerpult. Leuchtet sie grün, befindet sich der
Redner noch innerhalb seiner Redezeit. Leuchtet sie gelb, geht die Redezeit in
Bälde zu Ende. Das rote Licht bedeutet, dass die Redezeit abgelaufen ist.
Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Mehlhorn. Bitte schön.
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