Dr. Auerswald, Referentin:
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Thema Palliativmedizin
ist, glaube ich, auch für die Bevölkerung sehr interessant und außenwirksam.
Ich freue mich, hier Herrn Professor Klaschik begrüßen zu dürfen, Chefarzt der
Anästhesiologie und Intensivmedizin des Malteser-Krankenhauses in Bonn. Er ist
der erste Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.
Begrüßen können wir auch Herrn Dr. Thomas Schindler,
Allgemeinarzt, Sekretär der Deutschen Gesellschaft
für Palliativmedizin, Mitarbeiter im Palliativmedizinischen Konsiliardienst in
Nordrhein-Westfalen.
Beide Kollegen sind seit
Jahren unermüdliche Kämpfer für die Etablierung der Palliativmedizin in
Deutschland. Ich freue mich sehr, dass sich beide Herren bereitgefunden haben,
wichtige Aspekte der Palliativmedizin sowohl aus stationärer als auch aus
ambulanter Sicht darzustellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind auf dem 105.
Deutschen Ärztetag dem Antrag von Herrn Professor Hoppe und mir gefolgt und
haben sich mit großer Mehrheit für die Palliativmedizin als Schwerpunktthema
des diesjährigen Ärztetages entschieden. Das geschah im Jahre 2002. Dieses Jahr
war für uns sehr prägend durch neue Gesetzgebungen in den Niederlanden und in
Belgien zur Euthanasie oder auch zur aktiven Sterbehilfe. In diesen Ländern war
die Zielsetzung, die Kolleginnen und Kollegen, die aktive Sterbehilfe leisten,
aus dem rechtsfreien Raum herauszuholen. Für uns war sehr eindrucksvoll, als
wir im vorigen Jahr als Gast unseren Kollegen
Dr. Wynen aus Belgien hörten, der uns sichtlich bewegt schilderte, dass er sich
schäme, ein Bürger seines Heimatlandes Belgien zu sein. Er kritisierte damals
die Verabschiedung eines Gesetzes, das die Euthanasie regelt, als Ergebnis
einer Infektion, die sich sehr schnell ausgebreitet habe. Diese Infektion habe
in den Niederlanden ihren Ursprung, bedrohe jedoch die gesamte Ärzteschaft -
und zwar grenzüberschreitend - und sei zutiefst unmoralisch.
Ich denke, es steht uns nicht an, darüber zu urteilen, wie
sich unsere Nachbarn entschieden haben. Wir haben gelernt: Um eine Infektion zu
vermeiden, ist es notwendig, präventiv tätig zu werden. Das ist dringend
notwendig, denn auch in Deutschland gibt es entsprechende Tendenzen. Umfragen
des Forsa-Instituts belegen, dass zurzeit 70 Prozent der deutschen
Bevölkerung wünschen, dass die aktive Sterbehilfe bei uns zugelassen werden
sollte. Allerdings bin ich nicht ganz sicher, ob alle Befragten auch wissen,
was darunter wirklich zu verstehen ist. Würde man die Menschen fragen, ob sie
im Falle einer unheilbaren Krankheit getötet bzw. eingeschläfert werden wollen,
sähe das Ergebnis sicherlich anders aus.
Noch bedenklicher allerdings finde ich den hohen Grad an
Zustimmung zur Sterbehilfe innerhalb der Ärzteschaft: Derselben Umfrage zufolge
gehören 48 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte zu den Befürwortern der
aktiven Sterbehilfe. Studien belegen, dass dies häufig aus Unkenntnis über die
Möglichkeiten der Palliativmedizin erfolgt.
Erfreulich ist, dass es in allen Kammerbereichen hoch
motivierte Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit großem persönlichem Einsatz
schwerstkranke Patientinnen und Patienten versorgen. Es gibt sehr viele gute
Modellprojekte in allen Bundesländern, die aber selten über das Stadium des
Modellprojekts hinauskommen, geschweige denn, dass sie in die Regelfinanzierung
übernommen werden. In allen Kammerbereichen hat das Thema Palliativmedizin
große Beachtung gefunden. Auch das Interdisziplinäre Forum der Bundesärztekammer
hat sich im Jahr 2000 damit befasst.
Was ist Palliativmedizin? Nach der Definition der WHO ist
Palliativmedizin die aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer
progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten
Lebenserwartung zu der Zeit, zu der die Erkrankung nicht mehr auf kurative
Behandlung anspricht und die Beherrschung der Schmerzen und anderer
Krankheitsbeschwerden sowie psychologischer, sozialer und spiritueller Probleme
höchste Priorität besitzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist keine neue
Disziplin! Es gab Zeiten, da musste sich die Ärzteschaft mehr der Palliation
widmen, denn es gab einfach noch nicht so viele Krankheiten, die man kurativ
behandeln konnte. Wir können daher auch froh sein, dass sich dies zugunsten der
Heilung gewandelt hat. Doch wir erleben als Ärztinnen und Ärzte täglich, dass
es Krankheiten gibt, die eben nicht präventiv verhindert oder beseitigt werden
können, die nicht den Gesetzen der Rehabilitation unterliegen.
Wenden wir uns wieder dem eigentlichen Thema zu:
Palliativmedizin ist das Fachgebiet, in dem alle interprofessionell
zusammenarbeiten - Pflegeberufe, Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten,
Theologen, Sozialarbeiter und ausgebildete Hospizhelfer.
Der Ausgang der Entwicklung der Hospizidee und der
Palliativmedizin war das Christopher’s Hospice unter Cicely Saunders vor 35
Jahren. Die Entwicklung ging in den angloamerikanischen Ländern schneller voran
als bei uns. Dort haben sich stationäre und ambulante Einrichtungen mit hohen
Qualitätsstandards zeitgleich entwickelt. In Deutschland entwickelten sich -
geschichtlich bedingt - Hospizbewegung und Palliativmedizin unterschiedlich,
bewegen sich in der letzten Zeit aber wieder aufeinander zu. Ich kann mich sehr
gut daran erinnern, als wir die Ideen der ambulanten Palliativstationen
entwickelten, dass gesagt wurde: Sterbehäuser wollen wir hier nicht haben.
In Deutschland gibt es zurzeit 75 Palliativstationen, das
heißt sieben Betten auf 1 Million Einwohner. Der Bedarf, liebe Kolleginnen
und Kollegen, liegt - ich denke, da muss man genau zuhören - bei 30 Betten pro
1 Million Einwohner. Ambulante Palliativdienste existieren insgesamt 30 in
Deutschland, pro 1 Million Einwohner würden aber vier benötigt.
Neben den Palliativstationen und Palliativdiensten werden
99 stationäre Hospize geführt. Auch hier ergibt sich noch immer eine
Unterversorgung. An Hospizbetten gibt es elf auf 1 Million Einwohner,
benötigt werden aber 20.
Man rechnet, dass circa 25 Prozent aller Tumorpatienten
eine palliativmedizinische Versorgung benötigen. Circa 5 Prozent der
Tumorpatienten können dies heute in Anspruch nehmen.
Der Blick darf sich aber auch nicht abwenden von den
chronischen Erkrankungen, die konsumierend zu einem Ende führen. Ich denke da
an neurologische Erkrankungen und nicht zuletzt die alten multimorbiden
Patienten. Ich bitte, dies nicht mit den geriatrischen Patienten zu
verwechseln, die im Anschluss an eine akute Erkrankung einer
Rehabilitationsmaßnahme zugeführt werden.
Gerade unter ökonomischen Gesichtspunkten wird in jüngster
Zeit auch die Frage diskutiert, ob alte Patienten noch aufwendige oder
kostenintensive Behandlungen erfahren sollten. Solche Überlegungen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, finde ich persönlich zutiefst unethisch. Sie fordern
unseren deutlichen Widerspruch heraus.
(Beifall)
Wir lehnen Altersgrenzen für Behandlungen ab, wie sie
beispielsweise in Großbritannien schon existieren. Das ist rücksichtslose
Rationierung, bei der auch in Kauf genommen wird, dass Menschen vorzeitig
sterben. So weit darf es bei uns nicht kommen!
Nun zur politischen Ist-Situation in Deutschland: Die 75.
Gesundheitsministerkonferenz hat sich im Jahre 2002 in Düsseldorf
mit dem Thema „Würdevolles Sterben“ beschäftigt. Die GMK erhebt mit diesem
Bericht eine Bewertung der deutschen Rahmenbedingungen ambulanter und
stationärer Sterbebegleitung vor dem Hintergrund der Entwicklungsstände anderer
Länder, insbesondere europäischer Nachbarstaaten.
Sie unterscheiden leider nicht genau zwischen
Sterbebegleitung und Palliativmedizin. Gleichzeitig erwartet die GMK von uns
aber ein zwischen Ärzteschaft und Pflege abgestimmtes Konzept. Im Rahmen der
Palliativmedizin ist dieses existent.
Die von uns verabschiedeten Grundsätze zur
Sterbebegleitung aus dem Jahre 1998, die unter der Federführung von Professor
Beleites entwickelt wurden, geben der deutschen Ärzteschaft gute
Handlungsanweisungen. Was aber die Gesundheitsministerkonferenz
völlig verkannt hat, sind der ganzheitliche Ansatz, die interprofessionelle
Versorgung und die Verbesserung der Lebensqualität in Form der
Palliativmedizin.
Wir fordern eine massive
Unterstützung in der flächendeckenden Versorgung in der Palliativmedizin durch
Politik und Krankenkassen. Es ist von Länderseite nicht damit getan,
Palliativstationen allein in den Landeskrankenhausplänen auszuweisen; sie
müssen auch eingerichtet werden.
Wir werden auf diesem Deutschen Ärztetag mit der
Verabschiedung der neuen Weiterbildungsordnung - dies wird hoffentlich heute
Mittag geschehen - ein gutes Stück auf diesem Weg weiterkommen. Die
Medizinischen Fakultäten werden aufgerufen, die Palliativmedizin zügig in ihre
Lehrpläne mit einzubeziehen. Es müssen mehr Palliativlehrstühle eingerichtet
werden. Bislang gibt es, soweit ich informiert bin, nur zwei solcher Lehrstühle
in Deutschland! In Köln tut man sich zurzeit noch sehr schwer mit der Besetzung
des Lehrstuhls für Palliativmedizin. Das ist umso erstaunlicher, da ja die
Krebshilfe in Köln schon vorab sehr viel Geld investiert hat.
Kommen wir nun zu unserem allseits bekannten wie auch
klugen Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen.
Auch er hat sich mit diesem Thema beschäftigt. In der sehr ausführlichen
Ausgabe des dritten Bandes zur Unter-, Über- und Fehlversorgung geht man auf
die onkologischen Erkrankungen ein. Aber auch hier klaffen Theorie und Praxis
auseinander. Der weise Rat empfiehlt: Ausbau von stationären und ambulanten
Betreuungseinheiten; qualitätsorientierte Forschungsprojekte;
leitliniengerechte Opiattherapie und bessere Kooperation mit Schmerztherapeuten
sowie multidisziplinäre Zusammenarbeit.
Zum Schluss kommt der Hinweis, dass die ambulante und
stationäre Betreuung im Rahmen von Hospizdiensten und palliativmedizinischen
Versorgungsangeboten gestärkt werden müsse. Wie wahr, wie wahr!
Leider hat der weise Rat aber die Jekill-und-Hyde-Seiten
der Gesundheitspolitik nicht mit im Blick;
denn mit der Einführung der DRGs und dem typisch deutschen 100-Prozent-Ansatz
sieht es für die Palliativstationen zurzeit sehr schlecht aus. Einigen droht im
Augenblick schon jetzt das Aus. Wir hoffen, dass durch die Nachbesserung des
DRG-Gesetzes hier eine Besserung eintritt.
Palliativmedizinische Verläufe sind aufwendig und lassen
sich einfach nicht standardisieren. Wir haben es mit einem hohen Personalschlüssel
zu tun, einem multiprofessionellen Team, einem hohen Anteil versterbender
Patienten - verbunden mit der Betreuung von Angehörigen. Die Behandlungsdauer
ist bei solchen Patienten nicht planbar.
Im Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. August wurden im Rahmen
der Kerndokumentation für Palliativeinheiten Diagnosen und Prozeduren sowie
administrative Daten in 57 Zentren erhoben, die nach der „Münsteraner
Mapping-Liste“ ausgewertet wurden. Wie zu erwarten war, sind die Verweildauern
länger als in kurativen Abteilungen. Der DRG-Gruppierungsalgorithmus
berücksichtigt nicht den Unterschied zwischen kurativ und palliativ, sondern
pauschaliert. Der mittlere Behandlungsaufwand kann nicht aufgrund der Haupt-
und Nebendiagnosen abgeschätzt werden.
Das pauschalierte Vergütungssystem darf nicht dazu führen,
dass Palliativmedizin aus ökonomischen Gründen nicht mehr angeboten werden
kann. Uns ist bekannt, dass manche Krankenkassen - ich werde hier keine Namen
nennen - noch unter dem alten Vergütungssystem Aufenthalte auf Palliativstationen
von sieben auf vier Tage gekürzt haben, vom grünen Tisch aus - Begründung
offen, also wahrscheinlich überflüssig.
Die Aussagen eines einzelnen Herrn, dass 1 400
Krankenhäuser in den Bereich der Überversorgung gehören, dass DMPs dazu dienen,
stationäre Aufenthalte zu vermeiden, helfen uns in der Palliativmedizin nicht.
Wir werden uns sicherlich auch immer weiter der evidenzbasierten Medizin
zuwenden müssen. Aber in der Palliativmedizin werden wir letztendlich auf
unsere Patienten und deren Angehörige hören müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Ruf nach immer
mehr Wettbewerb in unserem System
konterkariert die menschenwürdige Versorgung von Schwerstkranken. Das kann
nicht funktionieren!
(Beifall)
Palliativmedizin unter Wettbewerbsbedingungen
ist einfach nicht vorstellbar.
Die Behandlung und Betreuung von todkranken Menschen muss
frei sein von ökonomischen Erwägungen. Diese Menschen brauchen unser ganzes
ärztliches Können, unsere Zuwendung und Mitmenschlichkeit. Sie brauchen Fürsorge
und professionelle Hilfe wie auch spirituelle Unterstützung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns
Überzeugungstäter in Sachen Palliativmedizin werden!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe sehr,
dass Sie unseren Vorstandsantrag unterstützen werden.
(Anhaltender
Beifall)
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