ENTSCHLIESSUNGSANTRAG I – 2
Auf
Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache I-2) fasst
der 106. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:
Die ambulante ärztliche
Versorgung durch freiberufliche Fachärzte ist ein prägendes Strukturelement und
Qualitätsmerkmal des deutschen Gesundheitswesens; sie gewährleistet eine
patientengerechte, wohnortnahe fachärztliche Versorgung.
Die Gesetzespläne im so genannten
Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz laufen darauf hinaus, die Praxen
niedergelassener freiberuflicher Fachärzte zu beseitigen. Langfristig soll jede
fachärztliche Tätigkeit an Krankenhäusern und in Gesundheitszentren angesiedelt
und in ein Angestelltenverhältnis überführt werden. In einer Übergangszeit soll
der bisherige Anspruch des Facharztes auf öffentlich-rechtliche Zulassung durch
Einzelverträge der Krankenkassen begrenzt bzw. vollständig abgelöst werden.
Der 106. Deutsche Ärztetag wendet sich entschieden gegen diesen Systemwechsel unseres
Gesundheitswesens, der als Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung
verkauft wird, jedoch geradezu das Gegenteil bewirken wird, wie europäische
Nachbarländer mit ähnlichen Strukturen belegen, in denen Wartelisten und Zweiklassen-Medizin
Folge der Ausdünnung der fachärztlichen ambulanten Versorgung sind.
Trotz der
politischen Beteuerungen, deren Rechte stärken zu wollen, werden Patienten die
Leidtragenden sein:
§
der Patient
wird im Krankheitsfall nicht mehr die freie Arztwahl haben; er wird in Zukunft
auf diejenigen Ärzte angewiesen sein, die von seiner Krankenkasse „eingekauft“
und unter Vertrag genommen sind oder die bereit sind, zu den Konditionen seiner
Krankenkasse zu arbeiten;
§
der Patient
kann nicht davon ausgehen, dass der behandelnde Facharzt seines Vertrauens ihm
auch langfristig für seine individuelle ärztliche Betreuung zur Verfügung
steht, da der Facharzt in Zukunft darauf angewiesen ist, dass Krankenkassen die
befristeten Verträge mit ihm auch verlängern;
§
der Patient
wird damit konfrontiert werden, dass er Opfer eines zu erwartenden
„vertragslosen Zustandes“ zwischen seiner Krankenkasse und der sich anstelle
von kassenärztlichen Vereinigungen bildenden gewerkschaftsähnlichen ärztlichen Strukturen
wird.
Mit dieser Abkehr
von der bisherigen kassenübergreifenden hin zu einer wettbewerblich ausgerichteten
Organisation der ambulanten fachärztlichen Versorgung wird nicht
nur die Versorgungssicherheit und die freie Arztwahl des Patienten beseitigt,
sondern auch Fachärzte in ihrer medizinischen Entscheidung erpressbar; sie
verlieren nicht nur ihre berufliche, sondern auch ihre fachliche
Unabhängigkeit.
Das unverantwortliche
gesetzgeberische Experiment entmündigt somit Patienten und Ärzte. Auf Grund
ihrer existenziellen Abhängigkeit vom Vertragsabschluss mit den Krankenkassen
werden sich Fachärzte dem Vertragsdiktat, das sich nicht nur auf die Vergütung,
sondern bei einer zunehmenden Anzahl von Krankheiten auch auf die medizinischen
Inhalte erstreckt (Disease Management Programme),
kaum entziehen können. Da die Krankenkassen im Beitragswettbewerb stehen, ist
nicht nur eine Risikoselektion zu Lasten schwerkranker, kostenintensiver
Patienten vorprogrammiert, sondern – auf Grund der Befristung der Verträge -
auch eine stufenweise Herausfilterung nicht der besten, sondern der
willfährigsten Ärzte zu befürchten.
Der 106. Deutsche Ärztetag
lehnt diese Gesetzespläne entschieden ab, er fordert stattdessen, das bewährte
System der ambulanten fachärztlichen Versorgung durch freiberufliche Ärzte
aufrecht zu erhalten. Dies ist unabdingbar verknüpft damit, dass
niedergelassene Fachärzte nicht durch Einzelverträge der Einkaufsmacht der Krankenkassen
unterworfen werden, sondern ihre berufliche und medizinisch fachliche
Unabhängigkeit zum Nutzen ihrer Patienten durch eine eigenständige Selbstverwaltung
in kassenärztlichen Vereinigungen behalten.
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