Eröffnungsveranstaltung

Dienstag, 18. Mai 2004, 10.00 Uhr

Bremer Konzerthaus Die Glocke

(Musikalische Einleitung: Giovanni Martini: Toccata,
Samuel Scheidt: Canzon Bergamasque; Mitglieder des Ensembles Weltblech)

Dr. Ursula Auerswald, Präsidentin der Ärztekammer Bremen:

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie ganz herzlich hier bei uns in Bremen zum 107. Deutschen Ärztetag begrüßen. Wir freuen uns sehr, dass Sie alle gekommen sind. Einen schönen guten Morgen!

Eine große Ehre ist es für uns, Herr Bundespräsident Rau, Sie hier auf dem Deutschen Ärztetag begrüßen zu dürfen. Wir freuen uns alle sehr, Herr Bundespräsident, dass Sie sich in den letzten Tagen Ihrer Amtszeit noch die Zeit genommen haben, heute zu uns zu sprechen. Vielen Dank.

(Beifall)

Ich begrüße an dieser Stelle unseren Bürgermeister Dr. Henning Scherf – einen Bürgermeister zum Anfassen, der noch am Sonntag stolz den neuen deutschen Fußballmeister Werder Bremen mitgefeiert hat. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich begrüße die Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis von der SPD, Dr. Hans Georg Faust von der CDU und Daniel Bahr von der FDP. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich freue mich auch sehr, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt begrüßen zu dürfen. Norddeutsch würde man sagen: Sie hat sich immer eine steife Brise um die Ohren wehen lassen, ist dabei aber standfest geblieben.

(Beifall)

Ich begrüße als Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft die Abgeordneten Sibylle Böschen von der SPD, Dr. Rita Mohr-Lüllmann von der CDU und Doris Hoch vom Bündnis 90/Die Grünen. Herzlich willkommen!

(Beifall)


Sie wissen: Bremen ist das kleinste Bundesland. Aber auch wir haben ein Gesundheitsressort. Herzlich willkommen, Frau Senatorin Karin Röpke, mit der wir sehr gut zusammenarbeiten!

(Beifall)

An dieser Stelle möchte ich besonders unseren Ehrenpräsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Professor Karsten Vilmar, begrüßen. Er ist nicht nur alter Bremer, sondern hat auch Jahrzehnte die Geschicke der deutschen Ärzteschaft hervorragend gelenkt. Er hat dieses Jahr auch die Aufgabe des Ehrenpräsidenten für den Deutschen Ärztetag übernommen.

(Beifall)

Ich freue mich sehr, unseren Präsidenten, Herrn Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, in den Bremer Gefilden begrüßen zu dürfen. Es ist gut für die deutsche Ärzteschaft, einen Präsidenten zu haben, der den Mut hat, die Mängel offen zu benennen.

(Beifall)

Bislang ist leider alles eingetroffen, was der Präsident der Bundesärztekammer vorhergesagt hat – und das ist sicherlich für manche schwer zu ertragen.

(Beifall)

Allen Mitgliedern des Vorstands der Bundesärztekammer ein herzliches Willkommen, ebenso wie Dr. Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der KBV, Professor Encke, Präsident der AWMF, Dr. Oesingmann, Präsident des Bundesverbands der Freien Berufe, sowie Herrn Dr. Ulrich Kirchhoff, Vorsitzender der ABV. Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

(Beifall)

Stellvertretend für unsere ausländischen Gäste begrüße ich herzlich Herrn Dr. Yoran Blachar, den Vorsitzenden des Vorstands des Weltärztebundes und Präsident der Israel Medical Association. Herzlich willkommen hier in Bremen!

(Beifall)

Bevor ich nach dieser Begrüßung zu dem anderen Teil meiner Rede komme, möchte ich Ihnen kurz die Musiker, die uns während dieser Eröffnungsveranstaltung erfreuen werden, vorstellen. Zu Beginn hörten Sie von Giovanni Martini „Toccata“ und von Samuel ScheidtCanzon Bergamasque“. Es spielen für uns die Mitglieder des Ensembles Weltblech. Seit seiner Gründung 1995 innerhalb des Jeunesse Musicale Weltorchesters hat sich Weltblech zu einem der bekanntesten und renommiertesten Blechbläserensembles in Europa entwickelt. Die Tradition des Orchesters fortsetzend, stammen die Musiker aus vielen verschiedenen Ländern, unter anderem aus Australien, Belgien, Deutschland, England, Kanada, Luxemburg, den Niederlanden und Schottland.

Mehrere Male im Jahr kommen die Musiker zusammen und proben und konzertieren im Zeichen der internationalen Verständigung.

Es gibt weder festgelegte Positionen innerhalb des Ensembles noch gibt es den herausragenden „Star“. Die unterschiedliche musikalische Ausbildung und Herkunft der Musiker steigert die musikalische Flexibilität und den Reichtum des Ensembles.

Gestatten Sie mir, die Musiker einzeln vorzustellen: Thomas Ratzek, Trompete, Deutschland; Stefan Ruf, Trompete, Deutschland; Jodie Lawson, Horn, USA; Berten Claeys, Posaune, Belgien und Lorna J. McDonald, Bassposaune, Schottland.

(Beifall)

Zuletzt hat vor nunmehr 80 Jahren ein Deutscher Ärztetag in Bremen stattgefunden. Deswegen freuen wir uns umso mehr, dass es nach so langer Zeit wieder einmal so weit ist. Die Themen des damaligen Ärztetages sind uns auch heute nicht fremd – es war einer der wichtigsten Ärztetage, auf dem die Chirurgie und die Innere Medizin ins Leben gerufen wurden; das bedeutet nicht, dass wir sie heute trennen wollen –: Einführung der Facharztordnung, der jetzigen Weiterbildungsordnung, und die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme. Es gibt wohl kaum ein spannenderes Thema; denken Sie nur an die Diskussionen über die Kopfpauschale oder die Bürgerversicherung oder etwa an die Idee der Privatisierung der Krankenkassen. Diese Diskussionen werden in diesem Jahr und auch im nächsten Jahr sicherlich ganz weit nach oben kochen. Ich denke, unser Land braucht diese Diskussion.

Damals war ein Thema auch die Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzten. Merkwürdig, dass dieses Thema auch heute noch immer aktuell ist, obwohl man meinen sollte, dass eine gute Zusammenarbeit selbstverständlich ist und Differenzen zwischenzeitlich der Vergangenheit angehören sollten. Wie ich gehört habe, ist gestern ein großer Schritt gelungen, zwischen den Hausärzten und den Fachärzten Vereinbarungen zu treffen.

Herr Bundespräsident Rau, in Ihrer letzten Berliner Rede vom vergangenen Mittwoch beschreiben Sie die Vertrauenskrise in diesem Land. Sie fordern mehr Eigenverantwortung und Engagement. Und Sie sprechen von der Verantwortung. Bei den Vorbereitungen zum heutigen Tag ist mir Ihre Rede sehr durch den Kopf gegangen, vor allem Ihre Aussage, dass nirgendwo so viele Verantwortliche und Funktionsträger mit so großer Lust so schlecht und so negativ über das eigene Land sprechen wie bei uns.

Dies trifft meines Erachtens leider auch für die politischen Bewertungen unseres Gesundheitswesens zu. Der ständig wiederholte Vergleich „Mercedes zahlen und Volkswagen bekommen“ hat das deutsche Gesundheitswesen und seine Akteure nachhaltig diskreditiert. Eine Studie des renommierten Gesundheitswissenschaftlers Professor Beske hat das diesem Vergleich zugrunde liegende Rankingsystem der WHO als nicht wissenschaftlich haltbar zurückgewiesen. Dieses Ranking wird zwar mittlerweile von der WHO selbst nicht mehr weiterverwendet, hat aber viel, viel Vertrauen zerstört, ebenso wie manch andere Studie über den Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben für das Gesundheitswesen in verschiedenen Ländern, ohne zugleich  den Leistungskatalog mit in den Vergleich einzubeziehen. Ich denke, jeder, der in der Gesundheitspolitik tätig ist oder meint, zur Gesundheit etwas sagen zu wollen oder sagen zu müssen, sollte sich einfach einmal mit Zahlen und Daten beschäftigen und sich solchen Studien wie der von Professor Beske zuwenden, die auf einer sehr sauberen Grundlage beruhen.

(Beifall)

Vertrauen haben und Vertrauen schenken scheint in der Gesundheitspolitik zurzeit schwer umsetzbar, geht es doch um nicht weniger als um grundlegende Strukturänderungen eines bisher bewährten Sozialsystems.

Für uns Ärztinnen und Ärzte sind die Aufgaben in der Bundesärzteordnung verankert: Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.

Vor diesem Hintergrund sehen wir es auch als unsere ureigenste Aufgabe an, von der Politik zu fordern, dass sie Rahmenbedingungen schafft, die es uns ermöglichen, diese Aufgabe sowohl in der Klinik als auch in der Praxis zu erfüllen.

Mir scheint, dass dies in der letzten Zeit nicht mehr ganz so gut funktioniert. Nicht nur, dass permanent behauptet wird, dass wir schlechte Arbeit leisten, es wird auch Misstrauen geschürt – Misstrauen, das uns alle in einen bürokratischen Rechtfertigungswahn treibt! Dieser irrsinnige Aufwand an Bürokratie führt zu steigender Demotivation aller Berufe im Gesundheitswesen, Herr Bundespräsident, vor allem aber kostet er Zeit, die uns dann bei der Behandlung unserer Patienten fehlt.

(Beifall)

Professor Dietrich Grönemeyer spricht sich in seinem Buch „Mensch bleiben“ klar für eine medizinische Versorgung aus, bei welcher der Blick für den Menschen nicht verloren geht, für eine gute Beziehung zwischen Patient und Arzt und für eine liebevolle Medizin; denn dies sind die Voraussetzungen für einen Erfolg versprechenden Heilungsprozess und für die notwendige Individualmedizin, die doch jeder Einzelne von uns erwartet. Der Mensch ist nicht die Summe seiner durchschnittlichen Krankheitserwartung, der Mensch ist Mensch und sollte es bleiben!

(Beifall)

Betrachte ich aber die Realität, dann sehe ich, dass es in der Gesundheitspolitik im Augenblick mehr um Ökonomie, Effizienz und Effektivität geht. Ich will hier niemanden direkt beschuldigen, aber alle an diesem System Beteiligten machen sich schuldig, wenn sie nicht dagegen angehen.

Verantwortung übernehmen für eine gute Medizin und Heilen statt Kranksparen – wenn uns dies wieder bewusster wird und wenn es uns gelingt, wieder junge Mediziner für gute Medizin zu begeistern, dann wird es uns auch gelingen, den Ärztemangel zu bekämpfen und die medizinische Versorgung der Zukunft zu sichern. Voraussetzung dafür aber ist, dass die Ärzte und Ärztinnen endlich wieder unter menschlichen Arbeitsbedingungen tätig werden können!

(Beifall)

Aber was ist mit der Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes? Was ist mit der Bezahlung unserer jungen Kolleginnen und Kollegen? Der Arztberuf gehört schon lange nicht mehr zu den attraktiven Berufen. Sie, Frau Ministerin, hatten uns auf dem Deutschen Ärztetag im vorigen Jahr zugerufen, Sie könnten uns nicht alle zu Millionären machen. Ich denke, wir sollten uns darum kümmern – dazu sind alle aufgerufen –, dass Ärzte wenigstens für die Arbeit, die sie leisten, bezahlt werden.

(Lebhafter Beifall)

Krankenhausbilanzen machen sich ja gut – ich weiß, dass sich die Krankenhäuser sicherlich nicht in einer einfachen Situation befinden –, wenn sie schwarze Zahlen schreiben – aber bitte nicht auf Kosten nicht bezahlter Überstunden von Pflege und Ärzten!

(Beifall)

Frau Ministerin Schmidt, ich war ganz begeistert, als ich Sie morgens um 7 Uhr – das ist ja die Zeit, zu der man aufsteht und das Frühstück macht – im Deutschlandfunk hörte. Ich fragte mich, was denn nun passiert sei, denn unsere Ministerin sprach plötzlich von den guten Haus- und Fachärzten, von der Kultur der niedergelassenen Fachärzte und davon, dass es in diesem Land keine Versorgungsengpässe geben könne. Ihr Berater Herr Lauterbach sieht das aber anders. Er beklagt nämlich die doppelte Facharztschiene und sieht darin den größten Fehler. Insofern bin ich froh, dass Sie in demselben Interview zu einem anderen Gesundheitsökonomen gesagt haben, es handele sich um einen Theoretiker, man sollte lieber auf die Praktiker hören.

(Beifall)

Auch der Idee Ihres Hauses, Ärzte nur noch im Angestelltenverhältnis arbeiten zu lassen, weil ihnen das am liebsten sei, möchte ich an dieser Stelle ganz entschieden widersprechen. Es wird sich nur um einen Teil der Ärzte handeln.
Ebenso möchte ich ganz entschieden der Auffassung widersprechen, dass Versorgungszentren das einzig Wahre seien. Lassen Sie uns doch unsere, die ärztliche Verantwortung übernehmen – wo und in welcher Form, das braucht von Ihnen gar nicht reguliert zu werden. Ich denke, das Gesundheitswesen lebt doch maßgeblich davon, dass die darin arbeitenden Menschen auch ganz persönlich zu ihrer Verantwortung stehen. Insofern möchte ich auch hier für etwas mehr Vertrauen werben!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, Reglementierung und noch mehr staatlicher Einfluss schaden mehr, als dass sie nützen. Wir müssen doch nicht immer erst die Fehler unserer Nachbarländer machen, bis wir daraus lernen.

(Beifall)

Ich denke, wir sollten auch positiv in die Zukunft schauen, und zwar unabhängig von Wahlen, denn wir wollen dauerhaft gute Medizin machen. Wir sollten uns alle bemühen, unser Gesundheitssystem gemeinsam wieder zu dem zu machen, was es einstmals gewesen ist, nämlich eines der besten medizinischen Versorgungssysteme in Europa. Wir sind bereit, daran mitzuarbeiten.

Dazu brauchen wir engagierte Kolleginnen und Kollegen, eine enge Kooperation mit der Pflege und allen medizinischen Fachberufen und, meine Damen und Herren, vor allem eine konstruktive Politik, die Vertrauen in unser Gesundheitswesen und die darin arbeitenden Menschen hat!

Wir brauchen wieder Raum für die ärztliche Kunst und ein Klima, in dem es wieder Spaß macht, zu studieren.

All dies zusammen wird dazu führen können, dass das verloren gegangene Vertrauen unserer Patientinnen und Patienten in unser Gesundheitswesen wieder aufgebaut wird. Lassen Sie uns auf diesem Ärztetag in Bremen Hoffnung schöpfen und Hoffnung geben.

Ich hoffe, Sie genießen Bremen. Diese Stadt hat so viel zu bieten. Ich denke, auch die Bayern werden sich hier sicherlich wohl fühlen, denn die Kämpfe um die Fußballmeisterschaft sind vorüber. Wir haben ja versprochen, die Schüssel gut zu pflegen, damit man sie sich nächstes Jahr wieder im guten Zustand abholen kann.

(Heiterkeit – Beifall)

Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen. Genießen Sie Bremen, schauen Sie sich die Umgebung an. Die Atmosphäre in dieser Stadt ist toll, nicht nur als Ergebnis der Fußballmeisterschaft. Sie werden hier auf eine tolle Bevölkerung treffen.

Nun darf ich unseren Bürgermeister Henning Scherf bitten, sein Grußwort an uns zu richten.

Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall)

© 2004, Bundesärztekammer.