Dienstag, 18. Mai 2004, 10.00 Uhr
Dr. Henning Scherf, Bürgermeister,
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen:
Hoch verehrter Herr Bundespräsident, lieber Johannes Rau! Herzlich
willkommen in Bremen! Ich glaube, wir sind die erste und die letzte
Station in der Amtszeit des amtierenden Bundespräsidenten. Ich erinnere
mich noch genau, wie wir alle uns gefreut haben, wie herzlich, direkt
und unverwechselbar das geschah. Ich wünsche, dass das bitte sehr
bis zum letzten Tag so bleibt und dass wir für unseren Bundespräsidenten
so etwas wie ein offenes, freundliches und herzliches Feedback für
seine fünf Jahre, in denen er sich zusammen mit seiner Familie mit
ganzer Kraft für dieses Land eingesetzt hat, organisieren. Danke sehr!
(Beifall)
Bevor ich Sie alle, meine Damen und Herren, begrüße,
muss ich Ursula Auerswald begrüßen. Meine liebe Ursula Auerswald,
Sie sind eine ganz unglaubliche Präsidentin. Sie sind schwer krank;
das wissen fast alle hier. Sie bewältigen mit übermenschlichen Kräften
diesen Ärztetag. Es ist Ihr Lebenswerk, es ist wahrscheinlich der
Abschluss Ihres Lebenswerks. Ich wünsche, dass wir alle Sie auf eine
ganz herzliche und ganz unverwechselbare Weise begleiten. Wir sind
dankbar für das, was Sie für die Stadt, für das Land, aber auch für
die ganze Zunft getan haben. Wir sind ganz stolz auf Sie!
(Lebhafter
Beifall)
Die Ärzte sehen sich in der Auseinandersetzung
mit Ulla Schmidt wie in einer Kampfposition und so, als ob alle auf
den Barrikaden stünden und sich gegenseitig Drohungen zukommen ließen.
Mit Ursula Auerswald ging das hier immer ganz anders. Ursula Auerswald
hat in ihrer unverwechselbaren Art diese Stadt und dieses Land zusammengehalten.
Sie hat für alle Verständnis gehabt und hat alle erreicht. Sie ist
nicht jemand – lieber Johannes Rau, das ist vielleicht ein gutes Zeichen
für die Rede –, der sich standespolitisch verkämpft, für den die anderen
uninteressant sind, sondern ich habe sie die ganzen Jahre als eine
Person erlebt, die in der Mitte der Gesellschaft Verantwortung für
alle übernommen hat, die sich für nichts zu schade war, die überall
hingegangen ist, die überall zugehört und überall versucht hat, vorsichtig
und bescheiden, aber sehr loyal zu den Menschen ihre Rolle einzubringen.
Ich werde das nicht vergessen.
Ursula Auerswald ist ein Vorbild für Ihre gesamte
Zunft. Wenn Sie nach Hause fahren und aus Bremen nur mitnehmen, dass
wir eine solche Kammerpräsidentin haben, dann ist dieser Ärztetag
schon ein ganz großer Erfolg gewesen.
(Beifall)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue
mich sehr, dass es – wahrscheinlich besonders Ursula Auerswald – gelungen
ist, diesen 107. Deutschen Ärztetag nach Bremen zu bringen. Das ist
für uns eine wunderbare Chance, liebevolle Gastgeber zu sein. Wir
möchten gern, dass Sie sich hier richtig wohl fühlen. Natürlich ist
unser Stadtstaat klein. Er hat aber auch über Jahrhunderte Erfahrungen
gesammelt. Er möchte gern weltoffen sein und möchte sich in der Gastgeberrolle
gerade auch für Sie qualifizieren. Wir möchten uns dafür bedanken,
dass Sie sich dazu entschieden haben, nach Bremen zu kommen. Wir möchten
Ihnen in dieser knappen Woche nachdenkliche und nachhaltige Gastgeber
sein. Sie sollen, wenn es geht, Ursula Auerswald in der Mitte, uns
Bremerinnen und Bremer als Beispiel dafür kennen gelernt haben, wie
man in einer so alten Stadtrepublik lebt. Hier in Bremen gab es nie
Adlige, Könige und Fürsten. Es gab immer nur gewählte Bürger und Senatsmitglieder.
Das muss man sich einmal vorstellen: Seit über tausend Jahren gibt
es hier nur gewählte Bürger. Sie waren so ähnlich wie ich, aber würdiger.
(Heiterkeit)
Sie haben nie ein herrschaftliches Gehabe an den
Tag gelegt. Wir sind über die Jahrhunderte hinweg möglichst direkt
und ohne Aufwand miteinander umgegangen. Hier gab es nie eine Bannmeile,
hier gab es nie irgendwelche Distanzen, sondern es gehört seit Jahrhunderten
zum guten Ton, dass diejenigen Bremer, die die Stadt repräsentieren,
so nahe wie möglich an den Menschen sind.
Es gibt in dieser Stadt keinen Platz, wo Sie sich
fürchten müssen, Tag und Nacht. Ich habe mir in meiner 26-jährigen
Amtszeit noch nie gewünscht, einen Bodyguard zu haben. Ich hatte auch
noch nie einen nötig, denn hier braucht man ihn nicht. Man kann sich
hier zu Fuß bewegen, man braucht keine Dienstwagen, man braucht hier
keine Bewacher, man kann mit dem Fahrrad fahren, man kann sich, wo
immer man ist, mit den Leuten verständigen.
Sie sollten Ihr Auto in der Garage stehen lassen
und zu Fuß durch diese Stadt gehen. Sie können sich anschauen, wozu
Sie Lust haben. Sie können in die Häuser gehen, in die Theater, in
die Museen, in die Kirchen. Sie werden merken: Das ist ganz einfach.
Sie können mit jedem reden, wie Sie wollen, und jeder wird sich freuen,
dass Sie als Deutscher Ärztetag eine knappe Woche hier in Bremen zu
Gast sind. Keiner wird mit Ihnen Abrechnungen vorhaben, keiner wird
irgendwelche giftigen Geschichten aus irgendwelchen anstrengenden
Kämpfen erzählen. Wir freuen uns, dass Sie hier sind und dass Sie
hier eine knappe Woche lang über Ihre komplizierte Arbeit und die
schwierige gesundheitspolitische Lage diskutieren wollen.
Gehen Sie bitte umsichtig mit Ulla Schmidt um;
sie soll nämlich genauso wie Sie gute Gedanken mit der Stadt Bremen
verbinden. Sie muss ja irgendwann einmal die Erfahrung machen, dass
man nicht nur in Aachen, sondern auch anderswo trotz Kontroversen
und trotz großer Interessenkonflikte friedlich miteinander umgehen
kann, sich miteinander verständigen kann, jedenfalls aufeinander zugehen
kann.
Ursula Auerswald hat eben gesagt, dass Sie sich
als Ärzte nicht über das Geld definieren, sondern über die Leistungen,
die Sie an Ihren Patienten erbringen. Das ist doch der Anlass, warum
Sie sich ein so schwieriges Studium vorgenommen haben und warum Sie
sich auf eine solch schwierige und anstrengende und manchmal wochenlang
rund um die Uhr dauernde Arbeit eingelassen haben. Wenn das in den
Mittelpunkt rückt, wird Ulla Schmidt ein bisschen aufgebaut nach Berlin
zurückkehren und im Deutschlandfunk weiterhin so nette Interviews
geben. Dann wird sie hoffentlich dazu beitragen, dass es für die vielen
Leute, die darauf angewiesen sind, bei uns im Lande Ärztinnen und
Ärzte gibt, die bei dramatisch schwierigen Lebenslagen rund um die
Uhr erreichbar und leistungsfähig sind, die Antworten finden und nicht
sagen: Das Geld reicht leider nicht, Sie müssen wieder nach Hause
gehen.
Das ist es doch, was wir uns alle wünschen. Wir
wollen mit Ihnen zusammen etwas zustande bringen und Sie nicht ausgrenzen,
sodass Sie sich womöglich überlegen, ob es sich noch lohnt, in Deutschland
Arzt zu sein, oder ob es nicht besser ist, auszuwandern. Niemand von
uns will das, schon gar kein Bremer und keine
Bremerin. Wir wollen Sie in der Mitte der Gesellschaft in Ihrem zentralen
Arbeitsbereich, in Ihrer zentralen Dienstleistung stärken.
Ich darf Ihnen noch ein paar Sätze über Bremen
sagen. Ich will nicht zu dick auftragen; das ist meine Gefahr. Sie
sind hier nicht nur in der Stadt des deutschen Fußballmeisters angekommen,
sondern Sie sind, was besonders überraschend ist, in der City of Science
angekommen. Wir Bremer haben es mit unserer Universität geschafft
– ich weiß gar nicht, Johannes Rau, ob sich das bis zum Schloss Bellevue
herumgesprochen hat –, die erste City of Science in Deutschland zu
werden. Dieser Titel ist uns vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft
verliehen worden. Wir haben es in großer Konkurrenz zu den großen
Universitätsstädten, wo Sie wahrscheinlich Ihre Ausbildung absolviert
haben, mit unserer jungen Universität, mit der noch jüngeren International
University und mit unserer University of the
Arts geschafft, diese Jury für uns einzunehmen. Ich glaube, man hat
uns ausgezeichnet, weil man die Dynamik, mit der wir im Augenblick
versuchen, diese Stadt neu aufzustellen, unterstützen will, weil man
unterstützen will, dass wir nach all den Werftenkrisen, Fischkrisen
und Ähnlichem gesagt haben: Die Wissenschaft, die Forschung soll der
Motor dieser Region sein.
Das sagen wir trotz extrem knapper Haushalte. Wir
sind ein Land mit Haushaltsnotlage und stehen mit dem Rücken an der
Wand. Trotzdem sind Forschung und Wissenschaft unsere Priorität. Wir
erklären: Das ist der Motor dieses Landes, dieser Stadt, daran sollen
sich die Leute ausrichten. Das Wundersame ist: Alle Leute machen mit,
sie verstehen das. Die Unternehmen machen mit, die Distanz gegenüber
der Universität ist längst verschwunden. Auf dem Campus gibt es keinen
Platz mehr. Die Unternehmen drängeln sich, weil sie direkt an der
Universität ihre Adresse haben wollen, weil sie mit der Universität
werben wollen. Das hat sich völlig gewandelt. Ganz anders als zur
Zeit der studentenbewegten Gründungsgeschichte sind wir inzwischen
ein Motor für die Wirtschaftsregion, ein Motor für die Unternehmen.
Sie wollen, dass dies wächst. Sie wollen auch mit eigenen Beiträgen
helfen. Deshalb finanzieren sie auch die International University.
Darin steckt viel privates Geld von Bremer Unternehmen. Es ist für
einen Bremer Unternehmer eine Ehre, ein Stipendium zu übernehmen.
Dabei geht es nicht nur um die Geldzahlung, sondern man nimmt den
ausländischen Studenten mit sich in die Firma, auch mit sich in die
Familie. Man bietet ihm so etwas wie Nähe.
Es ist ganz erstaunlich, wie wir in den letzten
Jahren über die Bildung des Schwerpunkts Wissenschaft die Stadt verändert
haben. Das hat uns allen gut getan.
Das Zweite,
was ich unbedingt sagen möchte: Wir sind ein Platz, an dem es eine
große Koalition gibt, nun schon in der dritten Legislaturperiode.
Ausgerechnet ich linker Vogel repräsentiere diese große Koalition,
und zwar mit Lust und mit Überzeugung, weil ich gelernt habe und immer
wieder lerne, dass die Leute in schwierigen Zeiten von uns keine Schuldzuweisungen
erfahren wollen, dass immer nur der andere der jeweils Verantwortliche
ist, sondern weil die Leute wollen, dass wir endlich zusammengehen
und etwas Gemeinsames veranstalten. Sie wollen uns an unseren Taten
messen und nicht immer nur an unseren Erklärungen und Entschuldigungen
und Absichten und Schuldzuweisungen.
(Lebhafter
Beifall)
Das geht sogar
so weit, dass ich entgegen allen wahltaktischen Konzepten – auch in
meiner eigenen Partei – immer ganz fröhlich vor den Wahlen gesagt
habe: Das müssen wir fortsetzen. Die Wähler haben uns nicht nur nicht
bestraft, sondern sie haben uns zusätzlich mit einem prominenten Mandat
ausgestattet. Das muss doch eigentlich alle nachdenklich stimmen;
jedenfalls stelle ich mir vor, dass das nicht nur in Bremen wahrgenommen
wird, sondern dass in diesem Lande eine große Bereitschaft zum Zusammengehen
besteht, wenn man es richtig macht.
(Beifall)
Es besteht eine
große Bereitschaft, sich auch in ganz schwieriger Lage mit eigenen
Beiträgen, auch mit eigenen Sparbeiträgen an diesem dringend benötigten
großen Sanierungswerk zu beteiligen, um auf eigene Beine zu kommen,
um mit eigenen Leuten, mit eigenen Kräften sich in einer offenen Welt
neu aufzustellen.
Der letzte Punkt, den ich erwähnen möchte: Wir
sind nicht nur das kleinste Land der Bundesrepublik, wir haben nicht
nur die kleinste Landesregierung, sondern wir wollen ähnlich wie die
Hamburger für die Bundesrepublik so etwas wie ein Tor zur Welt sein.
Wir wollen möglichst vor niemandem Angst haben, egal ob er aus China,
Japan, Afrika oder Südamerika kommt. Wir wollen mit allen so umgehen,
als seien sie mit uns vertraut, als hätten wir mit ihnen über Generationen
hinweg Austauscherfahrungen, und zwar nicht
als Kolonialmacht, nicht als Räuber, sondern als Kooperierer.
Die Hanse hat nicht von Räuberei gelebt, sondern
davon, dass sie über 500 Jahre hinweg Kooperationen entwickelt hat,
die den anderen geholfen haben, sich selbst zu entwickeln. Es war
ein Erfolg, wenn auch der andere gut abschnitt und sich auf lange
Frist auf den Austausch von Waren, von Kultur, übrigens auch von Familien
und von Firmen einließ.
Präsident Putin hat mir
einmal gesagt: Wenn ihr Deutschen bei uns in Russland von neuer Nähe
redet, dann redet nur von der Hanse, denn das ist die einzige Erfahrung,
die wir mit euch gemacht haben, bei der uns keine Köpfe abgeschlagen
wurden, bei der uns nicht etwas weggenommen wurde, bei der wir eine
Chance zum Mitwachsen hatten.
Das möchte ich Ihnen gern vermitteln. Das sollen
Sie hier aufsammeln und mit nach Hause nehmen und als Ermutigung für
Ihre Arbeit nehmen. Ich wünsche Ihnen, besonders meiner lieben, hoch
verehrten Ursula Auerswald, dass dies ein ganz großartiger, nachhaltig
wirkender und wichtiger Deutscher Ärztetag in Bremen wird. Gut, dass
Sie nach 80 Jahren wieder nach Bremen gekommen sind. Nun sind Sie
an der Reihe, nun müssen Sie arbeiten! Viel Erfolg!
(Beifall)
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