Dienstag, 18. Mai 2004, 10.00 Uhr
Dr. h. c. Johannes Rau, Bundespräsident:
Wenn man schon zwei Rednern zugehört hat, hat man eine Fülle von Stichworten,
die sich aus dem ergeben, was gesagt worden ist: das kleinste Land,
der größte Bürgermeister.
(Heiterkeit
– Beifall)
Lieber Henning Scherf,
natürlich habe ich hier viele Erinnerungen
und natürlich ist es gefährlich, solchen Erinnerungen zu sehr nachzuhängen.
Ich müsste erzählen von Bremer Ärzten, die mich behandelt haben, oder
von der „Glocke“ in Bremen, wo ich vor 30 Jahren um die Einrichtung
der ZVS in Dortmund gestritten habe, damals als Wissenschaftsminister.
Ich müsste erzählen, was Friedrich Engels über
Bremen gedacht, gesagt und geschrieben hat. Ich könnte an meinen Besuch
bei einem Deutschen Ärztetag 1992 in Köln erinnern. Ich war damals
Ministerpräsident. Der Gesundheitsminister kam gar nicht.
(Heiterkeit)
Aber das alles erwarten Sie ja nicht von mir, sondern
wenn Frau Dr. Auerswald schon zitiert hat, was ich in der vergangenen
Woche in der Berliner Rede über Vertrauen und Verantwortung gesagt
habe, möchte ich eigentlich, dass es mir gelingt, diese beiden Stichworte
heute zu variieren bezogen auf das Gesundheitssystem, auf den Beruf
der Ärztinnen und Ärzte, auf das, was vor Ihnen liegt und steht und
was Sie hoffentlich mit gebührender Polemik, das heißt mit einer angemessenen
und nicht mit einer unangemessenen Polemik, miteinander zu diskutieren
und auch mit staatlichen Stellen zu verhandeln haben.
Wir schreiben ja in jedem Geburtstagsgruß, dass
wir vor allem Gesundheit wünschen. In allen Umfragen steht die Gesundheit
auf der Wunschliste der Menschen mit Abstand an der ersten Stelle.
Nichts ist den Menschen wichtiger, als gesund zu bleiben oder gesund
zu werden: nicht der Wohlstand, nicht der Beruf und auch nicht die
Karriereaussichten. Gesundheit ist für uns alle existenziell. Darum
ist ein leistungsfähiges, ein humanes Gesundheitswesen so wichtig.
Darum ist Ihre Arbeit so wichtig.
Ich bin gern nach Bremen gekommen, um zu zeigen,
dass das auch vom Bundespräsidenten so gesehen wird, der nur noch
gut sechs Wochen im Amt ist, so Gott will und wir leben. Aber auf
diese sechs Wochen freue ich mich genauso, wie ich mich über die Zeit
zuvor gefreut habe.
Bremen ist deutscher Fußballmeister geworden. Ich
weiß nicht, welchen Anteil der Mannschaftsarzt gehabt hat, lieber
Henning Scherf.
(Heiterkeit)
Ich weiß aber, dass das besondere Vertrauen, das
zwischen Arzt und Patient besteht, nicht nur für Fußballspieler gilt,
sondern für uns alle.
Nun kann ich mich heute nicht zu einzelnen Themen
der Gesundheitspolitik oder gar zu bestimmten Instrumenten äußern;
schon deshalb nicht, weil mir der Bürgermeister einen Teil meiner
Redezeit sinnvoll abgenommen hat. Wir sind alte Freunde. Ich habe
gemerkt: Er ist achtmal zum Schluss geeilt. Das war sehr interessant!
(Heiterkeit)
Ich habe gelegentlich den Eindruck, dass in der
gesundheitspolitischen Debatte – neben manch übersteigerter Polemik
– zu viel über Technisches geredet wird. Was hinter Begriffen wie
Fallpauschalen und Budgetierung steht, ist gewiss oft gut durchdacht
und Widerstand gegen einen Vorschlag spricht ja nicht unbedingt gegen
den Vorschlag selbst.
Trotzdem rate ich in der Gesundheitspolitik zu
einer Sprache, die die Menschen verstehen können, ohne Ärzte oder
diplomierte Gesundheitswissenschaftler zu sein. Das muss man wahrscheinlich
auch lernen. Das muss man auch als Patient lernen. Als ich eine Rechnung
bekam, auf der stand „3,5-facher Satz wegen Polymorbidität bei älteren
Patienten“,
(Heiterkeit)
habe ich auch gedacht: So schlimm steht's!
(Heiterkeit)
Ich wünschte mir, dass deutlich bleibt und deutlicher
wird, welche Ziele die Gesundheitspolitik hat, warum vieles so bleiben
soll, wie es ist, warum anderes geändert werden soll und was unbedingt
anders werden soll.
Die Menschen gewinnen Vertrauen in unser Gesundheitswesen
dann, wenn sie den Eindruck bekommen, dass die politisch Verantwortlichen
und die fachlich Verantwortlichen alles dafür tun, dass alle Menschen
den ärztlichen Rat und die medizinische Hilfe bekommen, die sie brauchen.
Der Beruf des Arztes ist weniger denn je ein Beruf
wie jeder andere. Jeder und jede von uns braucht irgendwann im Leben
ärztliche Hilfe. Die Rolle des Arztes hat sich nach meiner Überzeugung
in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verändert. Wir leben in
einer säkularen Gesellschaft, in der viele Menschen den Sinn ihres
Lebens nicht mehr in religiösen Grundüberzeugungen finden. Da kommt
der Arzt oft in eine merkwürdige, durchaus bedenkenswerte und manchmal
auch bedenkliche Doppelrolle. Viele suchen beim Arzt Hilfe und Zuwendung,
auch ohne körperlich krank zu sein. Sie erzählen von ihren Problemen
und der Arzt soll oft Probleme lösen, für die die Medizin gar keine
Lösungen bereithalten kann. Was macht ein Arzt in so einer Situation?
Wie geht er mit den Erwartungen der Patienten um, die ja gelegentlich
auch nicht frei sind von einer gewissen Anspruchshaltung?
All das wird, wenn ich es richtig sehe, im Medizinstudium
nicht gelehrt und trotzdem müssen die Ärzte im Alltag mit solchen
Situationen fertig werden.
Ich habe großen Respekt vor allen Männern und Frauen,
die sich im ärztlichen Beruf diesen Aufgaben stellen und die die Menschen
ernst nehmen. Das gelingt nur, wenn die Ärzte neben ihrem fachlichen
Können auch ein Gespür für Menschen behalten, immer wieder neu suchen.
Die Ärzte sehen sich hohen und oft ganz unterschiedlichen
Erwartungen ausgesetzt – Erwartungen, die auch dadurch entstehen können,
dass bestimmte Untersuchungsmethoden, Therapien und Pharmaprodukte
mit Heilsversprechen vermarktet werden; Erwartungen, die kein seriöser
Arzt erfüllen kann.
Das Informationsbedürfnis im Gesundheitswesen ist
groß: Vier von fünf Erwachsenen suchen im Internet gezielt nach medizinischen
Informationen.
Noch nie hatten die Ärzte mit so vielen Patienten
zu tun, die so viel über ihren Körper und ihre Krankheit wissen oder
jedenfalls wissen können wie heute. Das verändert auch das Verhältnis
zwischen Arzt und Patient. Darum ist gegenseitiger Respekt heute wichtiger
denn je.
Bei vielen Krankheiten hängen Heilung oder Heilungschancen
entscheidend vom Verhalten der Menschen ab, von ihrer inneren Einstellung,
von ihrer Haltung. Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient hat viele
Facetten: Hoffnung auf Heilung, existenzielle Sorgen, Angst. Da ist
das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Auch das kennt man.
Und Ärzte kennen das Gefühl, Hoffnungen zu enttäuschen,
machtlos zu sein gegenüber Krankheiten oder, schlimmer noch, ihren
eigenen Ansprüchen nicht zu genügen.
Der Streit zwischen der Schulmedizin und alternativen
medizinischen Ansätzen ist alt. Ich finde, er muss nicht unversöhnlich
geführt werden. Da lässt sich ein fruchtbarer Dialog entwickeln, wenn
alle den ganzen Menschen und seine Gesundheit vor Augen haben.
Ich freue mich darüber, dass die Bundesärztekammer
sich in diesen Tagen bei diesem Thema besonders engagiert. Ich habe
im „Deutschen Ärzteblatt“ vom 7. Mai 2004 auf der Titelseite
gelesen: „Komplementär- und Schulmedizin: Verständnis und Zusammenarbeit
müssen vertieft werden“. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt.
Medizin, meine Damen und Herren, ist nicht nur
eine Wissenschaft, sie ist auch eine Kunst: die Heil-Kunst. Nur wenn
es gelingt, beide zusammenzuführen, gewinnen die Patienten, aber nicht
nur sie. Auch Ärztinnen und Ärzte können dann noch erfolgreicher arbeiten
und noch zufriedener mit ihrer Arbeit sein.
Ich glaube, dass die Zeiten vorbei sind, in denen
man unkonventionelle Methoden ausspielen konnte gegen die verächtlich
so genannte „Apparatemedizin“: Jeder weiß, dass zu früh geborene Kinder
ohne Brutkasten oft nicht am Leben bleiben und dass manche Opfer eines
Herzinfarkts nicht ohne Defibrillatoren zurecht kommen. Jeder
weiß aber auch, dass wir manches Mal auf Medikamente mit Nebenwirkungen
verzichten können, wenn wir uns auf bewährte Hausmittel besinnen.
Sie alle wissen: Es geht in vielen Fällen noch
um etwas anderes. Viele Patienten brauchen den Arzt als eine Art Lebensberater,
der ihnen mit seiner Erfahrung und seinem Fachwissen sagt, was sie
ja meist selber wissen: dass auch manches mit den persönlichen Lebensumständen
zu tun hat, mit Essen und Trinken, mit Bewegung, mit Stress, mit Erholung.
Den Patienten immer wieder auch solche unangenehmen
Dinge zu sagen ist auch ärztliche Aufgabe.
Manche Krankheit hat auch mit den Arbeitsbedingungen
der Menschen zu tun. Kluge Unternehmen investieren in gute Arbeitsbedingungen.
Ein niedriger Krankenstand ist gut für die Menschen und gut für das
Unternehmen. Da ist noch viel zu tun.
Meine Damen und Herren, Gesundheit ist ein hohes
Gut, aber sie ist keine Ware. Ärzte sind keine Anbieter und Patienten
sind keine Kunden.
(Beifall)
Ich halte nichts davon, unser ganzes Leben in Begriffe
der Betriebswirtschaft zu pressen.
(Beifall)
Die medizinische Versorgung darf nicht auf eine
„Dienstleistung“ reduziert werden.
Das ändert aber nichts daran, dass auch die finanziellen
Mittel für das Gesundheitswesen nicht unbegrenzt sind. Ich höre manchmal,
das Gesundheitswesen sei nicht planbar. Das stimmt, wenn man damit
meint, dass wir heute nicht wissen können, welches Grippevirus uns
in drei Jahren plagen wird und wie heftig die Grippewelle ausfallen
wird.
Vor 20 Jahren wusste noch niemand, wie Aids sich
ausbreiten und auswirken würde. Auf solche nicht absehbaren Entwicklungen
muss jedes Gesundheitswesen reagieren können.
Manchmal kann man aber den Eindruck gewinnen, es
stehe etwas anderes hinter der Aussage, dass man im Gesundheitswesen
nicht planen könne: Wer nicht planen kann, den trifft auch keine Verantwortung,
wenn die zur Verfügung stehenden Mittel erschöpft sind. Dann müssen
eben neue Mittel in das System fließen.
Das ist eine falsche Vorstellung, die zu lange
viele gesundheitspolitische Debatten geprägt hat.
Ich bin davon überzeugt, dass wir die Mittel planvoll
einsetzen müssen, damit wir die bestmögliche medizinische Versorgung
für alle sichern können. Nun weiß ich auch, dass die Kostenexplosion
im Gesundheitswesen, eines dieser gängigen Schlagworte, auf Normalmaß
schrumpft, wenn man genauer hinschaut. Der Anteil der Gesundheitsausgaben
am Bruttoinlandsprodukt war in den vergangenen zehn Jahren immer etwa
gleich hoch.
Die gesetzliche Krankenversicherung hat schon seit
Jahren mehr ein Problem mit den Einnahmen.
(Beifall)
Die niedrigen Einnahmen sind im Wesentlichen eine
Folge der hohen Arbeitslosigkeit.
Wir haben aber auch Strukturprobleme im Gesundheitswesen.
In den zurückliegenden Jahrzehnten sind in unserem Gesundheitswesen
Strukturen entstanden, die nicht immer mit optimaler gesundheitlicher
Versorgung zu tun haben, aber oft mit Einzelinteressen.
Wir müssen immer wieder kritisch prüfen, ob unter
den gegebenen Bedingungen das Geld überall wirklich so eingesetzt
wird und eingesetzt werden kann, dass es den größten Nutzen für die
Gesundheit der Menschen bringt.
An diesem Maßstab muss sich jede Veränderung im
Gesundheitswesen messen lassen. Darum halte ich es für richtig, dass
die Gesundheitsreform begleitet wird von einem Sachverständigenrat.
Das ist auch nötig: Im vergangenen Jahr sind die Leistungsausgaben
der gesetzlichen Krankenversicherungen gegenüber dem Vorjahr um 1,7
Prozent angestiegen, die Verwaltungskosten aber um 3 Prozent. Ich
kenne kein Land auf der Welt, das mehr Krankenkassen hätte als unseres.
(Beifall)
Ich habe heute Morgen mit Ihnen, Frau Bundesministerin,
schon darüber gesprochen, um welche Größe die Zahl der Krankenkassen
bereits verringert werden konnte. Da ist noch eine Strecke.
(Beifall)
Es geht ja nicht nur um Hunderte von Krankenkassen,
es geht auch um Hunderte von Krankenkassenverwaltungen.
Ich kann verstehen, dass Einzelne und Gruppen,
die sich durch Veränderungen negativ betroffen fühlen und es oft auch
sind, ihre Interessen geltend machen. Aber niemand darf Schindluder
treiben mit den Hoffnungen oder mit den Ängsten von Menschen.
(Beifall)
Auch das erleben wir in der gesundheitspolitischen
Diskussion immer wieder.
Die teuerste Medizin ist gewiss nicht immer die
beste. Und auch mit geringem Aufwand kann man Krankheiten heilen oder
lindern. Wir sind auf Ihren Sachverstand angewiesen, um den richtigen
Weg zu finden: auf den Erfahrungsaustausch, auf die Zusammenarbeit
von Ärzten und allen, die im Gesundheitswesen Verantwortung tragen.
Manchmal sagt man, das ärztliche Wissen sei innerhalb
von drei Jahren überholt. Das ist eine dieser modischen Übertreibungen.
Sie hat aber einen wahren Kern: Auch Ärzte haben heute selbstverständlich
die Verpflichtung, ihr Wissen immer wieder auf den neuesten Stand
zu bringen und die Patienten entsprechend zu behandeln. Lebenslanges
Lernen soll ja mithelfen, dass Menschen länger und besser leben können.
Meine Damen und Herren, der Gesundheitssektor ist
auch ein Wachstumsmarkt mit großer volkswirtschaftlicher Bedeutung.
Im Gesundheitswesen – das habe ich selber nicht gewusst und auch so
nicht erkannt – arbeiten heute etwa 2 Millionen Menschen. Das sind
doppelt so viele wie in der Automobilindustrie. Das war mir nicht
bewusst.
Dieser Markt wird weiter wachsen. Das hängt mit
der Fülle neuer Diagnose- und Therapiemöglichkeiten zusammen, von
denen wir noch vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten nur träumen konnten.
Aber auch der Bedarf an medizinischen Leistungen
und an Gesundheitsdiensten allgemein steigt in einer Gesellschaft,
in der immer mehr Menschen immer länger leben.
Die wachsende Vielfalt dieser Angebote kann verwirrend
wirken, vor allem dann, wenn man sie nicht unbeteiligt betrachtet,
sondern als Patient oder Patientin nur den Wunsch hat, wieder gesund
zu werden.
Da tragen Ärztinnen und Ärzte eine große Verantwortung.
Sie müssen sich gegen einen doppelten Vorwurf verteidigen: Sie müssen
über das Notwendige entscheiden und sich sagen lassen, das sei gar
nicht notwendig. Je reicher die „Produktpalette“ wird, desto häufiger
müssen sie aber auch Erwartungen von Patienten enttäuschen.
Eine Umfrage hat kürzlich gezeigt, dass das Solidarprinzip
unseres Gesundheitswesens breiten Rückhalt in der Bevölkerung findet.
80 Prozent der Deutschen sind dafür, dass auch in Zukunft Gesunde
für Kranke einstehen, dass starke Schultern mehr tragen als schwache
Schultern.
Lebenschancen dürfen nicht davon abhängen, ob jemand
Arbeit hat und wie viel Geld er damit verdient. Wer krank wird, muss
sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass ihm so geholfen
wird, wie er es braucht, und nicht so, wie er es bezahlen kann.
(Beifall)
Solidarität im Gesundheitswesen heißt auch, mit
den vorhandenen Mitteln sorgfältig und verantwortungsbewusst umzugehen.
Darum halte ich es für ein großes Missverständnis, wenn Versicherte
glauben, sie müssten aus ihrer Krankenversicherung möglichst viel
herausholen, weil sie ja viel einbezahlt haben.
Ärzte unterscheiden sich von Rechtsanwälten oder
Architekten nicht dadurch, dass sie etwa keine Freiberufler sind,
aber sie haben andere Aufgaben als andere freie Berufe. Sie beziehen
einen Großteil ihres Einkommens aus der gesetzlichen Krankenversicherung,
die von der Solidargemeinschaft der Versicherten getragen wird. Das
gibt Sicherheit, das verpflichtet aber auch gegenüber der Solidargemeinschaft.
Ich bin überzeugt davon, dass bei allen unterschiedlichen
Auffassungen in einem Einigkeit herrscht: Gesundheitsvorsorge ist
ein gesundheitspolitisches Ziel, das alle vertreten. Der Erfolg gibt
uns Recht. Ich wünschte mir, dass alle, die so beredt über die Mängel
unseres Gesundheitswesens sprechen, auch einmal von solchen Ergebnissen
redeten.
Wenn das Bewusstsein für das kostbare Gut Gesundheit
gestärkt wird, dann ist gezieltes Vorbeugen möglich, dann ist erst
in zweiter Linie eine Behandlung nötig.
Ich bin froh darüber, dass es inzwischen Krankenkassen
gibt, die Anreize für die Versicherten schaffen, sich gesundheitsbewusst
zu verhalten und an Vorsorgeprogrammen teilzunehmen. Natürlich hängt
der Erfolg vom Zusammenwirken zwischen Ärzten, Patienten und Kassen
ab. Wer vorbeugt, muss dafür belohnt werden.
Immer bessere medizinische Vorsorge, Diagnostik
und Therapie hilft vielen, vielen Menschen.
Meine Damen und Herren, ein Gedanke zum Schluss:
Sie wissen, ich habe mich immer wieder zu Wort gemeldet, wenn es um
medizinethische Fragen geht. Am Beginn auch aller medizinischen Forschung
muss nach meiner Überzeugung eine Wertentscheidung stehen. Wir brauchen
einen Konsens darüber, welche technischen Möglichkeiten mit unseren
Wertvorstellungen vereinbar sind und welche nicht. Die Freiheit der
Forschung gerät nicht dadurch in Gefahr, dass wir ihr ein ethisches
Fundament geben. Die Freiheit der Forschung ist nicht frei von Bindungen.
Für mich gilt es auch für das Beispiel, dass wir
Embryonen nicht als Experimentiermasse verwenden und nach Gebrauch
verwerfen dürfen.
(Beifall)
So hat es der Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen.
Wir dürfen die Gefahr der biologischen Selektion nicht verharmlosen,
um einem möglichen therapeutischen Nutzen nachzujagen.
Bei diesen Fragen muss sich unser Menschenbild
bewähren, das auf der Würde des Menschen gründet. Die Unantastbarkeit
der Menschenwürde steht aus gutem Grund ganz am Anfang unseres Grundgesetzes.
Sie ist das Leitbild, das auch der medizinischen Forschung die Richtung
vorgibt und ihr Grenzen setzt.
Wir dürfen uns auch keine Entscheidung darüber
anmaßen, wann das Leben zu Ende gehen soll. Ich begrüße sehr, dass
die Bundesärztekammer vor wenigen Tagen ihre „Grundsätze zur ärztlichen
Sterbebegleitung“ neu gefasst und veröffentlicht hat und dass sie
am strikten Nein zur aktiven Sterbehilfe festhält.
(Beifall)
Sie haben Recht: Wir wollen nicht in einer Gesellschaft
leben, die den Menschen den Tod nahe legt, wenn sie mit dem Leben
nicht mehr zurechtkommen.
Darum müssen wir noch viel mehr dafür tun, dass
Schmerz und Verzweiflung gelindert werden, bis zur letzten Minute.
Ich finde, Ärztinnen und Ärzte müssen in der Ausbildung
auf diese Aufgabe vorbereitet werden. Die neue Approbationsordnung
macht da einen Anfang. Die Schmerztherapie ist jetzt Prüfungsstoff.
Vielen – auch mir – geht das nicht weit genug, aber es ist ein Anfang
und ein Schritt in die richtige Richtung.
Schwerstkranken Menschen, die Angst vor dem Sterben
haben, kann die Schmerztherapie nach allem, was ich weiß, sehr oft
helfen.
Ich wünsche mir, meine Damen und Herren, dass ein
humaner Umgang mit Krankheit das unverwechselbare Merkmal unseres
Gesundheitswesens und unserer Gesellschaft bleibt.
Ich wünsche mir, dass der medizinische Fortschritt
zum Wohle der Menschen genutzt wird, ohne dass Technologien sich verselbstständigen
können.
Ich wünsche mir, dass Solidarität das Fundament
unseres Gesundheitssystems bleibt.
Ich wünsche mir, dass Ärztinnen und Ärzte mithelfen,
die Vorsorge und die Verantwortung des Einzelnen zu stärken und ihm
nahe zu sein.
Ich wünsche Ihnen allen hier in Bremen gute und
ertragreiche Tage und danke für die Geduld, die Sie mit uns gehabt
haben.
(Anhaltender
lebhafter Beifall)
(Musikalisches
Intermezzo:
Richard Roblee aus „American Images“: „Early Days“, „Fiesta“)
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