Dr. Pickerodt, Berlin:
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal
habe ich das Glück, hier noch ohne Redezeitbegrenzung sprechen zu
können. Ich verspreche Ihnen, mich kurzzufassen.
Aus der Rede unseres Bundespräsidenten möchte ich
zwei Punkte herausgreifen, die mir besonders wichtig sind, und zwar
deswegen, weil sie im Wesentlichen die Patienten betreffen. Wir neigen
ja dazu, uns als den Mittelpunkt des Gesundheitswesens anzusehen.
In Wirklichkeit sind die Hauptleidtragenden der Entwicklung der letzten
Jahre nicht wir, sondern die Patienten, die erheblich zur Kasse gebeten
werden. Daran sind natürlich auch wir nicht unbeteiligt.
Der Bundespräsident hat zwei für mich bemerkenswerte
Punkte hervorgehoben. Der eine Punkt ist die Solidarität in der Finanzierung
aller Sozialsysteme, auf die er großen Wert gelegt hat. Der zweite
Punkt ist seine Aussage: Gesundheit ist keine Ware und Patienten sind
keine Kunden.
Beide Punkte zielen in die Richtung, über die ich
kurz etwas sagen möchte. Es geht um die neoliberale Ideologie, dass
wir in Zukunft die Eigenverantwortung zu stärken und alles dem Markt
zu überlassen hätten, dann werde sich schon alles richten. Wir haben
einen Wettbewerb unter den Krankenkassen eingeführt – mit der Folge,
dass es zwischen den Krankenkassen keinen Wettbewerb um die Qualität
des Angebots gibt, sondern dass es eine Konkurrenz um gute Risiken
gibt. Wir wollten die so genannte Eigenverantwortung der Patienten
stärken und haben erhöhte Zuzahlungen in allen möglichen Bereichen
erhalten. Es gibt einen stärkeren Eigenanteil der Patienten. Wir verkaufen
ihnen IGeL-Leistungen, die zum Teil sinnvoll sind, aber nicht immer
sinnvoll sein müssen.
Wir haben vor kurzem in den Zeitungen lesen können,
dass sich privat versicherte Patienten Chipkarten von gesetzlich Krankenversicherten
ausleihen, um wegen Nichtinanspruchnahme von Leistungen Beitragsteile
zurückzuerhalten. Wenn man zynisch wäre, könnte man sagen: Das haben
wir damit erreicht, dass wir die Eigenverantwortung der Patienten
stärken. Das ist für mich kein besonders guter Ansatz.
Ein Wort zu der Frage, ob Patienten Kunden sind
oder nicht. Seit vielen Jahren kommen Unternehmensberater und Krankenhausverwaltungen
zu uns und erklären: Wir müssen endlich umdenken, wir müssen die Patienten
als Kunden verstehen. Das hängt mir, ehrlich gesagt, langsam zum Halse
heraus.
Die Folgen dieser neoliberalen Argumentation sieht
man auch auf anderen Gebieten. Der Staat zieht sich weitgehend aus
der Verantwortung für das Gesundheitswesen zurück. Das sieht man an
den Krankenhäusern. Sie wissen, dass ich aus Berlin komme. Wir haben
ein Chaos angerichtet, indem wir die kommunalen Krankenhäuser in eine
GmbH überführt haben, die ständig am Rande der Insolvenz schlingert,
weil sie Schulden mitzuschleppen hat. Die Beschäftigten und die Patienten
sind im höchsten Maße verunsichert. Hamburg geht es nicht viel besser.
In München ist man, wenn ich richtig informiert bin, auf dem besten
Wege, dies alles nachzuahmen.
Die Krankenhäuser sollen sich – Herr Hoppe hat
in seinem Referat völlig zu Recht darauf hingewiesen – zu profitablen
Angeboten und zu Nischenangeboten durchringen. Der Rückzug der Krankenhäuser
aus der allgemeinen Patientenversorgung ist sichtbar. Das hängt natürlich
mit den DRGs und dem Vergütungssystem zusammen, aber selbstverständlich
auch mit dem Rückzug des Staates und der Überlassung der Krankenhäuser
an private, profitorientierte Aktiengesellschaften.
Die Patienten werden in Zukunft, wenn sie irgendwo
Hilfe brauchen, nicht mehr einen Ansprechpartner finden, sondern –
diese Gefahr sehe ich ebenso wie Herr Hoppe – an ein Callcenter weitergeleitet.
Die Telemedizin mit verschiedenen Beratungsmöglichkeiten über das
Internet soll ausgebaut werden.
Alle diese Dinge sind nicht das, was wir uns für
das Gesundheitswesen vorstellen. Herr Hoppe hat kürzlich in einem
Interview erklärt, er sehe die Gefahr der Merkantilisierung. Dazu
muss ich sagen: Die Merkantilisierung haben wir schon lange. Wir werden
in Zukunft eine – wenn Sie mir diesen Ausdruck gestatten – Aldisierung
haben. Das bedeutet nicht, dass keine gute Qualität angeboten wird.
Ich kaufe mein Olivenöl und meinen Laptop bei Aldi. Das ist nicht
das Problem. Das Problem ist das schmale Sortiment des Angebots. Die
Menschen, die dort arbeiten, werden zu Bedingungen angestellt, die
wir in den Institutionen der Patientenversorgung nicht mehr haben
wollen.
(Unruhe)
Herr Hoppe gibt ja jedes Jahr vor dem Ärztetag
der „Frankfurter Rundschau“ ein Interview. Nachdem ich das Interview
in diesem Jahr gelesen habe, muss ich sagen: Ich freue mich, dass
Herr Hoppe ganz offensichtlich in die richtige Richtung denkt und
sich bewegt. Er hat dort einiges deutlicher gesagt als heute in seinem
Referat bei der Eröffnungsveranstaltung. Vielleicht können wir das
in Zukunft noch verdeutlichen. Auf jeden Fall bewegt er sich in die
richtige Richtung und dafür danke ich ihm.
(Vereinzelt
Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Danke schön. – Jetzt gibt es einen Antrag zur Geschäftsordnung von Herrn
Windau. Bitte schön. |