TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Tag 1: Dienstag, 18. Mai 2004

Dr. Jaeger, Schleswig-Holstein:

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir sozusagen die Fachleute sind, möchte ich Sie bitten, in der Öffentlichkeit vermehrt darauf zu achten, dass Lügen oder Unwahrheiten korrigiert werden. Ich möchte hier folgende Punkte thematisieren: Wettbewerb, Ökonomisierung, Kostenexplosion und Finanzierung der Krankenversicherung. Weisen Sie in den Diskussionen doch bitte endlich darauf hin, wie es hier schon anklang, dass Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen eine sehr fragwürdige Sache ist. Es ist einfach nicht wirtschaftlich, dass man einen 70-jährigen Koronarpatienten reanimiert, aber es ist menschlich. Das ist unsere Aufgabe.

In Zukunft wird es so sein – weisen Sie die Öffentlichkeit bitte darauf hin –, dass die Ärzte als Teil eines Unternehmens, nämlich des Krankenhauses, kostendeckend arbeiten müssen. Unter dem Begriff Wirtschaftlichkeit versteht jeder etwas anderes. Für die Gesundheitsministerin bedeutet dies, Kosten zu sparen; ich als Mitarbeiter eines Unternehmens muss aber darauf achten, dass mein Unternehmen nicht Pleite geht. Das Gegenteil der Erwartung der Ministerin wird eintreten. Ich werde im Zweifelsfall den Problempatienten, den ich eben geschildert habe, aufgrund irgendwelcher Begründungen, die mir mein Arbeitgeber sicherlich vorgeben wird, an ein anderes Krankenhaus weiterleiten. Ich möchte Sie bitten, das der Öffentlichkeit in aller Klarheit immer wieder darzulegen, wenn die Rede von Wirtschaftlichkeit ist.

Damit komme ich zur Kostenexplosion: Auch hier gibt es stets Unwahrheiten oder Lügen. Es gibt keine Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Das Problem ist das Wegbrechen der Einnahmen. Die Kostensteigerung im Gesundheitswesen lag in den letzten 30 Jahren zwischen 3 und 5 Prozent. Zum Vergleich: Ein VW Golf ist jährlich um 10 Prozent teurer geworden, die Preissteigerung für ein Brötchen lag bei 13 bis 15 Prozent. Ich denke, wir im Gesundheitswesen sind außerordentlich wirtschaftlich gewesen. Weisen Sie die Öffentlichkeit bitte da­rauf hin: Es gibt keine Kostenexplosion, sondern das Problem sind die wegbrechenden Einnahmen, unter anderem aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit. Aber hinsichtlich dieses Problems ist die Politik zum Handeln aufgefordert, nicht die Ärzteschaft.

Ein kleiner Vorschlag, wie man zu erhöhten Einnahmen kommen könnte, besteht darin, nach dem Verursacherprinzip vorzugehen. Wir als Ärzteschaft wissen, dass ein Drittel bis ein Viertel aller Kosten im Gesundheitswesen durch Alkohol, Nikotin und Übergewicht verursacht werden. Wenn wir diese Kosten beim Alkohol und beim Nikotin sofort als direkte Abgabe an die Krankenversicherung abführten, könnten wir uns vor Geld gar nicht mehr retten. Zumindest sollten die Tabak- und die Alkoholsteuer, über die sich der Finanzminister so sehr freut, eigentlich dorthin fließen, wo die Schäden beseitigt werden müssen. Das ist das Gesundheitswesen. Auch dann könnten wir uns vor Geld gar nicht mehr retten.

Als Ministerin Schmidt genau diesen Vorschlag in die Realität umsetzen und die Preise für Tabakwaren erhöhen wollte, wurde sie sofort von der entsprechenden Lobby mit dem Argument zurückgepfiffen, dann gingen Arbeitsplätze verloren. Was heißt es denn, wenn Arbeitsplätze in der Tabakindustrie verloren gehen? Das bedeutet, dass weniger Tabak produziert wird, die Bürger konsumieren weniger Tabakprodukte. Es wäre die ureigenste Aufgabe der Ministerin gewesen, zu sagen: Wir müssen es noch mehr verteuern.

Bitte weisen Sie die Öffentlichkeit auf diese Verlogenheit hin. Zeigen Sie der Öffentlichkeit bitte die Lösungsansätze.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank, Herr Jaeger. – Als nächster Redner bitte Herr Henke.

© 2004, Bundesärztekammer.