TOP II: Durch Quantität zu Qualität? – Folgen der Konzentration und Zentralisierung von medizinischer Versorgung für die Bevölkerung

Tag 2: Mittwoch, 19. Mai 2004 Vormittagssitzung

Dr. Kühn, Baden-Württemberg:

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema steckt voller Absurditäten. Nehmen Sie an, ein Pankreaschirurg braucht bis zum Jahresende noch drei Fälle, um die Mindestmenge zu erreichen. Nach ärztlicher Erfahrung ist Abwarten häufig besser, als zu aktiv zu sein. Aber die Frage, ob der Chirurg genügend Fälle hat, geht in die Operationsentscheidung mit ein – Ethik hin und her; da müssen wir ehrlich sein.

(Beifall)

Gehen Sie in solchen Fällen nicht im Dezember zur Operation!

Es ist ein logischer Bruch vorhanden, wenn als Mindestqualifikation beispielsweise 50 Mammaoperationen gefordert werden, aber nur fünf Ösophagusoperationen. Dieser Bruch kann Gott sei Dank nicht dadurch beseitigt werden, dass es weniger Ösophaguskarzinome gibt. Wenn fünf Ösophagusoperationen im Jahr reichen, dann sollte sich niemand von Ihnen am Ösophagus operieren lassen, wenn wir das so akzeptieren.

Die nächste Frage lautet: Was passiert, wenn ein Chefarzt neu kommt? Was darf er? Was kann er? Was darf er nicht? Wer soll das regeln? Wer ist so unkollegial, zu sagen: Du kannst das, du kannst jenes, du kannst dieses aber nicht? Soll das die Ärztekammer sagen? Soll das der Chef der Universitätsklinik verkünden? Das, was einer kann, betrifft häufig auch die neu berufenen Chirurgen oder die invasiv tätigen Kollegen an den Universitätskliniken.

Jeder Insider weiß, wie der Hase läuft: Wenn ein neuer Chef kommt, stecken die Hausärzte ihre Köpfe zusammen und fragen, was zu tun ist. Einer schickt einen Patienten hin und schaut, was dabei herauskommt. Hausärzte haben ein Elefantengedächtnis für Misserfolge invasiver oder operativer Verfahren bei ihren Patienten. Wir wissen in meiner Heimatstadt Tübingen genau, welchen Patienten wir wohin schicken. Auch Sie wissen das für Ihren Bereich. Diese Regulation ist besser als jede amtliche oder von der Ärztekammer vorgenommene Regulierung.

Es kann sein, dass ein Chefarzt keine Überweisungen mehr für bestimmte Operationen erhält. Was darüber hinaus notwendig ist, regelt zum einen die Qualitätskontrolle der Landesärztekammer und zum anderen haben wir bereits Eingriffe der Politik, die berechtigt sind, beispielsweise hinsichtlich der Transplantationszentren. In Baden-Württemberg dürfen an bestimmten Universitätskliniken nur bestimmte Organe transplantiert werden. Das hat auch wirtschaftliche Gründe. Das ist richtig so. Ich sehe gar nicht ein, dass in den Verhandlungen zwischen den Krankenkassen und den Krankenhausträgern nicht auch hinsichtlich einer bestimmten Operation soll gesagt werden können: Das läuft ja gar nicht, das sind wenige Fälle, das zahlen wir Krankenkassen in diesem Hause nicht. Das schadet den Ärzten in ihrer Allgewalt und in ihrer Heiligkeit nicht.

Ich denke, es ist schlimmer, wenn wir Ärzte in Form der Kammer oder aus der Position des Universitätschefarztes heraus sagen: Dieser Kollege darf das nicht mehr machen, der kann das nicht, weil er nur zehn entsprechende Fälle operiert hat. Ich danke Herrn Henke dafür, dass er auf die entsprechenden Absurditäten hingewiesen hat.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank, Herr Kühn. – Jetzt bitte Herr Mayer aus Bayern zur Geschäftsordnung.

© 2004, Bundesärztekammer.