TOP II: Durch Quantität zu Qualität? – Folgen der Konzentration und Zentralisierung von medizinischer Versorgung für die Bevölkerung

Tag 2: Mittwoch, 19. Mai 2004 Vormittagssitzung

Dr. Holzborn, Nordrhein:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ehemalige nordrhein-westfälische Gesundheits- und Sozialminister Heinemann ist vor etwa 15 Jahren mit der Absicht gescheitert, die normale Geburtshilfe in Perinatalzentren zusammenzufassen. Es macht zwar Sinn, hoch qualifizierte Leistungen an einem Ort zusammenzuführen, aber es ist Unsinn, in der Fläche die normale Geburtshilfe auszudünnen und sie an wenigen Zentren zusammenzuführen. Die Geburtshilfe ist ja auch eine Familienangelegenheit. Die Frauen, die über 100 Kilometer in ein Zentrum gebracht werden, obwohl es nicht nötig wäre, sind dort ohne ihre Familie, ohne die Möglichkeit, Besucher zu haben. Sollten diese kommen, müssen diese weite Anfahrtswege auf sich nehmen, und zwar mehrmals. Jeder, der Angehörige im Krankenhaus betreut hat, kennt die Situation, dass etwas fehlt, dass man etwas vorbeibringen muss. Versuchen Sie einmal, das bei einem Routinefall über eine Entfernung von 100 oder 150 Kilometern zu machen!

Das ist für Politiker und Gesundheitsökonomen sicher kein Gesichtspunkt, den sie betrachten wollen, aber ökologisch gesehen ist es eine absolute Verschwendung von Ressourcen. Hinzu kommt eine Letalität durch häufig auftretende Unfälle.

Vor wenigen Jahren gab es eine Untersuchung über die Asbestbelastung in einer Grundschule. Wenn die Schule geschlossen worden wäre und die Kinder für vier Monate mit einem Bus in die benachbarte Grundschule gefahren worden wären, wäre die Mortalität der Kinder größer gewesen, als wenn sie diese vier Monate in der Schule verblieben wären. Man konnte getrost abwarten und die Schule in den Sommerferien renovieren, ohne dass eine erhöhte Gefährdung vorhanden war.

Ich meine, das muss mit berücksichtigt werden. Anderenfalls verschwenden wir für Routinefälle völlig unsinnig erhebliche volkswirtschaftliche Ressourcen.

Zum Schluss: Ich habe nicht genug Fantasie, mir vorzustellen, wie Kooperation und Nachsorge über eine Entfernung von 100 Kilometern von einem einzigen Zentrum aus erfolgen sollen. Manchmal klappt es ja derzeit noch nicht einmal um die Ecke herum. Wie soll das innerhalb eines riesigen Einzugsgebiets reibungslos funktionieren?

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Herr Holzborn. – Als nächster Redner bitte Herr Kollege Mau aus Berlin.

© 2004, Bundesärztekammer.