TOP VI: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Tag 4: Freitag, 21. Mai 2004 Vormittagssitzung

Prof. Dr. Dr. h. c. von Jagow, Referent:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bekomme ich Sie, wie bekomme ich mich wach? Jedenfalls werde ich mich bemühen.

Auf dem 106. Deutschen Ärztetag in Köln, als wir noch ganz am Beginn unserer Bemühungen standen, habe ich Ihnen über die Ziele und die Umsetzung der neuen ÄAppO berichtet. Damals bin ich detailliert auf die Inhalte der neuen
ÄAppO, die 22 Pflichtfächer, die zwölf Querschnittsbereiche, die Neustrukturierung des Studiums und auf die neuen fakultären Prüfungen eingegangen. Diese Themen können heute nicht noch einmal behandelt werden.

In meinen heutigen Ausführungen möchte ich neben dem Bericht über den Stand der Umsetzung einen Schritt weitergehen. Ich werde einen Ausblick auf den zu erwartenden weiteren Verlauf der ÄAppO unternehmen.

Es sei jedoch betont, dass die damals dargestellten zentralen Forderungen nach wie vor Goldstandard sind. Wir brauchen erstens einen deutlich stärkeren Praxisbezug, der konzentriert in den Blockpraktika verankert ist. Wir brauchen zweitens eine verstärkte Ausbildung am konkreten Krankheitsbild, die bereits am Beginn des Studiums stehen muss. Dabei brauchen wir drittens eine Fokussierung der Lehre auf die häufigsten Krankheitsbilder. Viertens benötigen wir dabei den Ausbau der interdisziplinären Lehre, insbesondere der Querschnittsbereiche, mit einem ständigen Austausch von Theorie und Praxis. Fünftens brauchen wir eine verstärkte Profilbildung. Dazu können die obligatorischen Wahlfächer beitragen, die in der Vorklinik und der Klinik angeboten werden müssen.

Welches sind die derzeit dringlichst zu erfüllenden Aufgaben? Wir müssen Form und Inhalt der Blockpraktika weiter ausarbeiten. Das bereitet uns gewisse Schwierigkeiten. Das Kennenlernen der häufigsten Krankheitsbilder erfordert unabdinglich die Einbindung der Lehrkrankenhäuser. Gleiches trifft für die Einbindung der Lehrpraxen zu, die häufig den Schwerpunkt Allgemeinmedizin besitzen sollen.

Das Zeitraster der Umsetzung unserer Bemühungen legen wir in den Bereich mehrerer Jahre.

Kontraproduktiv zu unseren Anstrengungen stehen die ständigen Kürzungen der Landeszuführungen für Forschung und Lehre und die zu erwartenden Mindereinnahmen der Universitätsklinika infolge der Fallpauschalenvergütung.

Trotz aller Anfechtungen betreiben wir die Neugestaltung der deutschen Hochschulmedizin mit ungebrochenem Elan. Wir folgen nicht dem Motto „nach der Reform ist vor der Reform“, sondern konzentrieren uns auf die Verwirklichung der neuen ÄAppO.

Wer sind die Akteure? Als oberste Instanz möchte ich das BMGS benennen, das in Abstimmung mit dem Bundesrat die Verordnung erarbeitet hat und das In-Kraft-Treten begleitet. Die Medizinischen Fakultäten mit ihren Universitätsklinika, die das neue Ausbildungskonzept realisieren müssen, stehen im Brennpunkt des Geschehens, vor allen Dingen die Dekane und Studiendekane und – das ist zu betonen – ihr Mitarbeiterstab, der oft die meiste Arbeit erledigt. Akteure dieses Prozesses sind auch die Studierenden.

Die Landesprüfungsämter haben alle Neuerungen juristisch zu begleiten. Das Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen muss die neuen Staatsexamina erarbeiten, ihre Durchführbarkeit und ihre juristische Validität absichern.

Der Medizinische Fakultätentag berät und koordiniert diesen Prozess.

Die Studierenden mit ihrer bundesweiten Vertretung, der Fachtagung Medizin, bringen sich ebenfalls in diesen Prozess ein. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften bringt sich mit ihrem Input an Fachwissen ein.

Die Bundesärztekammer, der Marburger Bund und weitere Kammern und Verbände analysieren in Fachausschüssen den Umsetzungsprozess. Durch konstruktive Kritik und Vorschläge geben sie den Fakultäten und Behörden wichtige Anregungen. Ich möchte hier der Bundesärztekammer und auch dem Marburger Bund meinen Dank für ihre Unterstützung bei der Abschaffung des AiP aussprechen. Der Bundestag hat, wie Sie wissen, mittlerweile beschlossen, diese seit langem auch vom MFT kritisierte Phase der Unterbezahlung des ärztlichen Nachwuchses zum 1. Oktober 2004 zu beenden.

(Beifall)

Die neue Ausbildungsordnung erschien im Juni 2002 im Bundesgesetzblatt. Ab 1. Oktober 2003 trat sie in Kraft. Bis zum Beginn des reformierten Studiums verblieb nur sehr wenig Zeit.

Wie war das prozessuale Vorgehen? Es waren zu erstellen: neue Studienordnungen, Curricula mit ihren Lehr- und Prüfungsinhalten, die Lehrpläne, die Prüfungsordnungen und Prüfungspläne. Die Genehmigung dieser Ordnungen erfolgte durch die Fachbereichs- bzw. Fakultätsräte, die Universitätssenate und die Wissenschaftsministerien.

Die Landesprüfungsämter spielten bei der Genehmigung der verschiedenen neuen Regelungen eine ganz wichtige Rolle.

Die Umsetzung ist so diffizil, da wir im föderalistischen System der Bundesrepublik eine Bundesverordnung in elf Bundesländern und zwei Stadtstaaten mit eigenen Landesgesetzen umsetzen müssen. Hinzu kommt, dass jede Fakultät einen sehr großen Spielraum hat und diesen in der Gestaltung der neuen Ausbildungsordnung intensiv nutzt.

Zur Verdeutlichung der Probleme, die auf den Medizinischen Fakultätentag bei der Begleitung dieses Prozesses zukommen, sei für die einzelnen Bundesländer die Zahl ihrer Fakultäten aufgeführt: Nordrhein-Westfalen acht, Bayern und Baden-Württemberg je fünf, Hessen drei, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils zwei, Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen jeweils eine Fakultät.

Es beeindruckt wirklich, welchen Reichtum an Medizinischen Fakultäten die Bundesrepublik besitzt, noch besitzt. Wir wissen ja, dass in Berlin eine Vereinigung von zwei Fakultäten und drei oder vier Klinika stattgefunden hat. Wir wissen, dass es in Kiel und Lübeck nur noch ein Klinikum gibt.

Der Medizinische Fakultätentag hat unmittelbar nach Ablauf des ersten neu gestalteten Wintersemesters durch eine Umfrage eine Analyse der Umsetzung durchgeführt. Die Fragebögen wurden zu unserer Freude lückenlos und umgehend von allen Fakultäten beantwortet. Hier das Ergebnis: Mit wenigen Ausnahmen wurde mit der Unterrichtung nach der neuen ÄAppO im Wintersemester 2003/2004 begonnen. Eine modifizierte Umstellung erfolgte nur bei den Fakultäten, die über einen Reformstudiengang verfügten, den Unterricht teilweise oder bereits ganz nach der neuen ÄAppO durchführten, beispielsweise die Fakultät Dresden. Mit dem zweiten Studienabschnitt wurde im Wintersemester 2003/2004 oder im Sommersemester 2004 begonnen. Alle Fakultäten verfügen über ein Curriculum für beide Studienabschnitte, das nun schrittweise, Semester für Semester umgesetzt wird.

Es sei nochmals betont, die Zusammenarbeit mit den Landesprüfungsämtern war zu unserer Freude äußerst erfolgreich.

Ich fasse zusammen: Die neue ÄAppO wird nachdrücklich umgesetzt. Sie befindet sich in der Anfangsphase der Umsetzung, ist aber in vollem Gange.

Bedauerlicherweise konnten diese positiven Verhandlungsergebnisse mit dem BMGS nicht erzielt werden. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Studierenden, die den ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung zum Stichtag Oktober 2003 noch nicht abgelegt hatten und auch noch nicht abgelegt haben mussten. Ein gemeinsamer Antrag durch eine Interessengemeinschaft der Studierenden, der Fachtagung Medizin und des Medizinischen Fakultätentages zur Novellierung des § 43 ÄAppO, die diese Probleme sehr leicht gelöst hätte, fand bei einer Anhörung des Bundesausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung keine positive Resonanz. Es muss nun mit einer Gruppe von 1 000 bis 1 500 Studierenden gerechnet werden, die dadurch mehrere Semester verlieren. Das ist ein Missstand, den das BMGS bzw. die rot-grüne Regierung zu vertreten hat.

Ich komme zur Gestaltung der ÄAppO zurück. Ein zentraler Aufgabenpunkt besteht in der Gestaltung des zweiten Staatsexamens, welches die Studierenden ja immer noch als das „Hammerexamen“ bezeichnen. Zu verhindern, dass es zu einem „Hammerexamen“ wird, ist Aufgabe des IMPP. Das Examen soll durch Fallstudien gestaltet werden, bei denen die wichtigsten Krankheitsbilder in einer fächerübergreifenden und problemorientierten Weise geprüft werden. Zurzeit wird eine Machbarkeitsstudie mit zwei Varianten erstellt. Bei Variante 1 soll ein sequenzielles Fallmodell ärztliches Handeln in der Prüfung simulieren. Hierfür sind computerbasierte Prüfungen besonders geeignet. Bei Variante 2 sollen die Fragen radiär um einen Krankheitsfall aufgebaut werden. Dadurch kann die Methode der Prüfungshefte angewendet werden. Diese Variante ist technisch sicher etwas einfacher; ich hoffe aber, dass Variante 1 angewendet wird.

Der neu zu erstellende Gegenstandskatalog – der alte ist noch mehrere Semester gültig, weil wir im Moment beide Arten des Studiums anbieten müssen –, muss nosologisch orientiert sein und soll nicht mehr fachspezifisch aufgebaut sein. Diese Arbeit wird zurzeit durch eine Medizinerkommission begleitet. Die AWMF und die Sachverständigen des IMPP haben einen Katalog der wichtigsten Erkrankungen erstellt, der – wie so oft – von einer Expertenkommission komprimiert werden musste. Der nun erstellte Katalog enthält 350 Krankheitsbilder. Dieser Katalog wurde um 250 bis 300 Befindlichkeitsstörungen ergänzt. Die Liste wird zurzeit von einer Sachverständigenkommission diskutiert.

Das IMPP plant, den neuen Gegenstandskatalog noch im Sommer dieses Jahres zu publizieren, in einem Forum vorzustellen. Er soll ja den Studierenden so früh wie möglich zur Verfügung gestellt werden.

Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Abschluss meines Referats noch wenige Worte über die Bemühungen des Medizinischen Fakultätentages sagen. Nachdem sich der MFT an der Gestaltung der neuen Ausbildungsordnung maßgeblich beteiligt hat, obliegt ihm nun, in beratender und stimulierender Weise ihre Umsetzung zu beschleunigen. Generelle Probleme werden von unserer Präsidialkommission „Neue Ausbildungsordnung“ bearbeitet. Diese Kommissionen bestehen immer aus einigen Dekanen, Prodekanen oder Mitarbeitern der Studiendekanate.

Die regelmäßige Evaluierung der Lehre, die durch § 2 Abs. 9 der ÄAppO vorgegeben wird, stellt in meinen Augen eine bedeutungsvolle Maßnahme dar, welche für die Optimierung des Umsetzungsprozesses unerlässlich scheint. Eine eigene Präsidialkommission „Evaluation der Lehre“ wird hierzu Vorschläge erarbeiten.

Es ist uns gelungen, eine „Akademie für Ausbildung in der Hochschulmedizin“ (AHM) zu gründen. Sie wird die vorhandenen didaktischen Ressourcen der Fakultäten bündeln und umfassend ausgestalten. Das Projekt wird vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft unterstützt. Bei der Akademie handelt es sich nicht um ein Institut, sondern um eine reine Organisationsform, die mit einer halben Sekretärinnenstelle ausgestattet ist.

Der MFT hat beratende Funktion bei Kommissionsarbeiten und bei Anhörungen zur neuen ÄAppO. Diese Arbeit hat sich sehr stark ausgeweitet. Sie wissen: Wir sind ein Einmannbetrieb.

Lassen Sie mich meinen Beitrag mit wenigen, zum Teil jedoch kritischen Anmerkungen beschließen. Ich bezeichne die neue ÄAppO als eine Agenda 2009/2010. Dies erscheint mir angemessen, da ja zumindest ein Studiengang, der Pilotstudiengang Wintersemester 2003/2004, das Studium voll durchlaufen haben muss, damit wir uns ein Bild von den Erfolgen machen können, die wir mit dieser neuen ÄAppO erzielen konnten.

Wo besteht der dringlichste Handlungsbedarf in den kommenden Semestern?

Durch eine ständige intramurale Absprache muss die Verteilung der Lehrressourcen – dies trifft auch für die Personalbestände zu – zwischen den Kollegen und zwischen den Instituten und Klinika sichergestellt werden, um eine optimierte Budgetnutzung bei eingeengten Haushalten zu garantieren. Es ist ja allgemein bekannt, dass in den Universitätsklinika die Krankenversorgung einen Großteil der Kräfte bindet. Deshalb ist es essenziell, dass ein enger Schulterschluss zwischen Fakultät und Universitätsklinikum existiert. Das ist nicht immer ganz leicht. Bei der derzeitigen mangelnden Personalbesetzung auf den Stationen und Polikliniken bereitet die Umsetzung der neuen ÄAppO Schwierigkeiten. Eine Präzisierung und Koordinierung der Lehrinhalte der klinischen Fächer wird die Effizienz der Umsetzung verbessern.

Die Abstimmung der Querschnittsbereiche mit einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Kollegen sollte ebenfalls eine Effizienzsteigerung bewirken.

Die Gestaltung der fakultären Prüfungen, die für uns völlig neu sind, sollte zum Zwecke der Rationalisierung zentral von den Studiendekanaten durchgeführt werden.

Ich ging bereits darauf ein: Die Einbeziehung der außeruniversitären Krankenhäuser und Lehrpraxen ist ein Obligo.

Wie stellt sich der Ausblick dar und welche Forderungen sind zu erheben? Die Fakultäten stehen am Beginn der Ausgestaltung des neuen Lehrkonzepts. Sie werden es umsetzen. Sie benötigen jedoch zusätzliche Unterstützung vom BMGS und von den Landesregierungen. An die Bundesregierung gerichtet sage ich: Die Einsetzung einer Evaluationskommission des Bundes sollte in Betracht gezogen werden, die in mehrjähriger Tätigkeit die Umsetzung der ÄAppO an den einzelnen Fakultäten evaluiert und damit vorantreibt.

An die Landesregierungen gerichtet sage ich: Der MFT wiederholt seinen Appell, in einer Situation der deutlich erhöhten Unterrichtsbelastung die Landeszuschüsse für Forschung und Lehre nicht ständig zu kürzen, sondern sie wieder auf ihre ursprüngliche Höhe zurückzubringen.

(Beifall)

Eine rühmliche Ausnahme ist Nordrhein-Westfalen. Herr Dieckmann hat die Landeszuschüsse um 2,4 Prozent erhöht. Ich hoffe, dass diese Summe nicht an einer anderen Ecke wieder abgezogen wird.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich konnte ich Ihnen in der Kürze der Zeit nur einen summarischen Überblick geben. Es sollte jedoch gelungen sein, zu verdeutlichen, welche enormen Anstrengungen die Medizinischen Fakultäten zur Umsetzung der neuen ÄAppO unternehmen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

© 2004, Bundesärztekammer.