TOP VI: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Tag 4: Freitag, 21. Mai 2004 Vormittagssitzung

Dr. Jaeger, Schleswig-Holstein:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte über das Problem der Wirtschaftlichkeit sprechen. Das ist einer der Hauptgründe, wie der Kollege aus Bonn gerade ausgeführt hat, warum das EuGH-Urteil nicht ausreichend umgesetzt wird. Die angeblichen wirtschaftlichen Implikationen sind der Grund, weshalb alle Regierungen die EU-Kommission drängen wollen, das Rad zurückzudrehen.

Lassen Sie mich dazu ein paar Bemerkungen machen. Auf der Hauptverhandlung in Luxemburg haben alle Regierungsvertreter gesagt, dass der Arbeitnehmerschutz ein hohes Gut sei, das nicht wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden darf. Anschließend haben sie etwa 30 Minuten allein über wirtschaftliche Überlegungen gesprochen und mehr oder weniger den Untergang des Abendlandes prophezeit.

Demgegenüber haben die Generalanwälte sowohl im Simap-Verfahren als auch in meinem Verfahren sehr explizit exzellente Gutachten erstellt, die vor allen Dingen auch den Patientenschutz und den Arbeitnehmerschutz berücksichtigten, und dann das Urteil so wie bekannt gefällt.

Es wird aber immer wieder gesagt: Die wirtschaftlichen Gesichtspunkte sprechen dagegen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es den Regierungen ausschließlich um ökonomische Belange geht; die Sicherheit der Arbeitnehmer und der uns anvertrauten Patienten scheint zweitrangig zu sein. Das empfinde ich eigentlich als einen Skandal. Aber wenn es denn so ist, dann sollten wir über die wirtschaftlichen Auswirkungen reden. Ich möchte hier einmal über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Nichtumsetzung des EuGH-Urteils reden.

Die Umsetzung des EuGH-Urteils wurde für Deutschland mit etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt. Man sagt, dass etwa 40 000 Stellen im ärztlichen und im nicht ärztlichen Bereich erforderlich seien. Meine Damen und Herren, ich finde, dass es in einem Land mit über 4 Millionen Arbeitslosen eine schlechtere Nachricht gibt als die Aussicht auf 40 000 hoch qualifizierte Arbeitsplätze in einem Wirtschaftszweig mit blendenden Zukunftschancen.

Überlegen wir doch einmal, was 40 000 Arbeitslose kosten. Herr Hammerschlag vom Bundesverband geht von rund 750 000 Euro aus. Unsere Regierung investiert also lieber in Arbeitslosigkeit als in Arbeit.

Die alte Bereitschaftsdienstregelung bewirkt, dass unsere Krankenhäuser, die mit modernstem Hightech ausgestattet sind, nur 38,5 Stunden pro Woche ihre volle Leistung erbringen können. Während dieser Zeit drängt sich alles in die Funktionseinheiten. Während der restlichen 129 Wochenstunden – das sind 75 Prozent – wird das Leistungsspektrum radikal auf ein Rumpfprogramm heruntergefahren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Unternehmer würde es sich leisten, sein Leistungsspektrum zu 75 Prozent ruhen zu lassen.

Der dritte Punkt ist der wichtigste: Das alte Bereitschaftsdienstsystem führt leider zu jährlich 2 000 bis 4 000 Todesfällen. Hinzu kommen 30 000 Scha­densfälle. Die volkswirtschaftlichen Kosten dafür werden die Summe von 1,5 Milliarden Euro um ein Vielfaches übersteigen.

Ich bitte Sie, diese Zahlen öffentlich zu transportieren und vor allen Dingen auch eine volkswirtschaftliche Berechnung anzustellen, was Menschenleben kosten, was die Behandlung von dauerhaft geschädigten Patienten kostet. Ich kann Ihnen versprechen: Es wird dabei eine Katastrophe herauskommen. Die 1,5 Milliarden Euro für die Umsetzung des EuGH-Urteils sind sehr gut angelegtes Geld.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Herr Kollege Jaeger. Ich glaube, wir sollten tolerant sein. Herr Jaeger hat dafür gesorgt, dass Geschichte geschrieben wurde. Diese Dimension muss man in die Überlegungen mit einbeziehen.

(Beifall)

Deswegen verspreche ich Ihnen, dass wir beim Rest der Tagesordnung wie vereinbart fortfahren.

Jetzt bitte Herr Pickerodt mit einem Geschäftsordnungsantrag.

© 2004, Bundesärztekammer.