Dr.
Jaeger, Schleswig-Holstein:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte über das Problem der Wirtschaftlichkeit sprechen. Das ist einer
der Hauptgründe, wie der Kollege aus Bonn gerade ausgeführt hat, warum
das EuGH-Urteil nicht ausreichend umgesetzt wird. Die angeblichen
wirtschaftlichen Implikationen sind der Grund, weshalb alle Regierungen
die EU-Kommission drängen wollen, das Rad zurückzudrehen.
Lassen
Sie mich dazu ein paar Bemerkungen machen. Auf der Hauptverhandlung
in Luxemburg haben alle Regierungsvertreter gesagt, dass der Arbeitnehmerschutz
ein hohes Gut sei, das nicht wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet
werden darf. Anschließend haben sie etwa 30 Minuten allein über wirtschaftliche
Überlegungen gesprochen und mehr oder weniger den Untergang des Abendlandes
prophezeit.
Demgegenüber
haben die Generalanwälte sowohl im Simap-Verfahren
als auch in meinem Verfahren sehr explizit exzellente Gutachten erstellt,
die vor allen Dingen auch den Patientenschutz und den Arbeitnehmerschutz
berücksichtigten, und dann das Urteil so wie bekannt gefällt.
Es wird
aber immer wieder gesagt: Die wirtschaftlichen Gesichtspunkte sprechen
dagegen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es den Regierungen ausschließlich
um ökonomische Belange geht; die Sicherheit der Arbeitnehmer und der
uns anvertrauten Patienten scheint zweitrangig zu sein. Das empfinde
ich eigentlich als einen Skandal. Aber wenn es denn so ist, dann sollten
wir über die wirtschaftlichen Auswirkungen reden. Ich möchte hier
einmal über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Nichtumsetzung des
EuGH-Urteils reden.
Die Umsetzung
des EuGH-Urteils wurde für Deutschland mit etwa 1,5 Milliarden Euro
pro Jahr veranschlagt. Man sagt, dass etwa 40 000 Stellen im
ärztlichen und im nicht ärztlichen Bereich erforderlich seien. Meine
Damen und Herren, ich finde, dass es in einem Land mit über 4 Millionen
Arbeitslosen eine schlechtere Nachricht gibt als die Aussicht auf
40 000 hoch qualifizierte Arbeitsplätze in einem Wirtschaftszweig
mit blendenden Zukunftschancen.
Überlegen
wir doch einmal, was 40 000 Arbeitslose kosten. Herr Hammerschlag
vom Bundesverband geht von rund 750 000 Euro aus. Unsere Regierung
investiert also lieber in Arbeitslosigkeit als in Arbeit.
Die alte
Bereitschaftsdienstregelung bewirkt, dass unsere Krankenhäuser, die
mit modernstem Hightech ausgestattet sind, nur 38,5 Stunden pro Woche
ihre volle Leistung erbringen können. Während dieser Zeit drängt sich
alles in die Funktionseinheiten. Während der restlichen 129 Wochenstunden
– das sind 75 Prozent – wird das Leistungsspektrum radikal auf
ein Rumpfprogramm heruntergefahren.
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, kein Unternehmer würde es sich leisten,
sein Leistungsspektrum zu 75 Prozent ruhen zu lassen.
Der dritte
Punkt ist der wichtigste: Das alte Bereitschaftsdienstsystem führt
leider zu jährlich 2 000 bis 4 000 Todesfällen. Hinzu kommen
30 000 Schadensfälle. Die volkswirtschaftlichen Kosten dafür
werden die Summe von 1,5 Milliarden Euro um ein Vielfaches
übersteigen.
Ich bitte
Sie, diese Zahlen öffentlich zu transportieren und vor allen Dingen
auch eine volkswirtschaftliche Berechnung anzustellen, was Menschenleben
kosten, was die Behandlung von dauerhaft geschädigten Patienten kostet.
Ich kann Ihnen versprechen: Es wird dabei eine Katastrophe herauskommen.
Die 1,5 Milliarden Euro für die Umsetzung des EuGH-Urteils sind sehr
gut angelegtes Geld.
Vielen
Dank.
(Beifall)
Prof. Dr.
Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Herr Kollege Jaeger. Ich glaube, wir sollten tolerant sein. Herr Jaeger hat dafür gesorgt, dass Geschichte geschrieben wurde.
Diese Dimension muss man in die Überlegungen mit einbeziehen.
(Beifall)
Deswegen
verspreche ich Ihnen, dass wir beim Rest der Tagesordnung wie vereinbart
fortfahren.
Jetzt
bitte Herr Pickerodt mit einem Geschäftsordnungsantrag. |