TOP VI: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Tag 4: Freitag, 21. Mai 2004 Vormittagssitzung

Henke, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es geht in diesem Antrag um die auch gestern unter dem Tagesordnungspunkt „Integration von Menschen mit Behinderungen“ geäußerte Kritik von Herrn Dr. Nick und Herrn Dr. Lipp an der Praxis der Feststellung, wer eigentlich behindert ist, wer schwerbehindert ist, wer in den Genuss von sozialen Leistungen kommt. Hier wird eine Einschränkung der im Schwerbehindertengesetz getroffenen Regelungen verlangt, ohne dass diese Einschränkungen näher konkretisiert sind.

Das ist gewissermaßen mein Kritikpunkt: Wir haben ja im Sozialgesetzbuch IX die Definition, was unter sozialrechtlichen Aspekten unter einer Behinderung zu verstehen ist. Vorliegen muss entweder eine körperliche Funktionsstörung oder eine Minderung der geistigen Fähigkeit oder eine Einschränkung der seelischen Gesundheit. Eine solche Störung muss mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen längeren Zeitraum als sechs Monate vorliegen. Ferner muss es sich um einen Zustand handeln, der von dem Zustand abweicht, der für das Lebensalter typisch ist. Zusätzlich muss die Teilhabe des Betreffenden am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt sein.

Diese Definitionen sind von allen Parteien des Deutschen Bundestages im Rahmen des Sozialgesetzbuches IX verabschiedet worden. Im Schwerbehindertengesetz ist festgehalten, dass der Grad der Behinderung zur Anerkennung als Schwerbehinderter mindestens 50 Prozent betragen muss. Für einen Teil der Vergünstigungen ist derjenige, der eine Behinderung von mindestens 30 Prozent erreicht, gleichgestellt mit denjenigen, die 50 Prozent Behinderungsgrad erreichen. So sieht die rechtliche Situation aus.

Ich habe noch einmal mit dem Kollegen aus dem Saarland gesprochen, der in der gestrigen Diskussion als Betroffener gesprochen hat und auch viele Betroffene berät. Seine Einschätzung ist, dass es mehr Menschen gibt, bei denen berechtigte Ansprüche abgewiesen werden, als dass abgewiesene Ansprüche durchgeboxt werden.

(Beifall)

Insofern finde ich es sehr, sehr schwierig, wenn wir an dieser Stelle gewissermaßen einen Freibrief zu einer eingreifenden Einschränkung im Schwerbehindertenrecht oder im Behindertenrecht generell ausstellen und dies nicht mit einer präzisen Definition dessen verbinden, was wir eigentlich genau wollen.

Bei der Klarheit der Definitionen, die im Übrigen in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation beraten wurden, in deren Beirat wir mitwirken und in deren Vorstand die Kassenärztliche Bundesvereinigung mitwirkt, wo wir mit dazu beigetragen zu haben, die Dinge so zu definieren, wie sie definiert sind, und das mitgetragen haben, finde ich es sehr, sehr schwierig, dem Antrag 96 zu folgen. Es mag sein, dass der eine oder andere, der begutachtet, oder dass der eine oder andere, der vielleicht Atteste ausstellt, gelegentlich zu Gefälligkeiten neigt. Aber das ist ein Problem, das nicht der Gesetzgeber lösen kann.

(Beifall)

 

Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank. – Jetzt bitte Herr Kollege Nick aus Rheinland-Pfalz.
© 2004, Bundesärztekammer.