ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
VI - 01
Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache
VI-01) fasst der 107. Deutsche Ärztetag einstimmig folgende
Entschließung:
Alle im Gesundheitswesen verantwortlichen Institutionen wie das
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, die
Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Krankenkassen, die Deutsche
Krankenhausgesellschaft, die Fachgesellschaften und der Gemeinsame
Bundesausschuss werden von der Deutschen Ärzteschaft aufgefordert,
ihre Dokumentationsansprüche und -pflichten kritisch zu hinterfragen
und einer Sinnprüfung zu unterziehen. Als gemeinsames Ziel
muss eine massive Reduzierung der Dokumentationsmengen angestrebt
werden. Auch wir als Ärztekammern schließen uns hier
nicht mehr aus.
Die zu diesem Zweck bereits gebildete Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer
wird beauftragt, bis zum 108. Deutschen Ärztetag in Berlin
gemeinschaftlich mit allen Verantwortlichen ein Konzept zur Optimierung
und Reduzierung der Dokumentation zu erarbeiten und auf den Weg
zu bringen und ggf. diesbezügliche Projekte oder Studien durchzuführen
oder zu veranlassen.
Begründung:
Alle Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, ob im ambulanten
oder stationären Bereich tätig, beklagen die immer weiter
zunehmende Dokumentationsflut. Die ureigenste Tätigkeit, die
Versorgung und Behandlung von Patientinnen und Patienten, leidet
darunter erheblich. Nur unter erheblichem persönlichen Einsatz
ist die Patientenversorgung noch aufrecht zu erhalten.
Im Krankenhausbereich hat sich der ärztliche Dokumentationsaufwand
mit der Einführung der DRG-Fallpauschalen noch einmal beträchtlich
erhöht. Die Abwicklung der stetig häufiger und umfänglicher
werdenden Rückfragen von Kostenträgern und Medizinischem
Dienst blockieren die ärztliche Tätigkeit zunehmend. Die
Dokumentation der Notwendigkeit der stationären Aufnahme eines
Patienten bei Erbringung besonderer ambulanter Operationen einerseits
und zu übrigen Krankenhausbehandlungen andererseits nach unterschiedlichen,
sich teils widersprechenden Kriterienkatalogen schafft überflüssige
Reibungsverluste. Dies muss dringend anders werden!
Die Studie „Dokumentationsaufwand im ärztlichen Dienst
der Krankenhäuser - Bestandsaufnahme und Verbesserungsvorschläge“
des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI), hat die ärztliche
Dokumentationstätigkeit von insgesamt 1 010 Ärztinnen
und Ärzten untersucht. Demnach beträgt der Zeitaufwand
für die ärztliche Dokumentation in der Chirurgie 2,42
und in der Inneren Medizin 3,15 Stunden je Tag. Davon entfallen
jeweils 20 % (Chirurgie) bzw. 25 % (Innere Medizin) auf rein administrative
Dokumentationsaufgaben. Nach der Schlussfolgerung der DKI-Studie
könnten im günstigsten Fall allein durch die Delegation
der administrativen Dokumentation und die Optimierung beim Schreiben
der Arztbriefe rund eine Stunde Dokumentationszeit pro Arzt und
Arbeitstag eingespart werden. Dies entspricht etwa einem Drittel
des krankenhausärztlichen Dokumentationsaufwandes insgesamt.
Eine ähnliche Situation zeigt sich bei den Kassenärzten.
Bei ca. 60 unterschiedlichen Formularen, mit denen sich ein Kassenarzt
in der Praxis täglich auseinandersetzen muss, sind und bleiben
die Krönung die Formulare zu den Disease-Management-Programmen,
den DMPs. Nicht nur, dass diese ausgesprochen unhandlich beim Ausfüllen
sind: Der kleinste Fehler führt dazu, dass die auswertende
Institution sie wieder zurücksendet und der Patient seine Einwilligung
erneut dazu geben muss. Die Vorstellung, dass neben Diabetes mellitus
und Mamma-Carcinom der gleiche Dokumentationsaufwand für Hypertonus
oder KHK aufgebracht werden muss, sprengt alle Maßstäbe.
Die Qualität der Versorgung wird durch die DMPs keinesfalls
verbessert, sondern ist ausschließlich auf die finanzielle
Systematik des Risikostrukturausgleiches ausgerichtet. Selbst gutwillige
Ärztinnen und Ärzte signalisieren, dass dies nicht mehr
machbar sei. Bei der Durchsicht der DMP-Formulare zeigt sich, dass
mindestens die Hälfte des Erfassungsumfangs eingespart werden
könnte.
Im Bereich der externen Qualitätssicherung, die verpflichtend
nach § 137 SGB V für Krankenhausleistungen erbracht werden
muss, müssen alle Beteiligten weiter den eingeschlagenen Weg
verfolgen, mit Hilfe einer geschickten Reduzierung der Items, verbesserter
EDV-Lösungen und unter verstärkter Ausschöpfung der
administrativen Routinedaten mit reduziertem Dokumentationsaufwand
zu demselben Ergebnis zu kommen.
Ein weiteres Ziel muss es sein, gemeinsam mit Datenschützern,
allen beteiligten Institutionen und den Softwareherstellern Wege
und Standards zu finden, damit medizinische Daten nur einmal erhoben
werden müssen, um diese dann unterschiedlichen Auswertungen
zuführen zu können. Es kann nicht sein, dass Daten z.
B. bei Tumorerkrankungen dreimal separat erhoben werden müssen
für das Krebsregistergesetz, für DMPs und für die
sinnvollen Jahrzehnte lang bestehenden klinischen Tumorregister.
Hier müssen Rechtsverordnungen durch den Gesetzgeber so geändert
werden, dass DMP-Daten nicht nur für DMPs verwandt werden dürfen.
Es führt zu keinem Schaden von Patienten, sondern reduziert
drei Formulare auf eins.
Datenerhebungen zur Qualitätssicherung, die nicht für
definierte Qualitätsziele und auf der Grundlage von konkreten
Auswertungskonzepten durchgeführt werden, sollten unterbleiben.
Daten, die später nicht sinnvoll genutzt werden, dürfen
erst gar nicht erhoben werden!
Die Ressource „Arzt“ ist bei der Arbeitsverdichtung,
den steigenden Fallzahlen von schwer Erkrankten, dem Ärztemangel
und dem ökonomischen Druck freizusetzen für seine ursprüngliche
Aufgabe: die Versorgung von Kranken.
Dies gilt gleichermaßen für die Pflege und andere Gesundheitsfachberufe.
Jede eingesparte Minute überflüssiger und doppelter Dokumentation
kommt der Zuwendung zu den Patientinnen und Patienten unmittelbar
zu Gute!
Darüber hinaus wird jede Reduktion überflüssiger
Dokumentation zu einer größeren Arbeitszufriedenheit
führen. Ärztinnen und Ärzte sowie nichtärztliche
Gesundheitsfachberufe, die nicht länger um des Dokumentierens
willen, sondern mit dem Ziel der bestmöglichen Versorgung ihrer
Patienten dokumentieren, werden nicht mehr aus ihrem Beruf entfliehen.
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