ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
VI - 92
Auf Antrag von Dr. Crusius (Drucksache VI-92) fasst der 107. Deutsche
Ärztetag folgende Entschließung:
Die Finanzierung der Notfallversorgung ist regional sehr unterschiedlich
geregelt. In Regionen, in denen die Finanzierung der präklinischen
Notfallversorgung sowie die klinische Notfallversorgung im Katastrophen-
sowie im Zivilschutzfall nicht ausreichend unabhängig von der
Finanzierung der klinischen Regelversorgung sichergestellt ist,
drohen begleitend zur Einführung des neuen Fallpauschalensystems
(DRGs) zur Vergütung der Krankenhäuser dramatische Auswirkungen
auf die notfallmedizinische Versorgung. Die Effektivität der
individualmedizinischen Versorgung wird dort ebenso in Frage gestellt
wie die Effektivität des Versorgungssystems Krankenhaus beim
Massenanfall von Verletzten und / oder Erkrankten.
Seit 12 Monaten liegen die Analysen der Gutachter des Sachverständigenrates
für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen vor, in dem
die folgenden Probleme schon vorausgesagt wurden. Obwohl das neue
DRG-Fallpauschalen-System in den Jahren 2003 und 2004 zunächst
budgetneutral eingeführt wird, sind hinsichtlich der Notfallversorgung
in ersten Regionen schon jetzt folgende Nachteile feststellbar:
- Die neuen Vergütungsformen fördern eine zunehmende
Spezialisierung der stationären Versorgung unter Hintanstellung
der Notfallversorgung.
- Im Rahmen der Privatisierung von kommunalen Krankenhäusern
werden vielfach Notfallversorgungskapazitäten abgebaut.
- Durch Spezialisierungs- und Konzentrationstendenzen auf Kernkompetenzen
wird die wohnortnahe Notfallversorgung gefährdet.
- Vor dem Hintergrund der Anreize des neuen Fallpauschalensystems
schießen manche Krankenhausträger bei der Erschließung
vermeintlicher Wirtschaftlichkeitsreserven über das Ziel hinaus
und verweigern Klinikärzten die Nebentätigkeitserlaubnis
für den Rettungsdienst.
Weitere Folgen können sich dort schon kurzfristig einstellen:
- Krankenhäuser werden primär aus betriebswirtschaftlichen
Gründen ohne Rücksichtnahme auf die lokale Notfallversorgung
geschlossen.
- Krankenhäuser können weniger oder gar keine Notärzte
mehr zur Verfügung stellen.
- Die Zahl der Notarztstandorte wird verringert und die Eintreffzeit
des Notarztes am Notfallort verlängert.
- Durch verlängerte Transportzeiten zu überregionalen
Versorgungszentren werden Notfallpatienten gefährdet und Notärzte
länger im Einsatz gebunden.
- Die Sicherstellung ausreichender Versorgungskapazitäten
bei Großschadensereignissen, Katastrophen sowie im Zivilschutzfall
in Krankenhäusern ist mangels Reserve-Betten, Reserve-Beatmungsplätzen,
Reserve-Arzneimitteln sowie Reserve-Medizin-Produkten sowie mangels
ärztlichem sowie nicht-ärztlichem Personal massiv gefährdet.
Des Weiteren ist eine Substitution der für den Katastrophen-
wie Zivilschutzfall wegfallenden Notfallversorgungskapazitäten
aus anderen Mitteln bisher weder hinsichtlich der Finanzierung noch
bezüglich eines Zeitziels erkennbar.
Der Deutsche Ärztetag fordert daher Bund, Länder, Krankenhausgesellschaften,
Krankenkassen und Krankenhausträger im Rahmen ihrer Verantwortung
für die zeitgerechte und fachkompetente Versorgung von Notfallpatienten
dazu auf, durch eine entsprechende Erweiterung und Ausschöpfung
des rechtlichen Rahmens dafür Sorge zu tragen, dass diese Folgen
vermieden werden. Dabei müssen folgende Voraussetzungen erhalten
bzw. geschaffen werden:
- Der Notarzt-Einsatz dienstbereiter Klinikärzte muss durch
ausreichende Freistellungsregelungen ermöglicht werden.
- Die Verfügbarkeit und ständige Einsatzbereitschaft
von vom Notfallort aus zeitgerecht erreichbaren Notaufnahmen muss
personell und sachlich garantiert sein.
- Die ausreichende Finanzierung des Notarzt- und Rettungsdienstes
muss auch unter den Bedingungen der neu geregelten Krankenhausvergütung
gesichert werden.
- Eine auch für Großschadensereignisse, Katastrophen
und den Zivilschutz-Fall ausreichende Anzahl von Notfall-Betten,
Notfall-Arzneimitteln und -Medizinprodukten nebst entsprechendem
Rettungs- und Krankenhauspersonal muss vorgehalten werden. Zur Sicherstellung
deren Finanzierung bedarf es einer
Überprüfung und ggf. Neuabstimmung der Zuständigkeiten
und der Beteiligung von Bund, Ländern, Kommunen und Krankenkassen.
Notwendige Kapazitäten, die nicht im Rahmen einer Vorhaltungsfinanzierung
von Zivil- und Katastrophenschutz bereit gestellt werden können,
müssen weiterhin im Krankenhausplan berücksichtigt und
durch eine sachgerechte Ausgestaltung der ab 2005 zwar grundsätzlich
vorgesehenen, aber bis heute nicht konkretisierten Zuschlags- bzw.
Sicherstellungsfinanzierung auf der Landesebene unterhalten werden.
Die schnellstmögliche Notfallversorgung durch den Notarzt
und umgehende Weiterbehandlung im Krankenhaus sind entscheidende
Erfolgsfaktoren der Notfallrettung. Wenn diese nicht garantiert
werden, verringert dies die Überlebens- und Wiederherstellungschancen
der betroffenen Patienten nachhaltig oder macht diese sogar zunichte.
Das im internationalen Vergleich vorbildliche flächendeckende
deutsche Rettungswesen darf durch die im Zusammenhang mit der Umstellung
der Krankenhausfinanzierung bestehenden Anreize und Unsicherheiten
nicht selbst zum Notfall werden!
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