ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
VI - 05
Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache
VI-05) fasst der 107. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung
mit großer Mehrheit:
Der Einsatz für die bestmögliche Versorgung unter Berücksichtigung
der jeweils besonderen individuellen Erfordernisse des Patienten
zählt zum Selbstverständnis des ärztlichen Berufsbilds.
Die Qualitätssicherung ärztlicher Berufsausübung
zur Optimierung der medizinischen Versorgung zählt zu den Kernaufgaben
der ärztlichen Selbstverwaltung. Auf der Grundlage dieser nicht
nur historisch gewachsenen, sondern gesetzlich in den Heilberufs-
und Kammergesetzen verankerten Zuständigkeit sind die Ärztekammern
in zahlreichen Feldern der Qualitätssicherung tätig. Die
Sozialgesetzgebung hat die Qualitätssicherungsentwicklung der
ärztlichen Selbstverwaltung vereinnahmt. Qualitätssicherung
wird der Öffentlichkeit als Ergebnis politisch angestoßener
Reformprozesse suggeriert.
Bei der Adaption von Qualitätssicherung in der Sozialgesetzgebung
werden außerdem Parallelstrukturen geschaffen, die mit ihren
unkoordinierten und selektiven Richtlinien- und Dokumentationsverpflichtungen
insgesamt zu einer überbordenden Verwaltungslast auf Kosten
der eigentlichen Patientenversorgung führen. Dies färbt
negativ auf die Mitwirkung von Ärzten und Patienten ab; im
Versorgungsalltag werden die von außen übergestülpten
Maßnahmen als inhaltsleere Kontrollmechanismen ohne Ergebnis-Rückkopplung
erlebt.
Tatsache ist: Angesichts begrenzter Ressourcen ist „Optimierung“
das Gebot der Stunde. „Optimierung“ kann jedoch zweierlei
bedeuten: Es kann nach wirtschaftlichen Kriterien optimiert werden,
um Beitragssätze stabil zu halten oder den Profit von Krankenkassen
oder Leistungserbringern zu optimieren. Dies birgt das Risiko ethisch
durchaus fragwürdiger Fehlentwicklungen in sich. Oder es kann
sich um die Optimierung des eigentlichen Zweckes des Gesundheitswesens
handeln, den Patientinnen und Patienten eine humane und hochwertige
Behandlung und Betreuung zu gewährleisten. Es dürfte klar
sein, dass die Ärzteschaft Letzteres anstrebt.
Die Ärzteschaft wird sich in ihrem autonomen Bestreben zur
Sicherstellung der bestmöglichen Versorgung der Patientinnen
und Patienten nicht beirren lassen. Angesichts der drohenden Übersteuerung
des Gesundheitswesens ist aus Sicht der Ärzteschaft eine Besinnung
auf die zentralen Werte und Aufgaben erforderlich:
- Wer eine Krise erfolgreich bewältigen möchte, muss
sich primär auf Werte konzentrieren, dann auf Preise und Kosten.
Der Wert im Gesundheitswesen ist die hochwertige und humane Behandlung
und Betreuung kranker Menschen, primär unabhängig vom
jeweiligen leistungsrechtlichen Kontext.
- Die Messung von Versorgungsqualität muss sich am Ergebnis
für die Patientinnen und Patienten ausrichten. Die vielfältig
im SGB V implementierten externen QS-Maßnahmen und -Dokumentationspflichten
sind ohne sektorübergreifende Longitudinalbeobachtung nur eingeschränkt
aussagefähig und müssen ergänzt werden.
- Durch eine klinik- und praxisnahe Versorgungsforschung können
die Patientengruppen und Versorgungsstrukturen identifiziert werden,
für die die Entwicklung von QS-Maßnahmen einen tatsächlichen
Beitrag zur Optimierung der Versorgungsabläufe verspricht.
- Ärztliches, aus dem konkreten Versorgungsalltag generiertes
Know How und Empathie für den Patienten sind für die Entwicklung
von QS-Programmen und umfassendem Qualitätsmanagement unverzichtbar.
Die Zusammenführung von klinischer und methodischer Expertise
kann zu einer tatsächlich am Versorgungsergebnis für den
Patienten orientierten Qualitätssicherung und evidenzbasierter
Gesundheitsversorgung führen.
- Erfahrungen aus Qualitätssicherung und -management in Naturwissenschaft,
Technik und Industrie lehren, dass „weiche Faktoren“,
wie Führung, soziale Kompetenz und gemeinsame Zieldefinition,
die wichtigsten der eine gute Qualität bestimmenden Faktoren
sind. Im Vergleich hierzu befindet sich die Qualitätskonzeption
in der aktuellen Gesetzgebung auf dem Niveau der fünfziger
und sechziger Jahre. Von oben herab diktierte QS-Maßnahmen,
die die notwendige Mitwirkung von Ärzten und Patienten ignorieren,
werden weder zu einer Optimierung der Versorgungsqualität,
noch zu einer ökonomischen Effizienzsteigerung führen,
sondern nur zu mehr Bürokratie und Zweckentfremdung von Solidarbeiträgen
für die Krankenversorgung.
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