Dr. Albers, Berlin: Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der 104. Deutsche Ärztetag hat sich 2001 mit den
Arbeitsbedingungen der Klinikärzte beschäftigt. Festzuhalten ist: Seitdem hat
sich die Situation weiter verschärft – angesichts des schon beschriebenen sich
abzeichnenden Ärztemangels an vielen Kliniken. Übrigens ein Widerspruch in
sich, der uns besonders zu denken geben sollte, denn die Konsequenz daraus wäre
ja eigentlich die Schaffung attraktiverer Arbeitsbedingungen und eine
angemessenere Bezahlung.
Dass das Gegenteil geschieht, zeigt zum einen das Ausmaß der
Ignoranz und der Arroganz der Verantwortlichen, es zeigt zum anderen aber auch
unsere Schwäche, wenn es darum geht, unsere berechtigten Interessen
durchzusetzen. Weiterhin und offensichtlich immer mehr gilt das Prinzip, so
wenig Arzt wie möglich zu bezahlen, aber so viel Arzt wie möglich auszubeuten.
Nach einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
haben 60 Prozent der Befragten noch nie eine Überstunde bezahlt bekommen. 79
Prozent der Befragten gaben an, das Arbeitszeitgesetz werde in ihrer Klinik
nicht eingehalten. 38 Prozent der Kollegen gehen nach dem Dienst nicht nach
Hause. 76 Prozent der Befragten gaben an, die tatsächliche Arbeitszeit
entspreche nicht der dokumentierten. 44 Prozent sagten dazu, dies geschehe
unter Druck der Klinikbetreiber oder der unmittelbar Vorgesetzten.
Eine Umfrage des Arbeitskreises „Junge Ärzte in Berlin“
stellte fest, dass 67,4 Prozent mehr als 44 Stunden pro Woche, 39,4
Prozent mehr als 49 Stunden, 17,8 Prozent mehr als 54 Stunden und 7,2 Prozent
mehr als 59 Stunden pro Woche in der Klinik arbeiten.
Nach dem Bereitschaftsdienst verlassen 64,1 Prozent die Klinik
und 15,5 Prozent gehen erst sieben Stunden nach Ende ihres
Bereitschaftsdienstes nach Hause. Lediglich bei 141 der 1 019 Befragten
gab es keine gravierenden Rechtsverstöße.
Das Landesamt für Gesundheitssicherung in Berlin hat vom
Februar bis zum Mai 2003 in 38 Abteilungen an 20 Krankenhäusern die
Arbeitszeiten von 782 Ärzten überprüft. Es wurden 4 210 Verstöße
gegen die Dokumentationspflicht bei Arbeitszeiten über acht Stunden und 407 bei
Arbeitszeiten über zehn Stunden gefunden. Dazu kamen 45 Verstöße gegen den
Umfang der werktäglichen Bereitschaftsdienste.
Kolleginnen und Kollegen, die Restauration von
Knechtschaftsverhältnissen feiert an deutschen Kliniken fröhliche Urständ!
(Beifall)
Das Beispiel Überstunden zeigt, mit welcher
Selbstverständlichkeit der angestellte Klinikarzt als eine schier
unerschöpfliche Quelle an Langmut und Selbstverleugnung außerhalb jeden
Tarifrechts über unbezahlte Mehrarbeit ausgebeutet wird. Geschäftsführer geben
Anweisungen, eingereichte Überstunden definitiv nicht zu vergüten. Sie
verlieren jeden Prozess, lassen es aber in jedem Fall darauf ankommen und
versuchen es in jedem Einzelfall von Neuem, nach dem Motto: Einige werden schon
nicht klagen, dann haben wir wenigstens das gespart!
Nicht zu bezahlende Überstunden sind bei der Budgetplanung als
feste betriebswirtschaftliche Größe längst eingeplant und werden ohne jeden
Skrupel vom Krankenhausmanagement als positives Betriebsergebnis ausgewiesen.
Die rund 1 500 Ärzte einer Berliner Krankenhaus-GmbH
haben 2001 102 100 offiziell anerkannte Überstunden bezahlt
bekommen. Die Dunkelziffer liegt viel höher. Die Konsequenz aus dieser Zahl ist
aber nicht etwa die Schaffung 63 zusätzlicher Stellen, wie sich leicht
errechnen ließe; vielmehr sollen im Rahmen eines Sanierungskonzepts Arztstellen
bis zu einer Größenordnung von 401 eingespart werden.
Für das Krankenhausmanagement gilt offenbar vielerorts: Wen
ich schlecht behandele, den kann ich auch schlecht bezahlen. Das beginnt damit,
wie sich konkret belegen lässt, dass im Rahmen dringend notwendiger
Einsparmaßnahmen „im Zuge des Projektfortschritts der Vereinheitlichungen von
Standards im Bereich der textilen Versorgung“ den Mitarbeitern in den
Operationssälen keine Handtücher mehr zur Verfügung gestellt werden, denn: „Die
Bereitstellung derartiger Hygieneartikel gehört nicht zu den
arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers.“
Es geht weiter über Arbeitsverträge mit extrem kurzen
Laufzeiten, teilweise von weniger als einem Jahr. Den Kollegen wird so jede
Möglichkeit einer adäquaten Lebensplanung über Weiterbildung und
Familienplanung genommen. Unbefristete Arbeitsverträge sind die absolute
Ausnahme. Es endet damit, dass ältere Kollegen mit solchen Verträgen nicht
selten, weil sie zu teuer sind, massiv unter Druck gesetzt werden, vorzeitig
auszuscheiden.
Zum Schluss, Kolleginnen und Kollegen: Früher war das
Schlagwort vom übermüdeten Arzt das, was die öffentliche Diskussion bestimmt
hat. Dieser ist heute längst abgelöst von demotivierten und überlasteten
Kollegen. Dieser hat anders als der übermüdete Arzt damals niemanden mehr neben
sich, der ihn wachrütteln kann, sondern er hat nur noch ebenso demotivierte und
ebenso überlastete Kollegen an seiner Seite. Das ist eine gesundheitspolitische
Zeitbombe.
Danke.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
auch für diese sehr wertvollen Befragungsinformationen, die zusätzlich unsere
bisherigen Feststellungen und unsere, wenn ich so sagen darf, Diagnose unterstützen.
Als nächste Rednerin Frau Kollegin Haus aus Nordrhein.
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