TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

1. Tag: Dienstag, 3. Mai 2005, nur Nachmittagssitzung

Zimmer, Nordrhein:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Rede, Herr Professor Hoppe, war wunderbar. Sie hat mich an jeder Stelle da angerührt, wo mir der Puls wahrscheinlich höher gegangen ist als Ihnen. Eines ist mir allerdings entgangen, was ich bei den Kolleginnen und Kollegen in den letzten Monaten draußen erlebe: Es gibt an der Basis wie vielleicht bei uns selber ein unendliches Ohnmachtsgefühl. Das kam in Ihrer Rede nicht so sehr zum Ausdruck. Bisher standen wir eher in dem Ruf: Wir sind Funktionäre und machen, was wir wollen. Die Aussagen in vielen Gesprächen mit den Kollegen, die ich in den letzten Monaten geführt habe, sind anders geworden. Jetzt heißt es: Die können machen, was sie wollen, es hilft sowieso nichts mehr!

Wir sind also längst im Bewusstsein auch unserer eigenen Kollegen in die Dimension der Hilflosigkeit abgerutscht. Ich glaube: Nichts geschieht ohne Grund. Ich habe es immer ganz gern, wenn es um so harte Dinge geht wie die von Ihnen angesprochene Berufsverhinderungsprogrammatik. Hermann Josef Abs hat immer die Frage gestellt: Wem ist es nutze? Also frage auch ich: Wem ist es nutze, dass eine Rationierung an sächlichen Dingen immer weiter um sich greift? Wem nutzt es eigentlich, demotivierte und demoralisierte Ärzte im Krankenhaus, in der Praxis und im öffentlichen Gesundheitsdienst zu schaffen? Wem nutzt das vorzeitige Ausscheiden von immer mehr jungen Ärzten aus dem Beruf, bevor sie ihn überhaupt richtig ergriffen haben? Wem nutzt es eigentlich, wenn immer mehr erfahrene Ärzte schon vor dem vorgesehenen Ruhestand aus ihrem Beruf ausscheiden? Wem nutzt es eigentlich, wenn wir mit immer mehr Verwaltungsakten immer mehr ärztliche Arbeitszeit vom Patienten abziehen, um sie in Verwaltung umzumünzen?

Für mich gibt es dazu nur eine einzige allumfassende Erklärung, die unser anwesender Ehrenpräsident, Herr Professor Vilmar, schon vor Jahren mit dem „Unwort des Jahres“ zum Ausdruck gebracht hat.

Machen wir uns bewusst, dass die Liquiditätsreserven der Rentenversicherung nur noch wenige Wochen oder Monate reichen, dann endet an dieser Stelle unsere Ohnmacht, dann bekommen wir Macht. Wir können dagegenhalten, die Lebenserwartung als harten Endpunkt ärztlichen Handelns weiter steigen zu lassen. Dann üben wir Macht gegenüber denjenigen aus, die vielleicht darauf spekulieren, mit der vorhin angesprochenen Rationierung und Demoralisierung könnten sie uns von unserer vorzüglichen Arbeit, die wir mit Freude erledigen, abbringen. Wir sollten uns wehren. Das schafft schlaflose Nächte nicht mehr bei uns, die wir über Budgets und Praxisbedrohung nachdenken, sondern es schafft vielleicht schlaflose Nächte bei Sozialpolitikern. Ich würde dies gern tun.

Wir sollten das auch gar nicht nur auf dem hohen moralischen Level sehen. Denken wir einfach mal darüber nach: Wir sind die Alten der Zukunft. Die Studenten von heute sind die Ärzte von morgen. Die Ärzte von morgen sind unsere Behandler. Deren Wertmaßstäbe und Ressourcen müssen wir heute freikämpfen. Das kommt uns zugute.

Steigen wir also nicht auf das hohe moralische Ross, sondern steigen wir ein und tun was!

Danke schön.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Schönen Dank, Herr Zimmer. Ich darf mich ja nicht zum Inhalt äußern, aber den Ausdruck „Funktionäre“ mag ich nicht so richtig. Er bedeutet, dass diejenigen, die so benannt werden, Funktionierende sind, die das ausführen, was andere ihnen gesagt haben. Herr Dr. Panteleev und Herr Dr. Resnikov werden mir bestätigen: Auf Russisch heißt „Funktionär“ „Apparatschik“. Ich glaube, damit wird ganz klar, was gemeint ist: Wir sind keine Funktionäre, sondern Mandatsträger. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben uns beauftragt und gewählt, damit wir ihre Interessen so gut wie möglich vertreten. Wir sollen aber nicht wie ein Apparatschik funktionieren, indem wir in ihrem Interesse Politik machen und unser Gesundheitswesen und unser ärztliches Berufsbild gestalten.

Lassen wir uns den Ausdruck „Funktionäre“ nicht von anderen aufdrängen; es ist in Wirklichkeit ein Schimpfwort. Das muss man so sehen.

(Beifall)

Der nächste Redner ist Herr Benninger aus Baden-Württemberg.

 

© 2005, Bundesärztekammer.