Dr. Lipp, Sachsen: Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Gerade auf diesem Boden, unweit der Sonnenallee, wissen
wir, was es heißt, wenn ein Land oder ein System von proletarischen und
fachlich inkompetenten Menschen zugrunde gerichtet wird. Das haben wir ja zur
Genüge erfahren. Wenn man uns zunehmend die Freiheit nimmt, unsere Freiheit
immer mehr einschränkt, kommt es automatisch zum Verlust des Engagements. Jeder
sucht dann die Freiheit im privaten Bereich. Wenn er sie nicht findet, dann
haut er eben ab – früher über die Mauer, jetzt nach Skandinavien oder nach
England.
Wenn die Reglementierung zunimmt, sucht man ebenfalls die
Freiheit im Privaten, geht man in die innere Emigration. Das ist einer der
Punkte gewesen, die das desolate System der DDR ausgemacht haben. Auch da sehe
ich Parallelen. Es ist wie bei den kommunizierenden Röhren: Je mehr Bürokratie
kommt, desto mehr nimmt das kreative Denken ab.
Geht das einher mit einer ungerechten Bezahlung, kommt es auch
da zu einer privaten Anpassung: Entweder sucht man sich mit seiner Leistung
andere Einkunftsquellen oder man passt seine Leistung der Bezahlung völlig an.
Ich gebe Herrn Bodendieck völlig Recht: Die Ministerin hat
nichts kapiert. Lesen Sie ihre Rede einmal nach. Wenn man all das, was wichtig
war, zusammenfassen würde, hätte man ein leeres Blatt. Es war eine sinnleere
und letztlich sinnlose und damit verzichtbare Rede.
(Beifall)
Unser Gesundheitssystem ist nur zu retten, die Betreuung der
Patienten ist nur optimierbar, wenn wir dem Arzt wieder die größtmögliche
Freiheit geben. Der Arzt ist kein Mediziner, sondern der Arzt ist ein kreativ
denkender und handelnder Mensch. Herr Thierse, die EbM-Methode ist nicht
suspekt, aber man darf den Beruf des Arztes nicht ausschließlich an ihr
orientieren. Medizin ist eben keine reine Naturwissenschaft. Insofern ist die
Begründung des Antrags völlig richtig. Wenn man die Versorgung allein an
Leitlinien, EbM und DMPs orientiert, braucht man keine Ärzte, dann reichen
Mediziner. Dann brauchen wir zum Schluss auch kein Medizinstudium mehr, dann
reichen Hilfskräfte.
(Vereinzelt Beifall)
Wir brauchen auch eine marktgerechte Honorierung, und das
nicht nur, wie Herr Montgomery sagte, im stationären Bereich, sondern auch und
gerade im ambulanten Bereich. Es kann nicht angehen, dass wir hoch
qualifizierte Fachärzte haben, die mit ihrem Einkommen auf der Höhe des
Einkommens des Leiters eines Aldi-Marktes liegen. Da müssen wir uns nicht
wundern, dass immer mehr Ärzte aussteigen.
Glauben Sie im Westen bitte nicht, dass das allein ein Problem
im Osten ist; das erreicht Sie in vier oder fünf Jahren auch. In den
Flächenstaaten Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen gibt es immer
weniger Ärzte, die immer mehr Patienten versorgen müssen und die ein
eingefrorenes Einkommen haben. Was glauben Sie denn, wie lange das noch geht?
So können wir nicht weitermachen, so wollen wir auch nicht weitermachen. Damit
es nicht dazu kommt, dass wir so weitermachen müssen, bitte ich den Deutschen
Ärztetag, entsprechend Pflöcke einzuschlagen.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Herr Lipp. Nunmehr Herr Privatdozent Dr. Scholz aus Hessen.
|