TOP II: Arbeitssituation der niedergelassenen Ärzte

1. Tag: Dienstag, 3. Mai 2005, nur Nachmittagssitzung

San.-Rat Dr. Gadomski, Referent:
Copyright el-zorro.de, 2005. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 104. Deutsche Ärztetag in Ludwigshafen hat im Jahre 2001 die Arbeitsbedingungen der Krankenhausärzte analysiert und in einer Resolution Forderungen zur Beseitigung der Missstände an Politik und Krankenhausträger gestellt. Beurteilt man die Entwicklung der Arbeitsbedingungen am Krankenhaus aus heutiger Sicht, so muss man leider feststellen, dass die Krankenhausärzte nach wie vor unter einer zeitraubenden Bürokratisierung ihrer Tätigkeit, unzumutbar langen Arbeitszeiten durch Bereitschaftsdienste und einer dadurch bedingten extremen Stresssituation leiden. Die Entscheidung des EuGH zur Eingliederung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit und deren Umsetzung in Deutschland haben diese untragbare Situation nicht entscheidend verändert.

Die Abschaffung des AiP hat die finanzielle Ausbeutung unseres ärztlichen Nachwuchses zwar verringert, insgesamt aber die Attraktivität einer Berufstätigkeit als Arzt am Krankenhaus wegen der verbleibenden hohen Belastungen nicht gesteigert. AiP-Stellen wurden nicht eins zu eins in Assistenzarztstellen umgewandelt, sodass sich die Arbeitsbelastung für die Krankenhausärzte durch die Abschaffung des AiP sogar noch erhöht hat. Die Folge sind eine Abwanderung von Ärzten in attraktivere Angebote aus anderen EU-Staaten und ein zunehmender Wechsel in nicht klinische Berufe.

Bevor wir uns den Arbeitsbedingungen der niedergelassenen Ärzte zuwenden, sollten wir deutlich unseren Unmut über diese Vernachlässigung berechtigter Forderungen der Ärzteschaft zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen an den Krankenhäusern zum Ausdruck bringen.

(Beifall)

Wir müssen auch auf die Verantwortung für die Folgen deutlich hinweisen. Unser ärztlicher Nachwuchs verliert seine berufliche Motivation. Der politische Druck auf die Beitragssätze und knappe Finanzmittel der Krankenkassen rechtfertigen diese Vernachlässigung der Arbeitsbedingungen am Krankenhaus nicht. Eine Verbesserung ist im Interesse der Versorgungs- und Betreuungsqualität dringend notwendig.

Bereits auf dem 105. Deutschen Ärztetag 2002 in Rostock wurde beschlossen, eine vergleichbare Analyse auch für die Arbeitsbedingungen der in freier Praxis tätigen Ärzte vorzunehmen und auf einem der nächsten Ärztetage vorzustellen. Dies geschieht heute, zu einem Zeitpunkt, zu dem noch deutlicher erkennbar ist, wie negativ sich die Rahmenbedingungen der ärztlichen Berufsausübung auswirken. Wir sollten uns deswegen zuerst nochmals verdeutlichen, was in der Vergangenheit die Attraktivität unseres Berufs ausgemacht hat.

Neben dem hohen Ansehen, das der Arztberuf in der Bevölkerung nach wie vor genießt, sind es die Medizin als Heilkunst und Wissenschaft und deren fortschreitende Möglichkeiten, kranken Menschen zu helfen, die für unsere Berufswahl entscheidend sind. Die unterschiedlichen Formen der Berufsausübung als Hausarzt, als Facharzt in freier Praxis oder am Krankenhaus standen dabei lange Zeit grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander. Deswegen war die Attraktivität des Arztberufs in Deutschland – vergleichbar der Situation anderer freier akademischer Berufe wie beispielsweise Rechtsanwälte und Steuerberater – immer mit geprägt durch die Möglichkeit der Niederlassung in eigener Praxis.

Der Gesetzgeber hat viele Jahrzehnte parteiübergreifend die Niederlassung als Arzt gesetzlich vor einer Konkurrenz durch staatlich geförderte Krankenhäuser geschützt. Ziel war dabei, eine wohnortnahe und flächendeckende haus- und fachärztliche Versorgung zu gewährleisten. Der Sicherstellungsauftrag an die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Begrenzung der Krankenhausfachärzte auf den Status einer bedarfsabhängigen und zeitlich befristeten Ermächtigung waren Ausdruck dieser gezielten Förderung der Freiberuflichkeit ärztlicher Berufsausübung in eigener Praxis.

Dies hat, wie wir alle wissen, aber auch innerärztliche Probleme geschaffen, zum Beispiel die Ermächtigungspraxis der Zulassungsinstanzen. Die Folge war und ist ein zunehmender Druck der Krankenhausträger auf eine institutionelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung. Der Gesetzgeber hat diesem Druck Stück für Stück in der Folgegesetzgebung nachgegeben. Heute können Krankenhäuser ambulant vor- und nachbehandeln, ambulant operieren, an DMPs teilnehmen und demnächst auch vermehrt hoch spezialisierte Leistungen erbringen sowie seltene Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen ambulant behandeln. Dass sich dies zumindest in naher Zukunft noch in Grenzen halten wird, liegt nicht nur an mangelnden Vergütungsmöglichkeiten der Krankenkassen, sondern auch an den schlechten Arbeitsbedingungen der Krankenhausfachärzte. Ihnen sind weitere dienstliche Belastungen durch die Übernahme zusätzlicher ambulanter Versorgungsaufgaben des Krankenhauses definitiv nicht mehr zumutbar.

Auch die Arbeitsbedingungen der niedergelassenen Vertragsärzte haben sich seit dem parteiübergreifenden Konsens des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) von 1993 insgesamt negativ entwickelt. Dieses GSG hat den Wettbewerb der Krankenkassen um Versicherte eingeführt und zugleich das die Freiberuflichkeit der Vertragsärzte gewährleistende Kollektivvertragssystem grundsätzlich infrage gestellt. Seither erheben die Krankenkassen bei jedem weiteren Reformschritt des Gesetzgebers vehement die Forderung nach Einzelverträgen mit Öffnung der Krankenhäuser als alternative oder zusätzliche Vertragspartner für integrierte Versorgungsstrukturen. In der Folgegesetzgebung nach dem GSG ist dies schrittweise auch geschehen. Das ebenfalls parteiübergreifend erarbeitete Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen (GMG) ist letztlich die Konsequenz dieser Wettbewerbsphilosophie.

Folge ist insbesondere die totale Verunsicherung niedergelassener Fachärzte über ihre berufliche Zukunft. Nicht mehr die wohnortnahe, auch fachärztliche Betreuung steht im Fokus des politischen Interesses, sondern die Abschaffung der so genannten doppelten Facharztschiene durch einen gesetzlich initiierten Verdrängungswettbewerb. Der ursprüngliche Plan des GMG, Fachärzte aus dem Kollektivvertragssystem der KVen völlig herauszunehmen und dem Einzelvertragswettbewerb der Krankenkassen zu unterwerfen, gibt diese keineswegs aufgegebene politische Richtung überdeutlich wieder.

Die aus anderen Ländern bekannten negativen Erfahrungen mit Wartelisten, die aus einer Konzentration der fachärztlichen Versorgung an Krankenhauspolikliniken entstehen, schreckt diese Politiker nicht ab. Die Motivation junger Ärzte, sich auf eine Niederlassung in fachärztlicher Versorgung vorzubereiten, wird durch solch unkalkulierbare Berufsaussichten negativ beeinflusst. Niemand sollte sich wundern, wenn wir in wenigen Jahren nicht nur einen Mangel an Hausärzten zu beklagen haben, sondern wenn auch in der fachärztlichen Versorgung massive Engpässe auftreten werden. Die Verantwortung hierfür müssen die politisch Verantwortlichen übernehmen, auch wenn sie jetzt versuchen, in Schuldzuweisungen an die Ärzteschaft diese Verantwortung von sich zu schieben. Die heute gehörte Rede der Ministerin war ein klassisches Ablenkungsmanöver hinsichtlich unserer eigentlichen Probleme.

Eine weitere gravierende Ursache für die derzeitigen negativen Arbeitsbedingungen der niedergelassenen Hausärzte und Fachärzte sind vor allem auch die seit dem GSG bestehenden gesetzlichen Ausgabenbudgets. Sie haben niedergelassenen Haus- und Fachärzten immer engere Vergütungsfesseln angelegt und sie in zwei Lager gespalten. Bei unbegrenztem Leistungsversprechen der Politik wurde den Ärzten ein strikt begrenzter Finanzrahmen vorgegeben, der ihnen – ohne Rücksicht auf Leistungsbedarf und Morbiditätsentwicklung – die finanzielle Haftung für die Einhaltung der Budgetgrenzen aufbürdete. Sie wurden zudem einer Vielzahl von Reglementierungen unterworfen, die Bürokratie und Verwaltungsaufwand vervielfachen und viel Zeit rauben. Meine eigene Erfahrung zeigt: Schon heute muss in der Praxis auf die verschiedensten Verträge geachtet werden. Sie kennen das. Geachtet werden muss beispielsweise auf DMP Diabetes, DMP KHK, DMP Brust, hausärztlicher Vertrag, integrierte Versorgung Hüft-TEP – und das ist erst der Anfang! Die Papierflut im Praxisalltag wird unerträglich.

Das traurigste Kapitel in diesem Wust sind die DMPs.

Die Budgetierung und der gesetzlich initiierte „Preiswettbewerb“ haben ökonomische Aspekte in den Vordergrund gerückt, die das Patient-Arzt-Verhältnis belasten und das ärztliche Berufsethos zu überlagern drohen. Die Freude an der Ausübung eines freien Berufs in eigener Praxis mit der individuellen Verantwortung für die Betreuung von Patienten ist den Vertragsärzten in diesen letzten zwölf Jahren unter diesen gesetzlichen Budgetbedingungen kräftig vergällt worden. Hinzu kommen ständige öffentliche Schuldzuweisungen von allen Seiten, Reglementierungen und Vorwürfe. Wem soll die ärztliche Tätigkeit da noch Spaß machen?

Für eine junge Ärztin oder einen jungen Arzt, die bzw. der heute eine Entscheidung über ihren/seinen beruflichen Lebensweg treffen muss, stellen sich deswegen folgende Probleme:

Selbst in der hausärztlichen Versorgung besteht für die junge Ärztin/den jungen Arzt kein Anspruch mehr auf Vertragsabschluss zur hausarztzentrierten Versorgung.

Die Medizinischen Versorgungszentren mit angestellten Ärzten treten in Konkurrenz zu niedergelassenen Ärzten in eigener Praxis und haben durch die dahinter stehende Finanzkraft von Krankenhäusern und Sponsoren eine Dynamik im Wettbewerb, der ein Zusammenschluss der niedergelassenen Ärzte nur schwer gewachsen ist. Welcher Arzt hat schon das Geld, alte Praxen aufzukaufen?

Die systematische Öffnung der Krankenhäuser als Institution für die ambulante Versorgung beeinträchtigt dramatisch die Chancen der Niederlassung in eigener Facharztpraxis im Umkreis eines Krankenhauses, es sei denn, der Facharzt kann mit dem Krankenhaus – insbesondere in der Integrierten Versorgung – kooperieren. Auch dann ist er aber – trotz seiner Kassenzulassung – in seiner beruflichen Existenz davon abhängig, dass sowohl der Integrationsvertrag mit möglichst vielen Krankenkassen als auch sein Kooperationsvertrag mit dem Krankenhaus fortbesteht. Er wird dadurch in seiner ärztlichen Berufsausübung erpressbar. Die Erfahrung lehrt heute schon, dass die Finanzschraube ständig weiter angezogen werden wird.

Die Vergütungsbedingungen für die niedergelassenen Vertragsärzte sind – trotz hoher beruflicher Belastung und Verantwortung – durch die jetzt fast 20-jährige Budgetierung der vertragsärztlichen Gesamtvergütung immer schlechter geworden. Viele hoch spezialisierte Praxen tragen sich nur noch über die zusätzlichen Einnahmen aus der Privatliquidation. Gleichzeitig ist aber der bürokratische Druck durch immer mehr Reglementierungen der vertragsärztlichen Tätigkeit immens gewachsen.

Die Freiberuflichkeit als Arzt ist wegen dieser veränderten Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten für viele junge Ärzte keineswegs mehr so erstrebenswert wie früher. Hinzu kommt die nicht mehr kalkulierbare Entwicklung zukünftiger Vertragsgestaltungen im Wettbewerb. Die Ursprungsphilosophie des Schutzes niedergelassener Ärzte in ihrer freiberuflichen Existenz ist mit dem GMG endgültig verlassen worden. Unsere junge Kollegin oder unser junger Kollege wird sich daher fragen, ob sie oder er unter diesen für sie bzw. ihn nicht mehr kalkulierbaren Bedingungen die mit einer freiberuflichen Existenz verbundenen finanziellen Investitionen und Risiken in Kauf nehmen soll oder nicht lieber gleich eine feste Anstellung sucht. Dann wird sie bzw. er aber eine Tätigkeit anstreben, die bei geregelter Arbeitszeit und freiem Wochenende ein angemessenes Einkommen garantiert. Solche Stellenangebote gibt es nicht nur vermehrt im Inland beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen, in der pharmazeutischen Industrie oder in der medizinischen Informationstechnologie. Sie gibt es, falls man weiter am Patienten tätig sein will, vor allem im Ausland, in den dortigen staatlichen Gesundheitsdiensten. Diese leiden schon jetzt unter dem – von ihnen selbst produzierten – Ärztemangel und bieten für die gut qualifizierten jungen Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland gute Arbeitsbedingungen und ein angemessenes Gehalt.

Die Politik, die diese Entwicklung in Deutschland parteiübergreifend betrieben hat und teilweise auch noch weiter betreibt, muss sich daher nicht wundern, wenn wir heute – durch mehrere Untersuchungen belegt – ein schwindendes Interesse am Arztberuf in freier Praxis zu verzeichnen haben.

Die Ärztestatistik zum 31.12.2004 verzeichnet zwar weiterhin eine positive Wachstumsrate der Ärztezahl insgesamt. Diese globale Zahl verdeckt jedoch den strukturellen Ärztemangel. Diese Mangelsituation wird sich in den kommenden Jahren durch die alternde Gesellschaft mit erhöhtem Versorgungsbedarf noch verstärken. In der hausärztlichen Versorgung in den neuen Bundesländern ist dieser Mangel bereits manifest. Dies hat zu einer ersten politischen Wahrnehmung in einer Bundestagsdebatte geführt. Zudem hat die Gesundheitsministerkonferenz eine Arbeitsgruppe zur Analyse des Mangels eingesetzt, die einen Bericht und Lösungsvorschläge vorgelegt hat. Diese Vorschläge sind im Antrag der Akademie für Allgemeinmedizin aufgegriffen worden; sie müssen meiner Ansicht nach von Ihnen unterstützt werden.

Signifikant ist auch der Rückgang der Zahl der Krankenhausärzte und der niedergelassenen Ärzte in fünf Bundesländern. Besorgnis erregend ist aber die Entwicklung der Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte mit einem Anteil von 50,6 Prozent von über 50-jährigen Ärzten vor allem deshalb, weil der bevorstehende Abgang nicht durch ärztlichen Nachwuchs ausgeglichen wird. Hinzu kommt die Tatsache, dass niedergelassene Ärzte immer häufiger vor Erreichen der Altersgrenze von 68 Jahren ihre Praxen aufgeben.

Arztzahlrückgänge sind neben Hausärzten inzwischen in vielen anderen Fachgebieten zu verzeichnen. Die Entwicklung im Jahre 2003 und im ersten Halbjahr 2004 – ich zeige Ihnen hier die entsprechenden Schaubilder – wird sowohl für das gesamte Bundesgebiet als auch für die neuen Bundesländer in den entsprechenden Tabellen wiedergegeben, die ich nicht im Einzelnen kommentiere, die aber für sich sprechen.

Einige Gesundheitspolitiker und Krankenkassen versuchen, diese beunruhigenden Zahlen mit der immer noch hohen Arztdichte in Deutschland abzutun. Die Entwicklung wird aber besonders brisant angesichts des zunehmenden Nachwuchsmangels. Der „Verlust“ an Medizinstudenten im Verlauf des Studiums – einschließlich der der Statistik noch zugrunde liegenden AiP-Phase – beträgt laut einer gemeinsamen Studie von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung inzwischen 38 Prozent. Die Schere zwischen einer „Überalterung“ der Ärzteschaft und wegbrechendem ärztlichen Nachwuchs kennzeichnet die derzeitige Situation. Die ärztliche Versorgung der Bevölkerung ist vielerorts nur noch durch ausländische Ärzte aufrechtzuerhalten. Im Jahre 2004 ist jeder fünfte Arzt, der erstmals eine Berufstätigkeit in Deutschland aufnimmt, Ausländer; vor allem in den neuen Bundesländern wird der Mangel an Krankenhausärzten durch zuwandernde Ärzte aus Osteuropa beseitigt. Dies ist äußerst problematisch, da dadurch die ärztliche Versorgung in den osteuropäischen Ländern ausblutet.

In einer gerade veröffentlichten Studie von Ramboll Management im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung wurden die Gründe für den Berufsausstieg von Ärzten in Deutschland beleuchtet. Dazu wurden vier Felder betrachtet: das Medizinstudium, der Wiedereinstieg, die Krankenhausorganisation und die ostdeutschen Bundesländer.

Gründe für den Ausstieg aus dem Medizinstudium sind danach: mangelnder Praxisbezug, fehlende Betreuung durch Dozenten und unzureichende Finanzierungsmöglichkeiten des Studiums. Barrieren für den Wiedereinstieg werden vor allem in der belastenden Arbeitszeit, einer als zu gering empfundenen Vergütung und in der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie gesehen. Als Grund für einen Verbleib im Ausland wurden neben den dort vorgefundenen guten Arbeits- und Lebensbedingungen unzureichende berufliche Perspektiven und Verdienstmöglichkeiten in Deutschland sowie erneut die Unvereinbarkeit beruflicher Mehrbelastungen mit familiären Belangen genannt.

Die bereits in der Analyse der Arbeitsbedingungen am Krankenhaus vom 105. Deutschen Ärztetag dargestellten Probleme haben sich in der Studie bestätigt; dies sind insbesondere die schlechte Bezahlung, die zeitliche Überlastung, die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf mit Familie und Freizeit, die hierarchischen Strukturen und das Ausmaß an zu bewältigenden nicht ärztlichen Aufgaben, die Bürokratie.

Soweit es die neuen Bundesländer betrifft, wurde deutlich, dass Ärzte aus Westdeutschland viel eher die alten Bundesländer weiter präferieren, während Ärzte in Ostdeutschland tendenziell lieber bleiben würden, wenn sie dort angemessene Vergütungsbedingungen finden würden.

Die Studie enthält folgende Empfehlungen zur Verbesserung der Situation in den genannten vier Feldern:

Erstens. Zum Medizinstudium wird ein noch stärkerer Praxisbezug, ein veränderter Auswahlmodus für Medizinstudenten und die Einführung von Anreizen zur Verbesserung der Lehrsituation empfohlen.

Zweitens. Zur Verbesserung des Wiedereinstiegs in den Beruf werden spezielle Fachkurse zur Weiter- und Fortbildung, innovative Arbeitszeitmodelle sowie Maßnahmen zur Kinderbetreuung für die Zeit des Wiedereinstiegs empfohlen.

Drittens. Zur Krankenhausorganisation werden strukturelle Maßnahmen zum Abbau der Hierarchie und der Arbeitsbelastung empfohlen.

Viertens. Für die Besetzung offener Praxissitze in den neuen Bundesländern werden Imagekampagnen, finanzielle Anreize sowie die Übernahme finanzieller Risiken bei der Niederlassung vorgeschlagen.

Alle diese Vorschläge sind zwar sinnvoll und sollten von uns unterstützt werden; sie reichen jedoch nicht aus, um die Rahmenbedingungen für eine Berufsausübung in eigener Praxis so zu verändern, dass die Niederlassung in Deutschland für den ärztlichen Nachwuchs wieder attraktiv wird. Um dies zu erreichen, müssen grundlegendere Entwicklungen eingeleitet werden:

Die Politik muss endlich aufhören, das Gesundheitswesen als gigantisches Experimentierfeld für ideologisch geprägte Versorgungskonzepte zu missbrauchen und den Wettbewerb als Allheilmittel zur Effizienzsteigerung des Gesundheitswesens anzupreisen.

(Beifall)

Unser Gesundheitswesen zählt zu den besten und leistungsfähigsten Systemen der Welt, unsere Ärzte in Praxis und Klinik leisten beste Arbeit – und dies trotz permanenter politischer Eingriffe.

(Beifall)

Wenn diese Versorgungsqualität erhalten bleiben soll, müssen allerdings endlich auch finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den steigenden Versorgungsbedarf einer älter werdenden Gesellschaft decken. Die Alternative ist, in einem offenen gesellschaftlichen Diskurs die Mittelknappheit transparent zu machen, anstatt die Verantwortung hierfür der einzelnen Ärztin oder dem einzelnen Arzt alleine aufzubürden. Die eklatante Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung muss beseitigt werden. Der Ausgabenanteil der Krankenkassen für ärztliche Honorare ist permanent geschrumpft, und zwar von 22 Prozent in den 70er-Jahren auf derzeit ganze 16 Prozent – und dies bei einem überproportionalen Versorgungsanteil.

Eine solide Versorgungsforschung zur Evaluation von Versorgungskonzepten und Steuerungsmaßnahmen ist zu fördern mit dem Ziel, politische Entscheidungen rationaler vorzubereiten.

Die bürokratische Überfrachtung ärztlicher Berufsausübung, insbesondere durch ausufernde Reglementierungen auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen, muss reduziert werden. Nur zwei Beispiele für unsinnige Bürokratie – wiederum aus eigener Erfahrung –: Es gibt nicht nur das DMP Diabetes, sondern es müssen auch unterschiedliche Formulare für verschiedene Kassen ausgefüllt werden. Beim DMP KHK gibt es beispielsweise verschiedene Abrechnungsziffern, je nachdem, ob die KHK mit oder ohne Diabetes behandelt wird.

Besonders wichtig ist, dass die Niederlassung als Vertragsarzt ihren Stellenwert in der ärztlichen Versorgung in Deutschland wieder erhält und damit – auch jungen Ärzten – wieder eine Perspektive in der Niederlassung geboten wird. Nur dadurch lässt sich eine wohnortnahe haus- und fachärztliche Versorgung patientengerecht und kostengünstig ohne Wartelisten gewährleisten. Die Patienten identifizieren sich nämlich mit ihren behandelnden Fach- und Hausärzten und wollen sich in der Mehrzahl nicht einer Institution gegenübersehen! Eher wechseln sie die Kasse als den Arzt!

Die Ärzteschaft bekennt sich zu einem echten Wettbewerb, der der Qualität der ärztlichen Versorgung dient. Ein Preiswettbewerb mit marktwirtschaftlichem „Feilschen“ um billige Einzelverträge führt in eine Sackgasse und in die berufliche Abhängigkeit. Demgegenüber bieten Kooperationsverträge zwischen Krankenkassen und kassenärztlicher Selbstverwaltung die besten Voraussetzungen.

Die vertragsärztlichen Versorgungsstrukturen müssen sich aber auch an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Die Ärzteschaft muss hierauf eine möglichst geschlossene Antwort finden. Die durch das GMG eröffneten Wahlmöglichkeiten der Beteiligung an unterschiedlichen Vertragsstrukturen müssen von den niedergelassenen Ärzten durch eigene Strukturmodelle aufgegriffen werden.

Der Hausarzt als niedergelassener Arzt ist in seiner Versorgungsfunktion dadurch zu sichern, dass – unabhängig von Einzelverträgen der Krankenkassen – den Versicherten aller Kassen ein attraktives und qualitativ gesichertes Hausarztversorgungsmodell angeboten wird.

Für Facharztgruppen, die in der Primärversorgung tätig sind – Gynäkologen, Kinderärzte, hausärztliche Internisten –, müssen vergleichbare Möglichkeiten der Existenzsicherung in eigener Praxis garantiert werden, um eine wohnortnahe Versorgung auch insoweit zu sichern.

Für die spezialisierte fachärztliche Versorgung der Zukunft bieten sich zur Gewährleistung einer freiberuflichen Tätigkeit in eigener Niederlassung folgende Strukturen an – dabei muss die Regelversorgung Grundlage bleiben –: eigenständige fachärztliche Versorgungszentren auch als MVZ und Kooperation mit hausarztzentrierten Medizinischen Versorgungszentren.

Ärztliche Kooperationen sind zu fördern, die in ärztlicher Trägerschaft sind, um die Unabhängigkeit der Berufsausübung zu sichern; die zur rationelleren und effizienteren Nutzung der personellen und sachlichen Infrastruktur dienen; die den kollegialen Erfahrungsaustausch erleichtern, einen Qualitätszirkel bilden und wechselseitige Vertretungen ermöglichen; die durch den Einsatz von Informationstechnologie und verbesserte Kommunikation Bürokratie abbauen; die alle Vertragsmodelle der Krankenkassen im Wettbewerb bedienen können, wenngleich die Regelversorgung innerhalb des Kollektivvertragssystems ihren bevorzugten Stellenwert behalten muss; die auch angestellten Ärztinnen und Ärzten eine langfristige Perspektive bieten; die durch Kooperation mit Krankenhausärzten, anderen Heil- und Fachberufen im Gesundheitswesen ein möglichst umfassendes und sektorübergreifendes Leistungsangebot bieten.

Die Bundesärztekammer hat gemeinsam mit der KBV ein Modell der Kooperation – das ärztliche Versorgungszentrum – entwickelt, als Antwort auf das selektive Kontrahieren und die Einkaufsmodelle der Krankenkassen, das den vorstehenden Anforderungen Rechnung trägt und derzeit inhaltlich ausgearbeitet wird.

Verhindert werden muss, dass Ärzte weiterhin verunsichert, durch den von der Politik unterstützten Einzelwettbewerb der Krankenkassen auseinander dividiert und in ihrer Berufsausübung zu fremdbestimmten Erfüllungsgehilfen werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Vielen Dank, Frank Gadomski, für diese komprimierte, klare analytische Darstellung der Situation und die konkreten Vorschläge, wie man aus ihr wieder herauskommen kann. Ich glaube, wir haben jetzt einen exzellenten Überblick über die Thematik. Manches von dem, was in diesem Referat genannt wurde, hat übergreifenden Charakter. Deswegen auch Dank dafür, dass die Kombination der Problematik zwischen den Kliniken einerseits und den niedergelassenen Ärzten andererseits in dem Referat eine Rolle gespielt hat.

Inzwischen liegen insgesamt sechs Anträge vor. Sie werden noch umgedruckt und verteilt. Der Leitantrag des Vorstands ist der Antrag II-1.

Wir haben jetzt noch eine knappe halbe Stunde Zeit für die Diskussion. Als ersten Redner rufe ich Herrn Albrecht Kühn aus Baden-Württemberg auf. Bitte schön.

 

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