San.-Rat Dr.
Gadomski, Referent:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der 104. Deutsche Ärztetag in Ludwigshafen hat im Jahre 2001 die
Arbeitsbedingungen der Krankenhausärzte analysiert und in einer
Resolution Forderungen zur Beseitigung der Missstände an Politik
und Krankenhausträger gestellt. Beurteilt man die Entwicklung der
Arbeitsbedingungen am Krankenhaus aus heutiger Sicht, so muss man
leider feststellen, dass die Krankenhausärzte nach wie vor unter
einer zeitraubenden Bürokratisierung ihrer Tätigkeit, unzumutbar
langen Arbeitszeiten durch Bereitschaftsdienste und einer dadurch
bedingten extremen Stresssituation leiden. Die Entscheidung des
EuGH zur Eingliederung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit
und deren Umsetzung in Deutschland haben diese untragbare Situation
nicht entscheidend verändert.
Die Abschaffung des AiP hat die finanzielle Ausbeutung unseres
ärztlichen Nachwuchses zwar verringert, insgesamt aber die Attraktivität einer
Berufstätigkeit als Arzt am Krankenhaus wegen der verbleibenden hohen
Belastungen nicht gesteigert. AiP-Stellen wurden nicht eins zu eins in
Assistenzarztstellen umgewandelt, sodass sich die Arbeitsbelastung für die
Krankenhausärzte durch die Abschaffung des AiP sogar noch erhöht hat. Die Folge
sind eine Abwanderung von Ärzten in attraktivere Angebote aus anderen
EU-Staaten und ein zunehmender Wechsel in nicht klinische Berufe.
Bevor wir uns den Arbeitsbedingungen der niedergelassenen
Ärzte zuwenden, sollten wir deutlich unseren Unmut über diese Vernachlässigung
berechtigter Forderungen der Ärzteschaft zur Verbesserung der
Arbeitsbedingungen an den Krankenhäusern zum Ausdruck bringen.
(Beifall)
Wir müssen auch auf die Verantwortung für die Folgen deutlich
hinweisen. Unser ärztlicher Nachwuchs verliert seine berufliche Motivation. Der
politische Druck auf die Beitragssätze und knappe Finanzmittel der
Krankenkassen rechtfertigen diese Vernachlässigung der Arbeitsbedingungen am
Krankenhaus nicht. Eine Verbesserung ist im Interesse der Versorgungs- und
Betreuungsqualität dringend notwendig.
Bereits auf dem 105. Deutschen Ärztetag 2002 in Rostock wurde
beschlossen, eine vergleichbare Analyse auch für die Arbeitsbedingungen der in
freier Praxis tätigen Ärzte vorzunehmen und auf einem der nächsten Ärztetage
vorzustellen. Dies geschieht heute, zu einem Zeitpunkt, zu dem noch deutlicher
erkennbar ist, wie negativ sich die Rahmenbedingungen der ärztlichen
Berufsausübung auswirken. Wir sollten uns deswegen zuerst nochmals
verdeutlichen, was in der Vergangenheit die Attraktivität unseres Berufs
ausgemacht hat.
Neben dem hohen Ansehen, das der Arztberuf in der Bevölkerung
nach wie vor genießt, sind es die Medizin als Heilkunst und Wissenschaft und
deren fortschreitende Möglichkeiten, kranken Menschen zu helfen, die für unsere
Berufswahl entscheidend sind. Die unterschiedlichen Formen der Berufsausübung
als Hausarzt, als Facharzt in freier Praxis oder am Krankenhaus standen dabei
lange Zeit grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander. Deswegen war die
Attraktivität des Arztberufs in Deutschland – vergleichbar der Situation
anderer freier akademischer Berufe wie beispielsweise Rechtsanwälte und
Steuerberater – immer mit geprägt durch die Möglichkeit der Niederlassung in
eigener Praxis.
Der Gesetzgeber hat viele Jahrzehnte parteiübergreifend die
Niederlassung als Arzt gesetzlich vor einer Konkurrenz durch staatlich
geförderte Krankenhäuser geschützt. Ziel war dabei, eine wohnortnahe und
flächendeckende haus- und fachärztliche Versorgung zu gewährleisten. Der
Sicherstellungsauftrag an die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Begrenzung
der Krankenhausfachärzte auf den Status einer bedarfsabhängigen und zeitlich
befristeten Ermächtigung waren Ausdruck dieser gezielten Förderung der
Freiberuflichkeit ärztlicher Berufsausübung in eigener Praxis.
Dies hat, wie wir alle wissen, aber auch innerärztliche
Probleme geschaffen, zum Beispiel die Ermächtigungspraxis der
Zulassungsinstanzen. Die Folge war und ist ein zunehmender Druck der
Krankenhausträger auf eine institutionelle Öffnung der Krankenhäuser für die
ambulante Versorgung. Der Gesetzgeber hat diesem Druck Stück für Stück in der
Folgegesetzgebung nachgegeben. Heute können Krankenhäuser ambulant vor- und
nachbehandeln, ambulant operieren, an DMPs teilnehmen und demnächst auch
vermehrt hoch spezialisierte Leistungen erbringen sowie seltene Erkrankungen
und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen ambulant behandeln. Dass
sich dies zumindest in naher Zukunft noch in Grenzen halten wird, liegt nicht
nur an mangelnden Vergütungsmöglichkeiten der Krankenkassen, sondern auch an
den schlechten Arbeitsbedingungen der Krankenhausfachärzte. Ihnen sind weitere
dienstliche Belastungen durch die Übernahme zusätzlicher ambulanter Versorgungsaufgaben
des Krankenhauses definitiv nicht mehr zumutbar.
Auch die Arbeitsbedingungen der niedergelassenen Vertragsärzte
haben sich seit dem parteiübergreifenden Konsens des
Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) von 1993 insgesamt negativ entwickelt. Dieses
GSG hat den Wettbewerb der Krankenkassen um Versicherte eingeführt und zugleich
das die Freiberuflichkeit der Vertragsärzte gewährleistende
Kollektivvertragssystem grundsätzlich infrage gestellt. Seither erheben die
Krankenkassen bei jedem weiteren Reformschritt des Gesetzgebers vehement die
Forderung nach Einzelverträgen mit Öffnung der Krankenhäuser als alternative
oder zusätzliche Vertragspartner für integrierte Versorgungsstrukturen. In der
Folgegesetzgebung nach dem GSG ist dies schrittweise auch geschehen. Das
ebenfalls parteiübergreifend erarbeitete Gesetz zur Modernisierung der
gesetzlichen Krankenversicherungen (GMG) ist letztlich die Konsequenz dieser
Wettbewerbsphilosophie.
Folge ist insbesondere die totale Verunsicherung
niedergelassener Fachärzte über ihre berufliche Zukunft. Nicht mehr die
wohnortnahe, auch fachärztliche Betreuung steht im Fokus des politischen
Interesses, sondern die Abschaffung der so genannten doppelten Facharztschiene
durch einen gesetzlich initiierten Verdrängungswettbewerb. Der ursprüngliche
Plan des GMG, Fachärzte aus dem Kollektivvertragssystem der KVen völlig
herauszunehmen und dem Einzelvertragswettbewerb der Krankenkassen zu unterwerfen,
gibt diese keineswegs aufgegebene politische Richtung überdeutlich wieder.
Die aus anderen Ländern bekannten negativen Erfahrungen mit
Wartelisten, die aus einer Konzentration der fachärztlichen Versorgung an
Krankenhauspolikliniken entstehen, schreckt diese Politiker nicht ab. Die
Motivation junger Ärzte, sich auf eine Niederlassung in fachärztlicher
Versorgung vorzubereiten, wird durch solch unkalkulierbare Berufsaussichten
negativ beeinflusst. Niemand sollte sich wundern, wenn wir in wenigen Jahren
nicht nur einen Mangel an Hausärzten zu beklagen haben, sondern wenn auch in
der fachärztlichen Versorgung massive Engpässe auftreten werden. Die
Verantwortung hierfür müssen die politisch Verantwortlichen übernehmen, auch
wenn sie jetzt versuchen, in Schuldzuweisungen an die Ärzteschaft diese
Verantwortung von sich zu schieben. Die heute gehörte Rede der Ministerin war
ein klassisches Ablenkungsmanöver hinsichtlich unserer eigentlichen Probleme.
Eine weitere gravierende Ursache für die derzeitigen negativen
Arbeitsbedingungen der niedergelassenen Hausärzte und Fachärzte sind vor allem
auch die seit dem GSG bestehenden gesetzlichen Ausgabenbudgets. Sie haben niedergelassenen
Haus- und Fachärzten immer engere Vergütungsfesseln angelegt und sie in zwei Lager
gespalten. Bei unbegrenztem Leistungsversprechen der Politik wurde den Ärzten
ein strikt begrenzter Finanzrahmen vorgegeben, der ihnen – ohne Rücksicht auf
Leistungsbedarf und Morbiditätsentwicklung – die finanzielle Haftung für die
Einhaltung der Budgetgrenzen aufbürdete. Sie wurden zudem einer Vielzahl von
Reglementierungen unterworfen, die Bürokratie und Verwaltungsaufwand
vervielfachen und viel Zeit rauben. Meine eigene Erfahrung zeigt: Schon heute
muss in der Praxis auf die verschiedensten Verträge geachtet werden. Sie kennen
das. Geachtet werden muss beispielsweise auf DMP Diabetes, DMP KHK, DMP Brust,
hausärztlicher Vertrag, integrierte Versorgung Hüft-TEP – und das ist erst der
Anfang! Die Papierflut im Praxisalltag wird unerträglich.
Das traurigste Kapitel in diesem Wust sind die DMPs.
Die Budgetierung und der gesetzlich initiierte
„Preiswettbewerb“ haben ökonomische Aspekte in den Vordergrund gerückt, die das
Patient-Arzt-Verhältnis belasten und das ärztliche Berufsethos zu überlagern
drohen. Die Freude an der Ausübung eines freien Berufs in eigener Praxis mit
der individuellen Verantwortung für die Betreuung von Patienten ist den
Vertragsärzten in diesen letzten zwölf Jahren unter diesen gesetzlichen
Budgetbedingungen kräftig vergällt worden. Hinzu kommen ständige öffentliche
Schuldzuweisungen von allen Seiten, Reglementierungen und Vorwürfe. Wem soll
die ärztliche Tätigkeit da noch Spaß machen?
Für eine junge Ärztin oder einen jungen Arzt, die bzw. der
heute eine Entscheidung über ihren/seinen beruflichen Lebensweg treffen muss,
stellen sich deswegen folgende Probleme:
Selbst in der hausärztlichen Versorgung besteht für die junge
Ärztin/den jungen Arzt kein Anspruch mehr auf Vertragsabschluss zur
hausarztzentrierten Versorgung.
Die Medizinischen Versorgungszentren mit angestellten Ärzten
treten in Konkurrenz zu niedergelassenen Ärzten in eigener Praxis und haben
durch die dahinter stehende Finanzkraft von Krankenhäusern und Sponsoren eine
Dynamik im Wettbewerb, der ein Zusammenschluss der niedergelassenen Ärzte nur
schwer gewachsen ist. Welcher Arzt hat schon das Geld, alte Praxen aufzukaufen?
Die systematische Öffnung der Krankenhäuser als Institution
für die ambulante Versorgung beeinträchtigt dramatisch die Chancen der
Niederlassung in eigener Facharztpraxis im Umkreis eines Krankenhauses, es sei
denn, der Facharzt kann mit dem Krankenhaus – insbesondere in der Integrierten
Versorgung – kooperieren. Auch dann ist er aber – trotz seiner Kassenzulassung
– in seiner beruflichen Existenz davon abhängig, dass sowohl der
Integrationsvertrag mit möglichst vielen Krankenkassen als auch sein
Kooperationsvertrag mit dem Krankenhaus fortbesteht. Er wird dadurch in seiner
ärztlichen Berufsausübung erpressbar. Die Erfahrung lehrt heute schon, dass die
Finanzschraube ständig weiter angezogen werden wird.
Die Vergütungsbedingungen für die niedergelassenen
Vertragsärzte sind – trotz hoher beruflicher Belastung und Verantwortung –
durch die jetzt fast 20-jährige Budgetierung der vertragsärztlichen
Gesamtvergütung immer schlechter geworden. Viele hoch spezialisierte Praxen
tragen sich nur noch über die zusätzlichen Einnahmen aus der Privatliquidation.
Gleichzeitig ist aber der bürokratische Druck durch immer mehr
Reglementierungen der vertragsärztlichen Tätigkeit immens gewachsen.
Die Freiberuflichkeit als Arzt ist wegen dieser veränderten
Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten für viele junge Ärzte keineswegs
mehr so erstrebenswert wie früher. Hinzu kommt die nicht mehr kalkulierbare
Entwicklung zukünftiger Vertragsgestaltungen im Wettbewerb. Die
Ursprungsphilosophie des Schutzes niedergelassener Ärzte in ihrer
freiberuflichen Existenz ist mit dem GMG endgültig verlassen worden. Unsere
junge Kollegin oder unser junger Kollege wird sich daher fragen, ob sie oder er
unter diesen für sie bzw. ihn nicht mehr kalkulierbaren Bedingungen die mit
einer freiberuflichen Existenz verbundenen finanziellen Investitionen und
Risiken in Kauf nehmen soll oder nicht lieber gleich eine feste Anstellung
sucht. Dann wird sie bzw. er aber eine Tätigkeit anstreben, die bei geregelter
Arbeitszeit und freiem Wochenende ein angemessenes Einkommen garantiert. Solche
Stellenangebote gibt es nicht nur vermehrt im Inland beim Medizinischen Dienst
der Krankenkassen, in der pharmazeutischen Industrie oder in der medizinischen
Informationstechnologie. Sie gibt es, falls man weiter am Patienten tätig sein
will, vor allem im Ausland, in den dortigen staatlichen Gesundheitsdiensten.
Diese leiden schon jetzt unter dem – von ihnen selbst produzierten –
Ärztemangel und bieten für die gut qualifizierten jungen Ärztinnen und Ärzte
aus Deutschland gute Arbeitsbedingungen und ein angemessenes Gehalt.
Die Politik, die diese Entwicklung in Deutschland
parteiübergreifend betrieben hat und teilweise auch noch weiter betreibt, muss
sich daher nicht wundern, wenn wir heute – durch mehrere Untersuchungen belegt
– ein schwindendes Interesse am Arztberuf in freier Praxis zu verzeichnen
haben.
Die Ärztestatistik zum 31.12.2004 verzeichnet zwar weiterhin
eine positive Wachstumsrate der Ärztezahl insgesamt. Diese globale Zahl
verdeckt jedoch den strukturellen Ärztemangel. Diese Mangelsituation wird sich
in den kommenden Jahren durch die alternde Gesellschaft mit erhöhtem
Versorgungsbedarf noch verstärken. In der hausärztlichen Versorgung in den
neuen Bundesländern ist dieser Mangel bereits manifest. Dies hat zu einer
ersten politischen Wahrnehmung in einer Bundestagsdebatte geführt. Zudem hat
die Gesundheitsministerkonferenz eine Arbeitsgruppe zur Analyse des Mangels eingesetzt,
die einen Bericht und Lösungsvorschläge vorgelegt hat. Diese Vorschläge sind im
Antrag der Akademie für Allgemeinmedizin aufgegriffen worden; sie müssen meiner
Ansicht nach von Ihnen unterstützt werden.
Signifikant ist auch der Rückgang der Zahl der
Krankenhausärzte und der niedergelassenen Ärzte in fünf Bundesländern.
Besorgnis erregend ist aber die Entwicklung der Altersstruktur der
niedergelassenen Ärzte mit einem Anteil von 50,6 Prozent von über 50-jährigen
Ärzten vor allem deshalb, weil der bevorstehende Abgang nicht durch ärztlichen
Nachwuchs ausgeglichen wird. Hinzu kommt die Tatsache, dass niedergelassene
Ärzte immer häufiger vor Erreichen der Altersgrenze von 68 Jahren ihre Praxen
aufgeben.
Arztzahlrückgänge sind neben Hausärzten inzwischen in vielen
anderen Fachgebieten zu verzeichnen. Die Entwicklung im Jahre 2003 und im
ersten Halbjahr 2004 – ich zeige Ihnen hier die entsprechenden Schaubilder –
wird sowohl für das gesamte Bundesgebiet als auch für die neuen Bundesländer in
den entsprechenden Tabellen wiedergegeben, die ich nicht im Einzelnen
kommentiere, die aber für sich sprechen.
Einige Gesundheitspolitiker und Krankenkassen versuchen, diese
beunruhigenden Zahlen mit der immer noch hohen Arztdichte in Deutschland
abzutun. Die Entwicklung wird aber besonders brisant angesichts des zunehmenden
Nachwuchsmangels. Der „Verlust“ an Medizinstudenten im Verlauf des Studiums –
einschließlich der der Statistik noch zugrunde liegenden AiP-Phase – beträgt
laut einer gemeinsamen Studie von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher
Bundesvereinigung inzwischen 38 Prozent. Die Schere zwischen einer
„Überalterung“ der Ärzteschaft und wegbrechendem ärztlichen Nachwuchs
kennzeichnet die derzeitige Situation. Die ärztliche Versorgung der Bevölkerung
ist vielerorts nur noch durch ausländische Ärzte aufrechtzuerhalten. Im Jahre
2004 ist jeder fünfte Arzt, der erstmals eine Berufstätigkeit in Deutschland aufnimmt,
Ausländer; vor allem in den neuen Bundesländern wird der Mangel an
Krankenhausärzten durch zuwandernde Ärzte aus Osteuropa beseitigt. Dies ist
äußerst problematisch, da dadurch die ärztliche Versorgung in den osteuropäischen
Ländern ausblutet.
In einer gerade veröffentlichten Studie von Ramboll Management
im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung wurden
die Gründe für den Berufsausstieg von Ärzten in Deutschland beleuchtet. Dazu
wurden vier Felder betrachtet: das Medizinstudium, der Wiedereinstieg, die
Krankenhausorganisation und die ostdeutschen Bundesländer.
Gründe für den Ausstieg aus dem Medizinstudium sind danach:
mangelnder Praxisbezug, fehlende Betreuung durch Dozenten und unzureichende
Finanzierungsmöglichkeiten des Studiums. Barrieren für den Wiedereinstieg
werden vor allem in der belastenden Arbeitszeit, einer als zu gering
empfundenen Vergütung und in der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie gesehen.
Als Grund für einen Verbleib im Ausland wurden neben den dort vorgefundenen
guten Arbeits- und Lebensbedingungen unzureichende berufliche Perspektiven und
Verdienstmöglichkeiten in Deutschland sowie erneut die Unvereinbarkeit beruflicher
Mehrbelastungen mit familiären Belangen genannt.
Die bereits in der Analyse der Arbeitsbedingungen am
Krankenhaus vom 105. Deutschen Ärztetag dargestellten Probleme haben sich in
der Studie bestätigt; dies sind insbesondere die schlechte Bezahlung, die
zeitliche Überlastung, die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf mit Familie und
Freizeit, die hierarchischen Strukturen und das Ausmaß an zu bewältigenden
nicht ärztlichen Aufgaben, die Bürokratie.
Soweit es die neuen Bundesländer betrifft, wurde deutlich,
dass Ärzte aus Westdeutschland viel eher die alten Bundesländer weiter präferieren,
während Ärzte in Ostdeutschland tendenziell lieber bleiben würden, wenn sie
dort angemessene Vergütungsbedingungen finden würden.
Die Studie enthält folgende Empfehlungen zur Verbesserung der
Situation in den genannten vier Feldern:
Erstens. Zum Medizinstudium wird ein noch stärkerer
Praxisbezug, ein veränderter Auswahlmodus für Medizinstudenten und die Einführung
von Anreizen zur Verbesserung der Lehrsituation empfohlen.
Zweitens. Zur Verbesserung des Wiedereinstiegs in den Beruf
werden spezielle Fachkurse zur Weiter- und Fortbildung, innovative
Arbeitszeitmodelle sowie Maßnahmen zur Kinderbetreuung für die Zeit des Wiedereinstiegs
empfohlen.
Drittens. Zur Krankenhausorganisation werden strukturelle
Maßnahmen zum Abbau der Hierarchie und der Arbeitsbelastung empfohlen.
Viertens. Für die Besetzung offener Praxissitze in den neuen
Bundesländern werden Imagekampagnen, finanzielle Anreize sowie die Übernahme
finanzieller Risiken bei der Niederlassung vorgeschlagen.
Alle diese Vorschläge sind zwar sinnvoll und sollten von uns
unterstützt werden; sie reichen jedoch nicht aus, um die Rahmenbedingungen für
eine Berufsausübung in eigener Praxis so zu verändern, dass die Niederlassung
in Deutschland für den ärztlichen Nachwuchs wieder attraktiv wird. Um dies zu
erreichen, müssen grundlegendere Entwicklungen eingeleitet werden:
Die Politik muss endlich aufhören, das Gesundheitswesen als
gigantisches Experimentierfeld für ideologisch geprägte Versorgungskonzepte zu
missbrauchen und den Wettbewerb als Allheilmittel zur Effizienzsteigerung des
Gesundheitswesens anzupreisen.
(Beifall)
Unser Gesundheitswesen zählt zu den besten und
leistungsfähigsten Systemen der Welt, unsere Ärzte in Praxis und Klinik leisten
beste Arbeit – und dies trotz permanenter politischer Eingriffe.
(Beifall)
Wenn diese Versorgungsqualität erhalten bleiben soll, müssen
allerdings endlich auch finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden, die
den steigenden Versorgungsbedarf einer älter werdenden Gesellschaft decken. Die
Alternative ist, in einem offenen gesellschaftlichen Diskurs die
Mittelknappheit transparent zu machen, anstatt die Verantwortung hierfür der
einzelnen Ärztin oder dem einzelnen Arzt alleine aufzubürden. Die eklatante
Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung muss beseitigt werden. Der
Ausgabenanteil der Krankenkassen für ärztliche Honorare ist permanent
geschrumpft, und zwar von 22 Prozent in den 70er-Jahren auf derzeit ganze
16 Prozent – und dies bei einem überproportionalen Versorgungsanteil.
Eine solide Versorgungsforschung zur Evaluation von
Versorgungskonzepten und Steuerungsmaßnahmen ist zu fördern mit dem Ziel,
politische Entscheidungen rationaler vorzubereiten.
Die bürokratische Überfrachtung ärztlicher Berufsausübung,
insbesondere durch ausufernde Reglementierungen auf der Grundlage gesetzlicher
Regelungen, muss reduziert werden. Nur zwei Beispiele für unsinnige Bürokratie
– wiederum aus eigener Erfahrung –: Es gibt nicht nur das DMP Diabetes, sondern
es müssen auch unterschiedliche Formulare für verschiedene Kassen ausgefüllt
werden. Beim DMP KHK gibt es beispielsweise verschiedene Abrechnungsziffern, je
nachdem, ob die KHK mit oder ohne Diabetes behandelt wird.
Besonders wichtig ist, dass die Niederlassung als Vertragsarzt
ihren Stellenwert in der ärztlichen Versorgung in Deutschland wieder erhält und
damit – auch jungen Ärzten – wieder eine Perspektive in der Niederlassung geboten
wird. Nur dadurch lässt sich eine wohnortnahe haus- und fachärztliche
Versorgung patientengerecht und kostengünstig ohne Wartelisten gewährleisten.
Die Patienten identifizieren sich nämlich mit ihren behandelnden Fach- und
Hausärzten und wollen sich in der Mehrzahl nicht einer Institution
gegenübersehen! Eher wechseln sie die Kasse als den Arzt!
Die Ärzteschaft bekennt sich zu einem echten Wettbewerb, der
der Qualität der ärztlichen Versorgung dient. Ein Preiswettbewerb mit
marktwirtschaftlichem „Feilschen“ um billige Einzelverträge führt in eine
Sackgasse und in die berufliche Abhängigkeit. Demgegenüber bieten
Kooperationsverträge zwischen Krankenkassen und kassenärztlicher
Selbstverwaltung die besten Voraussetzungen.
Die vertragsärztlichen Versorgungsstrukturen müssen sich aber
auch an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Die Ärzteschaft muss
hierauf eine möglichst geschlossene Antwort finden. Die durch das GMG
eröffneten Wahlmöglichkeiten der Beteiligung an unterschiedlichen
Vertragsstrukturen müssen von den niedergelassenen Ärzten durch eigene
Strukturmodelle aufgegriffen werden.
Der Hausarzt als niedergelassener Arzt ist in seiner
Versorgungsfunktion dadurch zu sichern, dass – unabhängig von Einzelverträgen
der Krankenkassen – den Versicherten aller Kassen ein attraktives und
qualitativ gesichertes Hausarztversorgungsmodell angeboten wird.
Für Facharztgruppen, die in der Primärversorgung tätig sind –
Gynäkologen, Kinderärzte, hausärztliche Internisten –, müssen vergleichbare
Möglichkeiten der Existenzsicherung in eigener Praxis garantiert werden, um
eine wohnortnahe Versorgung auch insoweit zu sichern.
Für die spezialisierte fachärztliche Versorgung der Zukunft
bieten sich zur Gewährleistung einer freiberuflichen Tätigkeit in eigener
Niederlassung folgende Strukturen an – dabei muss die Regelversorgung Grundlage
bleiben –: eigenständige fachärztliche Versorgungszentren auch als MVZ und
Kooperation mit hausarztzentrierten Medizinischen Versorgungszentren.
Ärztliche Kooperationen sind zu fördern, die in ärztlicher
Trägerschaft sind, um die Unabhängigkeit der Berufsausübung zu sichern; die zur
rationelleren und effizienteren Nutzung der personellen und sachlichen
Infrastruktur dienen; die den kollegialen Erfahrungsaustausch erleichtern,
einen Qualitätszirkel bilden und wechselseitige Vertretungen ermöglichen; die
durch den Einsatz von Informationstechnologie und verbesserte Kommunikation
Bürokratie abbauen; die alle Vertragsmodelle der Krankenkassen im Wettbewerb
bedienen können, wenngleich die Regelversorgung innerhalb des
Kollektivvertragssystems ihren bevorzugten Stellenwert behalten muss; die auch
angestellten Ärztinnen und Ärzten eine langfristige Perspektive bieten; die
durch Kooperation mit Krankenhausärzten, anderen Heil- und Fachberufen im Gesundheitswesen
ein möglichst umfassendes und sektorübergreifendes Leistungsangebot bieten.
Die Bundesärztekammer hat gemeinsam mit der KBV ein Modell der
Kooperation – das ärztliche Versorgungszentrum – entwickelt, als Antwort auf
das selektive Kontrahieren und die Einkaufsmodelle der Krankenkassen, das den
vorstehenden Anforderungen Rechnung trägt und derzeit inhaltlich ausgearbeitet
wird.
Verhindert werden muss, dass Ärzte weiterhin verunsichert,
durch den von der Politik unterstützten Einzelwettbewerb der Krankenkassen
auseinander dividiert und in ihrer Berufsausübung zu fremdbestimmten
Erfüllungsgehilfen werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Frank Gadomski, für diese komprimierte, klare analytische Darstellung der
Situation und die konkreten Vorschläge, wie man aus ihr wieder herauskommen
kann. Ich glaube, wir haben jetzt einen exzellenten Überblick über die
Thematik. Manches von dem, was in diesem Referat genannt wurde, hat
übergreifenden Charakter. Deswegen auch Dank dafür, dass die Kombination der
Problematik zwischen den Kliniken einerseits und den niedergelassenen Ärzten
andererseits in dem Referat eine Rolle gespielt hat.
Inzwischen liegen insgesamt sechs Anträge vor. Sie werden noch
umgedruckt und verteilt. Der Leitantrag des Vorstands ist der Antrag II-1.
Wir haben jetzt noch eine knappe halbe Stunde Zeit für die
Diskussion. Als ersten Redner rufe ich Herrn Albrecht Kühn aus
Baden-Württemberg auf. Bitte schön.
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