TOP II: Arbeitssituation der niedergelassenen Ärzte

1. Tag: Dienstag, 3. Mai 2005, nur Nachmittagssitzung

Merchel, Westfalen-Lippe:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte darstellen, wie viel Spaß es heute macht, in der Praxis als niedergelassener Frauenarzt zu arbeiten. Ich bin 12 Jahre niedergelassen. Das war damals die Seehofer-Zeit. Die Umschuldung nach 12 Jahren hat auch nicht das gebracht, was man gedacht hatte. Die Praxis muss noch ein bisschen weiter abbezahlt werden. Unter den jetzigen Bedingungen fragt man sich schon, wie das denn erfolgen kann.

Die Modernisierung des Gesundheitswesen hat bei den Frauenärzten in Westfalen-Lippe zu Fallzahlverlusten von über 15 Prozent in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 geführt und zu Honorarverlusten von über 10 Prozent. Diese 10 Prozent sind genau diese Summe, von der man lebt, nachdem man die Kosten, die Schulden, die Versicherungen usw. bezahlt hat. Mit diesem Zustand kann man nicht lange über die Runden kommen. Die KV zuckt mit den Schultern, weil sie nicht verteilen kann, was sie nicht eingenommen hat, weil bei uns die Frauen nicht mehr in diesem Umfang zur Prävention kommen. Das andere wird umverteilt auf die Kollegen.

Der EBM 2000plus wird nicht unbedingt die Lösung bringen. Wir haben in Westfalen-Lippe einen Honorarverteilungsvertrag, der im Prinzip eine Grenzvolumenpunktzahl vorsieht. Wenn man das ausrechnet, sieht man, dass man mit seinem Durchschnitt schnell darüber liegt. Ein großer Teil der geleisteten Arbeit wird nicht bezahlt. Wenn weniger Patientinnen kommen, bedeutet das ja nicht, dass man weniger arbeitet, sondern diejenigen, die für kleinere Dinge kamen, kommen nicht mehr.

Große Praxen, die es natürlich auch gibt, die Versorgerpraxen, die sehr viele Frauen versorgen, wissen schon jetzt, dass sie mit den im neuen EBM festgelegten Minuten nicht hinkommen und dadurch kriminalisiert und drangsaliert werden. Das kann es am Ende auch nicht sein.

Ferner sind die Rahmenbedingungen für uns als Frauenärzte auch alles andere als gut. Die Mammazentren, die insbesondere in Nordrhein-Westfalen sehr gefördert werden, die dazu führen, dass auch die ambulante Medizin der Frau mit Brustkrebs immer mehr ans Krankenhaus und an niedergelassene Onkologen abwandert, bringen uns die Frauen aus der Praxis. Wenn das Mammographiescreening erst einmal angelaufen ist, sehen wir die Frauen nicht einmal mehr nach der Diagnosestellung, sondern, wenn wir Glück haben, irgendwann nach Beendigung der Therapie, wenn sie nicht doch durch den Hausarzt, den Onkologen oder den Palliativmediziner weiter betreut werden. Irgendwann kommt auch noch der Pathologe ins Spiel.

Die Frauen, die nicht in der Praxis sind, sind einerseits diejenigen, die schon im Mammazentrum behandelt werden. Warum sollen sie zur Krebsvorsorge kommen? Sie haben ja schon Krebs. Die anderen, die ihr Pillenrezept alle sechs Monate holen – vielleicht macht es zwischendurch auch der Hausarzt; dann sehe ich sie vielleicht nur einmal im Jahr oder noch seltener –, kann ich auch nicht zu Präventionsleistungen motivieren. Nur Frauen, die zu mir kommen, kann ich davon überzeugen.

Die Kinderwunschpatientinnen kann ich heute nicht mehr ausreichend diagnostizieren, weil das normale Budget mehr als ein oder zwei Ultraschalluntersuchungen pro Quartal nicht hergibt. Alles andere fällt über den Jordan, kann ich also nicht vernünftig machen.

Wenn die Frau wirklich in eine Sterilitätstherapie geht, muss sie die Hälfte dazubezahlen. Deshalb sind auch dort die Fallzahlen drastisch gesunken.

Man weiß nicht, wo man mit seiner Fachkompetenz, die man sich durch Weiterbildung erworben hat, steht. Man qualifiziert sich mit Fortbildungspunkten weiter, aber man hat kaum noch Möglichkeiten, das erworbene Wissen anzuwenden.

Die Schwangere stellt immer höhere Ansprüche. Ich kann ihr nur das bisschen, was unsere Schwangerschaftsvorsorge routinemäßig vorsieht, bieten, mehr nicht. Handelt es sich um eine Risikoschwangere – das ist jede zweite Schwangere –, möchte das Krankenhaus sie mitbetreuen. Handelt es sich um eine normale Schwangere, möchte das am liebsten die Hebamme tun. Für den normalen Frauenarzt ist hier im Prinzip kaum noch Platz.

Für das, was wir machen und wofür wir meiner Meinung nach gut qualifiziert sind, werden wir nicht ausreichend bezahlt. Alle anderen Bereiche – das Krankenhaus, auch die Hebammen – greifen im Prinzip ab und nehmen Aufgaben weg. Für mich stellt sich schon die Frage: Macht es Sinn, sich in irgendeiner Art und Weise zusammenzuschließen? Gibt es da Möglichkeiten? Im Moment bin ich, ehrlich gesagt, nur frustriert. Lichtblicke sehe ich nicht, auch nicht von der bisherigen Diskussion hier.

Danke schön.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Schönen Dank, Herr Merchel. Zur Geschäftsordnung hat sich Herr Calles aus Bayern gemeldet.

 

© 2005, Bundesärztekammer.