Prof. Dr. Kossow, Niedersachsen: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Situation in der Praxis wäre attraktiver, wenn
jeder wüsste, was er dort zu tun hat, was er besser nicht tun sollte, wenn er
sich in Bezug auf diese Perspektiven sachlich informieren könnte. Das gilt ganz
besonders für die Art und Weise, wie Leitlinien den Berufsalltag und das
Verhalten der Ärzte steuern.
Es ist meines Erachtens zunächst einmal wichtig, dass
Leitlinien nicht ohne Beteiligung der Fachgruppen, die von ihnen betroffen
sind, entwickelt werden. Es macht beispielsweise keinen Sinn, in einer
neurologischen Klinik eine Leitlinie für die Migränebehandlung in der hausärztlichen
Praxis zu machen, wenn man nicht die Allgemeinärzte aus der Praxis an der
Entwicklung der Leitlinie beteiligt hat. Ferner macht es keinen Sinn,
Leitlinien aus dem Ausland unkritisch zu importieren: aus England, aus
Skandinavien, aus Ontario, aus Britisch-Kolumbien, sogar Neuseeland. Warum
macht das keinen Sinn? Wir haben in den Absenderländern völlig anders
strukturierte Gesundheitssysteme als bei uns. Ob das, was dort gilt,
beispielsweise unter den Strukturen eines Primärarztsystems in Deutschland mit
dem Prinzip der freien Arztwahl Sinn macht, steht sehr infrage. Ich plädiere
deshalb sehr dafür, keine Leitlinie aus dem Ausland mehr zu importieren, außer
in der Spezialversorgung, wo dieselben Bedingungen wie im Ausland herrschen. Da
mögen sich die Kollegen auf internationalen Kongressen darüber verständigen,
dass sie das akzeptieren.
Der nächste Punkt, der mindestens ebenso wichtig ist, ist,
dass man die Haftungsfragen, die mit der Beachtung bzw. der Nichtbeachtung der
Leitlinien verbunden sind, beispielsweise Vermögensschadenhaftung nach der
Wirtschaftlichkeitskontrolle, mit abarbeitet.
Wenn all dieses geschehen ist, können Leitlinien im
Ausnahmefall auch einmal sinnvoll sein, vor allen Dingen dann, wenn der
Maßstab, mit dem sie hierzulande überprüft werden können, vorhanden ist. Bisher
ist das nicht der Fall. Es werden Gesundheitssystemforschung, Feldforschung und
ähnliche Dinge propagiert. Wichtig wäre aber, dass wir zunächst einmal eine
Epidemiologie hätten, auf deren Grundlagen alle unter denselben Bedingungen
forschen können.
Ich hoffe, dass von diesem Ärztetag eine Initiative ausgeht,
dass wir ein solches belastbares Zahlenwerk als Forschungsgrundlage für die
Ärzte und die Gesundheitswissenschaftler aller Fächer bekommen, damit die
Mutmaßungen und Ideologien etwas weniger umfangreich werden und die Sachkunde
etwas umfangreicher wird.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Herr Kossow. Das war eine Punktlandung, nicht nur von der Zeit her. Das Wort
hat jetzt Frau Dr. Susan Trittmacher aus Hessen.
|