Dr. Möhrle, Referent:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Professor Taupitz hat aus der Sicht des Juristen
und des Medizinrechtlers die Bedeutung einer amtlichen Gebührentaxe
für einen freien Beruf und vor allem für die Patienten, die zur
Zahlung der Entgelte verpflichtet sind, dargelegt. Er hat gerade
in seinen letzten Worten den Weg aufgezeigt, den wir zu gehen bereit
sind, auch wenn dieser sehr mühsam ist. Wir wollen mit der Behandlung
dieses Themas auf dem Deutschen Ärztetag den Druck auf den Gesetzgeber
erhöhen, nun endlich tätig zu werden.
Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen den konkreten Zustand und die
Erwartungen, die wir an eine Gebührenordnung haben, zusammenfassend darstelle.
Die vom Staat verantwortete amtliche Gebührenordnung muss ein
verlässlicher Maßstab für die leistungsgerechte Honorierung der ärztlichen
Arbeit sein. Klare, eindeutige Abrechnungsregeln und ein ausgewogenes
Bewertungsgefüge reduzieren Fehlanreize und garantieren Honorargerechtigkeit.
Eine regelmäßige Anpassung des Leistungsverzeichnisses an den Stand der
medizinischen Wissenschaft sorgt für Klarheit und sichert dem Patienten den
unmittelbaren Zugang zum medizinischen Fortschritt. Eine vereinfachte und von
bürokratischem Ballast befreite und damit auch für juristische Laien verständliche
Gebührenordnung schützt den Arzt vor Fehlinterpretationen und Falschabrechnung
und den Patienten vor Überforderung.
Eine leistungsgerechte Vergütung sichert die Qualität der
Leistungen des Arztes. Sie sichert aber auch seine Existenzgrundlage und macht
damit seine ärztlichen Entscheidungen unabhängig von materiellen Erwägungen.
Das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Arzt wird
geschützt und nicht durch Abrechnungskonflikte belastet.
Fazit: Patient und Arzt haben Anspruch auf eine medizinisch
aktuelle, leistungsgerechte, in sich schlüssige Gebührentaxe, die Transparenz
und Verbraucherschutz, Qualität und Innovation schafft und damit
Rechtssicherheit für Patient und Arzt garantiert.
Wie sieht aber nun die Realität aus? Die letztmalige
Generalüberholung der GOÄ datiert vom November 1982. Das damals neu gefasste
Gebührenverzeichnis basiert auf der Ersatzkassengebührenordnung, der E-Adgo,
von 1978. Von den insgesamt 32 Abschnitten des Leistungsverzeichnisses der GOÄ
sind seitdem 22 Kapitel nicht mehr grundlegend aktualisiert worden. Sie sind
inzwischen also 27 Jahre alt. Die restlichen zehn Kapitel des Verzeichnisses
sind 1996 neu gefasst worden und somit inzwischen auch schon fast zehn Jahre
alt. Der rasante Fortschritt der Medizin der letzten drei Jahrzehnte ist damit
an der GOÄ weitgehend spurlos vorübergegangen.
Es fehlen darin beispielsweise
–
Methoden der Mikrochirurgie
–
moderne, verbesserte invasive und diagnostische Verfahren
–
pädaudiologische und phoniatrische Leistungen, die für eine frühe
Erkennung der Behandlungsbedürftigkeit kommunikativer Störungen bei Kindern
notwendig sind
–
die moderne Netzhautchirurgie
–
für die moderne Glaskörperchirurgie ist ihre veraltete Methodik
Abrechnungsvorgabe in der GOÄ
–
die Strahlenchirurgie und moderne patientenschonende Bestrahlungstechniken
Die zur Sicherung ärztlicher Entscheidungen unentbehrlichen
Methoden der modernen Immunhistochemie, der Zytologie und der Labormedizin und
neue diagnostische Technologien wie die Positronenemissionstomographie oder die
Duplexsonographie sind entweder gar nicht vorhanden oder in einer alten, unzulänglichen
Anwendungsmethode und Bewertung vorgegeben. Patientenschonende, kostengünstige
und die Verweildauer verkürzende operative Verfahren sind benachteiligt, weil
sie – im Verzeichnis mit ihrer konventionellen veralteten Methodik aufgeführt –
mit einer modernen Leistungserbringung nicht vereinbar sind. Der Katalog von
Zuschlägen für ambulante Operationen und Anästhesien ist zehn Jahre alt.
Seither hat sich die Zahl der ambulant erbringbaren Operationen vervielfacht.
Dies wird gebührenrechtlich durch die Begrenzung der Zuschlagsregelung
bestraft; Einsparmöglichkeiten durch die ambulante Erbringung von Leistungen
werden vertan.
Das Fazit ist, dass mit der seit 1982 gesetzlich
vorgeschriebenen strikten Bindung der Abrechnung an das Gebührenverzeichnis der
GOÄ – denn Abweichungen sind ja nur noch bei der Höhe der Gebühr zulässig – dem
Arzt zugemutet wird, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der modernen
Medizin des Jahres 2005 auf der Grundlage eines Verzeichnisses des Jahres 1978
abzurechnen. Analogbewertungen, die fehlende ärztliche Leistungen ersetzen
sollen, sind nicht auf alle Neuerungen anwendbar und können somit nur eine
Zwischenlösung bis zu einer Novellierung sein.
Erschwert wird die Situation durch die fehlende Systematik der
gebührenrechtlichen Anforderungen und die für einzelne ärztliche Fachgebiete
unzumutbaren Bewertungsdisparitäten. Die Teilnovellierungen in den Jahren 1988
und 1996 brachten zwar eine bescheidene Anhebung des Vergütungsniveaus um real
7,4 Prozent; sie verbanden aber auch einschneidende Änderungen des Gebührenrechts
im Paragraphenteil, der sich ja auf alle Leistungen des Gebührenverzeichnisses
auswirkt, mit einer nur teilweisen Aktualisierung dieses Verzeichnisses. Eine
inhaltliche Abstimmung des gesamten Leistungsverzeichnisses mit den Änderungen
des Gebührenrechts unterblieb.
Die dadurch entstandene Kluft zwischen gebührenrechtlichen
Vorgaben und der Gestaltung des Leistungsverzeichnisses hat zu systemischen
Brüchen und in sich widersprüchlichen Regelungen geführt. Diese verursachen
immer wieder gravierende Abrechnungsprobleme. So wurde 1996 beispielsweise das
so genannte „Zielleistungsprinzip“ verschärft. Dieses fordert, dass eine
Leistung, die Bestandteil einer anderen Leistung ist, nicht gesondert berechnet
werden darf. Die zur Erfüllung dieser gebührenrechtlichen Vorschrift notwendige
Neustrukturierung und zusammenfassende Bündelung der Leistungen, beispielsweise
bei operativen Eingriffen, unterblieb jedoch; ein Großteil der
Auseinandersetzungen zwischen Arzt bzw. Patient und privater
Krankenversicherung beruht auf diesem Mangel.
Die Übernahme der E-Adgo des Jahres 1978, deren Verzeichnis –
wie eben dargelegt – beispielsweise für die operativen Eingriffe noch heute
gilt, ist Ursache eines bis heute fortbestehenden Geburtsfehlers der GOÄ: der
in Beschreibung und Bewertung unzulänglichen Berücksichtigung
krankenhausspezifischer Leistungen. Die E-Adgo war auf kassenärztliche und
damit ambulante und belegärztliche Versorgung ausgerichtet. Spezifische
Krankenhausleistungen wurden nur der Vollständigkeit halber aufgenommen. Dieses
bis heute nicht korrigierte Ungleichgewicht im Vergütungsgefüge führt immer
wieder zu Unverständnis bei den betroffenen Ärzten und zu Fehlinterpretationen.
Ich könnte diese Aufzählung noch beliebig lange fortsetzen,
lasse es aus Zeitgründen jedoch dabei bewenden und stelle fest: Die amtliche
Gebührenordnung für Ärzte ist in einem desolaten, um nicht zu sagen:
katastrophalen Zustand!
(Beifall)
Die Situation hätte durch eine verantwortungsvolle Politik der
Weiterentwicklung und Aktualisierung der GOÄ längst bereinigt werden können.
Aber die Gebührentaxe der Ärzte, die für 8,2 Millionen Privatversicherte und
7,9 Millionen Zusatzversicherte – das sind Zahlen des Jahres 2004 – gilt, hat
offensichtlich keinen politischen Stellenwert. Die letzte Gesamtreform datiert,
wie schon gesagt, aus dem Jahre 1982, die letzte Teilnovellierung aus dem Jahre
1996. Die erste und bislang einzige Änderung der GOÄ durch die jetzige
Bundesregierung war die Einführung des Standardtarifs mit dem
Gesundheitsreformgesetz 2000. Ärzte müssen seitdem bei Versicherten des
Standardtarifs zu noch geringeren Sätzen liquidieren, obwohl sich dadurch das
unausgewogene Vergütungsgefüge der GOÄ noch krasser auswirkt. Nur die Tatsache,
dass der Standardtarif trotz seiner niedrigeren Prämien nur von wenigen
Versicherten und Beamten gewählt wird, hat bisher schwerer wiegende negative
Auswirkungen verhindert.
Die Selbstverwaltungslösung für eine Überarbeitung der GOÄ,
die bei der Novelle 1996 der Bundesregierung als Prüfauftrag des Bundesrats
aufgegeben worden war, scheiterte am EU-Recht. Die völlige Übertragung der
Zuständigkeit auf die Vertragsparteien – Ärzteschaft und Kostenträger – stieß
auf verfassungsrechtliche und kartellrechtliche Einsprüche der zuständigen
Justiz- und Wirtschaftsressorts. Die Ersatzlösung, das so genannte
Vorschlagsmodell, das von der damaligen Bundesministerin für Gesundheit, Andrea
Fischer, in die Diskussion gebracht wurde, ist von der Ärzteschaft trotz
anfänglicher Skepsis durch eindeutige Voten Deutscher Ärztetage – wenn auch nur
unter bestimmten Bedingungen – befürwortet worden. Dieses Modell soll die
konzeptionellen Vorarbeiten einer GOÄ-Reform auf die Betroffenen verlagern,
dann jedoch in das übliche Rechtsordnungsverfahren einmünden. Die
Länderfinanzminister haben diese Reform bisher politisch blockiert. Sie
befürchten negative Auswirkungen auf die Ausgaben der Beihilfe.
Statt einer Reform gab es in den letzten Jahren mehrere
Initiativen von Ländern als Beihilfeträgern, beispielsweise von
Nordrhein-Westfalen, von Schleswig-Holstein und von Niedersachsen, die eine
Absenkung des Gebührenrahmens der GOÄ zum Ziel hatten. Es gelang uns zwar,
diese Vorstöße abzuwehren, was recht mühsam war, die Gefahr droht jedoch
weiterhin. Dieser Interessenkonflikt, die unselige Verquickung der Mitwirkung
an einer Gebührentaxe mit den Sparzielen der Beihilfeträger, darf nicht länger
die dringend notwendige Reform der GOÄ verhindern!
(Beifall)
Die Ärzteschaft hat ihren Sparbeitrag mit der Akzeptanz des
Standardtarifs und der jahrelang unterbliebenen Anpassung des Punktwerts
bereits geleistet!
Andere freie Berufe – wie zum Beispiel Rechtsanwälte, Notare
und Steuerberater – haben im Juli 2004 eine Reform ihrer Gebührenordnung mit
einer Neustrukturierung, mit einer angemessenen Anpassung an die
wirtschaftliche Entwicklung und mit einer Aufhebung des Ostabschlags in den
neuen Bundesländern erhalten. Die Zahnärzte verhandeln im BMGS derzeit über
eine Novelle der GOZ. Die Tierärzte haben eine Anhebung ihrer Gebühren
erhalten, da eine solche als politisch dringlich bewertet wurde. Offenbar gilt
auch in der Politik, dass der Hund des Menschen bester Freund ist; er ist den
Politikern manchmal anscheinend wichtiger als der Mensch selbst.
(Beifall)
Auch für Hebammen wurden neue Vergütungsregelungen getroffen.
Die überfällige GOÄ-Reform wird indes weiter auf die lange Bank geschoben! Zwar
hat Staatssekretär Theo Schröder in seiner Antwort auf die Bundestagsanfrage
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – Drucksache 15/1477 vom 12. August 2003 –
den Reformbedarf der GOÄ eingestanden, jedoch sind Konsequenzen bislang nicht
gezogen worden.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Bundesregierung die
notwendige GOÄ-Reform aussitzen will, weil sie eine radikale Systemveränderung
plant. Im Zuge der favorisierten Bürgerversicherung wäre eine Angleichung der
Vergütungssysteme für gesetzlich und für privat Versicherte eine entscheidende
Weichenstellung. Insofern passen die Verlautbarungen aus dem Bundesministerium
zur Beseitigung der GOÄ durch Übernahme des EBM 2000plus für den ambulanten
Bereich und die Einführung eines pauschalen Zuschlags zur DRG anstelle der
Wahlarztliquidation auf GOÄ-Basis in dieses politische Kalkül.
Fazit: Die Ärzteschaft hat erkannt, dass die politisch
Verantwortlichen auf Zeit spielen und radikale Systemveränderungen planen.
Daher muss jetzt die Zusage einer GOÄ-Reform nach den Vorstellungen der
Ärzteschaft massiv eingefordert werden. Die Reformeckpunkte zur
Weiterentwicklung der GOÄ liegen dem BMGS seit langem vor. Diese müssen jetzt
ohne weiteren Zeitverzug verhandelt werden.
Alle Initiativen der Bundesärztekammer nach der GOÄ-Novelle
1996 liefen bisher ins Leere. Bereits für die GOÄ-Reform in der Verantwortung
des Bundesgesundheitsministers Horst Seehofer im Jahre 1996 wurden inhaltliche
Konzepte unter anderem für alle operativen Abschnitte des
Gebührenverzeichnisses erarbeitet. Ursprünglich sollte nach der Zusage des
damaligen Bundesgesundheitsministers dem so bezeichneten ersten
Novellierungsschritt 1996 unverzüglich der zweite Schritt folgen. Die
Bundestagswahl 1998 brachte eine neue Bundesregierung, die sich nicht an die
frühere Zusage gebunden fühlte. Die Konzepte der Bundesärztekammer verschwanden
in den Schubladen des Ministeriums. Auf den zweiten Novellierungsschritt warten
wir bis heute.
Immer wieder wurde an die von Herrn Seehofer gegebene Zusage
erinnert; zahlreiche Entschließungen Deutscher Ärztetage und wiederholte Verhandlungen
und Eingaben belegen die unzähligen Bemühungen. Das von der Nachfolgerin im
Amt, Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer, in die Diskussion gebrachte
Vorschlagsmodell wurde seitens der Bundesärztekammer an Beispielen inhaltlich
ausgearbeitet und als Eckpunkte im Juni 2001 vorgelegt, jedoch bisher nicht
politisch aufgegriffen. Schließlich wurden im Februar 2003 nach weiteren
Vorarbeiten der Gebührenordnungsgremien der Bundesärztekammer erneut
Reformeckpunkte zur Weiterentwicklung der GOÄ vorgelegt.
Aus der Not geboren und um der um sich greifenden
Verunsicherung der Ärzte bei der Abrechnung nach GOÄ entgegenzuwirken, hatte
die Bundesärztekammer zwischenzeitlich im Jahre 1998 den Zentralen
Konsultationsausschuss für Gebührenordnungsfragen bei der Bundesärztekammer
gegründet. Auf dieser Plattform zur Abstimmung grundlegender
Abrechnungsempfehlungen verhandeln Ärzte mit Vertretern des
Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesinnenministeriums für die Beihilfe,
des Verbandes der privaten Krankenversicherung und – mit beratender Stimme –
der Privatärztlichen Verrechnungsstellen über die Lösung der ständig
zunehmenden Anwendungsprobleme der GOÄ, um mehr Ordnung und Rechtssicherheit in
das Abrechnungsgeschehen zu bringen. Da die Abrechnungsempfehlungen sich jedoch
nur im bestehenden Rechtsrahmen und im Rahmen der unzulänglichen Struktur
bewegen können, bleiben alle Bemühungen um Aktualisierung und Klarstellung
letztlich Flickschusterei. Zudem stellt diese Aufgabe wegen der
widerstreitenden Interessen der Beteiligten eine permanente Herausforderung
dar, die viel Zeit beansprucht.
Deshalb erarbeitet der Gebührenordnungsausschuss der
Bundesärztekammer parallel ebenfalls Abrechnungsempfehlungen, die einseitig von
uns veröffentlicht werden, um die Landesärztekammern bei der Wahrnehmung ihrer
Ordnungsfunktion zu unterstützen und zur Schadensbegrenzung im bestehenden
Gebührendschungel beizutragen. Diese „Para“-Gebührenordnungen sind jedoch keine
Lösungen für das grundsätzliche Problem.
Es bleibt festzuhalten: Die Maßnahmen der Selbstverwaltung
ersetzen nicht die dringend notwendige GOÄ-Reform durch die Bundesregierung.
Die eben geschilderten Unzulänglichkeiten der GOÄ führen in
zunehmendem Maße zu Konflikten, die das Vertrauensverhältnis zwischen Patient
und Arzt belasten. Durch die „flächendeckenden“ und klarstellenden
Interpretationshilfen der genannten Ausschüsse bei der Bundesärztekammer ist
die Zahl der Beanstandungen jetzt zwar leicht rückläufig; der schwerfällige und
zeitaufwendige Abstimmungsprozess hält jedoch mit der zunehmenden Zahl von Anwendungsproblemen
nicht Schritt. Die Landesärztekammern haben im Rahmen der
Überwachung der ärztlichen Berufspflichten auf der Grundlage der Berufsordnung
die Aufgabe, auch auf die korrekte Liquidation der Ärzte zu achten. Durch die
Intensivierung der Honorarprüfung durch Beihilfestellen und private Krankenversicherungsträger
nimmt die Zahl der Begutachtungen von Arztliquidationen bei den Ärztekammern
immer breiteren Raum ein. Die Zahl der Reklamationen belief sich in zehn
Ärztekammern in Deutschland in den Jahren 1997 bis 2000 auf 11 090, von
2001 bis 2004 jedoch schon auf 12 467. Das entspricht einem Zuwachs von
12,42 Prozent.
Die GOÄ-Abteilungen müssen personell verstärkt werden. Die
Kostenträger bauen ihr Leistungsmanagement aus und stocken ihre Prüfkapazitäten
immer weiter auf, wobei die Frage erlaubt sein muss, ob sich dieser Aufwand überhaupt
lohnt, denn die überwiegende Mehrzahl dieser Reklamationen wäre durch eine
Aktualisierung und Weiterentwicklung der GOÄ zu vermeiden!
Die permanent wachsende Bürokratie belastet alle Betroffenen
und verschlingt finanzielle Mittel, welche der Patientenversorgung verloren
gehen. Der Alltag in der Arztpraxis ist zeitlich durch die Auseinandersetzungen
mit der Abrechnung und durch andere bürokratische Aufgaben so stark belastet,
dass für das Gespräch mit dem Patienten immer weniger Zeit bleibt.
Die Defizite der GOÄ führen auch zu vermehrten rechtlichen
Auseinandersetzungen. Allein die Zahl von 189 Rechtsstreiten zu § 6 a –
Honorarminderung bei stationärer Behandlung – spricht für sich. Der
Bundesgerichtshof hat versucht, durch ein Urteil hier ein Ende herbeizuführen,
das immerhin ein bisschen Ruhe bringt, auch wenn es die Ärzte nicht zufrieden
stellen kann. Manche Staatsanwaltschaften gehen mit unverhältnismäßigen Mitteln
gegen vermeintliche Abrechnungsbetrüger vor und müssen dann meist eingestehen,
dass der Vorwurf der Falschabrechnung einer zunächst ungeheuren Zahl
Beschuldigter nicht haltbar ist und sich in der Regel bei einigen Wenigen der
Verdacht bestätigt.
(Beifall)
Schlimm ist allerdings, dass diese wenigen schwarzen Schafe
den gesamten Berufsstand schädigen. Daher ist es unsere Aufgabe, echte
Verfehlungen aufzudecken und einer Sanktionierung zuzuführen.
Wichtig ist dabei aber immer, klar zwischen
Fehlinterpretationen, die in der Unzulänglichkeit der GOÄ begründet sind, und
bewusstem Abrechnungsbetrug zu unterscheiden. Häufig ist es schlichte
Ratlosigkeit des Arztes, der seine Leistung in der GOÄ nicht richtig abgebildet
findet, anstelle gezielter Manipulation bei der Rechnungsstellung. Daher fallen
in zunehmendem Maße Gerichtsurteile für den Arzt positiv aus, da der nicht mehr
zeitgemäße Zustand der GOÄ erkannt und anerkannt wird.
Die häufig mit tatsächlichen oder vermeintlichen
Falschabrechnungen verbundenen Vorwürfe des Abrechnungsmissbrauchs werden von
den Medien natürlich gerne spektakulär aufgegriffen und verallgemeinert und
bringen so den ganzen Berufsstand in Misskredit. Das gesamte System der
privatärztlichen Versorgung wird durch die zunehmenden Konflikte gefährdet,
geschwächt und damit unattraktiv gemacht. Es entsteht der Eindruck, als ob auch
das politisch gewollt ist: Mängel aus einer unterbliebenen Reform sollen
offensichtlich zur Systemveränderung genutzt werden.
(Beifall)
Ich möchte im Folgenden die Schwerpunkte des Reformkonzepts
der Ärzteschaft vorstellen. Es ist selbstverständlich, dass bei der weiteren
Ausarbeitung der Einzelheiten die ärztlichen Fachgesellschaften und die
Berufsverbände einbezogen werden müssen. Das kann nur gemeinsam geschehen.
Die Eigenständigkeit einer Amtlichen Gebührentaxe für den
privatärztlichen Bereich in Klinik und Praxis muss erhalten bleiben. Eine
Amtliche Gebührentaxe, die ihre Funktion für Patient und Arzt erfüllen soll,
erfordert ein eigenständiges Bewertungs- und Preissystem für ärztliche
Leistungen. Sie hat – ganz anders als Gebührenregelungen im GKV-Bereich – nicht
die Funktion, innerhalb eines vorgegebenen Budgets das Honorar zu verteilen.
Sie hat vielmehr den Charakter einer Preisordnung für ärztliche Leistungen und
soll einen jeweils leistungsgerechten Preis hierfür widerspiegeln. Die
Gebührenregeln in der gesetzlichen Krankenversicherung – EBM 2000plus und DRGs
– müssen soziale Aspekte berücksichtigen; sie sind durch Sozialrabatte
künstlich verbilligt.
Die Gebührentaxe GOÄ regelt die Vergütung zwischen Arzt und
Patient. Sie ist ein Element eines freien, wenn auch dem Gemeinwohl
verpflichteten Marktes und ist ordnungspolitisch weder für Zwecke der Beihilfe
noch für die Tarifgestaltung der privaten Krankenversicherung nutzbar. Die
Ärzteschaft lehnt daher alle Pläne ab, die die Eigenständigkeit der GOÄ durch
die Übernahme des EBM 2000plus für ambulante Leistungen und die Einführung
eines pauschalen DRG-Zuschlags für stationäre Leistungen abschaffen.
(Beifall)
Einer der wenigen Vorteile der ansonsten veralteten und
unsystematischen GOÄ besteht in ihrer durchgängigen Vergütungsstruktur für
ambulante und stationäre Leistungen. Diese einheitliche Vergütung fördert eine
durchgehende, integrierte Versorgung. Sie darf gerade in Zeiten einer
zunehmenden Vernetzung von stationärer und ambulanter Versorgung nicht durch
getrennte Vergütungsregelungen aufgegeben werden. Nur so werden
Schnittstellenprobleme und Verwerfungen durch Leistungsverlagerung vermieden.
Der Bezug zum einzelnen Arzt und die persönliche
Leistungserbringung als Ausdruck individueller ärztlicher Verantwortung müssen
erhalten bleiben. Fachübergreifende Vergütungspauschalen sind damit nicht zu
vereinbaren, da sie keine eindeutige Zuordnung der ärztlichen Leistung zum
jeweils Verantwortlichen erlauben und damit das Vertrauensverhältnis zwischen
Patient und Arzt beeinträchtigen.
Die persönlichen ärztlichen Grundleistungen müssen besser
bewertet werden, damit der Arzt mehr Zeit für Zuwendung gegenüber seinem
Patienten hat.
(Beifall)
Ein ausgewogenes Vergütungsgefüge ist Voraussetzung für
Honorargerechtigkeit. Eine Qualitätsorientierung sichert privatärztliches
Profil; ein an Prozeduren orientiertes und nicht diagnosebezogenes Leistungsverzeichnis
sichert Transparenz und Prozessqualität.
Die Privatliquidation im Krankenhaus sichert die Motivation
der Liquidationsberechtigten, über die Mitarbeiterbeteiligung sogar aller
Kolleginnen und Kollegen. Sie gewährleistet aber auch ständige Innovation und
leistet einen Beitrag zur Finanzierung der Krankenhäuser. Eine Bereinigung um
Kosten, die in DRGs und in der Privatliquidation nach GOÄ doppelt erfasst sind,
muss durch Abschläge – DRG-Abschlag und GOÄ-Honorarminderung – vorgenommen werden.
Die Privatliquidation auf der Basis der GOÄ ist auch im stationären Bereich
unbedingt zu erhalten. Bei diesem Wunsch finden wir die Deutsche Krankenhausgesellschaft
an unserer Seite.
Das moderne medizinische und ärztliche Leistungsspektrum muss
in der GOÄ abgebildet werden; dies sichert den unmittelbaren Zugang des
Versicherten zu medizinischen Innovationen. Die Anbindung des GOÄ-Leistungsverzeichnisses
an ein international anerkanntes Klassifikationssystem wie den OPS sichert die
Einbeziehung des medizinischen Fortschritts und erleichtert die fortlaufende
Aktualisierung. Darüber hinaus müssen weitere Mechanismen zur verzögerungsfreien
Anpassung des Leistungsverzeichnisses an neue Entwicklungen vereinbart werden.
Die wissenschaftlich fundierte, klare und eindeutige
Definition der einzelnen Leistungen reduziert Anwendungsprobleme und
Bürokratie. Die Gestaltung der Struktur des Leistungsverzeichnisses muss sowohl
in Einzelleistungen als auch dort, wo ärztliche Leistungen in unmittelbarem
zeitlichen Zusammenhang erbracht werden, in ablaufbezogenen Leistungskomplexen
erfolgen. Eine eindeutige Festlegung der Inhalte von Leistungskomplexen durch
die allgemein anerkannte Prozedurenklassifikation vermeidet Konflikte und wirkt
mengenbegrenzend.
Die Vergütungsreform muss, genauso wie bei Rechtsanwälten,
Notaren, Steuerberatern, Ingenieuren, Architekten und anderen, den Ostabschlag
für ärztliche Leistungen in den neuen Bundesländern abschaffen.
(Beifall)
Es ist höchste Zeit, 15 Jahre nach der Wiedervereinigung diese
Ungleichbehandlung der Ärzte in Ost und West endlich zu beenden. Die
Ärzteschaft fordert eine unverzügliche Angleichung der Vergütungen in Ost und
West! Gerade in einer Stadt wie Berlin treibt dieser Unsinn ganz sonderbare
Blüten. Je nachdem, wo man wohnt, ob im ehemaligen Ostberlin oder im ehemaligen
Westberlin, bekommt man unterschiedlich hohe Arztrechnungen.
Ich habe Ihnen einige Eckpunkte der Reformvorstellungen der
Ärzteschaft vorgestellt. Auf dieser Basis müssen inhaltliche Konzepte
erarbeitet werden, gemeinsam mit Fachgesellschaften und Berufsverbänden. Die
Politik muss sich noch vor der Bundestagswahl damit konkret auseinander setzen
und darf nicht weiter auf Zeit spielen. Unter diesen Bedingungen ist die
Ärzteschaft zur konstruktiven Mitarbeit bereit.
Ich darf zusammenfassend betonen, dass unsere Bemühungen um
den Erhalt und die umgehende Reform der GOÄ unter anderem von unserer Schwesterkörperschaft,
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, von der Deutschen
Krankenhausgesellschaft, dem Verband der privaten Krankenversicherung und von
der Bundeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten unterstützt werden.
Ich schließe mit den Forderungen, die dieser 108. Deutsche
Ärztetag an die Politik stellen muss:
Zur Vermeidung von Rechtsstreiten, zunehmender Bürokratie und
Rechtsunsicherheit bei Patient und Arzt muss die GOÄ-Reform jetzt unverzüglich
eingeleitet werden.
(Beifall)
Unabdingbar wichtig für die Ärzteschaft ist der Erhalt der
Eigenständigkeit der Amtlichen Gebührentaxe GOÄ.
Vordringlich ist die Aktualisierung des Gebührenverzeichnisses
und damit die Anpassung an den Stand des medizinischen Fortschritts.
Unverzichtbar ist ein für alle Versorgungsbereiche
durchgängiges und dynamisches Vergütungssystem mit offenem
Leistungsverzeichnis, das den medizinischen Fortschritt integriert.
Das Konzept der Ärzteschaft muss Grundlage der GOÄ-Reform
sein. Auf seiner Grundlage sind wir zur Kooperation bereit. Eine weitere
Verzögerung verschärft Konflikte, vergrößert die Rechtsunsicherheit, belastet
Patienten und Ärzte. Eine Verschiebung in die nächste Legislaturperiode ist
nicht hinnehmbar. Auch in der Vergütung spiegelt sich die Wertschätzung der
Gesellschaft für den Arztberuf wider. Die jetzige GOÄ trägt dem nicht mehr
Rechnung.
Der Ostabschlag von 10 Prozent für privatärztliche Leistungen
in den neuen Bundesländern und in Ostberlin ist 15 Jahre nach der
Wiedervereinigung Deutschlands endlich zu beseitigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass das Votum des
108. Deutschen Ärztetages die politisch Verantwortlichen dazu bewegt, nun
endlich zu handeln! Daher bitte ich Sie, dem Entschließungsantrag des Vorstands
Ihre Zustimmung zu geben.
Ich möchte meine Ausführungen nicht beenden, ohne mich bei
Frau Hess, der Dezernentin des Dezernats IV, und bei ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern nicht nur für die umfassenden Vorarbeiten zu diesem Tagesordnungspunkt,
sondern auch für die permanente gute Zusammenarbeit bei dem Versuch, in dieser
Frage endlich weiterzukommen, zu bedanken.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Alfred Möhrle, für diese klare Darstellung der misslichen Situation, in der wir
uns befinden, und für die ebenso klaren Vorstellungen, wie man aus dieser
Situation herauskommen könnte. Ich bedanke mich auch nochmals bei Herrn
Professor Taupitz für seine analytischen Ausführungen, die uns, wie ich finde,
auch viel Neues vor Augen geführt haben. Ich wusste beispielsweise nicht, dass
eine Rechtsverordnung nicht bis zum Bundesverfassungsgericht gelangen kann. Ich
glaube, diese Ausführungen waren für den Alltag im Hinblick auf diese
Auseinandersetzungen sehr wichtig.
Ich bedanke mich nochmals für die didaktisch sehr klare
Darstellung der Rechtssituation durch Herrn Professor Taupitz und für die klare
politische Darstellung der Situation durch Herrn Dr. Möhrle. Ich bedanke mich
bei Frau Hess für die Zuarbeit, die enorm wichtig ist, damit ein solch
schwieriger Tagesordnungspunkt angemessen vorbereitet werden kann.
Es liegen zwei Anträge und auch Wortmeldungen vor. Es sieht so
aus, als könnten wir diese Thematik ganz würdig über die Bühne bringen, ohne
der Öffentlichkeit die Chance zu bieten, die Vermutung anzustellen, es ginge
uns nicht um die Diffusität und um die mangelnde Aktivität derer, die für die
GOÄ zuständig sind, sondern nur ums Geld. Das ist eindeutig aus den Anträgen zu
erkennen. Insofern sind wir auf dem richtigen Weg.
Ich begrüße jetzt die Ehrenpräsidentin dieses 108. Deutschen
Ärztetages, Frau Dr. Kielhorn-Haas, die zugegen ist.
(Beifall)
Ich begrüße ferner den Ehrenpräsidenten der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages, Herrn Professor Vilmar, der seit Beginn dieses
Ärztetages an unseren Beratungen teilnimmt.
(Beifall)
Ich heiße beide herzlich willkommen.
Ich begrüße Frau Dr. Duhme, die uns in den nächsten zehn
Minuten ein bisschen in Bewegung bringt, was für die nachfolgende Diskussion
sehr gut sein wird, weil die Durchblutung des Gehirns von besonderer Bedeutung
ist.
Vielen herzlichen Dank, Frau Dr. Duhme, für diese erfrischende
Einlage. Das war vielleicht schon das Training für heute Abend.
Als erster Diskussionsredner bitte Herr Mayer aus Bayern.
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