TOP VII: Ärztliches Fehlermanagement/Patientensicherheit

3. Tag: Donnerstag, 5. Mai 2005 Nachmittagssitzung

Vizepräsident Dr. Crusius:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wichtig das Thema ist, können Sie an dem Ihnen ausgeteilten Blatt sehen: Die Europäische Kommission hat zusammen mit den ärztlichen Organisationen im April eine Tagung mit dem Thema „Patient Safety – Making it Happen!“ durchgeführt.

Es sind hier mehrfach die Schlichtungsstellen der Ärztekammern erwähnt worden. Da innerhalb der letzten sechs Jahre hier etwas Neues entstanden ist, erlaube ich mir, Ihnen das vorzustellen, weil es besser hierhin passt als in die Diskussion über den Tätigkeitsbericht.

Die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bearbeiten etwa 10 000 Schadensfälle pro Jahr in der Bundesrepublik. Der MDK, die Haftpflichtversicherer und die Gerichte beschäftigen sich damit ebenfalls. Medizinischer Dienst, Haftpflichtversicherer und Gerichte führen aber keine Statistiken, sie haben keine Daten. Wir mit unseren Schlichtungsstellen und Gutachtern haben seit diesem Jahr eine einheitliche Datenbank. Das ist etwas ganz Besonderes. Die Landesärztekammern können stolz darauf sein, dass sie dies gemeinsam mit der Bundesärztekammer geschafft haben. Eine einheitliche Datenbasis ermöglicht einheitliche Auswertungen.

Bei der Statistik, die Sie hier sehen, möchte ich darauf hinweisen, dass sich die 4 020 Fälle nicht auf Niedersachsen beziehen, sondern das betrifft die norddeutsche Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen. Wenn man alles zusammenzählt, kommt man auf die bereits erwähnten annähernd 10 000 Fälle pro Jahr bei den Schlichtungsstellen.

Wir haben bisher lediglich die Zahl der Anträge, die Zahl der Sachentscheidungen, die Zahl der Fehler und die Zahl der sonstigen Erledigungen erfasst. Neu ist, dass wir die Patientenvorwürfe inhaltlich erfasst und klassifiziert haben. Wir können durchgeführte ärztliche Maßnahmen bewerten. Wir haben die festgestellten Fehler inhaltlich klassifiziert, wir haben iatrogene Schäden festgestellt hinsichtlich der Klassifizierung nach dem Schweregrad.

Wir können auch nach dem Ort der Entstehung des Fehlers unterscheiden: Wo ist der Fehler entstanden? In der niedergelassenen Praxis? Im MVZ? In der Klinik? In der Rehabilitation? In der ambulanten Nachsorge?

Wir können ebenfalls auf die Diagnose, die zur Antragstellung führte, und auf die dabei beteiligten Fachgebiete zurückgreifen.

Früher hatten wir nur die reinen Zahlen, heute haben wir in den vier genannten Gebieten zusätzlich auch die Tendenzen festgestellt. Auswertungen hinsichtlich der Patientenvorwürfe sind damit möglich: Sind es Aufklärungsfehler? Sind es Fehler in der Diagnostik? Sind es Behandlungsfehler? Wir können unterscheiden nach den beteiligten Fachgebieten, nach verschuldeten oder unverschuldeten Schäden, nach dem Behandlungsort, nach dem festgestellten Behandlungsfehler hinsichtlich des Entstehens und fehlbehandelten Krankheiten.

Wir können uns zu Schwerpunkten äußern, wir können bundesweite Vergleiche anstellen: Gibt es beispielsweise in Bayern genauso viele Choledochus-Verletzungen bei Cholezystektomien wie bei der norddeutschen Schlichtungsstelle? Gibt es bei urologischen Operationen Harnleiterverletzungen oder bei gynäkologischen Verletzungen im Westen mehr als im Osten oder im Norden mehr als im Süden? Welches Fachgebiet ist am häufigsten betroffen? Bei welchen Diagnosen und mit welchen Vorwürfen?

Es gibt inhaltliche Auswirkungen zu den Schwerpunkten: Welche Fehlerschwerpunkte gibt es innerhalb der einzelnen Fachgebiete? Bei welchen Diagnosen haben wir eine Altershäufigkeit, haben wir eine Geschlechtsspezifik? Welche iatrogenen Schäden sind überhaupt fehlerbedingt? Welche Prozeduren sind in invasiven Fachgebieten schadensgeneigt, beispielsweise in der interventionellen Radiologie oder in der Chirurgie, der Gynäkologie, der Urologie, der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde?

Warum machen wir das Ganze? Wir wollen zum einen Behandlungsfehlerprophylaxe betreiben, indem wir die schadensgeneigten Prozeduren für die Fortbildung aufarbeiten und spezielle Fortbildung zu den schadensgeneigten Fächern durchführen. Wir wollen risikobehaftete Prozeduren erkennen. Dazu gibt es Konensuskonferenzen mit Handreichungen für die Gutachter zur Gallengangsverletzung, zur Thromboseprophylaxe, zu Uretherverletzungen und zur Rekurrensparese bei Schilddrüsenoperationen. Wir sind dabei, weitere aufzuarbeiten.

Wir wollen aber nicht zuletzt die Patientenzufriedenheit steigern. Das ist unser aller ärztliches Ansinnen, indem wir das Beste tun und eine Fehlervermeidungsstrategie einführen bzw. fortführen. Das gibt es ja schon; insofern schaffen wir nichts Neues.

Der Weg umfasste fünf Jahre. Wir sind am Ziel, wir haben eine bundeseinheitliche Erfassung. Ich möchte nicht schließen, ohne den Beteiligten zu danken: Herrn Rechtsanwalt Neu von der Norddeutschen Schlichtungsstelle aus Hannover, Frau Dr. Beate Weber von der Ärztekammer Nordrhein und Frau Berner von der Rechtsabteilung der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Wir sind auf einem guten Weg und wir werden weitermachen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Schönen Dank, Herr Crusius, für diese ergänzende Darstellung. Jetzt bitte Herr Professor Haupt aus Sachsen.

 

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