Vizepräsident Dr. Crusius: Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wie wichtig das Thema ist, können Sie an dem Ihnen
ausgeteilten Blatt sehen: Die Europäische Kommission hat zusammen mit den
ärztlichen Organisationen im April eine Tagung mit dem Thema „Patient Safety – Making
it Happen!“ durchgeführt.
Es sind hier mehrfach die Schlichtungsstellen der Ärztekammern
erwähnt worden. Da innerhalb der letzten sechs Jahre hier etwas Neues
entstanden ist, erlaube ich mir, Ihnen das vorzustellen, weil es besser hierhin
passt als in die Diskussion über den Tätigkeitsbericht.
Die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bearbeiten
etwa 10 000 Schadensfälle pro Jahr in der Bundesrepublik. Der MDK, die
Haftpflichtversicherer und die Gerichte beschäftigen sich damit ebenfalls.
Medizinischer Dienst, Haftpflichtversicherer und Gerichte führen aber keine
Statistiken, sie haben keine Daten. Wir mit unseren Schlichtungsstellen und
Gutachtern haben seit diesem Jahr eine einheitliche Datenbank. Das ist etwas
ganz Besonderes. Die Landesärztekammern können stolz darauf sein, dass sie dies
gemeinsam mit der Bundesärztekammer geschafft haben. Eine einheitliche
Datenbasis ermöglicht einheitliche Auswertungen.
Bei der Statistik, die Sie hier sehen, möchte ich darauf
hinweisen, dass sich die 4 020 Fälle nicht auf Niedersachsen beziehen,
sondern das betrifft die norddeutsche Schlichtungsstelle für
Arzthaftpflichtfragen. Wenn man alles zusammenzählt, kommt man auf die bereits
erwähnten annähernd 10 000 Fälle pro Jahr bei den Schlichtungsstellen.
Wir haben bisher lediglich die Zahl der Anträge, die Zahl der
Sachentscheidungen, die Zahl der Fehler und die Zahl der sonstigen Erledigungen
erfasst. Neu ist, dass wir die Patientenvorwürfe inhaltlich erfasst und
klassifiziert haben. Wir können durchgeführte ärztliche Maßnahmen bewerten. Wir
haben die festgestellten Fehler inhaltlich klassifiziert, wir haben iatrogene
Schäden festgestellt hinsichtlich der Klassifizierung nach dem Schweregrad.
Wir können auch nach dem Ort der Entstehung des Fehlers
unterscheiden: Wo ist der Fehler entstanden? In der niedergelassenen Praxis? Im
MVZ? In der Klinik? In der Rehabilitation? In der ambulanten Nachsorge?
Wir können ebenfalls auf die Diagnose, die zur Antragstellung
führte, und auf die dabei beteiligten Fachgebiete zurückgreifen.
Früher hatten wir nur die reinen Zahlen, heute haben wir in
den vier genannten Gebieten zusätzlich auch die Tendenzen festgestellt.
Auswertungen hinsichtlich der Patientenvorwürfe sind damit möglich: Sind es
Aufklärungsfehler? Sind es Fehler in der Diagnostik? Sind es Behandlungsfehler?
Wir können unterscheiden nach den beteiligten Fachgebieten, nach verschuldeten
oder unverschuldeten Schäden, nach dem Behandlungsort, nach dem festgestellten
Behandlungsfehler hinsichtlich des Entstehens und fehlbehandelten Krankheiten.
Wir können uns zu Schwerpunkten äußern, wir können bundesweite
Vergleiche anstellen: Gibt es beispielsweise in Bayern genauso viele Choledochus-Verletzungen
bei Cholezystektomien wie bei der norddeutschen Schlichtungsstelle? Gibt es bei
urologischen Operationen Harnleiterverletzungen oder bei gynäkologischen
Verletzungen im Westen mehr als im Osten oder im Norden mehr als im Süden?
Welches Fachgebiet ist am häufigsten betroffen? Bei welchen Diagnosen und mit
welchen Vorwürfen?
Es gibt inhaltliche Auswirkungen zu den Schwerpunkten: Welche
Fehlerschwerpunkte gibt es innerhalb der einzelnen Fachgebiete? Bei welchen Diagnosen
haben wir eine Altershäufigkeit, haben wir eine Geschlechtsspezifik? Welche
iatrogenen Schäden sind überhaupt fehlerbedingt? Welche Prozeduren sind in invasiven
Fachgebieten schadensgeneigt, beispielsweise in der interventionellen
Radiologie oder in der Chirurgie, der Gynäkologie, der Urologie, der
Hals-Nasen-Ohrenheilkunde?
Warum machen wir das Ganze? Wir wollen zum einen
Behandlungsfehlerprophylaxe betreiben, indem wir die schadensgeneigten
Prozeduren für die Fortbildung aufarbeiten und spezielle Fortbildung zu den
schadensgeneigten Fächern durchführen. Wir wollen risikobehaftete Prozeduren
erkennen. Dazu gibt es Konensuskonferenzen mit Handreichungen für die Gutachter
zur Gallengangsverletzung, zur Thromboseprophylaxe, zu Uretherverletzungen und
zur Rekurrensparese bei Schilddrüsenoperationen. Wir sind dabei, weitere
aufzuarbeiten.
Wir wollen aber nicht zuletzt die Patientenzufriedenheit
steigern. Das ist unser aller ärztliches Ansinnen, indem wir das Beste tun und
eine Fehlervermeidungsstrategie einführen bzw. fortführen. Das gibt es ja
schon; insofern schaffen wir nichts Neues.
Der Weg umfasste fünf Jahre. Wir sind am Ziel, wir haben eine
bundeseinheitliche Erfassung. Ich möchte nicht schließen, ohne den Beteiligten
zu danken: Herrn Rechtsanwalt Neu von der Norddeutschen Schlichtungsstelle aus
Hannover, Frau Dr. Beate Weber von der Ärztekammer Nordrhein und Frau Berner
von der Rechtsabteilung der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung.
Wir sind auf einem guten Weg und wir werden weitermachen.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen
Dank, Herr Crusius, für diese ergänzende Darstellung. Jetzt bitte Herr
Professor Haupt aus Sachsen.
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