ENTSCHLIESSUNGSANTRAG – 01
ÄNDERUNGSANTRAG ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG II - 01a
Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer
(Drucksache II-01) unter Berücksichtigung des Antrages von Dr. Rütz (Drucksache
II-01a) fasst der 108. Deutsche Ärztetag mit großer Mehrheit folgende
Entschließung:
Der 108. Deutsche
Ärztetag stellt mit großer Sorge fest, dass die Bereitschaft zur ärztlichen
Berufsausübung als niedergelassene Ärztin oder niedergelassener Arzt in freier
Praxis zunehmend schwindet. Belastende Arbeitsbedingungen, unangemessene
ökonomische Vorgaben, zunehmender Rechtfertigungsdruck für ärztliche
Leistungen, wachsende Fremdbestimmung, unzulängliche Vergütungen und
öffentliche Herabsetzung haben Ärztinnen und Ärzten die Freude am Beruf in eigener
Praxis mit individueller Verantwortung für die Patienten verleidet – trotz des
hohen Ansehens des einzelnen Arztes in der Bevölkerung – wie Studien immer
wieder belegen.
Der 108. Deutsche
Ärztetag fordert die politisch Verantwortlichen auf,
§
endlich
aufzuhören, das Gesundheitswesen als gigantisches Experimentierfeld für
ideologisch geprägte Versorgungskonzepte zu missbrauchen und den
Preiswettbewerb als Allheilmittel zur Effizienzsteigerung des Gesundheitswesens
anzupreisen.
§
finanzielle
Rahmenbedingungen zu schaffen, die den steigenden Versorgungsbedarf einer älter
werdenden Gesellschaft decken, oder in einem offenen gesellschaftlichen Diskurs
die Mittelknappheit transparent zu machen, anstatt die Verantwortung hierfür
der einzelnen Ärztin oder dem einzelnen Arzt aufzubürden. Die eklatante
Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung wird besonders deutlich am
kontinuierlich schrumpfenden Ausgabenanteil der Krankenkassen für ärztliche
Honorare von 22 % in den 70er Jahren auf derzeit 16 % des Honorarvolumens
der GKV bei einem Anteil an der Patientenversorgung von 90 %.
§
eine solide
Versorgungsforschung zur Evaluation von Versorgungskonzepten und
Steuerungsmaßnahmen zu fördern mit dem Ziel, politische Entscheidungen
rationaler vorzubereiten.
§
die bürokratische
Überfrachtung ärztlicher Berufsausübung, insbesondere durch ausufernde
Reglementierungen auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen zu reduzieren.
§
die
Rahmenbedingungen für eine Berufsausübung in eigener Praxis wieder so zu
gestalten, dass die Niederlassung in Deutschland für den ärztlichen Nachwuchs
wieder erstrebenswert wird. Die Niederlassung als Vertragsarzt muss ihren
Stellenwert in der ärztlichen Versorgung in Deutschland wieder erlangen. Die
Patienten haben Anspruch auf eine wohnortnahe haus- und fachärztliche Versorgung.
Die für eine qualitätsvolle
ärztliche Versorgung gefährliche Entwicklung ist in erster Linie den seit 1993
erlassenen Kostendämpfungsgesetzen anzulasten. Gesetzlich eingeführte rigide
Ausgabenbudgets haben niedergelassenen Haus- und Fachärzten immer engere
Vergütungsfesseln angelegt. Bei unbegrenztem Leistungsversprechen der Politik
wurde den Ärzten ein strikt begrenzter Finanzrahmen vorgegeben, der ihnen –
ohne Rücksicht auf Leistungsbedarf und Morbiditätsentwicklung – die finanzielle
Haftung für die Einhaltung der Budgetgrenzen aufbürdete. Dazu wurden sie einer
Vielzahl von Reglementierungen unterworfen, die Bürokratie und Verwaltungsaufwand
vervielfachen und viel Zeit rauben. Die ökonomische Überfrachtung der Medizin
beeinträchtigt zunehmend ihre therapeutischen Entscheidungen, belastet das Patient/Arzt-Verhältnis
und bringt sie in ein ethisches Dilemma.
Hinzu kommt die wachsende
Verunsicherung durch die Auswirkungen des Wettbewerbs der Krankenkassen mit
deren Einkaufs- und Steuerungsmacht, der politisch forcierte
Versorgungsstrukturwandel mit einer Vielzahl unterschiedlicher Versorgungsformen,
die weitere Öffnung der Krankenhäuser als Institution für die ambulante
Versorgung – Entwicklungen, die die Berufaussichten unkalkulierbar machen und
die Motivation des ärztlichen Nachwuchses, eine freiberufliche Tätigkeit in
eigener Praxis anzustreben, erheblich beeinträchtigen. Junge Ärzte wechseln in
patientenferne Tätigkeiten oder gehen ins Ausland. Dies schlägt sich in einem
Mangel an Hausärzten, insbesondere in den neuen Bundesländern, und einem
strukturellen Mangel in vielen ärztlichen Fachgebieten nieder. Die Schere
zwischen zunehmendem Ausscheiden älterer Ärzte aus dem Beruf und wegbrechendem
ärztlichem Nachwuchs wird sich in den kommenden Jahren noch weiter öffnen und
den Mangel verstärken. Die im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und
Soziale Sicherung erstellte Rambøll-Studie belegt eindrucksvoll dieses
Ausstiegsszenario und bestätigt die genannten Gründe. Der Ersatz durch Ärzte
aus Osteuropa ist äußerst problematisch, da die Versorgung in den
osteuropäischen Ländern dadurch ausblutet.
Versorgungsprobleme sind dort
zu lösen, wo die medizinische Betreuung unter Beachtung humanitärer Bedingungen
am effizientesten durchgeführt werden kann. Unsere Gesellschaft eines
langen Lebens insgesamt und die zunehmende Vereinzelung aber auch die
fortschreitende Spezialisierung in der Medizin erfordern eine kontinuierliche
Betreuung des Patienten durch qualifizierte Hausärzte. Die ambulante
fachärztliche Versorgung durch frei praktizierende Ärzte als prägendes
Strukturelement und Qualitätsmerkmal des deutschen Gesundheitswesens darf nicht
gefährdet werden; dass jeder Bürger bei Bedarf in örtlicher Nähe und zeitnahe
einen Facharzt aufsuchen kann, zeichnet unser Gesundheitssystem aus. In Ländern,
wie z. B. Holland, in denen Fachärzte nur im Krankenhaus tätig sind,
bestehen Wartelisten, die – gezielt zur Ausgabensenkung eingesetzt – die
Patientenversorgung gefährden.
Die Ärzteschaft bekennt sich
dabei zu einem echten Qualitätswettbewerb; er muss in der ärztlichen
Versorgung alleine der Qualität dienen und nicht einem marktwirtschaftlichen
"Feilschen" um billige Verträge. Dies gilt vor allem für die neu
eingeführten Direktverträge zwischen Ärzten und Krankenkassen. Die frei
praktizierenden Ärzte dürfen dabei nicht in eine berufliche Abhängigkeit
geraten. Kooperationsverträge zwischen Krankenkassen und kassenärztlicher
Selbstverwaltung bieten dafür die besten Voraussetzungen. Die durch das GMG
eröffneten Wahlmöglichkeiten der Beteiligung an unterschiedlichen Vertragsstrukturen
müssen von niedergelassenen Ärzten durch eigene Strukturmodelle aufgegriffen
werden; am besten durch ärztliche Kooperationen in ärztlicher Trägerschaft.
Der 108. Deutsche
Ärztetag begrüßt deshalb die Initiative der Bundesärztekammer und der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem selektiven Kontrahieren der
Krankenkassen (Einkaufsmodell) ein Modell der Kooperation – das Ärztliche
Versorgungszentrum – gegenüber zu stellen, das inhaltlich durch ein
Beratungsangebot ausgefüllt wird. Kerngedanke ist, handlungsstarke und
medizinisch qualitätsvolle Kooperationen zwischen selbstständig tätigen Haus-
und Fachärzten unter Mitwirkung angestellter Ärzte zu fördern, die auf der Grundlage
der bisherigen vertragsärztlichen Regelversorgung zusätzlich alle
Vertragsformen bedienen können. Diese sollen eine rationellere und effizientere
Nutzung personeller und sachlicher Infrastruktur ermöglichen, den kollegialen
Erfahrungsaustausch erleichtern, Qualitätszirkel bilden, wechselseitige
Vertretungen sicherstellen und durch Einsatz von Informationstechnologie und
verbesserter Kommunikation Bürokratie abbauen. Angestellten Ärztinnen und Ärzten
wird damit eine langfristige Perspektive in freiberuflicher niedergelassener
Tätigkeit geboten. Durch Kooperation mit Krankenhausärzten und anderen Heil-
und Fachberufen im Gesundheitswesen wird ein möglichst umfassendes und
sektorübergreifendes Leistungsangebot zur Verfügung gestellt.
Verhindert werden muss, dass
Ärzte weiter durch den von der Politik verfolgten Einzelwettbewerb
der Krankenkassen auseinander dividiert und in ihrer Berufsausübung
zu fremdbestimmten Erfüllungsgehilfen werden.
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