ENTSCHLIESSUNGSANTRAG VIII – 06
Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer
(Drucksache VIII-06) fasst der 108. Deutsche Ärztetag folgende
Entschließung:
Die Verpflichtung zur
Qualitätssicherung von Disease-Management-Programmen ist sowohl im SGB V
als auch in der Risikostrukturausgleichsverordnung verankert. Aufgrund der
heterogenen Ausgestaltung der Verträge in den einzelnen Bundesländern sind
große Unterschiede in den Vereinbarungen und bei der jeweiligen Umsetzung der
Qualitätssicherungsmaßnahmen zu beobachten. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der
ersten DMP-Verträge sind nunmehr die ersten Qualitätssicherungsberichte sowie
die Kriterien zur Evaluation von strukturierten Behandlungsprogrammen des
Bundesversicherungsamtes veröffentlicht worden.
Trotz der wenigen, aber
durchaus ermutigenden ersten Zwischenergebnisse ist und bleibt es im Interesse
der chronisch kranken Patientinnen und Patienten erforderlich, auf folgende
grundsätzliche Schwachpunkte der strukturierten Behandlungsprogramme in der
gesetzlichen Krankenversicherung hinzuweisen:
1.
Es sind keine Aussagen über
die etwaigen therapeutischen oder gesundheitsökonomischen Vorteile der
Disease-Management-Programme im Vergleich zur Regelversorgung möglich. Da keine
Vergleiche durchgeführt werden, ist es auch nicht möglich festzustellen, ob die
eigentliche Zielgruppe unter den Patientinnen und Patienten eines DMPs, die von
der Teilnahme an einem strukturierten Behandlungsprogramm profitieren könnten,
tatsächlich erreicht wird. Gleichzeitig ist der Aufwand, der betrieben werden
muss, um zum Beispiel ohnehin gut eingestellte Diabetiker in strukturierte
Behandlungsprogramme zu schleusen und zu halten, gewaltig.
2.
Ein weiterer
Schwachpunkt ist, dass eine Evaluation von Langzeitergebnissen bei der
Behandlung chronischer Erkrankungen oder des Mammakarzinoms nicht möglich sein
wird, weil die DMP-Daten – da personenbezogen erhoben – nach einer Frist von
sieben Jahren vernichtet werden müssen.
3.
Außerdem sind die
Auswirkungen strukturierter Behandlungsprogramme auf die krankheitsspezifische
Lebensqualität chronisch kranker Patientinnen und Patienten oder von
Mammakarzinom-Patientinnen bislang unzureichend erfasst. Die Ärzteschaft
begrüßt deshalb, dass das Bundesversicherungsamt in seinem Evaluationskonzept
den Aspekt der Auswirkungen strukturierter Behandlungsprogramme auf die
Veränderung der subjektiven Lebensqualität berücksichtigt. Nach den
Vorstellungen des Bundesversicherungsamts soll die Erhebung zur Lebensqualität
der Patientinnen und Patienten alle zwei Jahre erfolgen, erstmals zum Zeitpunkt
der Einschreibung in das Programm. Die Ärzteschaft geht davon aus, dass dieser
zusätzlichen Aufwand von den zur Evaluation verpflichteten Krankenkassen
geleistet werden wird.
Es bleibt abzuwarten, mit welchem Nachdruck die
Krankenkassen die Entwicklung von strukturierten Behandlungsprogrammen
weiterverfolgen werden, wenn der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich
ins Haus steht. Bei der Themenfindung, Entwicklung und Umsetzung neuer
strukturierter Behandlungsprogramme sollten in Zukunft unbedingt folgende
Eckpunkte beachtet werden:
-
Strukturierte
Behandlungsprogramme sollten nur dort eingesetzt werden, wo definierte
Versorgungsdefizite bestehen. Alles andere geht an den Bedürfnissen der
Patientinnen und Patienten, die von einer zusätzliche Unterstützung durch ein
strukturiertes Behandlungsprogramm profitieren könnten, vorbei und stellt eine
Vergeudung von GKV-Beiträgen nach dem Gießkannenprinzip dar. Die gigantische
Fehlentwicklung durch die Koppelung von strukturierten Behandlungsprogrammen
und Risikostrukturausgleich unter den Krankenkassen muss beendet werden.
-
Wenn
strukturierte Behandlungsprogramme die wirklich unterstützungsbedürftigen
Patientinnen und Patienten erreichen sollen, müssen die erhobenen Daten zügig
ausgewertet und den behandelnden Ärztinnen und Ärzten vor Ort zügig zurückgekoppelt
werden. Effektive Feedbacksysteme und funktionierende Erinnerungssysteme
existieren bislang aber nur vereinzelt.
-
Die
Dokumentationsanforderungen für strukturierte Behandlungsprogramme müssen sich
auf möglichst wenige, wissenschaftlich gesicherte Qualitätsindikatoren
begrenzen. Qualitätsindikatoren haben aus Sicht der Ärzteschaft primär die
Funktion, die Aufmerksamkeit auf diejenigen Teilbereiche hinzulenken, für die
im Hinblick auf die Versorgungssituation der Patientinnen und Patienten besonderer
Handlungsbedarf besteht, und dürfen nicht nur einer speziellen Auswahl von
Leistungserbringern aus Sicht der Krankenkassen oder der Risikoselektion unter
den Patientinnen und Patienten dienen.
-
Die
Evaluation des Nutzens strukturierter Behandlungsprogramme für die
Stabilisierung und Verbesserung der Versorgung chronisch kranker
Patientinnen und Patienten sollte ehrlich sein. Hierzu zählt eine
Messung der Auswirkungen strukturierter Behandlungsprogramme auf
die krankheitsspezifische Lebensqualität chronisch kranker Patientinnen
und Patienten und Brustkrebs-Patientinnen sowie ein Vergleich zur
sogenannten Regelversorgung dieser Patientinnen und Patienten. Allerdings
entzieht der gewaltige Aufwand, der zur Implementierung der strukturierten
Behandlungsprogramme betrieben werden muss, der Regelversorgung
die Mittel, was einen fairen Vergleich erschwert. Umso wichtiger
ist es, dass wenigstens in Zukunft vor einer flächendeckenden Einführung
neuer strukturierter Behandlungsprogramme eine wissenschaftlich
fundierte Pilotierung vorgeschaltet wird, wie zum Beispiel in den
USA, wo derzeit eine prospektiv vergleichende Studie zu DMPs für
Medicare-Patienten mit Herzinsuffizienz und Diabetes anläuft.
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