Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident
der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages und Präsident der
Ärztekammer Nordrhein: Meine Damen und Herren, wir kommen zur Verleihung der Paracelsus-Medaille.
Auf Beschluss des Vorstands der Bundesärztekammer, der auf dem Deutschen
Ärztetag zu verkünden ist, werden jährlich mit der Paracelsus-Medaille
Ärztinnen und Ärzte ausgezeichnet, die sich durch erfolgreiche berufsständische
Arbeit, vorbildliche ärztliche Haltung oder hervorragende wissenschaftliche
Leistungen besondere Verdienste um das Ansehen der Ärzteschaft erworben haben.
Der Vorstand der Bundesärztekammer beschloss im Dezember 2005,
auf dem 109. Deutschen Ärztetag mit der Paracelsus-Medaille auszuzeichnen:
Herrn Sanitätsrat Dr. med. Wilhelm Ertz, Herrn Professor Dr. med. Dr. med. h.
c. Erwin Kuntz und Herrn Professor Dr. med. Carl Schirren. Ich bitte die drei
auszuzeichnenden Persönlichkeiten auf die Bühne.
(Beifall)
Die Verleihungsurkunden haben folgenden Wortlaut:
Der Vorstand der Bundesärztekammer verleiht kraft dieser
Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft hoch verdienten Wilhelm Ertz in
Ottweiler, Sanitätsrat Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Internist, die
Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.
Die deutschen Ärztinnen und Ärzte ehren in Wilhelm Ertz
einen Arzt, der sich in fast 40 Jahren seines aktiven Berufslebens zunächst als
praktischer Arzt, später als Facharzt für Allgemeinmedizin, als Berufs- und
Gesundheitspolitiker, als sachverständiger Berater, als engagierter Vertreter
der Allgemeinmedizin durch seine langjährige Tätigkeit in berufspolitischen Gremien,
sein ehrenamtliches Mitwirken in ärztlichen Berufsverbänden und Körperschaften
auf örtlicher, regionaler, Landes- und Bundesebene um die ärztliche Versorgung,
die Aus-, Weiter- und Fortbildung, die Allgemeinmedizin, die Arbeit der Ethikkommission
der Ärztekammer des Saarlandes, um das Gesundheitswesen und um das Gemeinwohl
der Bundesrepublik Deutschland besonders verdient gemacht hat.
Wilhelm Ertz wurde am 30. Januar 1923 als Sohn des
Kreisbaurates Wilhelm Ertz und dessen Ehefrau Johanna, geb. Steinmetz, in
Neunkirchen/Saar geboren. Ab Ostern 1929 besuchte er vier Jahre lang die
katholische Knaben-Volksschule in Neunkirchen/Saar und wechselte ab 1933 zum
Reform-Realgymnasium in Neunkirchen/Saar, das später in Knaben-Oberschule
umbenannt wurde, wo er den neusprachlichen Zweig besuchte. Nach Erlangung des
Reifezeugnisses wurde er 1940 zum Militärdienst beim Fliegerausbildungsregiment
52 in Bromberg/Warthegau als Sanitätsoffiziersanwärter einberufen. Nach Abschluss
der Rekrutenausbildung wurde er zur Ärztlichen Akademie der Luftwaffe in
Berlin-Wittenau zum Sommersemester 1941 versetzt. Das Medizinstudium
absolvierte er an den Universitäten Berlin und Würzburg bis Kriegsende 1945;
1943 Physikum an der Universität Würzburg und im Oktober 1946 medizinisches Staatsexamen
an der Universität Freiburg im Breisgau mit der Gesamtnote "sehr gut". Am 14.
Oktober 1946 wurde ihm die Approbation als Arzt erteilt. Von November 1946 bis
Februar 1947 leistete er das damals noch vorgeschriebene "Landarztvierteljahr"
in der großen Landarztpraxis von Dr. med. Clemens Kammenhuber in Ottweiler/Saar
ab. Im März 1947 wechselte Ertz an die Chirurgische Abteilung des Knappschaftskrankenhauses
Neunkirchen/Saar unter Leitung des damaligen Chefarztes Dr. med. Paul-Nikolaus
Lauxen. Diese unbezahlte Assistenzarztstelle versah Wilhelm Ertz bis Juni 1947.
Von Juli 1947 bis April 1950 war Wilhelm Ertz erster Assistenzarzt
in der Chirurgisch-Gynäkologisch-Geburtshilflichen Abteilung des St.
Josef-Krankenhauses Neunkirchen/Saar unter Leitung von Dr. med. Anton Jung, wo
er zunächst eine chirurgische Weiterbildung begann, die er aber dann wegen
einer Allergie aufgeben musste. Von September 1950 bis 1952 war er
Volontärassistent an der Kinderklinik Neunkirchen-Kohlhof. Von Juli bis August
1950 war er als Assistenzarzt in der Landarztpraxis von Dr. Kammenhuber in
Ottweiler/Saar tätig. Danach folgte eine Vertretungstätigkeit von April 1952
bis März 1953 in der Landarztpraxis des erkrankten Dr. Clemens Kammenhuber. Von
April 1953 bis Ende März 1954 war er Volontärassistent, ab 1. April 1954
planmäßiger Assistenzarzt an der Inneren Klinik der Saarknappschaft in Sulzbach/Saar
unter Leitung des damaligen Chefarztes Prof. Dr. med. Erich Kraus, wo er
zuletzt Leiter der Inneren Ambulanz war. Am 1. April 1956 erhielt Wilhelm Ertz
nach abgeschlossener internistischer Weiterbildung die Anerkennung als
Internist. Die Anerkennung als Arzt für Allgemeinmedizin wurde ihm durch die
Ärztekammer des Saarlandes am 10. Juli 1970 erteilt. Am 1. Mai 1957 ließ sich
Ertz als Praktischer Arzt und Geburtshelfer, später als Facharzt für
Allgemeinmedizin in Ottweiler/Saar nieder, eine Tätigkeit, die er bis zum 31.
Dezember 1994 ausübte.
Schon während seiner Tätigkeit als Assistenzarzt der
Saarknappschaft hat sich Wilhelm Ertz berufspolitisch engagiert. So war er
zunächst Sprecher der Assistenzärzte. Bereits 1958 wurde er in die
Kammerversammlung der Ärztekammer des Saarlandes als Delegierter gewählt. 1962
wählte ihn die damalige Kammerversammlung zum Beisitzer in den Vorstand. In diesem
Amt wurde er durch Wiederwahl fünfmal bestätigt.
Während seiner fast 40-jährigen Tätigkeit im Vorstand der
Ärztekammer hat Wilhelm Ertz zahlreiche Mandate und Ehrenämter innegehabt, die
er zum Teil heute noch ausübt. Seit seiner erstmaligen Wahl in den Vorstand der
Ärztekammer des Saarlandes 1962 hat er sein berufliches Wissen und seine
Erfahrungen in verschiedenen saarländischen Kliniken und Arztpraxen stets in
den Dienst der Kollegenschaft, der Patienten und des Gemeinwohls gestellt.
Seine bewundernswerte Schaffenskraft, seine Fachkompetenz, seine
Entscheidungsfreude, sein meist unbürokratisches, korrektes Vorgehen und seine
interkollegiale Kooperation brachten ihm weithin Anerkennung und Bewunderung.
Mit großem Einsatz und Arbeitseifer war er fast 40 Jahre lang in Ottweiler als
Facharzt für Allgemeinmedizin tätig. Dabei kam seine Liebe zum Hausarztberuf
nicht nur den ihm anvertrauten Patientinnen und Patienten, sondern insbesondere
auch den jungen Kolleginnen und Kollegen zugute, denen er Wissen und
Fertigkeiten mit Disziplin, aber auch mit didaktischem Geschick und
verblüffender Eloquenz vermittelte. In allen Fragen der Aus-, Weiter- und
Fortbildung beeindruckte er als erfahrener Ratgeber. Seine Ratschläge waren
stets fundiert, seine Arbeit überzeugte. Seine Geradlinigkeit, sein Mut auch zu
unpopulären Entscheidungen und sein beharrliches Eintreten für medizinethische
Grundsätze haben ihn geprägt.
Besonders engagiert hat sich Wilhelm Ertz in der ärztlichen
Fortbildung; so ist er bereits 1966 zum Fortbildungsbeauftragten der
Ärztekammer des Saarlandes gewählt worden. Ihm ist es mit zu verdanken, dass
die ärztliche Fortbildung an der Saar Vorbildcharakter auch für andere
Kammerbereiche gewann und der jährlich erscheinende Fortbildungskalender
prägend war. Seine Anregungen und praktischen Vorschläge in den
Fortbildungskursen und
-seminaren vermittelten stets neues gesichertes Wissen und Erfahrungen aus der
Medizin. Seine langjährige erfolgreiche Tätigkeit in der Fortbildung fand in
der Verleihung der Ernst-von-Bergmann-Plakette durch die Bundesärztekammer im
September 1972 eine verdiente Würdigung. Aktives Mitglied war Ertz von 1958 bis
1970 im Finanzausschuss der Ärztekammer des Saarlandes und in den Jahren 1962
bis 1966 im Facharzt-Berufungsausschuss.
Ein weiterer Schwerpunkt in seiner ehrenamtlichen sachverständigen
Mitarbeit konzentrierte sich auf den Weiterbildungsausschuss, dem er seit 1970
angehörte und zu dessen Vorsitzenden er im Jahr 1980 berufen wurde, ein Amt,
das er bis 1994 innehatte. Seinen Sachverstand brachte er auch in den
Prüfungsausschuss für Arzthelferinnen im Saarland ein, dessen Vorsitzender er
von 1985 bis 1991 war. 1972 wurde er auch in den Berufsbildungsausschuss der
Ärztekammer berufen. Sein besonderes Augenmerk galt von jeher einer gründlichen
Ausbildung des ärztlichen Assistenzpersonals. Nicht zuletzt aufgrund seines
ehrenamtlichen und gemeinnützigen Einsatzes verlieh ihm die Regierung des
Saarlandes am 24. April 1980 den Ehrentitel "Sanitätsrat".
Wilhelm Ertz hat sich auch in Fachausschüssen und Gremien
der Bundesärztekammer engagiert. Seit 1966 war er stellvertretendes Mitglied
der Ärztekammer des Saarlandes im Senat für ärztliche Fortbildung und ab 1974
stellvertretendes Mitglied der Ständigen Konferenz "Film in der ärztlichen
Fortbildung". Außerdem war er Mitglied der Ständigen Konferenz "Ärztliche
Weiterbildung" sowie stellvertretendes Mitglied der Ständigen Konferenz "Gesundheitserziehung"
der Bundesärztekammer.
Für sein Engagement ist Wilhelm Ertz 1985 mit der Verleihung
des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse ausgezeichnet worden, vor allem in
Würdigung seiner Tätigkeit im Landesverband Saarland für Krebsforschung und
-bekämpfung, dessen Mitbegründer er 1969 war (bis 1992 Mitglied des Vorstands).
Außerdem erhielt er das Ehrenzeichen des Deutschen Roten Kreuzes für seinen
erfolgreichen Einsatz bei der Einbeziehung und Integration der Medizinischen
Fakultät der Universität des Saarlandes und der Verflechtung zwischen
Ärztekammer und der Fakultät. Darüber hinaus ehrte ihn die Medizinische
Fakultät des Saarlandes am 22. Mai 1996 mit der Asklepios-Medaille. Der
Saarländische Hausärzteverband verlieh ihm im Oktober 1998 den Ehrenpreis in
Würdigung seiner Bemühungen um die wissenschaftliche Anerkennung und Förderung
der Allgemeinmedizin an den Hochschulen. Er ist außerdem Träger der
Carl-Erich-Alken-Medaille in Würdigung seiner Verdienste um die
Ärztekammerarbeit und seiner Verdienste um die ärztliche Fortbildung (Oktober
1994). Ganz besonders interessiert hat sich Wilhelm Ertz auch für Fragen der
Medizinethik. So war es folgerichtig, den geachteten Arzt und Berufspolitiker
im Oktober 1983, als die Ethikkommission der Ärztekammer des Saarlandes
gebildet wurde, zum Vorsitzenden zu wählen, ein Amt, das er in der Folge mit
der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit ausfüllte. Fruchtbringend für die Arbeit der
Ethikkommission waren sein medizinisches Wissen und Können und ein weises,
abwägendes unbestechliches Urteils- und Entscheidungsvermögen.
Bei der Neukonstituierung der Vertreterversammlung der
Ärztekammer und den damit verbundenen Neuwahlen der Ausschüsse im Jahr 2000 gab
er dieses Amt an seinen Nachfolger ab; er ist aber in der Ethikkommission bis
heute noch als stellvertretender Vorsitzender tätig. In den zurückliegenden 22
Jahren seiner Tätigkeit hat er mit einem immensen Arbeitspensum eine stetig
wachsende Zahl von Anträgen im Rahmen der Ethikkommissionsarbeit bewältigt.
Sein abwägendes und stets an der Sache orientiertes Urteil in dieser
schwierigen Materie haben ihn geradezu für die Lösung von Konfliktfällen in der
Ethikkommission prädestiniert.
Wilhelm Ertz hat sich durch seinen unermüdlichen Einsatz
als Arzt für Allgemeinmedizin und durch seine vorbildliche Haltung als aktiver
Berufs- und Gesundheitspolitiker, als engagierter Vertreter der
wissenschaftlichen Allgemeinmedizin, als Pionier der Medizinethik und als
professioneller Fortbilder um die ärztliche Versorgung der Patienten, die Aus-,
Weiter- und Fortbildung, als Vorsitzender der
Ethikkommission der Ärztekammer des Saarlandes um die ärztliche Fortbildung,
das Gesundheitswesen, die ärztliche Selbstverwaltung und um das Gemeinwohl in
der Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Weise verdient gemacht.
109. Deutscher Ärztetag in Magdeburg, 23. Mai 2006,
Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident
(Beifall)
Der Vorstand der Bundesärztekammer verleiht kraft dieser
Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft hoch verdienten Erwin Kuntz in
Wetzlar, Prof. Dr. med. Dr. med. h. c., Facharzt für Innere Medizin und Lungen-
und Bronchialheilkunde, die Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.
Die deutschen Ärztinnen und Ärzte ehren in Erwin Kuntz
einen Arzt, der sich in mehr als 40 Jahren seines Berufslebens durch sein
Wirken als Arzt, Wissenschaftler, akademischer Lehrer und als ein unermüdlicher
Aktivist und Pionier der ärztlichen Fortbildung um die ärztliche Versorgung der
Patienten, um die Wissenschaft, die Forschung und Lehre und durch eine Fülle
von ehrenamtlichen Tätigkeiten in akademischen Gremien, in Berufsverbänden, in
Fachgesellschaften, in kulturellen, sozial-karitativen und in
wissenschaftlichen Institutionen um die Fortbildung, die Selbstverwaltung, das
Gesundheitswesen und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland in
hervorragender Weise verdient gemacht hat.
Erwin Kuntz wurde am 21. Oktober 1922 in Kröffelbach
(Kreis Wetzlar), Hessen, als Sohn des Lehrers Heinrich Kuntz und seiner Ehefrau
Auguste, geb. Arabin, geboren. Die Volksschule besuchte er bei seinem Vater in
seinem Geburtsort. Das Abitur legte er 1940 am Goethe-Gymnasium in Wetzlar ab.
Bereits kurz danach wurde er zum Wehrdienst eingezogen und war fünf Jahre im
Kriegseinsatz. Als Leutnant der Reserve kehrte Erwin Kuntz nach Kriegsende
zurück und nahm im Oktober 1945 an der Philipps-Universität Marburg das Medizinstudium
auf. Er legte dort alle Examina wie auch das medizinische Staatsexamen 1951 mit
der Note "sehr gut" ab. Die Promotion erfolgte unmittelbar danach mit der Note
"summa cum laude" über das Thema "Die physikalisch-physiologischen Grundlagen
und die Anwendbarkeit der Lichtbogenprobe" (bei Prof. Dr. med. Horst Schwalm,
Universitätsfrauenklinik Marburg).
Im Oktober 1951 begann Erwin Kuntz an der Medizinischen
Universitätsklinik in Gießen (bei Prof. Dr. med. Hans Bohn) seine Weiterbildung
auf dem Gebiet der Lungen- und Bronchialheilkunde (Facharzt-Anerkennung am 12.
August 1958) und auf dem Gesamtgebiet der Inneren Medizin (Facharzt-Anerkennung
am 25. Januar 1962). Sein klinischer Schwerpunkt lag auf allen seinerzeit verfügbaren
bioptischen und endoskopischen Techniken dieser beiden Fachbereiche; er baute
die Endoskopie-Abteilung der Klinik auf. Im Laufe dieser Tätigkeiten wechselte
Erwin Kuntz in sein späteres Forschungs- und Lehrgebiet, die Gastroenterologie
und insbesondere die Hepatologie. Er habilitierte sich 1964 an der
Medizinischen Fakultät der Universität Gießen mit dem Thema "Die klinische
Aktivitätsbeurteilung der Lungentuberkulose". Gleichsam als ein Überblick über
seine bisherige endoskopische Schwerpunkttätigkeit hielt er seine Antrittsvorlesung
zum Thema "Der Stellenwert der Thorakoskopie und Laparoskopie in der Inneren
Medizin und Pneumologie". Für seine Habilitationsschrift, die 1964 als
Monographie publiziert wurde, erhielt er den "Franz-Redeker-Preis", verliehen
durch das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose. Eine
Einmaligkeit ist die erneute Verleihung des "Franz-Redeker-Preises" im Jahr
1966 für seine klinische Studie über "Die Pleuraergüsse. Differentialdiagnose,
Klinik und Therapie", die 1966 als Monographie verlegt wurde. Bis 1968 war
Erwin Kuntz als Oberarzt an der Medizinischen Universitätsklinik (Direktor:
Prof. Dr. med. Hans Adolf Kühn) und als Dozent an der Krankenpflegeschule
tätig. 1969 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt.
Als er 1968 zum Chefarzt am Diakonie-Krankenhaus in
Schwäbisch Hall gewählt wurde, übernahm er nicht nur die Medizinische Klinik
mit seinerzeit mehr als 170 Betten, sondern auch die Leitung der
Krankenpflegeschule und der Balneologischen Abteilung. Die Medizinische Klinik
konnte mit allen technischen Bereichen neu aufgebaut und das gesamte Spektrum
der Gastroenterologie und der Inneren Medizin angeboten werden. Eine
Besonderheit spiegelt seine fachliche Anerkennung und menschliche Wertschätzung
als "Chef" wider, indem er und seine damaligen ärztlichen Mitarbeiter sich nun
seit mehr als 30 Jahren jährlich "reihum" zu einem Haller Wochenende treffen.
Die so oft kritisierte hierarchische Struktur, initiiert und geprägt von der
klinischen Verantwortlichkeit des Chefarztes, kann sich durchaus auch als
lebenslange Freundschaft bewähren, wie das Beispiel Erwin Kuntz zeigt.
Bereits 1968 war Erwin Kuntz in das Planungsgremium des
Klinikneubaus in seiner Heimatstadt Wetzlar als medizinischer Berater berufen
worden. Hier erarbeitete er das Konzept der organisatorischen Strukturen,
Versorgungseinheiten und Organisationsabläufe. Seitdem blieb er in den
Arbeitsgruppen der Planungskonzeption und in Zusammenarbeit mit den
Klinikarchitekten und den medizintechnischen Unternehmen. Das Klinikum Wetzlar
mit seinen fast 700 Betten, seinen großzügigen Anlagen und modernsten
Einrichtungen galt seinerzeit als Vorzeigemodell. Erwin Kuntz wurde zum
Chefarzt der Medizinischen Klinik II (Gastroenterologie, Innere Medizin)
gewählt und war, wie auch als Ärztlicher Direktor, bis 1988 in Wetzlar tätig.
Während seiner 17-jährigen Tätigkeit an der Medizinischen
Universitätsklinik Gießen und den nachfolgenden 20 Jahren als Chefarzt konnte
sich Erwin Kuntz als Vollblut-Kliniker mit breiten fachärztlichen
Weiterbildungen, auch in der Labormedizin und Gastroenterologie, entfalten.
Unermüdlich blieb er an allen medizinischen Neuheiten und Entwicklungen
interessiert, um sie nach ausreichender Bewährung in seine Klinik einzuführen.
Hierbei blieb er getreu einer ihm in der Studienzeit gewidmeten Lebensweisheit
"Prüfe aber alles und das Gute behalte". Sein dynamischer Geist, seine große
Belastbarkeit, seine optimistische und beharrliche Zielstrebigkeit sowie sein
kreativer Weitblick hatten auch eine Basis in einem weiteren Lebensgrundsatz,
geprägt von dem Theologen Angelus Silesius: "Es ward uns nicht gegeben, auf
einer Stufe auszuruhen." Hierbei kam ihm seine sportliche Ausbildung in der
Jugend und Studienzeit zugute. Seine Beliebtheit bei seinen Patienten war für
seine Mitarbeiter ein beispielhaftes Erlebnis.
Erwin Kuntz gilt seit 1954 als Pionier und Aktivist der
ärztlichen Fortbildung. Bereits 1957 berief ihn Prof. Dr. med. Albert
Schretzenmayr als Referent in die Fortbildungskongresse der Bundesärztekammer
in Grado, danach in Meran, Davos, Montecatini und Badgastein. In Grado führte
er erstmals 1964 für seine Seminarteilnehmer Multiple-Choice-Fragen ein.
Gleichzeitig wurde er vom Berufsverband Deutscher Internisten e. V. als
Seminar- und Kursleiter in Bad Kleinkirchheim, Teneriffa, Pörtschach, Mallorca,
Meran und Prag eingesetzt, ebenso wie bei den Medica-Kongressen in Düsseldorf,
Montreux und Baden-Baden. So wurden mehr als 80 Wochenseminare oder -kurse erreicht
sowie mehr als 30 Podiumsdiskussionen und Hauptreferate. Von 1960 bis 1998 hat
er darüber hinaus mehr als 1 350 Fortbildungsvorträge in Deutschland und
230 ärztliche Fortbildungsveranstaltungen im Ausland durchgeführt. Während
seiner Tätigkeit in Schwäbisch Hall hat er fünf Fortbildungstagungen, in
Wetzlar 15 Fortbildungstagungen sowie bundesweit sechs Wochenendseminare für
klinische Oberärzte eingerichtet und geleitet. Als wissenschaftlicher
Kongressleiter organisierte er die Deutschen Gesundheitstage in Köln (1983,
1984), zwölfmal den Seminar- und Praktikumskongress in Meran (1991 bis 2002),
Lindau (1995, 1996), Bad Hersfeld (2001) und in Kassel (2003).
Seine wissenschaftlichen Tätigkeiten dokumentieren sich
in Monographien (1964, 1966) sowie im Lehrbuch über "Erkrankungen der
Gallenblase und Gallenwege" (1974). Sein Lehrbuch "Praktische Hepatologie"
erschien 1998, dem die erste englische Auflage "Hepatology. Principles and
Practice" (2002) und die zweite englische Auflage 2006 (906 Seiten) folgten.
Darüber hinaus ist er Herausgeber von vier Broschüren, vier Lehrbuchbeiträgen,
34 Buchbeiträgen und als Koautor von acht Taschenbüchern sowie von mehr
als 150 Publikationen. Als wissenschaftlicher Mitregisseur eines
Leber-Lehrfilms in englischer und japanischer Sprache erhielt er für diesen
Film beim 5. Internationalen Filmfestival für Medizin in Rom 1991 die Goldmedaille.
Eine außerordentliche Ehre wurde Erwin Kuntz zuteil, als
er aufgrund seiner klinisch-experimentellen Untersuchungen über die
Toxizitätsminderung von Streptomycin 1957 als junger Assistenzarzt zu zwei
Vorträgen vor der Akademie der Wissenschaften in Budapest eingeladen wurde.
Seitdem besteht eine fast 50-jährige Freundschaft mit ungarischen Institutionen
und den Universitäten Debrecen sowie Szeged. Für seine über 25-jährige
Tätigkeit als Gastdozent an der Medizinischen Universitätsklinik Debrecen
erhielt er 1986 die "Ehrenmedaille pro universitate" und 1989 die
Ehrendoktorwürde der Universität Debrecen. Erwin Kuntz ist Ehrenmitglied der
Ungarischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Träger der
"Geza-Hetenyi-Medaille". Er ist Stifter einer Library Foundation der
Medizinischen Fakultät Debrecen und eines Förderpreises ("Alapitvany Kuntz")
für junge Gastroenterologen, der seit 1990 verliehen wird.
Als langjähriges Vorstandsmitglied der Deutschen Akademie
für Medizinische Fortbildung und Umweltmedizin, Bad Nauheim, stiftete Erwin
Kuntz für seine Heimatregion den "Preis für Naturschutz und Landschaftspflege
im Lahn-Dill-Kreis". Dieser Preis, bei hohen Anforderungen, wurde zweimal
verliehen (1994, 1995).
Erwin Kuntz gründete 1987 das "Medizinisch-Christliche
Hilfswerk e. V.", das er bis heute als 1. Vorsitzender leitet. Mit diesem
karitativen Hilfswerk konnten seitdem erhebliche Finanzmittel zur Verbesserung
der medizinischen und hygienischen Situation in christlichen Hospitälern in Entwicklungsregionen
sowie große Anstrengungen für die fachliche Weiterbildung von Pflegepersonal,
technischen Mitarbeitern oder Lehrkräften erbracht werden. Seit 1983 ist Erwin
Kuntz Mitglied des Akademischen Rates der Humboldt-Gesellschaft. 1996 war er
Mitgründer der Deutsch-Indonesischen Gesellschaft für Medizin und seitdem
Vorstandsmitglied sowie Präsident.
Das umfangreiche und vielgestaltige Lebenswerk von Erwin
Kuntz wurde vielfach ausgezeichnet. So wurde ihm von acht nationalen und
internationalen Fachgesellschaften die Ehrenmitgliedschaft und von drei
Gesellschaften die Ehrenpräsidentschaft verliehen. 1974 erhielt er von der
Bundesärztekammer die "Ernst-von-Bergmann-Plakette". 1983 wurde er mit dem
Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet. Seine Heimatstadt Wetzlar
würdigte seine Verdienste 1984 mit der Verleihung des "Ehrentellers der Stadt
Wetzlar". Darüber hinaus erhielt er unter anderem die "Ehrenplakette der
Landesärztekammer Hessen" in Silber (1987), die "Peter-Jeschke-Medaille"
(1988) und die "Ehrenmedaille" der Deutschen Akademie für Medizinische
Fortbildung. Sein Lebenswerk wurde 1999 mit der Verleihung des "Großen
Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland" und 2004 mit der Verleihung
des "Großen Verdienstkreuzes der Republik Italien (Commendatore)" gewürdigt.
Erwin Kuntz hat sich durch seine vorbildliche Haltung als
Arzt, Kliniker, Wissenschaftler und akademischer Lehrer, als engagierter,
unermüdlicher professioneller ärztlicher Fortbilder und Pionier der ärztlichen
Fortbildung, als Internist und Hepatologe, als Mitglied von akademischen Gremien
und der Selbstverwaltung um die ärztliche Versorgung, die ärztliche
Fortbildung, das Gesundheitswesen, die ärztliche Selbstverwaltung und um das
Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Weise verdient
gemacht.
109. Deutscher Ärztetag in Magdeburg, 23. Mai 2006,
Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident
(Beifall)
Der Vorstand der Bundesärztekammer verleiht kraft dieser
Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft hoch verdienten Carl Schirren in
Midlum/Föhr, Prof. Dr. med., Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, die
Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.
Die deutschen Ärztinnen und Ärzte ehren in Carl Schirren
einen Arzt, der sich in mehr als 40 Jahren seines aktiven Berufslebens durch
sein Wirken als Wissenschaftler, akademischer Lehrer und als Pionier der
Andrologie in Deutschland um die ärztliche Versorgung der Patienten, um die
Wissenschaft, die Forschung und Lehre und auch durch seine engagierte Tätigkeit
in akademischen Gremien, in Berufsverbänden, in Fachgesellschaften und als
Fortbilder um die Selbstverwaltung, das Gesundheitswesen und um das Gemeinwohl
in der Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht hat.
Carl Schirren wurde am 24. Juni 1922 als ältester Sohn
des Facharztes für Dermatologie Dr. med. Carl Georg Schirren und seiner Ehefrau
Annelise, geb. Reuter, in Kiel geboren. Die Adresse - Schlossgarten 13 - in
Kiel ist für viele untrennbar mit dem Namen der Familie Schirren verbunden, deren
Dermatologentradition bereits vor drei Generationen vom Urgroßvater von Carl
Schirren, Carl Schirren senior, 1889 an der Chirurgischen Universitätsklinik in
Kiel begründet wurde.
Carl Schirren besuchte nach vier Grundschuljahren die
Kieler Gelehrtenschule von 1932 bis 1940 und wurde als Oberprimaner im Alter
von 18 Jahren zum Kriegsdienst eingezogen. Von 1940 bis 1945 war Carl Schirren
im Kriegseinsatz; er wurde bei Fronteinsätzen fünfmal, zum Teil schwer,
verwundet. Zuletzt war er Oberleutnant der Reserve in einer
Aufklärungsabteilung und Chef einer Schwadron.
Bereits während des Zweiten Weltkriegs war er ein Semester
lang an der Universität Kiel immatrikuliert. Nach Kriegsende nahm er erneut das
Medizinstudium an der Universität Kiel auf; hier legte er im Mai 1951 das medizinische
Staatsexamen ab. Unter Prof. Dr. med. Felix von Mikulicz-Radecki wurde er mit
einer Dissertation zum Thema "Die Eröffnung des Cervicalkanals bereits am Ende
der Schwangerschaft" zum Dr. med. promoviert (ebenfalls Mai 1951).
Einem "Landvierteljahr" in der Praxis von Dr. med. Hans
Poth in Burg/Dithmarschen folgten die erste Etappe seiner Weiterbildung an der
II. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Eppendorf zu Hamburg unter
Prof. Dr. med. Arthur Jores und ein weiterer Abschnitt der Weiterbildung an der
Hautklinik des Universitätsklinikums Eppendorf unter Leitung von Prof. Dr. med.
Dr. Joseph Kimmig. 1957 schloss Carl Schirren die
Weiterbildung mit der Anerkennung als Facharzt für Haut- und
Geschlechtskrankheiten in Hamburg ab.
Bereits während der ersten Stationen seiner ärztlichen Berufsausübung
und zu Beginn seiner Weiterbildung hospitierte Carl Schirren in den Jahren 1952
bis 1956 in der Landarztpraxis Dr. Poth und in einer dermatologischen
Facharztpraxis, um Erfahrungen bei der praktischen und allgemeinärztlichen
Tätigkeit zu sammeln. Nach abgeschlossener Weiterbildung absolvierte er im
Frühjahr 1958 einen mehrwöchigen Studienaufenthalt in Großbritannien. Dort
lernte er Untersuchungsmethoden bei Infertilität des Mannes kennen und
studierte neuere operative Verfahren, die er später am Universitätsklinikum
Eppendorf zu Hamburg eingeführt hat.
Nach fast zehn Jahren wissenschaftlicher und klinischer
Tätigkeit habilitierte sich Carl Schirren 1960 an der Medizinischen Fakultät
der Universität Hamburg im Fach Haut- und Geschlechtskrankheiten mit der
Habilitationsschrift zum Thema "Experimentelle und klinische Untersuchungen zur
Diagnostik der Fertilitätsstörungen des Mannes und ihrer Therapie mit Hormonen"
und wurde zum Privatdozenten ernannt. Auf Antrag Schirrens wurde die Venia
legendi später erweitert auf "Dermatologie, Venerologie und Andrologie".
Bereits während seines Medizinstudiums wurden die Interessen
Carl Schirrens für Fragen der Reproduktionsmedizin dadurch geweckt, dass er bei
einem niedergelassenen Gynäkologen in Kiel famulierte und später auch bei gynäkologischen
Operationen assistierte. Um Kenntnisse in seinem Interessengebiet zu vertiefen
und sich gynäkologisch weiterzubilden, kam er auch zur Erarbeitung seiner Dissertation
an das St. Franziskus-Hospital in Flensburg zu Prof. Dr. med. Felix von
Mikulicz-Radecki, der ihn für praktische Geburtshilfe interessierte und ihn
wissenschaftlich anleitete. Infolge der Berufung von Felix von Mikulicz-Radecki
nach Berlin und wegen seiner schweren Kriegsverletzung an der linken Hand
wechselte Carl Schirren von der Gynäkologie zur Dermatologie.
Mit der Berufung von Prof. Dr. med. Dr. Joseph Kimmig auf
einen Lehrstuhl für Dermatologie an der Universität Hamburg am 1. April 1951 bewarb
sich Carl Schirren als Assistenzarzt des neu berufenen "Chefs". Die Begegnung
mit Kimmig und dessen Förderung waren maßgeblich, um Carl Schirren noch mehr
für Fragen der Fortpflanzungsmedizin zu interessieren. Schirren setzte seine
Erkenntnisse und Erfahrungen in die Tat um, indem er ein andrologisches Labor
gegründet und aufgebaut hat. Daraus entwickelte sich eine intensive
Zusammenarbeit mit der Universitätsfrauenklinik in Hamburg, die sich über Jahrzehnte
bewährt hat.
Von 1960 bis 1971 war Schirren Oberarzt an der Universitätshautklinik
in Hamburg, wo er für 60 Betten verantwortlich war. Neben dieser leitenden
Tätigkeit hat Carl Schirren mehrere Jahre auch in der Allergieabteilung, im Mykologischen
Laboratorium und in der Universitätsambulanz gearbeitet.
Carl Schirren wurde am 12. September 1966 durch die
Universität Hamburg zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Am 21. Januar 1971
ist er zum Abteilungsvorstand und zum Professor der Universität Hamburg berufen
worden. Ein Höhepunkt seiner akademischen Laufbahn und seines
wissenschaftlichen Wirkens war die Gründung des Zentrums für
Reproduktionsmedizin im Universitätskrankenhaus Hamburg am 1. März 1983, dessen
erster Direktor Carl Schirren wurde. Vier Jahre später folgte ihm Prof. Dr.
med. Gerhard Bettendorf, der damalige Direktor der Frauenklinik der Universität
Hamburg, in der Leitung des Zentrums. Zusammen mit Bettendorf trieb Carl Schirren
die Entwicklung des Zentrums voran und erreichte auch durch seine guten
Kontakte zur Bürgerschaft finanzielle Zuwendungen als Starthilfe. Als
geschäftsführender Direktor des Zentrums für Reproduktionsmedizin strebte Carl
Schirren eine räumliche Zusammenlegung der Abteilungen für Frauenheilkunde und
des Zentrums für Reproduktionsmedizin unter dem Dach der Universitätsfrauenklinik
an. Schirren hielt einen Verbund vor allem aus organisatorisch-wissenschaftlichen
Gründen für notwendig, ein Anliegen, das einer Sisyphusarbeit gleichkam, die
schließlich wegen des Widerstandes der akademischen Gremien der Universität und
des Bestrebens, die Frauenklinik als eigenständige Klinik zu erhalten,
misslang.
Im Rahmen seiner wissenschaftlich-praktischen Tätigkeit
hat Carl Schirren stets besonderen Wert auf eine breite Basis seines
Spezialgebietes gelegt. Besonderes Augenmerk schenkte er deshalb der
Kooperation und der Interdisziplinarität und pflegte dort Kooperationen, wo
sich die Interessen seines Faches mit denen der Dermatologie und der
Venerologie verbanden. Dies betrifft insbesondere die Beziehungen der
Andrologie zur Inneren Medizin und zur Endokrinologie, die gemeinsame
Bearbeitung und Erforschung seltener Krankheitsbilder und venerologischer
Fragen. Aus dieser Arbeit entstand Carl Schirrens Hauptvorlesung über
"Hauterscheinungen bei inneren Erkrankungen" und die auch für Studenten anderer
Fakultäten offene Vorlesungsreihe "Sexualpädagogik".
Im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere wandte sich
Carl Schirren immer mehr seinem eigentlichen Spezialgebiet, der Andrologie, zu.
So hat er für diesen relativ jungen Wissenschaftszweig im Rahmen der
Dermatovenerologie Initiativen entwickelt, in deren Mittelpunkt die Einrichtung
einer andrologischen Ambulanz in Hamburg stand, aus der dann die Abteilung für
Andrologie im Rahmen der Universitätshautklinik hervorging. Dank seines
unermüdlichen Einsatzes und seiner guten Verbindungen zu anderen Mitstreitern
gelang es Carl Schirren, eine andrologische Arbeitsgruppe innerhalb der
Dermatologie in Deutschland aufzubauen, die später die Sektion "Andrologie" der
Deutschen Gesellschaft zum Studium der Fertilität und Sterilität e. V. bildete.
So wurde es möglich, andrologische Anliegen und wissenschaftliche Schwerpunkte
gleichgewichtig mit denen der Gynäkologie in der Fachgesellschaft zu vertreten.
Dank seines beharrlichen Einsatzes und seiner Hartnäckigkeit gelang es Carl
Schirren, während der Jahrestagungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft
e. V. spezielle andrologische Symposien zu organisieren und durchzuführen, die
zum Teil von ihm selbst geleitet wurden oder an deren Leitung er beteiligt war.
Der große Einsatz und das vorbildliche Engagement für
sein Spezialfach hatten dazu geführt, dass die Andrologie im Fachgebiet
Dermatologie immer stärker verankert wurde. Inzwischen hatten sich an anderen
Universitäten andrologische Arbeitseinheiten und Abteilungen gebildet. Auf
Anregung Carl Schirrens ist 1967 die Deutsche Gesellschaft zum Studium der
Fertilität und Sterilität e. V. gegründet worden, die ihn zum Vizepräsidenten
und 1970 zum Präsidenten wählte. Dieses Amt hatte er bis 1975 inne, von 1975
bis 1979 war er Vizepräsident. Durch die Arbeit in seiner Fachgesellschaft
gelang es Carl Schirren, auch im internationalen Raum Gehör zu finden. Er war
Initiator und Mentor bei der Gründung von Fachgesellschaften im Ausland, die
ihn wiederholt zu Studienreisen, Gastvorlesungen und einer Honorarprofessur (in
Japan) einluden und ehrten. So trugen ihm seine Aktivitäten u. a. die
Ehrenmitgliedschaft der Ungarischen Urologischen Gesellschaft, der Polnischen
Dermatologischen Gesellschaft, der Türkischen Dermatologischen Gesellschaft,
der Deutschen Gesellschaft zum Studium der Fertilität und Sterilität e. V. und
des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e. V. ein. Zugleich ist er mit
der Ehrenpräsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Andrologie e. V. geehrt
worden.
Das wissenschaftliche Engagement und seine guten Verbindungen
zu Verlagen führten 1969 zur Gründung der Zeitschrift "andrologia", deren
Alleinherausgeber Carl Schirren bis 1973 war. Von 1974 an ist diese Zeitschrift
aufgrund einer internationalen Übereinkunft zum Organ des Internationalen
Komitees für Andrologie erklärt worden, dessen Vizepräsident Carl Schirren bis
1974 war. Carl Schirren wurde zum Herausgeber der Zeitschrift gewählt. 1978 ist
er zum Leiter des Herausgeberkollegiums dieser Fachzeitschrift berufen worden.
Diese überaus wirkungsvolle, aber auch kräftezehrende Arbeit führte Carl
Schirren 25 Jahre lang bis zum Jahr 1990 erfolgreich fort.
Stets war Carl Schirren bemüht, seine Interessen- und Arbeitsgebiete
mit wissenschaftlichem Tiefgang zu beackern und interdisziplinär zu verbinden.
So waren Schwerpunkte seiner Arbeit die Beziehungen zwischen Hauterkrankungen
und endokrinen Störungen, Stoffwechselstörungen und deren Auswirkungen auf die
Haut, die Andrologie, die Mykologie, die Venerologie und schließlich sein
Hobby, aber auch sein akademisches Interessengebiet: die Medizingeschichte.
Neben seiner engeren ärztlichen Tätigkeit, seiner Lehr-
und Forschungstätigkeit und als Pionier der Andrologie engagierte er sich auch
in Fachgesellschaften und in der ärztlichen Berufspolitik. Diesen Schritt hat
er bewusst getan, weil er der Überzeugung war, dass die Andrologie nur durch
die Verbindung von Wissenschaft und Praxis nachhaltig gefördert werden könne.
Sein besonderes Engagement galt deshalb auch der Organisation und Leitung von
Fortbildungsseminaren für Ärzte, so zum Beispiel im Auftrag und im Namen des
Berufsverbandes der Deutschen Urologen e. V., für den er zahlreiche
andrologische Fortbildungsveranstaltungen durchführte. Diese Aktivitäten führten
dazu, dass sich der Wissensstand der Ärzte generierte und mehrte und die
Urologen sich verstärkt dem praktischen Anliegen der Andrologie zuwandten.
Bereits 1967 ist er zum korrespondierenden Mitglied, 1972
zum ordentlichen Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft,
einem Fachausschuss der Bundesärztekammer, berufen worden (bis 1978).
Carl Schirren ist wiederholt von nationalen und internationalen
Gremien, durch Berufsverbände und durch den Bundespräsidenten gewürdigt worden.
So zeichnete ihn der Panamerikanische Kongress für Andrologie im März 1978
durch die Stiftung einer "Carl-Schirren-Lecture for Andrology" aus. Die
Auszeichnung wird alle zwei Jahre an einen Vertreter der Wissenschaft
verliehen. Bereits 1961 erhielt er für seine wissenschaftliche Monographie
"Fertilitätsstörungen des Mannes" den durch die Paul-Martini-Stiftung
verliehenen Martini-Preis. Anlässlich seines 75. Geburtstages erhielt er
die Friedrich-Schiller-Medaille der Universität Jena.
In Würdigung seiner langjährigen ehrenamtlichen Tätigkeit
beim Aufbau und Einsatz in der Elternarbeit in Schleswig-Holstein und für seine
Tätigkeit als langjähriger Vorsitzender des Elternbeirates und des
Landesschulbeirates und für sein bildungspolitisches Engagement in der Arbeit der
evangelischen Familienbildungspflege wurde Carl Schirren 1973 mit der
Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik
Deutschland geehrt.
Auch nach seiner Pensionierung im September 1987 blieb
Carl Schirren aktiv, vor allem auf dem Gebiet der Fortbildung für Internisten,
Dermatologen und Andrologen. Außerdem engagierte er sich bei der Organisation
und Durchführung von Fortbildungsseminaren in Estland, Lettland und in Litauen
(1996 bis 1998).
Vom umfangreichen und fruchtbaren wissenschaftlichen
Schaffen und Wirken zeugen etwa 800 Publikationen und Buchbeiträge (so ist sein
Buch "Praktische Andrologie" in der vierten Auflage erschienen) und zahlreiche
Artikel in in- und ausländischen Fachzeitschriften und die Mitherausgeberschaft
der Fachzeitschrift "Fortschritte der Andrologie", "Fortschritte der
Fertilitätsforschung", "Große Scripta" und in "Folia Dermatologica".
Auch für die
internationale Kooperation hat sich Carl Schirren engagiert. So ist er unter
anderem Gründungsmitglied des Niels-Stensen-Symposiums, eines Zusammenschlusses
dänischer und norddeutscher Dermatologen, mit dem Anspruch von
grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Kooperationen, einer Verbindung, die
sich jährlich zweimal in Dänemark oder in Deutschland trifft.
Carl Schirren hat sich durch seine vorbildliche Haltung
als Arzt, als Wissenschaftler, als akademischer Lehrer, als Pionier der
Andrologie in Deutschland, als Mitglied von wissenschaftlichen Gremien, von
Fachgesellschaften, von Berufsverbänden und als wissenschaftlicher Berater und
Gutachter um die ärztliche Versorgung, die Wissenschaft, das Gesundheitswesen,
die ärztliche Selbstverwaltung und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik
Deutschland in hervorragender Weise verdient gemacht.
109. Deutscher Ärztetag in Magdeburg, 23. Mai 2006,
Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident
(Beifall) |