Eröffnungsveranstaltung

1. Tag: Dienstag, 23. Mai 2006 Vormittagssitzung

Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Erwin Kuntz: Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Sehr geehrter Herr Präsident Hoppe! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser höchsten Ehrung, die die deutsche Ärzteschaft zu vergeben hat, haben Sie uns eine so große Freude bereitet, dass wir diese in Worten nicht auszudrücken vermögen. Diese Freude geht ein in den tief empfundenen Dank an unseren Präsidenten, an die zuständigen Gremien und an unsere Ärzteschaft, die uns für diese hohe Ehrung ausgewählt haben. Seit der Antike streben Ärzte immer danach, am Ende ihres Berufsweges die Gewissheit zu haben, stets - und nur - das Primat des kranken Menschen beachtet zu haben.

(Beifall)

Dies ist doch die wahre Krönung des ärztlichen Berufs! Wenn dann noch einigen Wenigen - wie uns heute - diese hohe Ehrung zusätzlich zugesprochen wird, dann erfüllt uns dies natürlich mit besonderer Freude und Dankbarkeit.

Sie erfüllt uns aber auch mit Bescheidenheit; denn jeder von uns drei Geehrten weiß, dass wir ohne die Mithilfe von Kolleginnen und Kollegen, von Berufsverbänden, Standesorganisationen, Kliniken, Akademien oder Forschungseinrichtungen niemals unsere Aufgaben hätten erfüllen können. Sie alle schließen wir daher in unseren ganz herzlichen Dank mit ein.

(Beifall)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dieses unabdingbare Primat des Patienten wird nun seit Jahrzehnten zunehmend und systematisch ökonomisiert. Auf dem Sockel, auf dem eigentlich der Patient stehen sollte, thront behäbig Sankt Bürokratius. Zu seinen Füßen räkeln sich seine Reglementierungsgesellen. Deren Liste reicht vom KDG-Gesetz (1977) bis zum EBM und zum AVWG (2006). Teilweise sind sie bereits längst gescheitert, aber leider immer wieder durch andere ersetzt. Gerade dieses EBM wurde mehrfach in Publikationen entideologisiert, da keinerlei Bedarf an der Pseudoqualität des so genannten Evidenzbegriffes besteht.

Alle diese Bürokratiemonster schnüren dem Arzt die Luft ab, beschädigen das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Patienten, zwingen sein Handeln unter ständige Regressangst und verlangen sogar von ihm, dass er mit seiner Zeit, die somit den Patienten fehlt, und mit seinen Praxiskosten solche Formularflut auch noch mitfinanzieren soll.

(Beifall)

Nunmehr stellen wir auch hier in aller Deutlichkeit fest: Die Schmerzgrenze der Ärzte ist endgültig überschritten!

(Beifall)

Wir können aber auch mit größter Genugtuung erkennen: Noch nie war die Solidarität der Ärzteschaft so ausgeprägt wie heute!

(Beifall)

Daher sollten wir die Zehntausende von Ärztinnen und Ärzte in jeder Hinsicht unterstützen, die wegen miserabler Arbeitsbedingungen, unerträglich wuchernder Bürokratie, absurder - in der Welt einmaliger - Malushaftung, wegen beengter Forschungsperspektiven sowie wegen inakzeptabler Vergütung zu Protestaktionen auf die Straße gezwungen werden.

(Beifall)

In den letzten Jahren sind Tausende deutscher Fachärzte oder Wissenschaftler in andere Länder ausgewandert. Wie lange will sich unser Land einen derartigen Aderlass infolge ideologisch-bürokratischer Zerstörung des Arztberufs noch leisten?

(Beifall)

In bemerkenswerter Offenheit stellte ein früherer Gesundheitsminister fest: Wenn die Ärzte einig wären, dann wären sie schier unbesiegbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt doch nun an uns allen, diesen Nachweis der Einigkeit und somit auch der Stärke zu erbringen!

(Beifall)

Sie als Delegierte von etwa 400 000 Ärztinnen und Ärzten und alle unsere Fachverbände sollten diese heutige Solidarität nutzen, um mit aller Entschlossenheit einzutreten gegen diese alles überwuchernde Bürokratie, jedoch für den Patienten und für die Freiheit unseres Berufs!

(Beifall)

Wir Ärzte sind es wirklich endgültig satt, unser Ethos und unsere hohe Leistungsbereitschaft, die sich in Millionen unbezahlter Überstunden ablesen lässt, als Systemressource für die Krankenkassen in unerträglicher Weise missbrauchen zu lassen!

(Beifall)

Diese unsere Solidarität und Protestaktionen sollten wir aber auch unter dem Blickpunkt sehen, nicht nur jetzt für uns, sondern auch für die nachrückenden jungen Kollegen eine Zukunftsorientierung als Arzt zu gewährleisten. Geben wir unseren Medizinstudenten die Zuversicht, ihren Wunsch zu erfüllen, nämlich Arzt sein zu dürfen, aber auf keinen Fall Medizinmanager und schon gar nicht Facharzt für Bürokratie!

(Beifall)

So möchten auch wir - als heute hier Geehrte - uns fest eingebunden wissen in diese Solidarität unserer Ärzteschaft!

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender lebhafter Beifall)

(Musikalische Umrahmung:
Georg Friedrich Händel - Ouvertüre zur "Feuerwerksmusik")

© 2006, Bundesärztekammer.