TOP I: Patientenversorgung in Deutschland - Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung

1. Tag: Dienstag, 23. Mai 2006 Nachmittagssitzung

Dr. Baumgärtner, Baden-Württemberg: Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Präsident, auch von mir vielen Dank für Ihre Rede. Ich danke Ihnen auch dafür, dass Sie uns bei den Demonstrationen in Stuttgart und in Sindelfingen immer unterstützt haben. Wir haben jetzt drei Termine hinter uns. Zum ersten Termin kamen 5 000 Kolleginnen und Kollegen, in Sindelfingen waren es dann 7 000 und jetzt auf dem Stuttgarter Schlossplatz waren es 10 000. Ohne Ihre Unterstützung wäre dies kaum möglich gewesen.

Bewegt haben mich heute Vormittag bei der Eröffnungsveranstaltung die beiden Reden der Politiker. Ich muss Ihnen sagen: Ich sehe das, was heute ausgeführt wurde, ausgesprochen kritisch. Wir hören jedes Jahr dasselbe und es ändert sich definitiv nichts.

(Beifall)

Ich beginne einmal mit Herrn Böhmer. Er hat ja gesagt: Das Morbiditätsrisiko soll auf die Krankenkassen verlagert werden. Ich weiß nicht, ob alle gehört haben, was er danach gesagt hat. Da hat er nämlich gesagt, dass die Leistungsmenge von den Leistungserbringern selbst gesteuert werden müsse. Das bringt uns immer wieder in die Falle, dass wir in den Praxen eine Zuteilungsmedizin betreiben müssen. Die Politik getraut sich nicht, eindeutig zu sagen: Dieses gibt es, jenes gibt es nicht. Das ist der Kernfehler auch dieser Gesundheitsreform.

(Beifall)

Ich habe vor einer Woche aus dem Bundeskanzleramt einen Brief erhalten, in dem steht, man wolle mit dem AVWG die wirtschaftliche Verantwortung der Ärzte für den Arzneimittelbereich stärken. Das ist unerhört! Es kann nicht sein, dass wir für das Anspruchsverhalten der Versicherten herhalten müssen, es kann nicht sein, dass wir für den Kassenwettbewerb herhalten müssen. Es kann auch nicht sein, dass wir für all das herhalten müssen, was dauernd in den Medien berichtet wird, was man in den Arztpraxen alles bekommen könne. Das muss von der Politik klar angegangen werden.

(Beifall)

Die Bundesgesundheitsministerin hat erklärt, die Selbstverwaltung sei am EBM-Desaster selber schuld. Sie hat genüsslich einen Brief des damaligen KBV-Vorsitzenden vorgelesen. Ich war damals KBV-Vorstandsmitglied. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Ministerin hat natürlich massiv auf diesen EBM Einfluss genommen. Herr Knieps hatte Angst - es gibt einen entsprechenden Brief -, die Leistungsmenge würde in den Ländern zurückgefahren. Im Osten wäre die Leistungsmenge auf 50 Prozent dessen, was im Augenblick erbracht wird, zurückgegangen. Davor hatte Herr Knieps Angst. Er hat den Vorstand der KBV unter Druck gesetzt, dass man die Monopolywährung beibehält und floatende Punktwerte einführt.

Die Realität ist: Die Ministerin und das Ministerium haben massiv auf diese Entscheidungen Einfluss genommen. Die Ministerin kann heute nicht erklären: Ihr wart es! Sie hätte damals die Möglichkeit gehabt, dafür zu sorgen, dass die Kassen ihre Schulden bezahlen und mehr Geld in das System geben. Das ist alles bekannt. Aber man wollte es nicht.

Morgen wird in der "Süddeutschen Zeitung" stehen, dass die Selbstverwaltung an dem Desaster selber schuld ist. Das ist aber nicht richtig. Es ist der Geldmangel, es ist die Verweigerung der Politik, eine Entscheidung darüber zu treffen, was solidarisch bezahlt wird und was nicht.

Ich will aber nicht nur jammern und nicht nur kritisieren. Ich sage hier auch für meinen Verband, den Verbund MEDI Deutschland, dass es nicht darum geht, nur zu jammern, sondern wir sind selbstverständlich bereit, die Bevölkerung auch in Zukunft preisgünstig zu versorgen. Wir sind sicher nicht bereit, unter Ausnutzung unserer Arbeitskraft tagtäglich ein System, das eigentlich pleite ist, am Laufen zu halten. Dazu sind wir mit Sicherheit nicht bereit.

Die Politik hat von uns ein Eckpunktepapier vorgelegt bekommen, in dem steht, was die Ärzte und die freien Verbände wollen; das ist abgestimmt.

Ich glaube, die meisten unterschätzen, was im Augenblick auf uns zukommt. Wir erwarten, dass die Politik diese Eckpunkte übernimmt, dass wir zumindest Teile dieser Eckpunkte in den politischen Entscheidungen wieder finden.

Wir müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen und eigene Fehler korrigieren. Wir müssen schauen, dass wir aus den Integrationsversorgungsverträgen herauskommen. Wir haben unter immer mehr Bürokratie zu leiden, wir erbringen immer mehr Leistungen aufgrund von IV-Verträgen, aber die Kassen lehnen sich zurück und zahlen keinen Cent mehr. Wir müssen daran denken, die IV-Verträge einzufrieren und keine neuen IV-Verträge mit den Krankenkassen abzuschließen.

Auch das Thema DMP müssen wir neu beleuchten. Es geht hier nur um RSA-Gelder, um nichts sonst.

Unsere Kernforderung auch für den ambulanten Bereich muss sein, dass die Mindestvergütung von 5,11 Cent von den Krankenkassen bezahlt wird. Das einzige Druckmittel, das wir im Augenblick haben, besteht darin, dass wir erklären: Wir verknüpfen das mit den DMPs. Da müssen Sie uns helfen.

Wir wollen einen runden Tisch mit der Politik haben. Wir wollen über die Eckpunkte, über unsere Kernpunkte, über unsere Forderungen mit der Politik verhandeln. Wir brauchen auch hinsichtlich der angestellten Ärzte einen runden Tisch. Die Politik will die vorhandenen Probleme aussitzen. Die Politik wartet im ambulanten und auch im stationären Bereich und hofft, dass das Ding zusammenbricht. Das ist die Erwartung der Politik.

Ich möchte hier ganz klar sagen: Wenn die Arbeitgeber für den stationären Bereich nicht einlenken und endlich ein Verhandlungsangebot vorlegen, das auch der Marburger Bund annehmen kann, dann sollte sich der niedergelassene Bereich bis zur Weltmeisterschaft an die Seite des Marburger Bundes stellen. Vielleicht schließen wir während der Weltmeisterschaft die Praxen und die Kliniken. Vielleicht werden wir dann gehört.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr Baumgärtner. Sie wissen wahrscheinlich, dass Abstimmungen von Sendern wie n-tv ergeben haben, dass die Bevölkerung das als nachvollziehbar betrachtet. Darüber habe ich mich sehr gewundert. Es wurde gefragt: Finden Sie es in Ordnung, dass die Weltmeisterschaft als Druckmittel benutzt wird, um die eigenen Ziele durchzusetzen? Fast 60 Prozent der Befragten haben mit Ja gestimmt. Das finde ich ausgesprochen ermutigend für uns und ungewöhnlich. Ich habe das so nicht erwartet. Ich habe erwartet, dass man sagt: Nein, während der Weltmeisterschaft muss Burgfriede herrschen, damit die Welt nur ja keinen schlechten Eindruck von uns bekommt.

So hätte man es ja auch formulieren können. Das ist aber nicht geschehen. Ich glaube, das sollten wir würdigen und sehen, dass wir eine starke Rückendeckung vonseiten der Bevölkerung erfahren.

Herr Fuchs sagt mir gerade, dass es einige Anträge gibt, die zu den Leitanträgen des Vorstands eingereicht wurden. Die Damen und Herren Antragsteller mögen bitte sehr genau darauf achten, ob es sich um einen Antrag zu der Thematik "Patientenversorgung in Deutschland - Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung" handelt oder um einen Antrag zum Tätigkeitsbericht. Das möge bitte sorgfältig unterschieden werden. Achten Sie bitte darauf, damit wir die eigentliche Aussage, die wir treffen wollen, nicht verwässern. Ich bin sicher, dass das kein Problem ist.

Jetzt ist Herr Thiel an der Reihe. Er hat eine Präsentation vorbereitet. Wir begrüßen Sie herzlich und freuen uns auf Ihren Beitrag. Bitte schön.

(Beifall)

© 2006, Bundesärztekammer.