TOP I: Patientenversorgung in Deutschland - Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung

1. Tag: Dienstag, 23. Mai 2006 Nachmittagssitzung

Dr. Gitter, Bremen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mitteilen, dass auch die kommunalen Häuser mit den Hufen scharren. Sie sind genauso zum Streik bereit. Auch dort bewegen sich die Zeiger der Uhr langsam auf zwölf Uhr zu. Wenn weiter so arrogant mit unseren gewerkschaftlichen Rechten, dass Ärztinnen und Ärzte sich selber gewerkschaftlich vertreten, umgegangen wird, wird man wohl auch hier einen Streik erleben.

Ich möchte Ihnen auch Folgendes mitteilen; es liegt zwar noch nicht schriftlich vor, aber es wurde mir versichert, dass es zitierfähig ist. Sie wissen, dass an der Charité ein Vorschalttarifvertrag abgeschlossen wurde, der die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung an der Charité ein bisschen an das heranrücken soll, von dem aus wir zu verhandeln beginnen. Es ist wohl gestern Abend den Chefärzten mitgeteilt worden, dass die Kosten, die dafür zur Verfügung stehen müssen, beim Personal wieder eingespart werden sollen.

Sollte das umgesetzt werden, wäre dies die Verlogenheit per se. Ich kann nur an die Verantwortlichen appellieren, das schleunigst sein zu lassen. Ansonsten verspreche ich Ihnen, dass es an der Charité so weitergeht, wie es vor kurzem aufgehört hat.

Wir sind an einem Scheideweg zwischen Staatsmedizin und mündigem Patienten, nach dem gerade die Politik immer schreit, angelangt. Frau Schmidt hat heute Vormittag gesagt, in der Privatisierung sei kein Allheilmittel zu sehen.
Aber bei der Privatisierung von Krankenhäusern soll es so sein? Da muss man schon zusehen, welche Mittellinie man hier fahren soll.

Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, Mitglied der Arbeitsgruppe "Entbürokratisierung" zu sein. Ich möchte von der dortigen Arbeit Folgendes berichten. Frau Caspers-Merk führt ja jedes Mal nach einer solchen Sitzung, ob nun Ergebnisse erzielt wurden oder nicht, eine Pressekonferenz durch. Jedes Mal, wenn die niedergelassenen Ärzte und die Krankenhausärzte verlangen, auch einmal über die Grundlagen der Politik zu reden, erklärt sie: Das ist politisch nicht durchsetzbar. Im SGB V gibt es fast keinen Paragrafen mehr, der nicht der Misstrauensbürokratie das Wort redet. Alles und jedes wird kontrolliert. Es ist in Deutschland nicht mehr Realität, dass man hinnimmt, dass ein zugelassener Vertragsarzt mit einer fachärztlichen Qualifikation und Weiterbildung oder ein Krankenhausfacharzt eine Versorgung zulasten der Krankenkassen macht - nein, alles muss überprüft werden. Da konstruieren wir bereits eine dreifache Schiene. Eigentlich müssten wir noch einen Medizinischen Dienst mit vergleichbarer Qualifikation installieren, um die entsprechenden Kontrollen durchzuführen. Dort wird Geld ausgegeben, das fehlt, um den Ärzten ein anständiges Einkommen zu ermöglichen. Das muss endlich aufhören.

(Beifall)

Ärztinnen und Ärzte sind lange genug als Leistungsanbieter degradiert worden. Das sind wir nicht, sondern wir sind Ärztinnen und Ärzte, die Patienten behandeln. Ich nehme mir für uns das Recht heraus, dass zunächst einmal das, was wir vor Ort tun, vernünftig und effizient ist und dem entspricht, was die Patienten benötigen.

Wenn die Politik dort gern etwas reglementieren möchte, muss sie diese Aufgabe endlich wahrnehmen. Das heißt, dass parlamentarisch entschieden werden muss, wie der gesetzliche Leistungskatalog aussehen soll. Wenn eine Grenze eingezogen werden soll, weil der Ressourcenverbrauch begrenzt werden soll, muss das vonseiten des Parlaments geschehen, nicht vonseiten irgendwelcher obskuren Gremien und Sachverständigen mit und ohne Fliege.

Das müssen auch nicht die Krankenkassen tun, sondern das muss vonseiten des Parlaments geschehen, und zwar unter Einbeziehung des Sachverstands der Ärzteschaft. Herr Professor Hoppe hat heute Vormittag der Ministerin die Zurverfügungstellung dieses Sachverstands noch einmal angeboten. Sie kann mit uns reden und von uns Ideen erhalten. Aber die Entscheidung darüber, wie bei der Ressourcenverteilung limitiert werden soll, muss demokratisch legitimiert im Parlament erfolgen.

Man muss sich überlegen, ob man es nicht in die Hand des Einzelnen legen muss, eine zusätzliche Absicherung haben zu wollen. Er kann dann überlegen, inwieweit er denjenigen, die entsprechende Leistungen anbieten, vertrauen will oder nicht. Dann kann man mit einem Schlag auf die ganze Misstrauensbürokratie verzichten. Dann ist das Geld wieder dort, wohin es gehört, nämlich in der Patientenversorgung.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Frau Gitter. - Als nächster Redner bitte Herr Lipp aus Sachsen.

© 2006, Bundesärztekammer.