TOP I: Patientenversorgung in Deutschland - Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung

1. Tag: Dienstag, 23. Mai 2006 Nachmittagssitzung

Rettkowski, Niedersachsen: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle reden von einem solidarischen und sozialen Gesundheitssystem. Was ist daran heute eigentlich noch sozial? Wir haben nach der Einführung der Praxisgebühr gemerkt, die eigentlich eine verbal unredlich verpackte Beitragserhöhung war, dass die sozial Schwachen schon gar nicht mehr kommen, beispielsweise viele alte allein stehende Rentnerinnen.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, was an diesem System einzig und allein noch sozial ist, sind wir Ärzte in Klinik und Praxis, die wir uns seit über 15 Jahren ausbeuten lassen und das GKV-System zunehmend mit entgangenem Lohn künstlich beatmen.

Jetzt sind wir an dem Punkt, dass wir so fertig sind wie das Ärzteteam, das nach zwei Stunden die Reanimation aufgibt. Wir haben heute von Herrn Hoppe gehört, dass nur 26 Millionen Beitragszahler in die GKV einzahlen, dazu noch einmal circa 20 Millionen Rentner einen reduzierten Beitrag. An dieser Stelle erkennen Sie, dass das Rentensystem viel früher zusammenbrechen wird, als es jedem von uns lieb sein kann - und das, obwohl es seit Jahrzehnten von der GKV künstlich beatmet wird, zuletzt 2005 mit 50 Milliarden Euro, einem Fünftel des Gesamtaufkommens. Das ist den Untersuchungen von Professor Fritz Beske aus Kiel zu entnehmen.

Lassen Sie mich noch zwei Sätze sagen, die vielleicht nicht jeder von uns gern hören möchte. Die Probleme unseres sozialen Sicherungssystems bestehen in dem Sozialtransfer zwischen Zahlenden und Empfangenden, zwischen Alt und Jung, der so genannte Generationenkonflikt. Die heute für geringere Löhne arbeitende Bevölkerung subventioniert die qualitativ hochwertige Behandlung von immer mehr immer älter werdenden Menschen bei zu hohem Renteneinkommen. Das möchte ich hier feststellen.

Insofern müssen wir dafür sorgen, dass sich die Arbeitnehmer mit uns solidarisieren, weil die heute arbeitende Bevölkerung genauso von dem System ausgebeutet wird wie wir. Die Zahlen dazu kann man nachlesen; sie sind jedem zugänglich.

Ich verstehe unter "solidarisch", dass jeder den gleichen Prozentsatz von seinem Einkommen in das Krankenversicherungssystem einzahlt. Ulla Schmidt zahlt, wenn sie 14 000 Euro im Monat verdient, 1 996 Euro ein, davon 500 Euro in ihre private Versicherung, aber bitte schön 1 496 an die GKV. Dann führen wir die Kostenerstattung ein.

Ich bin überzeugt: Wenn wir Solidarität in diesem Sinne üben, können wir unsere sozial schwachen Patienten kostenlos behandeln.

Danke schön.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr Rettkowski. - Nun Herr Kollege Schuch aus Bayern.

© 2006, Bundesärztekammer.