Prof. Dr. Hohagen, als geladener Gast: Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde begrüßt ausdrücklich, dass der 109. Deutsche Ärztetag das Thema
"Stärkung und Förderung der psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen
Kompetenz im ärztlichen Handeln" als Haupttagesordnungspunkt aufgenommen hat.
Wir haben dem Referat von Frau Dr. Bühren entnommen, welche große
gesundheitspolitische Herausforderung auf uns zukommt. Wir wissen, dass die
Ärzteschaft bestimmte Maßnahmen entwickeln muss, um dieser Herausforderung
gerecht zu werden.
Ich glaube, wir stimmen alle darin überein, dass die
psychosoziale Kompetenz des Arztes integraler und unverzichtbarer Bestandteil
ärztlichen Handelns ist. Sie wird in allen Ausbildungsstufen vermittelt: im
Studium und in der Fort- und Weiterbildung.
Wir müssen aber auch die entsprechenden Rahmenbedingungen
schaffen, die es uns erlauben, diese Kompetenz zu zeigen. Dazu gehört im
ambulanten Bereich ausreichende Zeit und ausreichende Honorierung. Dazu gehören
im stationären Bereich aber auch, dass bestimmte Strukturen erhalten bleiben.
Wenn wir in allen Bereichen beispielsweise ein Schichtarbeitssystem haben, dass
der frisch operierte Patient jeden Tag einen anderen Arzt sieht, wird deutlich,
dass die Etablierung einer therapeutischen Beziehung unter diesen Bedingungen
sehr schwer oder gar unmöglich ist. Dies könnte beispielsweise bei einer kostenneutralen
Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes der Fall sein. Wir müssen also Strukturen
schaffen, die es uns erlauben, psychosoziale Kompetenz zu zeigen.
Die psychosoziale Kompetenz kann in der psychosomatischen
Grundversorgung vertieft werden, die ja, wie Frau Bühren ausgeführt hat, eine
Grundversorgung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen ist, die zum
einen Basisfertigkeiten vermittelt - beispielsweise Gesprächsführung oder
Reflexion der therapeutischen Beziehung -, aber auch störungsorientierte
Fertigkeiten: Wie behandele ich eine Depression, eine Angsterkrankung unter
Einbeziehung eines mehrdimensionalen Konzepts?
Die Stärke des ärztlichen Handelns besteht darin, dass wir die
biologische Dimension haben, die psychosoziale Dimension, wir können sozial
intervenieren, sodass wir durchaus Pharmakotherapie mit psychosozialen
Interventionen kombinieren können. Das kann keine andere Berufsgruppe. Diese
Stärke ärztlichen Handelns sollten wir immer wieder herausstellen.
(Beifall)
Psychische und psychosomatische Erkrankungen sind nicht nur
für die Basisversorgung wichtig, sondern für alle ärztlichen Bereiche, auch für
die fachärztliche Versorgung. Wenn man sieht, dass die Überlebensrate eines
Patienten nach Myokardinfarkt im Wesentlichen von einer begleitenden Depression
abhängt und mit wachsendem Depressionsscore die Mortalität steigt, wird deutlich,
dass bei der Behandlung von Myokardpatienten nicht nur die körperlichen
Risikofaktoren berücksichtigt werden müssen, sondern genauso auch psychische
Risikofaktoren, also psychische Erkrankungen wie die Depression, als
Mortalitätsfaktor erkannt und behandelt werden müssen.
Hierzu dient die Basiskompetenz, die wir als Ärzte haben, aber
auch die fachgebundene Psychotherapie. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass die
Psychotherapie als ärztliche Heilmethode im Arztberuf mit verankert bleibt. Der
Wegfall der 90-Prozent-Regelung in der fachgebundenen Psychotherapie wäre sicherlich
ein wichtiger Schritt, die fachgebundene ärztliche Psychotherapie zu stärken.
Die dritte Stufe der Versorgung stellen die Fachärzte für
Psychiatrie und Psychotherapie, für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
sowie für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie dar. Wir haben
schon aus den demografischen Ergebnissen, die Frau Bühren vorgetragen hat,
sehen können, dass diese Fachgruppe nur einen Beitrag leisten kann, sodass wir
über integrierte Versorgungskonzepte, die den Hausarzt, die Fachärzte und die
Fachärzte für Psychiatrie, Psychosomatik und Kinder- und Jugendpsychiatrie mit
einschließen, nachdenken müssen.
Wir brauchen aber auch eine Stärkung der psychiatrisch-psychotherapeutischen
Grundversorgung. Hier müssen wir auch über die Struktur von
psychiatrisch-psychotherapeutischen Einzelpraxen nachdenken. Angesichts der
großen Aufgaben und der Unterversorgung in vielen Bereichen ist es notwendig,
auch hier Modelle zu entwickeln. Ein Modell wäre beispielsweise die Sozialpsychiatrievereinbarung,
wie wir sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben, die vor allem in
unterversorgten Gebieten oder Flächenstaaten helfen würde, die Versorgung zu
verbessern. Das heißt, dass ein Psychiater und Psychotherapeut andere
Berufsgruppen wie Krankenschwestern, Pfleger, Sozialarbeiter oder
Ergotherapeuten in der Praxis beschäftigen kann, dass er nicht ärztliche
Aufgaben delegieren kann, um so mehr Patienten zu betreuen. Das wird angesichts
der Entwicklung im Gesundheitssystem erforderlich sein.
Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass der psychosoziale
Bereich in der Medizin ein wichtiger, gerade für die Zukunft wichtiger Bereich
ist. Er sollte auch strukturell in der Bundesärztekammer verankert sein.
Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass der 109. Deutsche
Ärztetag einen bedeutenden Beitrag für den Erhalt psychosozialer Kompetenzen
des Arztes, für die ärztliche Psychotherapie und für eine adäquate und
patientenorientierte Behandlung von Menschen mit psychischen und
psychosomatischen Erkrankungen leisten wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Vizepräsidentin Dr. Goesmann: Herzlichen Dank,
Herr Professor Hohagen. Ich schließe mich Ihren Erwartungen und Wünschen an.
Ich darf jetzt Herrn Professor Dr. Loew, den 1. Vorsitzenden
der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche
Psychotherapie e. V., um seine Ausführungen bitten.
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